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[OBF-380630-001-01]
Briefkorpus

28.6.38

Lichtenhain am 30. Juni 1938.

 

 

 

Liebes Fräulein [Laube]!

 

 

Zunächst bestätige ich dankend den Empfang des Schreibens Ihrer Eltern. Ich wußte, es daß es für Sie einen schweren Schritt bedeutete, und es tut mir leid, daß Sie in Ängsten waren; aber es mußte sein.— Ich schreibe Ihnen heute, wie ich zur Ebenbürtigkeit denke.

 

 

Sie schrieben in einem Ihrer ersten Briefe, „doch ich bin Ihnen nicht ebenbürtig.” Ich tat diesen Einwand damals absichtlich beiseite und entkräftete ihn dadurch, daß ich fragte, ob Sie nicht einer ehrbaren Familie entstammen. Sie hättendaraus [sic] schließen können, daß mir dieser Punkt nebensächlich wäre. Dem ist nicht so. Und Ihr Gefühl und das Ihrer Mutter leitet Sie richtig, daß Sie darin etwas Wichtiges und die Quelle möglicher Schwierigkeiten sehen. Sie werden gelesen haben, daß man in Adelskreisen von einer Mesallianz [sic] spricht, das ist eine Verbindung unter dem Stande. Hinter den ungeschriebenen Gesetzen dieser Adelskreisen steht nicht allein ein Dünkel sondern auch eine richtige Beobachtung: daß zur Erhaltung guter Eigenschaften in einer Familie es nicht ohne Bedeutung ist, ob beide Teile einander ebenbürtig (im weitesten Sinne) sind. Sie werden vielleicht auch einiges in der Schule gehört haben: Rasse, erbkrank, erbgesund, gute und schlechte Erbanlagen. Man mißt diesen Dingen auf Grund vieler Untersuchungen jetzt wieder viel Bedeutung bei. Neu sind diese Erkenntnisse keineswegs. Vor Jahren sah man noch viel auf die Ebenbürtigkeit des Standes. Sie ist etwas in den Hintergrund getreten, weil die Stände heute mehr als früher ineinandergreifen. Dafür ist mehr hervorgetreten die Unterscheidung zwischen gebildet und ungebildet. Zu den Gebildeten auch im weiblichen Geschlecht rechnet man nun oberflächlich alle, die eine höhere Schule bis zur mittleren Reife oder ganz durchlaufen oder womöglich noc[h] studiert haben und damit den Beweis erbrachten, daß Sie ein gewisses Maß von Klugheit und Geschicklichkeit besitzen. Vor dem Kriege war es noch so, daß man ein Mädchen nur zur höheren Schule schickte, wenn es hervorragend begabt war. Nach dem Kriege gehörte es zum guten Ton und zur Mode, die Kinder zur höheren Schule zu schicken. In unserem Städchen ist das ganz auffällig. So ist es gekommen, daß nicht alle, die die Bank einer höheren Schule drückten, nach ihrem Verlassen auch wirklich gebildete Menschen sind, daß nicht allen die Bildung wirklich Herzenssache ist: es haben dafür viele die Unarten der Halbbildung angenommen, Dünkel, Überheblichkeit, zynisches Wesen — zu ihrem Schaden.

 

 

Das macht den gebildete Menschen aus: daß ihm Bildung Herzenssache ist, daß es ihm ein Bedürfnis ist, am geistigen Leben und Schaffen Anteil zu nehmen, ein gutes Buch zu lesen, ein gutes Theater zu besuchen,–– daß er nicht nur liest und hört und sieht, um mitreden zu können oder dabei gewesen zu sein. Bildung erwirbt man also nicht äußerlich mit dem Abgangszeugnis einer höheren Schule auch nicht allein durch Studium vieler Bücher; Bildung ist auch überall, wo man aus innerem Drange sich umtut und müht, mit dieser Welt fertigzuwerden und dieses mühsame Leben zu erhöhen. Ich denke da nach Hause an unseren lieben Nachbar Nikol, Zimmermann in Ruhe, den wir alle schätzen wegen seiner geistigen Regsamkeit und Wachsamkeit und wegen seines guten, gesunden Urteils. In jeder Schulklasse sitzt ein Kind, dem man wünscht, es möchte weiterlernen können. Und wo man weiß, die Eltern werden es nicht erschwingen können, da denkt man nicht ohne Bedauern: schade drum — gerade auch bei Mädchen. Denn Bildung ziert und adelt den Menschen. Und bei den meisten ist es doch so, daß nach erfüllter Schulpflicht die mancherlei Anregungen verloren gehen, daß sie in der Schule einen lästigen Zwang — aber nicht die große Möglichkeit der Steigerung ihres Lebens sehen. In meiner Klasse im Seminar waren auch 11 Mädchen, die also Lehrerin werden wollten, es auch geworden sind, eine davon wird noch im Amte sein. Es waren begabte Mä[d]chen. Ich besinne mich noch ganz genau, daß ich zu der einen auf einer Wanderung im Gespräche äußerte: ich werde einmal ein ‚ungebildetes′ Mädchen freien. Das habe ich damals getan gesagt aus dieser Empfindung: diese tapferen Mädel haben bei aller Schule und bei allen Lernen einen gewissen Liebreiz verloren. Sie wurden dabei etwas verbogen. Trotzdem sie also doch in allem mitreden konnten und uns geistig gewachsen waren, gewannen sie nicht an Liebreiz. Was sie an Verstandesschärfe gewannen, verloren sie an herzlichem, natürlichem Wesen (mit wenigen Ausnahmen). Das mußte so kommen, weil diese Ausbildung für Mädchen ja nicht zugeschnitten war. Es mag immer auch einige Frauen geben, denen es steht, vielleicht ausgezeichnet steht, sich in der Männerwelt zu bewegen, aber dann sind es eben keine Frauen mehr.

