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[OBF-420317-002-01]
Briefkorpus

39.

Dienstag, am 17. März 1942.

Herzensschätzelein! Du mein allerliebster [Roland]!

Sonnenschein ist heute bei uns! Und blauer Himmel! Und die Vögel zwitschern! Ach Du! Ich glaube, nun wird bald Frühling, Herzelein. Du hast ihn uns gebracht mit Deinem lieben Blumengruß! Denn seitdem begann es schön zu werden, Du! Ich freue mich ja soo!

Du! Herzelein! Vorhin erschreckte mich die Mutsch beim Aufwaschen: „Sieh mal dort, auf dem Bauplatz steht ja [Roland]!“ Wirklich! Ich sah einen Matrosen von hinten stehen, der mit dem Baumeister verhandelte. Und der ähnelte Dir so stark! Aber beim Näherkommen sah ich's dann! Er war Maat und trug das E.K. – sicher ein aktiver Matrose.

Du! Du kommst doch ganz bestimmt zuerst zu mir, gelt?, wenn Du schon bis Oberfrohna bist. Das wär' ja auch noch schöner, Du!!! Du!!! Ach ja, die Soldaten wollen ja alle gern nochmal Urlaub haben, ehe das große Rennen wieder beginnt. Und beinahe denke ich, daß wohl unmöglich alle dran kommen. Die von Rußland gewiß nicht. Ach, wenn sie doch auch einmal abgelöst würden! Der arme Siegfried.

Herzelein! Ich bin also gestern abend im Vortrag gewesen – allein. Aber bald bekam ich einen Nachbar: Herrn G. Er kam allein; weil er anschließend zur Nachtwache in die Schule mußte, hat ihn Lore nicht begleitet – sie fürchtet sich allein heim. Ach Du! Gestern war es ganz köstlich! Ich hab' doch soo an Dich gedacht. Ludwig Richter, unser Volksmaler wurde uns nahegebracht. Und ein Vortragskünstler sprach zu uns – ich sage Dir: ein Original! Pfarrer H. aus Chemnitz – ein warmer Richter-Freund. So etwas von Humor und Sarkasmus! Also köstlich! Ich mußte auch an Hellmuth denken! Du, das ist ein echter Pfarrer vom alten Schlag! Köstlich! Zuerst führte er uns mit Worten ein in das Leben Richters, der ein Dresdner Kind war, wie Du wohl weißt und anschließend zeigte er uns Lichtbilder aus seinem Schaffen. Es war sehr schön! Und ich fand viele, v[ie]le Bilder wieder, die ich in Deinem schönen Geschenkbuche auch habe. Du! Nun ist mir das Buch nocheinmal [sic] so lieb, Herzelein. Viele bekannte Bilder aus Richters Zeit vom lieben Sachsenlande auch.

Schloß Stein bei Hardenstein – Augustusburg! – Chemnitz mit dem Schloßberg – Buchholz; das Prebischtor! mit dem Gesicht des 19. Jahrhunderts. Schön! Und dann die Eindrücke seiner Italienreise! Überall da war Pfarrer H. mit seiner Frau gewandert und er konnte so uns ganz glänzend unterhalten.

Und am Ende kam die Illustration der [Ludwig-]Bechstein-Märchen und der Märchen überhaupt – Richter, ein Freund der Jugend, ein Freund des Volkes. Ihn kann auch der einfachste Mensch verstehen.

Es war ein reicher Abend und wir gingen alle befriedigt und angeregt nach Hause. Ich wünschte mir, mein Herzelein an meine Seite!!! Du! Herzlieb! Wenn in dem Ort, wo wir beide einst wohnen, auch solch Verein für Buch- und Vortragswesen existiert, dem wollen wir angehören, gelt? Man kann sich wirklich bereichert fühlen, wenn man wieder einmal Zuhörer war.

