16.6.38
O., am 19. Juni 1938.
Lieber Herr [Nordhoff]!
Soll ich Ihnen sagen, daß ich unzufrieden bin? Vielleicht bin ich undankbar — doch ich muß ehrlich sein gegen mich selbst. Ich hatte mich gefreut auf diese Ausfahrt, aber die eigentliche Freude, den Inhalt, gab mir erst das Bewußtsein, daß ich Sie dort treffe. Ich sehnte die Stunde herbei, da wir uns gegenüberstehen würden und ich wollte Ihnen danken — für die übergroße Freude[,] die Sie mir mit Ihrem letzten Briefe bereiteten.
Dieser Brief, der mir mehr gilt als irgend ein and[e]rer Beweis des Dankes. Der mir zeigt, wie Sie mein Inneres so ganz erkannt haben und der mir Hoffnung gibt darauf, daß ich das Menschenkind sein darf, daß den Willen hat[,] alles darzubringen[,] um des Wand[e]rers Schicksal aufzuhalten — ihm Heimat zu sein.
Ich frage mich: Bin ich das alles wert? Kann dieser Mann, der mich schwach gesehen, als ich fast verzweifeln wollte an dieser Liebe — den ich gerufen habe in meinem Schmerz — kann er mir so ganz vertrauen und trotzdem noch mit voller Achtung zu mir aufsehen?—
Es machte mich unwillig, daß die ander[e]n mich nicht meinen Gedanken nachhängen ließen. Sie ahnten ja nicht was mich bewegte, was mir bevorstand. Wir waren nach 8 Uhr in Dresden, hätten gut in der elften Stunde in R. sein können. Da kam das Unvorhergesehene, eine Pause im Cafe Gotha; dann standen wir eine reichliche Stunde vor[‘]m Zwinger und erwarteten den Führer. In gutem Tempo ging[‘]s von der Bastei zu Fuß herunter nach R., wo wir schon erwartet wurden; denn nach uns war noch ein Betrieb zum Mittagessen angemeldet. Übereilt und noch im Eindrucke von all dem Neuen, auch nicht ganz ohne Aufregung, das war die Verfassung, mit der ich Ihnen gegenüber stand. Nicht einmal bedankt hab[‘] ich mich, daß Sie gekommen sind. Sie tun mir leid, daß Sie so weit herkamen, um dieser halben Stunde willen. Als ich Sie vom Restaurant aus noch unten am Ufer stehen sah, wäre ich am liebsten wieder umgekehrt. Und schon waren die ander[e]n wieder da, bestürmten mich mit Fragen, wo ich gewesen sei. Ich habe nichts gesagt.
Der Abend in F. hat mir nicht gefallen. Ich werde nicht wieder (A) [sic] mitwirken, in solch buntem Teil. Es ist eine ganz undankbare Sache, man hat weiter nichts zu tun, als sich dauernd umziehen, damit man zur Zeit bereit ist. Man opfert lange vorher seine freie Zeit, macht alles möglich. Dann gibt es immer wieder eine Anzahl solche, die sich vorher dem Alkohol ergeben und dann, ein jeder auf seine Art, die Gemeinschaft stören. Ja die ganze Stimmung und Freude am Spiel verderben. Ich war froh, als ich in der Nacht 1/2 3 Uhr zu Haus[e] anlangte.
Heute ist wieder Sonnenschein. Doch ich bin zu müde, um spazieren zu gehen. Ich werde Ihren Brief besorgen und dann schlafen gehen. Bitte sind Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen aus F. keinen Kartengruß zukommen ließ, ich tat es absichtlich nicht!
Seien Sie recht herzlich gegrüßt
von Ihrer [Hilde Laube]
19.6.1938: Auf dem zehnten Gauparteitag der ostpreußischen NSDAP in Königsberg betont Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers, die Zusammengehörigkeit von Partei und Wehrmacht und erklärt, der Nationalsozialismus habe aus einem “Volk der Pazifisten wieder ein Volk der Soldaten gemacht”.