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Briefkorpus

Lichtenhain am 6. Juli 1938. 

Liebes Fräulein [Laube]!

Endlich bin ich frei vom Dienst. So ungern habe ich kaum noch Schule gehalten als in der Zeit von Ostern her. Ich bin froh, wenn ich für mich sein kann. Ich schelte mich nicht darum und denke, das wird schon wieder besser und es ist recht und gut, wenn mich eine so wichtige Angelegenheit stark beschäftigt. Heute Dienstag bin ich sehr müde. Ich habe wenig geschlafen und ein wenig liegt mir der Sonntag in den Gliedern. Aber an ihn zurückzudenken bin ich nicht müde.

Das war nun mein erstes Stelldichein. Für einige Stunden gehörten wir uns ganz allein auch mitten in der großen Gesellschaft, die Welt um uns her war nur Schauplatz und Kulisse. Soviel Freude ich auf meinen Fahrten auch fand, der unerfüllte Wunsch verkürzte sie immer: Seit' an Seite mit einem lieben Wesen zu wandern und zu schauen. Ich bin kein geselliger Mensch. Viele Menschen gehen einsam, mehr als es scheint. Die Menschen geben sich wenig Mühe, einander zu verstehen. Einmal hindert daran die unterschiedliche Art, zum andern die Eigenliebe und Rücksichtslosigkeit. Nur wo Neigung und Liebe die Menschen verbindet, wird es zu gutem Verstehen kommen. Und die beiden, die sich dann verstehen, sind dann zu zweit so einsam wie vorher der einzelne, und das macht ja die Verbindung eben köstlich und glückvoll.

Ich war nicht weniger aufgeregt als Sie — und Sie dürfen ohne Sorge sein, soviel wie am Sonntag rede ich nicht immer. Sie dürfen es als günstig[es] Zeichen deuten; denn wäre ich irgendwie enttäuscht worden, die Worte wären mir im Halse steckengeblieben. Wir standen einander gegenüber nach guter, ernster Vorbereitung, und in voller Freiheit — und wir hatten beide Gewinn davon: Wir konnten einander lang und gerad ins Auge schauen und darin lesen, ohne Mißverständnisse zu befürchten, weil wir voreinander nichts verbergen und verbergen wollen.

Ich hoffe und werde daran denken, daß wir einige Tage Ihrer Ferien miteinander verleben können. Es wird sich nächste Woche entscheiden. Sobald Sie können, teilen Sie mir bitte Ihre Ferien mit. Ab Sonntag bis auf weiteres also wieder meine Ferienanschrift: Bischofswerda, [Unklar]straße 6 I. Gut nach Haus gekommen? Ausgeschlafen, Murmeltierchen? Schelte bekommen von wegen der Verspätung? Diese Fragen sind unbeantwortet, wenn ich diesen Brief abschicke. Ich habe Ihre Frage verstanden auf dem Bahnhof, es kommt mir zu, Ihnen zuerst zu schreiben.

Es gibt einen guten Roman, der in die Zeit und das Leben und Treiben am Dresdner Hof zur Zeit Augusts des Starken hineinführt: „Friedemann Bach.” Der Verfasser ist mir nicht gegenwärtig. Den Roman gibt es bestimmt zu leihen.

Seien Sie nun recht herzlich gegrüßt

von Ihrem [Roland Nordhoff].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946