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Briefkorpus

31.5.38
Lichtenhain am 29.5.38
2.6.38

Liebes Fräulein [Laube]!

Sie haben den Anstoß dazu gegeben, daß ich mich mehr als sonst mit mir selbst beschäftige. Auf meinen Spaziergängen und Wanderungen sind Sie mein unsichtbarer Begleiter und Zuhörer, der mich nötigt, Rechenschaft abzulegen, mich mitzuteilen und verständlich zu machen, sind Sie die geheimnisvolle Person, die mich nötigt, meine Sachen, mein Leben zu ordnen. Was mich auf meiner Himmelfahrtswanderung bewegte, schreibe ich hier nieder und schicke es Ihnen, Sie lernen mich dabei kennen. Als ich Wenn ich sehe, wie ein Menschenkind vor mir steht, das sich mir ganz verschreiben, sich so ganz verschenken will, da frage ich mich, was habe ich denn als Gegengabe zu bieten? Als ich noch Pläne schmiedete und nach den Sternen langte, beflügelten mich zwei Wünsche:

Eine Stellung zu erlangen, in der ich eine große Verantwortung tragen könnte; und — das Erreichte einmal einem geliebten Weibe zu Füßen legen zu können:

Was ist aus mir geworden?

Ein armer Schulmeister, Angehöriger eines Standes, in dem man nur soviel Ansehen genießt, als man sich mühsam erwirbt, eines Berufes, der, gemessen and anderen, wirtschaftlich nicht sonderlich begünstigt ist.

Die ersten Wochen in diesem Berufe war ich dem Verzweifeln nahe. Und dann hielt ich es n[ur] aus bei dem Gedanken, dieses Geschick aus eigner Kraft einst wenden zu können. Mehrmals habe ich zur Flucht aus diesem Berufe angesetzt, es ist nicht gelungen.

Meine Eltern konnten es nicht durchsetzen.

Sie hätten mich früher auf andere Schulen tun müssen. Sie waren unsicher in Fragen der Erziehung. Habe ich so manchmal mit meinem Schicksal gehadert, so gab es doch auch Stunden, in denen ich dankbar auf meinen Weg [zu]rückblickte, dankbar über das, was ich außer für meinen Beruf für mich selbst gewonnen habe: Ich habe diesem Leben einen Sinn abgerungen, ich habe einen Standpunkt gefunden, ich habe sehen gelernt und scheiden das Echte vom Falschen. Darin bin ich — das sage ich ohne Hochmut — vielen neben und über mir voraus.

Doch diese Freude, diese Selbstzufriedenheit, ver[m]öchte mich auf die Dauer mit meinem Schicksal nicht auszusöhnen.

Man sieht wohl Hoffnungen und Wünsche entschwinden, man muß Ihnen trotzdem nachlaufen.

Zwei Wünsche lassen mich mir dieses Leben noch Lebenswert erscheinen:

Ich möchte selbst noch wachsen und zunehmen, ich möchte eine Lebensgefährtin gewinnen,

die mit mir fühlt und sorgt und trägt; und dieser Bund möchte gesegnet sein mit einigen Kindern, denen wir uns[e]re Gaben reichen, deren Entfaltung und Wachstu[m] wir mit unseren Erfahrungen überwachen und fördern, daß sie besser und müheloser erreichen, was uns versagt blieb, daß sie fortsetzen, was wir begonnen haben.

Sie haben schon Bekanntschaften gemacht und werden diese Erklärungen vielleicht seltsam, absonderlich, nüchtern finden. Aber so bin ich. Ich kann mit der Liebe nicht tändeln, kann nicht flirten und Artigkeiten sagen. Dazu bin ich zu schwerfällig und ernst. Bei einer großen Unternehmung muß ich zuerst wissen, wo hinaus, will ich das Ziel im Großen erst abstecken, damit es nicht aus den Augen verloren werden kann.

Der merkwürdige Monat Mai ist nun gegangen. Dies ist der 4. Brief. Es ist schon manches gesagt. Das gesprochene Wort ist leichter an Gewicht, flüchtiger als das geschriebene. Es läßt sich manches nur schreiben, anderes nur sagen. [E]inen Wunsch habe ich: Ich möchte gern ein Bild von Ihnen. Ihr Gang, Ihre Gestalt sind mir noch in Erinnerung, von Ihrem Antlitz habe ich kaum noch eine rechte Vorstellung. Meine Aufnahme von der Kantorei zeigt gar so wenig. Sie sollen sich deshalb nun nicht besonders photographieren lassen. Ich schicke Ihnen eines meiner Paßbilder. Man sagt, im Gang, in der Haltung im Gesicht spiegelt sich die Seele des Menschen.

Das kann freilich nur unter Vorbehalt und mit Einschränkungen gelten; denn der Mensch kann sich verstellen. Das Gesicht verändert sich mit den Jahren; verändert sich im Laufe des Tages; mit unsrer seelischen Verfassung; das Leuchten der Augen  — habe ich beobachtet — wechselt mit dem Wetter; wenn wir in den Spiegel sehen, verziehen wir das Gesicht unbewußt zum Spiegelgesicht, d.h. wir verziehen es so, wie wir es gerne sehen; ein anderes Gesicht wieder setzen wir auf, wenn wir fremden Personen gegenübertreten. Weiß man also vor einem wirklichen Antlitz schon nicht, woran man ist, so noch weniger vor einem Abgebildeten. Zu meinem Bild kann ich nur sagen: Es ist wohl etwas unnatürlich, es ist ein Spiegelgesicht, aber ich sehe mich gerne so (kein Mensch ist ohne Eitelkeit).

Das Datum in der Ecke links oben bezeichnet die Ankunft Ihres letzten Briefes. Vielleicht vermerken Sie es auch so, damit wir beobachten, wie schnell die Post geht, es könnte das von Wichtigkeit sein bei künftigen Verabredungen.

Auf Ihren letzten Brief will ich in meinem n[ä]chsten eingehen, in dem ich Ihnen dann auch meinen Vorschlag unterbreite.

Am Freitag, morgen also, fahre ich nach Hause und verlebe dort meine Pfingstferien. Was Sie bis Freitag, den 10. Juni abschicken, erreicht mich unter meiner Ferienanschrift:

Bischofswerda Sa[chsen]

[Unklar]str. 6 I

Ihnen für Ihre kurzen Ferien Stunden der Erholung und Entspannung!

Ich werde die Feiertage mit meinen Brüdern hinaus[w]andern zu Rad oder zu Fuß, die übrigen Tage mich ausruhen, lesen, musizieren, Ihnen schreiben.

Die Postkarte gab allerhand zu raten auf:

1. Wozu das Ständchen (weiß ich nun von Ihnen).

2. Eine Unterschrift kann ich nicht lesen.

3. Das Quergeschriebene habe ich nicht entziffern können.

4. Eine neue Sängerin "Dein Liebling".

Punkt 4 nicht ganz harmlos. Ich habe mich dann bei dem Gedanken beruhigt, daß Sie es übernommen haben, die Karte zu besorgen und die beiden Wörter angefügt haben.

Seien Sie herzlich gegrüßt

von Herrn [Roland Nordhoff].

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946