Du! Während ich Dir schreibe, backe ich Plätzel für Ostern! Für mein Mannerli! Und wenn ich am Donnerstagfrüh nach Glauchau fahre, da möchte ich auch für die Kinder etwas mitnehmen. Die warten doch darauf, wenn die Tante kommt! Ich habe noch bissel Drasch bis dahin. Die Kleidel sind fertig; aber ich will Mutsch nicht alles überlassen von der Ostergroßreinemacherei! So begann ich schon heute früh beizeiten mit dem Schlafzimmer. Es klappt diese Woche, weil Papa Tagdienst hat. Ich mußte mich doch vor der lieben Sonne schämen, weil ich an den Fenstern den ganzen Winterdreck noch habe! Nun blitzen die Scheiben und die Möbel mit der Sonne um die Wette! Ach, es ist eine Lust, so bei offenen Fenstern alles sauber zu machen. Mutsch erbarmt sich jetzt über die Stubenfenster und die in meinem Kämmerle. Wenn ich in Glauchau bin, macht sie die Küchen reine, frische Fensterwäsche auf. Dann wollen wir ja Waschfest halten. Ob ich Ostern nach Kamenz fahre? Mal sehn! Ich habe bis jetzt noch gar keinen Plan. – Heute Abend ist Rotes Kreuz, auch muß ich in die Geschäftsstelle zum Ortsgruppenleiter, wegen der Überweisung am 21.III.

Ach Du, Herzelein! Ich muß Dir etwas erzählen. Fragt mich doch gestern der Pfarrer, wie lange ich geholfen hätte am Sonntagabend bei den Verwundeten. Ich sage bis 10 Uhr. Und nun schildert er mir folgendes. Er selbst ist ja auch Sanitäter und hat schon in Limbach nachmittags mitgeholfen. Ungefähr 10 Mädel, darunter die Lotte B., Apotheker I., Ursel T., na – Du kennst die andern nicht, die wären einfach mit den Wagen runtergefahren zum Lazarett und hätten sich rumgestellt da unten, manche sich auf den Bettrand gesetzt, die Beine übereinander und hätten die Soldaten unterhalten. Der Pfarrer hat mit einem Arzt gesprochen, ob denn die Helferinnen vom Kursus, der noch nicht beendet sei hier noch benötigt werden. Nein, hat der gesagt. Durch seinen Kollegen habe er den Mädchen schon sagen lassen, daß sie entlassen seien. Aber weil sie nicht heimgegangen sind, habe er ihnen ein Abschreckmittel reichen wollen, um sie von ihrer Sturheit zu heilen und sie einfach in den Baderaum geschickt zum Helfen. Und die Mädel sind auch hingegangen! Der Pfarrer war empört, Du! Ich war natürlich platt! So verhält sich das in Wirklichkeit! Es sind doch immer wieder dieselben. Daß die Ursel T. auch dabei war, wundert mich. Mein Gott! Ich hätte nie und nimmer mich zu solchem Dienst hergegeben! Und wenn ich den Gehorsam verweigert hätte. Nackte Männer baden, solche fremde! Da gibt's gewiß noch andre Arbeit. Dazu sind ja die Sanitäter da. Nun sieht man es wieder einmal Herzlieb! Wer von uns 30 Helferinnen ist wohl aus dem ehrlichen, sauberen Entschluß dahingegangen, um zu helfen? Ich glaube kaum 10 von uns. Alles muß in den Kot gezogen werden von solchen Dirnen, die kein Ehrgefühl haben, auch die edelste Regung. Pfui Schande! Und sowas präsendiert [sic] sich noch in der Tracht einer Schwester! Daß denen nicht vor Scham das Kleid auf dem Leibe brennt! O man schämt sich mehr für diese Mädel, als sie es selber tun. Nun dürfen diese Begebenheit die Leute erfahren! Wer soll noch Achtung haben vor einer Schwester. O pfui Schande. Ich möchte es ihnen ins Gesicht schreien, wie erbärmlich schlecht sie sind. Hätte mir das doch der Pfarrer garnicht gesagt. Ich war ganz fassungslos. Und Du glaubst nicht wie erbost er war! Gerade von der B. hatte er so etwas nicht erwartet, wo sie so eine korrekte Mutter hätte. Sie habe sich benommen! So ist es heutzutage in der Welt. Was in aller Welt bleibt denn noch unangetastet von der versumpften, verseuchten Sinnlichkeit? Keine Moral, kein Ehrgefühl, kein Charakter. Überall Haltlosigkeit und Zerfall. O arme, bitterarme Menschheit! Wo steuerst Du hin?

