Bitte warten...
Briefkorpus

2.7.38

Oberfrohna, am 4. Juli 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Heute muß ich den Brief beginnen, auch wenn ich weiß, daß ich ihn nicht zu Ende schreiben kann, meiner Müdigkeit halber. Doch ich bin dann im Bewußtsein, Ihnen Genüge getan zu haben, indem ich Ihnen meine gute Heimkehr melde. Ja, meine Rückreise ging etwas verdreht an und sollte auch so enden. In Freiberg hielt der Zug fast 1/4 Stunde und kurz vor Chemnitz konnte er nicht eher einfahren, bis ein andrer auslief. Ich stand also 1/4 12 auf de[m] Chemnitzer Hauptbahnhof — der Omnibus war weg und so bin ich mit dem kurz vor 12 Uhr nach Hause gefahren.

Ich sah mir die Bücher an solch einem Stand im Lichthofe an und was glauben Sie, welches mir zuerst ins Auge fiel? Ein Werk von Ihrem Dichter, Knut Hamsun, „Viktoria, die Geschichte einer Liebe”; sonderbar, auch wieder dieser ähnliche Titel. Ich kaufe mirs. Dann traf ich noch eine Bekannte, sie fuhr nach Limbach und so ist mir die Zeit schnell vergangen. Die Eltern hatten bis 11 Uhr auf mich gewartet, sind aber dann schlafen gegangen mit der Annahme, daß ich mit dem nächsten Zug komme; sie waren nicht in Sorge.

Glauben Sie, daß ich doch ein wenig aufgeregt war von all dem Schönen, Neuen, was ich durch Sie erleben durfte? Heute morgen um 4 Uhr war ich schon wieder wach, und auch im Geschäft war ich mit den Gedanken immer noch beim gestrigen Tag. Mir hat es sehr, sehr gut gefallen — ich bin Ihnen so dankbar. Sie haben eine besondere Art die mir gut gefällt, das Wandern zu gestalten und das viele Sehenswerte anschaulich, verständlich zu machen. Ich habe mit den Eltern auch schon etliche solcher Wanderu[n]gen unternommen, doch so gut hat mirs nicht gefallen. Sie teilten sich nicht in der Art mit, wie Sie es taten. Vielleicht liegt es daran, daß sie nicht über alles so Bescheid wissen wie Sie; oder empfinden sie nur innerlich und vermögen nicht ihre Gedanken preiszugeben.—

Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Ihre Gedanken offenbaren in bezug auf die Ebenbürtigkeit. Nun, nachdem ich Ihre Ansicht darüber weiß, fühle ich mich nicht mehr ganz so gering.

Einen kleinen Einblick erhielten Sie nun von mir am Sonntag. Freilich genügt dieses einmalige Beisammensein nicht, daß wir nun ein umfassendes Urteil voneinander niederschreiben könnten. Doch man kann in dieser Zeit fühlen, ob die Seelen einander etwas verwandt sind. Und ich habe gespürt, daß ein Urteil darüber abzuge[be]n, nicht negativ ausfallen würde.

Sie verstanden mich ganz recht; ich sehne mich nicht allein nach Ihrer Bekanntschaft — nein auch nach Ihrer Welt, ich möchte teilhaben an Ihrem Leben. Doch ob die Kraft, die ich dazu in mir fühle, stark genug, ausreichend dazu is um ganz zu Ihnen zu finden — das steht bei Gott.

Heute habe ich nun endlich erfahren, wann mein Urlaub beginnt. Am 21. Juli — und zwar lautet das neue Gesetz, daß alle Jugendlichen, welche nach dem 1. Januar 1938 das 18. Lebensjahr erreichten, 12 Tage Urlaub erhalten müssen. Nun hab ich das Glück, daß der 12. Tag gerade der Freitag ist; selbstverständlich werde ich erst am Montag darauf, also am 8. August wieder im Geschäft erscheinen.

[Mi]t meinen Eltern hab ich mal darüber gesprochen, wie wohl ihre Meinung wäre, wenn wir (Sie und ich) einige Tage zusammen in der Sächsischen Schweiz verleben würden. Ich setzte ihnen auch auseinander, daß dies deshalb von Vorteil sei, weil man sich dann besser kennenlernt, als bei einem Zusammensein an einem Tage. Erst hatten sie allerhand Bedenken, das sei noch zu früh; doch vertrauen haben sie zu Ihnen, das weiß ich [g]enau. Als ich ihnen dann noch versicherte, daß das ja eine Reise wie jede andre für mich sei — nur mit dem Unterschiede, daß Sie mit im gleichen Hause wohnen, erlaubten sie es zuletzt doch noch.— Angenommen, dieser Plan würde Wahrheit werden, müsste ich meine Forderungen stellen: Erstens, ändern Sie ja nicht Ihren Plan und ihre Reise um meinetwillen! Ich weiß, wie sehr Sie sich auf den Harz freuen — und Sie brauchen auch Ihre Erholung. Dann will ich nicht, daß Ihre Angehörigen irgend etwas merken. Nun die Hauptsache, Sie dürfen sich nicht etwa verpflichtet fühlen in materieller Hinsicht, das müssen Sie mir versprechen; denn Sie würden mir dadurch die ganze Freude verderben. Aber eine große Bitte dürfen Sie mir erfüllen, bei Ihrer Frau Wirtin fragen, ob ich ein Zimmer mit Pension bekommen könnte.

So das wären alle Wünsche, die in Frage kämen bei einer Verwirklichung. Aber nichts an Ihrem Plan ändern, das bitte ich Sie. Es gibt ja noch so vielmals Urlaub und vielleicht bekäme ich zu Ihren Herbstferien ein paar Tage frei.

Darf ich noch etwas fragen? Im letzten Briefe schrieben Sie: „Mehr mag ich nicht sagen.” Dieses Wort gilt nicht bei mir, entweder „ich kann nicht”, oder „ich will nicht”. Steht dieser Satz im Zusammenhange mit einer Ungehörigkeit oder Dummheit meinerseits? Sie müssen mir das sagen, damit ich mich bessere.—

Sie sagten, die Zahl 13 sei Ihr Verhängnis in Lichtenhain auch wieder. In Oberfrohna war sie es zweimal, nicht nur die Hausnummer, auch unser Altersunterschied; es ist mir nun fast unheimlich.

Ich schließe nun in der Hoffnung, daß auch Sie am Sonntag gut zu Hause angelangten.

Es grüßt Sie herzlichst

Ihre [Hilde Laube].

Meine Eltern danken für die überbrachten Grüße und grüßen Sie ebenfalls herzlich.

[ein anderer Stift: siehe Abbildung]

18 M.
19
20
21               1
22               2
23               3
24[*]           4
25               5
26               6
27               7[*]
28               8
29               9
30
31[*]

[* = Nummer eingerahmt]

Karte
Kommentare
Einordnung
Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.380704-002-01b. Ausschnitt aus dem Brief.

Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946