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Briefkorpus

3.6.38

Oberfrohna, am 5. Juni 1938.

Lieber Herr [Nordhoff]!

Sonnenhell und klar brach heute der Pfingstmorgen an, ein Wetter, wie es wohl schöner nicht zu wünschen ist. Ich freue mich ja so für Sie; denn nun kann ja Ihre kurze Urlaubszeit erst die rechte Erholung sein.

In der Kirche hat mirs [sic] heute wunderschön gefallen — der Altarplatz und die Kanzel waren geschmückt mit jungem Grün und die Sonne schien herein auf all die Menschen, die gekommen waren, Gottes Wort zu hören. Das eigenartig Schöne aber war, daß ich Sie heute zum ersten Male in der Kirche so ganz nahe bei mir fühlte — und besonders dann, wenn Herr Kantor die Orgel spielte. Erst leise, verhalten — dann immer jubelnder und jauchzender, daß man glaubt, die Töne finden schier keinen Raum mehr. Dann sah ich in Gedanken Sie an seiner Stelle sitzen. Und ich muß Ihnen anvertrauen, was ich schon so lange wünschte: Ich möchte einmal still zuhören dürfen, w[en]n Sie so von ganzer Seele spielen — ich liebe Orgelmusik sehr. 

Es ist jetzt 17 Uhr, eben bin ich heimgekommen vom Bad. Die Eltern sind nach Mittelfrohna zu meinen Verwandten gegangen und so kann ich ungestört mit Ihnen Zwiesprache halten. Den ganzen Nachmittag beim Sonnenbad dachte ich an Sie, was Sie wohl tun — wo sie jetzt weilen — ob Ihre Brüder auch eb[en]so sind wie Sie? Ach wenn ich Geschwister hätte, so würde ich heut auch mit ihnen hinausfahren in die Natur, aber so allein macht es mir nicht die rechte Freude.

Am Himmelfahrtstage war ich morgens ganz allein im Hohen Hain. An einer einsamen Stelle, wo selten jemand vorüberge[h]t, habe ich im Grase gelegen und geträumt — dann kam das Gewitter heraufgezogen und es regnete lange. Am Abend habe ich mir den 1. Teil des Olympischen Filmes „Fest der Völker” angesehen.—

Sie glauben ja nicht, welche große Freude Sie mir bereiteten mit Ihrem Bild. Sie haben mir den größten Wunsch erfüllt, den ich ga[nz] im Geheimen hatte, ich wagte aber nicht, Sie darum zu bitten. Um so größer war die Freude, als ich Sie so unerwartet vor mir sah und noch dazu ebenso, wie ich Sie am liebsten sehe. Ich danke Ihnen so sehr. Ist es nicht sonderbar, daß man über einer großen Freude, einem Glück, alles Leid so schnell vergessen kann? Die dunklen Wände sind fort — alles ist licht und hell.—

Wie müssen Sie froh und dankbar sein, daß Ihr jetztiger Wirkungskreis mitten in einem so herrlichen Stück Erde liegt, die Aufnahme, die Sie mir schenkten, kann ich nicht genug bewundern. Ich sehne mich, diese Landschaft näher kennen zu lernen. Ich glaube, das Schicksal meint es gnädig mit mir. Denken Sie nur, am 18. Juni komme ich nach Bad Schandau! Wir veranstalten vom Geschäft aus eine Fahrt ins Blaue, und gestern hat mir mein Chef verraten, wohin wir fahren. Ich kann es noch garnicht fassen, daß es Wahrheit werden soll, in so kurzer Zeit zweimal nach Ihrer neuen Heimat zu kommen.—

Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir anvertrauen, was Ihr Inneres bewegt; denken Sie nicht, ich fände dies absonderlich, seltsam. Nein, ich liebe das Gerade, Offene an einem Menschen und hasse die Schmeichler, an denen alles Lüge und Falschheit ist; sie verbergen hinter ihren süßlichen Redensarten ihr wahres Gesicht. Sie haben ja alle nur den einen Punkt im Auge, alle das gleiche, niedere Ziel. Wohl denen, die sich selbst treu sein können. Ich bereue nicht, daß ich auch diese Art von Menschen kennen l[ern]te. Anfangs, wenn man jung und unerfahren ist, klingt es einem wohl wie Musik in den Ohren — tut sich eine neue Welt auf. Doch wer nur ein wenig aufmerksam ist, merkt bald, daß alles nur Schein ist; doch dadurch lernt man Unterschiede kennen und das Edle schätzen. Glauben Sie mir, wenn ich jetzt irgendwohin komme, sei es mit den Eltern; oder gezwungenermaßen mit meinen Freundinnen und ich komme mit Männern zusammen — sie gehen an mir vorüber, wie Schemen. Ich habe mir vorgenommen, so stark zu werden, so fest wie Sie. Unangefochten hindurch — durch alle Widerlichkeit und Versuchung, dem Willen gehorchend: Rein zu bleiben.—

