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Briefkorpus

Oberfrohna, am 11. Mai 1938.

Werter Herr [Nordhoff]!

Gestern erhielt ich Ihren Brief. Ich danke Ihnen sehr. Vor allem aber dafür, daß ich mich Ihnen anvertrauen darf, daß Sie mir vielleicht als mein Helfer die Hand reichen können. Ich weiß, ich bringe Sie in eine sehr peinliche Situation; doch Sie müssen mich begreifen können. Wissen Sie, was es heißt, eine Freundin zu besitzen, die einem aber innerlich wiederum so fremd ist, wie nur irgendeine? Wenn man alles Leid, ohne welches das Leben nun mal nicht vorübergeht, allein tragen muss? Ich bin gewiss keine von denen, die sich bei dem geringsten Vorfall unterkriegen lassen; doch diesmal finde ich mich nicht allein weiter, ich muß einem Menschen mein Herz erleichtern. Und der Mensch, dem ich bedingungslos vertraue, sind Sie, Herr [Nordhoff]. Ich glaube an Sie, darum kann ich mich Ihnen anvertrauen.

Ich will fort von hier! Ich ertrage das Leben so nicht mehr — weil ich Sie zu sehr liebe. Verstehen Sie das? Alles in meiner Heimat erinnert mich an Sie und manchmal ist mir, als gellte es mir in mein Ohr: „niemals wieder — niemals wieder!” Ich weiß, daß es nicht sein darf; denn ich bin Ihnen nicht ebenbürtig. Deshalb muß ich fort, muß vergessen. Es tut so bitter weh, wenn man, was kaum erblüht ist, unterdrücken muß und der Welt immer ein ruhig [sic], freundliches Gesicht zeigen soll. Aber tief drinnen im Herzen bohrt und schmerzt es immerfort. Sagen Sie, haben Sie im Leben auch einmal einen Menschen so recht von Herzen lieb gehabt und ist dann das Schicksal mit rauhem Griff dazwischengefahren? Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Hatte mir vorgenommen mich zum Arbeitsdienst, oder zum freiwilligen zweijährigen Ehrendienst als Schwester zu melden. Doch mein Chef läßt mich nicht weg vom Geschäft. Meinen Eltern habe ich von meinem Entschluße noch nichts bestimmtes mitgeteilt. Ich weiß aber, sie werden mir, wenn es zu meinem Besten dient, nichts in den Weg legen. Nun bitte ich Sie Herr [Nordhoff], sagen Sie mir, ob Sie helfen können. Mir geht ein Spruch von unserem Dichter Friedrich Rückert nicht aus dem Sinn, meinen Sie daß man daran glauben kann?

„Wenn es Dir übel geht, nimm es für gut nur immer,

Wenn Du es übel nimmst, so geht es Dir noch schlimmer.

Und wenn der Freund Dich kränkt, verzeih's ihm und versteh',

Es ist ihm selbst nicht wohl, sonst tät er Dir nicht weh.

Und kränkt die Liebe Dich, so sei's zur Lieb' ein Sporn,

Daß Du die Rose hast, das merkst Du erst am Dorn.”

Ich schließe nun, indem ich Ihnen nochmals danke, daß ich Ihnen schreiben durfte und verbleibe auf baldige Nachricht hoffend, mit den herzlichsten Grüßen

[Hilde Laube].

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Kommentare

We are not providing the reader with any contextualization or omniscient narration. We want the readers to follow the letters and discover the identities, the stories, and the histories of the protagonists for themselves. See the explaination: https://info.umkc.edu/dfam/projekt/crowdsourcing/. That said, rest assured that they are quite interesting people who have a lot to say about everyday life. Feel free to start to write the histories or other analyses of the letters on the Wikis! On this site, the readers get to make the scholarship.

Das ist ziemlich mutig und romantisch. In der Liebe muss man Gefahr eingehen. Obwohl sie weiß, dass die Situation ausweglos ist versucht sie etwas zu ändern.

Bin von Anfang an begeistert vom Projekt. Bringt Geschichte viel interessanter und intensiver rüber. Gespannt auf den nächsten Brief! :)

Sehr interessante Idee. Ich bin sehr überrascht, wie diese Briefe auf-vorallem- junge Leute wirken werden, mir jedenfalls gefällt das Projekt!
Freue mich auf die nächsten Briefe!

Die Briefe haben mich sofort begeistert und ich bin gespannt, wie es mit den beiden weitergeht. Auf diese Weise macht Geschichte lernen gleich viel mehr Spaß :)
Es hat mich total überrascht, dass Hilde gleich bei ihrem zweiten Brief an ihn schreibt, dass sie ihn so sehr liebt. Das ist wirklich mutig von ihr und ich hoffe, dass es andersherum genau so ist ;)
lg

Hilde beschreibt in diesem Brief ihre Sehnsucht und ihr Vertrauen in Roland. Sie gesteht ihm, dass sie den sehnlichen Wunsch hat, ihrem Leben zu entfliehen. Um dies in die Tat umzusetzen, zieht Hilde es in Erwägung, sich für den Arbeits- oder Ehrendienst zu melden.
In diesem Zusammenhang erwähnt Hilde zum ersten Mal ihre Eltern mit der Aussage: "Sie werden mir, wenn es zu meinem Besten dient, nichts in den Weg legen." Dieser Satz unterstreicht, dass Hilde, auch wenn sie Roland zu Beginn des Briefes als "einzigen Vertrauten" bezeichnet, zudem ein starkes Vertrauen in ihre Eltern hat. Diese würden ihr bei der Erfüllung ihrer Wünsche letztendlich nicht im Wege stehen. Eine interessante Aussage im Bezug auf das scheinbar unüberbrückbare Hindernis der Klassenunterschiede.

Einordnung
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Ba-OBF K02.Pf1_.380511-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946