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[OBF-420109-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] Freitag, den 9. Januar 1942

Mein liebes, teures Herz! Du, meine liebe, liebe [Hilde]!

Schätzelein! Vorwärts drängt die Zeit – und morgen ist der längliche Januar schon zweistellig. Luftwärts streben die Tage zur Höhe des Jahres und wir ergeben uns nicht zufrieden in diesen Lauf des Jahres, froh jedes neuen Tages – wir schauen unruhig aus, vorwärts und rechnen, überschlagen – wann wird Frieden sein, Frieden?! Und dieses neue Jahr möchten wir am liebsten schon beiseite tun, es wird uns den Frieden noch nicht bringen. Aber so wollten und wünschten wir Menschen – und darnach geht es nicht. Jeden Tag müssen wir miterleben, Morgen, Mittag, Abend, Tag und Nacht. Und für manchen, der eben noch weit voraus rechnete und wünschte wird schon der nächste Tag der letzte sein! Es ist nichts mit unserem Planen. Der Frieden will bereitet sein in den Menschenherzen, will erbetet und erweint sein. Es ist doch ein gewaltiger Gedanke und Glaube, daß ein Gott über allem sein soll, über dem größten und kleinsten. Am ehesten ist der Mensch darauf geführt worden durch den Einblick in die gewaltigen und dabei doch empfindlichen und wunderbaren (Riesenwelt) Gesetze und Zusammenhänge in der Riesenwelt der Gestirne. Aber es sind die großen Gesetzmäßigkeiten nicht denkbar ohne die mittleren und kleinen und umgekehrt. Wir erkennen wohl die wichtigsten Stationen und Wechselfälle des Lebens, Geburt und Tod, als in die Hand des Schicksals gelegt; aber jede Sekunde, Minute und Stunde möchten wir ihm nicht zugestehen – und doch gehören sie ihm. Letzlich steht jeder Augenblick in einer Beziehung zu unserem Ende. Vielen Menschen mag diese Erkenntnis unangenehm sein. Sie mag vielleicht nicht zu ihrem Stolz oder ihrem Freiheitsgriff passen. Mancher Mensch mag die Unerbittlichkeit dieses Schicksals als furchtbar drückend empfinden. Ach Geliebte! Dem gläubigen Menschen hat sie doch auch etwas ganz Köstliches: Er fühlt in, um und über sich Gottes weise, gerechte und gute Ordnung. Er weiß sich einbezogen in diese Ordnung. Er kommt über dieser Erkenntnis zu rechter Demut und zum Einsfühlen mit Gottes Willen. Er fühlt sich getragen und gehalten von Gottes Güte, so wie der Schwimmer, der mit dem Element des Wassers ganz vertraut ist (nicht wie Dein Mannerli!). Er fühlt, wie Gott ihn führt und nach seinen Kräften bedenkt. Für ihn ist auch der Tod nur Gottes guter, heiliger Ratschluß und Wille. Oh Herzelein! Soviel Köstliches und Tröstliches hat dieser Glaube an Gottes Führung auch uns gerade jetzt! Sagt er uns doch, daß keiner der Tage unsrer Trennung verloren und vergebens ist, daß jeder ein Baustein ist zu unserem Leben, zu Deinem und meinem Leben, die doch nun zusammengehören. Sagt uns, daß wir zunehmen werden und wachsen. Sagt uns, daß alles so kommen muss und bei Gott beschlossen ist, wie es ist kommt. Und Gott ist die Liebe, ist Gnade und Erbarmen, wenn wir ihn nur erkennen und ihn lieben. Oh Geliebte! Du hältst Dich mit mir an diesen Glauben! Und des bin ich so froh! Ach, Du geliebtes Herz! Bist doch wie Dein Mannerli aus feinem Holz geschnitzt, daß wir Freud und Leid tiefer empfinden müssen als viele andre Menschen. Daß unsre Sinne feiner sind. Herzelein! Ich muß an den großen Baum denken auf dem K.er Anger – er erregt immer wieder das Wundern aufmerksamer Menschen – weißt welchen Baum ich meine in Deiner Urheimat? Die große Zitterpappel. Sie fühlt auch schon den leisesten Luftzug, sie scheint zu beben, wenn wir sehen, wie sie so überfein und nervös reagiert. Herzelein! Etwas ist an uns von dieser Zitterpappel. Wir erkennen tiefer alle Dunkelheit und empfinden das Leid – und verlangen darum desto sehnlicher nach dem Licht. Und daß wir es erkennen, dieses Licht, darum bin ich so froh, und dafür können wir Gott nicht genug danken.