Sie sprechen nicht ganz ohne Bitternis von Ihrem Beruf, das dürfen Sie nicht. Ich würde mich schon glücklich schätzen, einen kleinen Teil Ihrer Verantwortung zu übernehmen. Was bin ich denn in meinem Beruf, tue ich nicht meine Pflicht nur wie ein Automat? Sie haben eine große, heilige Aufgabe: Kinder zu erziehen, zu führen, ihnen ein Beschützer und Freund zu sein. Sie sehen mit Stolz auf den Erfolg Ihrer mühevollen Arbeit. Mein Wunsch, den ich in meiner frühen Jugend hatte, blieb mir versagt; doch ich werde einmal alle Liebe und alles Interesse auf die Kinder übertragen, die, so Gott will, einmal aus meiner Ehe hervorgehen werden. Sie dürfen sich nicht kleiner machen, als Sie in Wirklichkeit sind. Gewiß, es ist schön, wenn ein Mann den Ehrgeiz besitzt, um einem geliebten Weibe einmal alles bieten zu können, ih[r] den Himmel auf Erden bereiten zu wollen. Doch macht denn Geld immer glücklich? Kann man das Leben nicht auch im bescheidenen Maße glückvoll gestalten? Ein Leben nach diesem Sinne ist gewiß gehaltvoller; denn man schätzt höher, was man mit Mühe erringt. Ich glaube an kein dauerndes Glück, wenn man auf großem Fuße lebt und aus dem Vollen schöpfen kann; die Unzufriedenheit steht nahe dabei.—

Ich frage Sie nun: Können Sie sich noch eine Woche gedulden, mit dem Bild von mir? Ich habe außer den Bildern von meinem Apparat keine anderen und die sind ebenso klein als die Ihrigen. Um nochmal zu der Postkarte zu kommen. Ich ha[b]e die Karte nur mal zuletzt in die Hände bekommen, ich konnte das auch nicht alles lesen. Meine Unterschrift hat Frl. Wagner besorgt, sie meinte, da ich doch den gleichen Vornamen habe. Sie sind ja ein ganz Schlimmer, ich dulde ganz und gar nicht, daß Sie sich bei dem Gedanken beruhigen, ich sei es gewesen, die die beiden Wörter angefügt hat. Wenn ich auch sehr in Stimmung war, so hab ich aber immer noch gewußt, was ich tue, ich hätte mir auch nicht gewagt, irgend sowas auf eine offene Karte zu schreiben. Nein, das hat einen andern Haken; Frl. Steinbach schrieb es mit Berechnung hin, um eine Dame zu foppen, ist ihr auch gelungen. Die Ansichtskarten waren ausverkauft; denn seit dem 1. Juni ist ne[ue] Bewirtung in der „Germania”.

Ich bitte Sie, mir einen recht großen Brief zu schreiben und mir alles mitteilen, wohin Sie Ihre Wanderungen führen. Im Geschäft hab['] ich immer so viel Zeit nachzud[e]nken und ich freue mich so, wenn ich Sie im Geiste auf all Ihren Wegen begleiten darf. Ich wünsche Ihnen noch recht angenehme Stunden und gute Erholung.

Morgen und übermorgen gehe ich wieder schwimmen und dann sehe ich mir noch den 2. Teil des Olympia-Films an, welcher jetzt bei uns läuft.

Nun seien Sie recht herzlich gegrüßt

von Ihrer [Hilde Laube].

Ob wohl alle Leute die Briefmarkensprache kennen?

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Eine große Gruppe von Männern und Frauen, die, überwiegend stehend, für die Kamera im Freien posieren.

Ba-OBF K01.Ff1_.A2, Kirchenchor aus Oberfrohna. Hilde Nordhoff vordere Reihe links, Roland Nordhoff sitzend, 1938, Ort und Fotograf unbekannt.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946