 

 

Uns[e]re Familie ist von Vaters Seite eine Beamtenfamilie nun schon in der 3. Generation. Mein Vater ist Beamter, alle 4 Onkels sind Beamte, mein Großvater war Lehrer und Kantor — und ich habe es also nur ebensoweit gebracht wie mein Großvater. Es erfüllt mich mit Stolz, weit entfernt von Hochmut u. Dünkel, wenn ich zurückblicke, aber daneben steht ernst die Verpflichtung, dieses Erbe zu halten, womöglich zu halten mehren (so wie der Bauer seinen Hof halten will), und beide, Stolz und Verpflichtung, machen das aus, was man Standesbewusstsein nennt.

 

 

Diese Verpflichtung wird naturgemäß besonders fühlbar, wenn man nach einer Lebensgefährtin ausschaut: ich darf nicht jedes beliebige M[äd]chen nehmen. Es wird also tatsächlich darauf ankommen, daß zu einer natürlichen Neigung die Gewißheit kommt: sie ist dir ebenbürtig[.]

 

 

Arm oder reich — das ist nicht von belang, Aus welchem Stande — auch das ist nicht entscheiden[d], Entscheidend aber ist, daß dieses Mädchen gebildet ist, das heißt, daß sie besitzt, was man Herzensbildung nennt, daß ist neben einem guten Stand Verstand ein tiefes Gemüt,— ein angebor[e]nes Gefühl dafür, was sich schickt — und dazu das Verlangen nach den Gütern der Bildung.

 

 

Die Frau soll nicht nur Köchin und Wirtschafterin sein — womit nicht gesagt sein soll, das sei nebensächlich — sie möchte auch teilnehmen an der Welt Ihres Mannes (und muß auf die Dauer auch unglücklich werden, wenn sie es nicht kann oder darf.).

 

 

Mit diesen Zeilen will ich Sie nicht ängstigen, und ich sage nur, was gesagt werden muß, und [s]chreibe dies in einer gewissen Zuversicht.

 

 

Daß Sie den Wunsch hatten und den Mut fanden, sich mir zu nähern, ist es nicht ein Beweis für Ihr Streben, ein Beweis dafür, daß Sie sich stark genug fühlen?

 

 

Mußten Sie mit meiner Person nicht auch meine Welt ersehnen?

 

 

Ihr [sic] Briefe verraten Intelligenz und Geschmack. Mehr mag ich nicht sagen.

 

 

Wo aber die Gaben sind und wo das Streben ist, läßt sich vieles, läßt sich alles nachholen. Dann kommt auch das Selbstvertrauen, und die Unsicherheit weicht.

 

 

Sie mögen aus meiner vorgetragenen Ansicht erkennen, daß ich nicht engherzig bin, daß ich bereit bin, Vorurteile und Rücksichten beiseitezuschieben, wenn ich sie für unberechtigt oder überflüssig halte.

 

 

Zweierlei Besuch hatte sich für Sonntag angemeldet, zwei Absagen sind eingelaufen, und es steht also unsrer Begegnung am Sonntag nichts im Wege. Ich hätte Ihnen gern eher Nachricht gegeben, diesmal ging es nicht, ich werde zusehen, daß ich Ihnen künftig längere Zeit vorher Nachricht geben kann. Eine Absage von Ihrer Seite würde mich kaum mehr erreichen, ist auch nicht nötig.

Für den schlimmsten Fall: Sollte ich nicht erscheinen, halten Sie sich im Wartesaal 1. u. 2. Klasse auf, dorthin würde ich anrufen.

 

 

Und nun gute Reise!

 

 

Es grüßt Sie herzlich

 

 

Ihr [Roland Nordhoff]

 

 

 

Bitte händigen Sie die beiliegenden Zeilen Ihren Eltern aus.

 

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946