Geliebter! Ich bin sooo froh, daß ich nicht so bin wie alle die Mädchen meines Alters! Und wie ich sie kenne, sind sie doch geistig garnicht so untergeordnet, als daß sie das Gute, Wertvollere nicht begreifen könnten. Aber in solcher Haltung dem Leben gegenüber zeigt sich auch das Herz, der Kern des Wesens. Und wieder bewahrheitet sich das Sprichwort: „nicht jede schöne Schale birgt einen guten Kern!“

Ach Herzelein! Wir sind noch viel zu gutgläubig in allen Dingen, glaubst? Man kann garnicht genug mißtrauisch und abwägend sein. Wenn Du doch erst für immer bei mir wärest, daß ich mich vor all dem Bösen, Häßlichen verschließen könnte. Mit Dir ist soviel reine, ungetrübte Freude und Schönheit. Nichts – auch die Arbeit und der Alltag sind kein übles Zerrbild, wenn ich mit Dir zusammen sein kann. Oh mein [Roland]! Daß ich Dich habe! Daß wir unsere Liebe so hoch und rein herüberretteten aus dieser schlimmen Welt!

Mein Herzelein! Gott sei Dir gnädig, er behüte Dich vor allem Unheil! Du! Er segne unseren Bund! Kehre mir wieder! Du! Ohne Dich finde ich mich nicht mehr zurecht in dieser Welt, die wie ein schlechter Pfluhl [wohl: Pfuhl] ist. Ach Herzelein! Ganz fest wollen wir einander halten! An uns sollen die Wogen des Schmutzes nicht heranreichen! Wir wollen uns einander rein erhalten – koste es was es wolle! Und wenn uns keiner versteht. Wer soll uns denn verstehen? Wenn wir nur einander verstehen. Und daß wir uns verstehen, Du! Das können wir beide tiefbeglückt erkennen immer wieder; immer öfter! Wir sind füreinander bestimmt, sind es vom Schicksal, von Gott. Uns führte die Urgewalt der Liebe zusammen. Und die bindet ewig. Geliebter! Es gibt nichts Herrlicheres und auch nichts Besseres und Wichtigeres in dieser Zeit, als einander so ganz in Liebe zu leben. Von allem anderen losgelöst – es ist ja nur Zwang, äußeres Tun, was uns jetzt zur Beschäftigung dient. Innerlich, da gehen wir ganz enganeinandergeschmiegt [sic] weiter, als seien wir uns körperlich nahe. Ich bin Dein – Du bist mein! Oh wie glücklich sind wir! Du! Und über unserm Glück wissen wir Gott, dem wir uns in Vertrauen und Demut geben. Er wird es wohl machen mit uns.

Geliebter! Sei von Herzen bedankt für Deinen lieben Dienstagsbrief, der mich heute erreic[hte]. Nun hast Du endlich die Wienbriefe! Ich freue mich, Du! daß ich Dir soviel Glück bringen konnte damit. Ach mein Schätzelein! Ich muß Dich sooooo soooooooooooooooooooooo liebhaben! Ganz unendlich lieb, immer!

Gott behüte Dich mir!

Ich küsse Dich herzinnig und bleibe in Treue Deine glückliche [Hilde].

 

 

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946