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[OBF-380611-001-01]
Briefkorpus

7.6.38

Bischofswerda am 11. Juni 1938

Liebes Fräulein [Laube]!

Wie soll ich das abbitten? Ich war kleingläubig und mißtrauisch und tat Ihnen weh. Mit dem Mißtrauen habe ich zuweilen zu kämpfen. Ein Schuß davon ist zuweilen auch gut und heilsam, aber im Verhältnis zu Ihnen darf ich es nicht dulden. Verzeihen Sie mir. Und damit meine Niederlage vollständig und offenbar wird, will ich Ihnen sagen, daß ich diesen Brief mit dieser Predigt beginnen wollte: Nur solange unsre Verbindung zärtlich gehütetes Geheimnis bleibt, ist sie [g]anz unser Eigentum, zart, unberührt von den Reden und Meinungen feindlicher Menschen — und das ist nötig für den Anfang. Dabei bleibt dieses Geheimnis gewahrt, wenn Sie eine gute verschwiegene Freundin oder Ihre Eltern ins Vertrauen ziehen.

So wollte ich schreiben, so ließ ich mich von meinem Mißtrauen überwältigen; denn mein Verstand sagte mir, daß Sie die Schreiberin nicht gewesen sein konnten, das e und auch das D waren nicht von Ihrer Hand. Verzeihen Sie mir, ich ke[n]ne Sie noch zu wenig.

Es ist nun schon Donnerstag, da ich diese Zeilen zu Papier bringe. Es ist sehr warm und ich denke daran, daß Sie sich in heißem dunstigem Saal abmühen, während ich mich pflege. Erst heute finde ich Zeit, mich zu sammeln. Es ist doch zu Hause eine Menge Ablenkung, das habe ich diesmal besonders empfu[n]den. Bis gestern Mittwoch war der jüngere Bruder, gegenwärtig Soldat, auf Urlaub; seit Weihnachten haben wir Radio; da steht das Klavier spielbereit, die Noten aufgeschlagen — kurzum, ich fand keine Ruhe, und mein Roman liegt noch ungelesen.

Am Sonntag vormittag habe ich den Gottesdienst besucht und daran gedacht, daß Sie und sie um die gleiche Zeit versammelt sind auf der geräumigen Orgelempore der Lutherkirche. Am Nachmittag sind wir aus[g]eflogen nach dem Hutberg bei Kamenz, hin mit der Bahn, zurück in 4 1/2 stündigem Marsch, fast immer auf Fußwegen durch Feld und Wald, bergauf, bergab. Erst 3/4 9 Uhr langten wir müde zu Hause an. Ich war nicht so ganz befriedigt. Ich konnte meinen Gedanken nicht ungestört nachhängen und fand doch auch kein Genügen daran, mich den andern mitzuteilen. Es ist eine Unruhe über mich gekommen. Ich klage nicht darüber. Der Hutberg ist gerade jetzt ein besuchter Berg. Große Rhododendronanlagen stehen in Blüte. Und so sah man denn eine Menge Menschen, festlich geputzt und geschmückt. Und es kam mir ein leichter Schwindel bei dem Gedanken, daß ich nun wählen kann und wählen will, und doch mir eine wählen darf — also weiteste Freiheit und engste Beschränkung so eng beisammen — und dann regte sich der Wunsch, Sie mir gegenüberzusehen. Es ist doch ganz anders, we[n]n man einem Menschen, dem man sonst nur in Gesellschaft begegnet, allein gegenübersteht. Es wird nicht ganz leicht sein und wir müssen Geduld und Nachsicht miteinander haben.

Sie werden also schon Sonnabend in 8 Tagen in Schandau sein. Vielleicht können Sie sich eine Stunde freimachen; ich habe auch g[e]dacht, Sie könnten über Sonntag bleiben, also nicht mit zurückfahren. Aber nur Sie können ermessen, ob es angeht, die Betriebsgemeinschaft so zu stören. Versuchen Sie doch zu erfahren, um welche Zeit Sie etwa nach nach [sic] Schandau kommen und wo Sie längeren Aufenthalt nehmen.

Und da komme ich nun zu meinem Vorschlage.

Wie werden Sie ihn aufnehmen?

Ich habe daran gedacht, daß wir uns einmal im Monat an einem Sonntag in Dresden treffen. Dresden ist für mich ähnlich umständlich und weit wie für Sie. Dresden ist ein Ziel, das uns bei gutem und schlechtem Wetter nicht im Stiche läßt. Bei gutem Wetter gibt es eine Menge schöne Ausflüge, bei schlechtem Wetter Kunstsammlungen, Theater, Kino. Vielleicht sind Sie erschrocken. Doch es ist weniger schrecklich, wenn Sie gut folgen, d.h. wenn Sie den Fahrplan gut merken und sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß Ihnen ein solcher Sonntag höchstens 5 M kosten darf, daß ich das übrige auf mich nehme, gern auf mich nehme, der ich schneller und besser verdiene. Natürlich brauchen wir dazu die Zustimmung Ihrer Eltern, ich will sie brieflich darum bitten (äußern Sie sich dazu!). Sie müßten 654 [Uhr] in Oberfrohna wegfahren, kämen 913 [Uhr] mit dem Schnellzug in Dresden an, zu derselben Minute lä[u]ft mein Zug ein. Abends 2021 [Uhr] oder2045 [Uhr] in Dresden ab, sind Sie um 23 Uhr zu Hause. Diesen Fahrplan schreibe ich Ihnen noch genauer, wenn Sie zustimmen. Sagen Sie frei Ihre Meinung zu diesem Vorschlag, bringen sie Ihre Wünsche und Bedenken vor.

Heute ist nun Sonnabend, und ich beeile mich, diesen Brief abzuschicken, damit Sie ihn morgen zum Sonntag in die Hände bekommen. Soll ich Ihnen sagen, daß ich mich über Ihre Briefe freue, daß ich darauf warte, und daß ich Ihnen dankbar bin für Ihr Verständnis und Mitgefühl? Es freut mich besonders, daß Sie wieder Mut gefaßt haben und Aufgaben sehen.

Ein Gedanke drängte sich mir auf, als ich Ihre Zeilen durchging. Ich schreibe ihn nieder.

Goethe sagt in einem Gedicht:

"Selig, wer sich vor der Welt
ohne . [sic] Haß verschließt,"

- - - - -

Das ist ein erschter ernster und wahrer Gedanke. Starke und selbständige Menschen sondern sich ab, sie stehen eines Tages allein, ohne daß sie es wollten, es ist ihr Schicksal so. Davor muß man sich hüten, daß man sich absondert voll Haß und Hochmut, daß man vielleicht verächtlich blickt auf die, die man zurückläßt. Die Welt ist so bunt und vielgestalt[ig], und man muß sie lieben mit dieser Buntheit und Vielgestalt — trotz allem. Jeder muß die Rolle spielen, die ihm aufgetragen wurde. Es ist nicht unser Verdienst, wenn ein größerer Hunger und ein besseres Streben uns erfüllt. Wem wir mit mit [sic] Verachtung und Hochmut begegnen, der antwortet uns mit Neid und bösen Wünschen, und das kann nicht von Segen sein.

Die Briefmarkensprache kenne ich nicht. Wenn ich die Marken zu einem Kleeblatt anordne, dann tue ich es mit dem Wunsche "Glück [z]u". Ich freue mich auf Ihr Bild, Ihren Besuch, und grüße Sie herzlich,

Ihr [Roland Nordhoff]

Gute Fahrt!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946