Herzlieb! Seit wir uns liebhaben, haben gerade diese Januartage ein besonderes Gewicht erhalten. So wie wir unruhig sind beim Anfang, wenn wir vor eine neue Aufgabe gestellt sind, und faseln und Fehler machen, so sind wir unruhig beim Beginn des neuen Jahres. Herzelein! Ich denke an den ersten Januar unsrer Liebe! „Du!“ sagte ich zu Dir! Oh Schätzelein! Wenn Du Deines Mannerli nicht ganz sicher gewesen wärest zuvor und seiner Vergangenheit, diese Stunde hätte es Dir sagen müssen, daß Du meine erste Liebe warst! Du! Du!!! Ach Schätzelein! Vor Dir denke ich dieser Stunde ohne Scham! Du kennst mich! Du liebst mich! Vor Dir kann ich mich gar nicht schämen. Und hinter jedem zagen Wort und jeder befangenen Gebärde stand doch ein tiefes Erlebnis, ein übervolles Herz, ein unsagbares Glück! Oh Geliebte! Diese Stunden kommen nur einmal im Leben! Mit Dir, meinem lieben, treuen Weib, mit Dir, Herzallerliebste habe ich schon so viel solch einziger, einmaliger Stunden erlebt – mit Dir erlebe ich die Hochzeit des Lebens, oh Du! Darum gehören wir doch ganz zueinander! Darum sind wir doch für immer aneinander gegeben!

Im Januar war es auch, daß ich die lieben Eltern zum ersten Male aufsuchte. Im Januar darauf rüsteten wir schon zu unsrer Hochzeit. Das Mannerli zog über Land, Deine Ahnen zu suchen. Herzelein! Wie sind all diese Erlebnisse übersonnt und vergoldet vom Märchenschein unsrer Liebe. Oh Geliebte! Wie machte uns aber auch dieses tiefe Glücksempfinden so hellhörig für alles, was dieses Glück bedrohen konnte.

Oh Du! Wenn wir bedenken, wie uns bislang so alles nach Wunsch gegangen ist, wie uns so reiches Glück zuteil wird mitten in dieser harten, bösen Zeit, wie wir immer gerade noch zurechtkamen, und wir einander gerade zur rechten Zeit an die Hand gegeben wurden – dann können wir nur ganz still, demütig und dankbar werden. Gott hat uns so überreich beschenkt und gesegnet. Oh Geliebte! Wir dürfen hoffen und ganz zuversichtlich vorausschauen im Gedenken all dieser Güte!

Und nun dieser Januar? Es spinnt sich wieder mancherlei an – und Herzelein! es wird sich alles lösen zu unserem Besten! Da ist der neue Kursus festgesetzt, den wir noch nicht mitmöchten. Da ist die Meldung, von der ich Dir schrieb. Da liegt das Mannerli mit seinem Urlaubsgesuch auf der Lauer – Du! es liegt auf der Lauer, und mit ihm mein liebes Weib – es paßt den rechten Augenblick ab, und der will abgepaßt sein! Du!!! Du!!!!! Oh Herzelein! Was wird dieses Jahr uns noch bringen, was wird für uns noch in seinem Schoß verborgen sein? Ach Du! Geliebte!! Wir wollen keine falschen Hoffnungen nähren – aber hoffen wollen wir, hoffen müssen wir! Und vertrauen!!! Ach Herzelein! In mir ist doch auch Fröhlichkeit! Du! Du!!! Geliebtes Wesen! Mein liebes Weib! Wir glauben, daß es vorwärts geht, lichtwärts – mit Gott!

Er halte uns demütig in unsrem Glücke! Er segne unsren Bund. Er schütze Dich auf allen Wegen!

Ich habe dich sooooooooooooo lieb! Und dieses Leben, um Deinetwillen!!! Oh Du! Mein liebes, treues Weib! Mein Reichtum, mein Sonnenschein, mein Leben!

Ich bin ganz Dein und bleibe in Liebe und Treue

ewig Dein [Roland].

Ich küsse Dich! Du!!!

Schenk mir Dein Herzelein! Du! Du!!! Du!!!!! !!!!! !!!

Behalt mich lieb! Du! Herzblümelein! Holde Mein!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946