Bitte warten...

[OBF-411105-001-01]
Briefkorpus

[Saloniki] den 5. Nov. 1941

Herzelein, Du! Liebste, Herzallerliebste mein! Du!!!

Dein Mannerli mußte sich doch so schnell losreißen gestern – nein, heute früh war’s, daß ich den Boten fertigschrieb, daß ich Dich so lieb festhalten mußte und mich doch am liebsten gar nimmer getrennt hätte von Dir! Gestern abend war es so unruhig im Hause. Zur Strafe mußte gescheuert werden. Kamerad K. hatte schon zu Mittag geschrieben und saß nun auch so halb beschäftigungslos neben mir – da kann ich Dir nicht nahesein, da kann ich Dein nicht so lieb denken. Ich muß mit Dir allein sein. Ich weiß, dann spannen sich die Lippen, und die Augen beginnen zu leuchten, und der Mund verzieht sich wohl – ach Herzelein das darf niemand sehen außer Dir allein! Nun habe ich heute früh im Bettlein – meist bin ich um 5 Uhr schon munter – weitergesponnen an meinen Gedanken, und nun wurde es doch erst ein Gespinst, aus dem auch meine Liebe und mein Glück leuchten konnten. Du!! Oh Herzelein! Schaust Du es mit mir, das reiche Glück? Du!! Du!!!

Eben sind wieder zwei liebe Boten gekommen, vom Mittwoch und Donnerstag. Und Du bist noch immer heiser. Hättest zur Kinderschar gar nicht gehen dürfen! Hättest nur mal ein bißchen so zimperlich sein sollen wie Frau G.! Schätzelein, Schätzelein! Ich will hoffen, daß nun jetzt, da ich schreibe, alles wieder besser ist. Über die liebe Mutsch freue ich mich, sie ist strenger als Du mit Dir selber bist. Und das ist gut in solchen Fällen. Na, unterdessen ist meine Mutter noch dazu gekommen, nun werden sie wohl mit Dir fertiggeworden sein, Wildfang, Ausbund, Du!!! Soll ich Dir sagen, wie das Mannerli mit Dir verfahren wird in solchen Fällen später? Ich sperr Dich ein – ins Stübchen, und wenn ich die Tür selber hüten muß. Und steck Dich ein ins Bettlein – und wenn ich mich selber dazulegen muß, damit Du bleibst!

Mußt Dich doch richtig erkältet haben. Denk nur mal nach!

Ach Herzlieb! Und nun bleiben auch noch meine Boten aus! Schätzelein! Ich will mir gar keine übertriebenen Sorgen machen. Aber denk einmal, es wäre etwas Schlimmes – oder Du trügst unser Kindlein schon – magst Du ermessen, welche Folter das Warten dann sein kann, das Imungewissensein [sic], und jede Nachricht, die dann kommt, läuft den Ereignissen nach? Ach, Herzelein! Ich bin kein Furchthase und kein Schwarzseher – bin mit mir ebensowenig zimperlich wie Du mit Dir – mit unserem Ängsten und Sorgen ist auch garnichts [sic] getan – und Gott ist überall – aber die Ferne wird dann zur Qual – und um Dich muß ich mich doch sorgen – weil ich Dich sooo lieb ha[b]e!

Nun will ich erst einmal von mir erzählen. Es ist nicht viel. Am Montag war ich wieder beim Zahnarzt. Der hatte schon Urlaubsgedanken und hielt sich dazu, seine Kundschaft schnell noch abzufertigen. So bin ich nun auch schon fertig. Der böse Zahn war noch recht schmerzhaft. Der Nerv mußte gezogen werden. So weit kann es mit dem Zahn nur gekommen sein, weil ich damals die Behandlung in Eckernförde abbrechen mußte. Nun sind die Beißer wieder in Ordnung. Man ist immer froh dann. Mit meinem Gebiß kann ich ohnehin keinen Staat machen. Und wenn man die Güte einer Rasse an den Zähnen ablesen kann, dann bist Du ja an ein schlechtes Mannerli geraten. Mutter hat schon viel Plage mit ihren Zähnen gehabt, von Vater weiß ich‘s nicht. Ich hatte mit dem 7. Lebensjahre noch mein vollständiges Milchgebiß unversehrt, daß auch der Arzt seine Freude dran hatte. Ich glaube doch, daß die Kriegsernährung den Wachstumsansprüchen auch der Zähne dann nicht mehr hat genügen können. Zu viel Mahlzeiten. Und dann hätte eine umsichtige Betreuung durch den Zahnarzt, wie wir sie heute kennen, auch alle

[Die Briefseiten waren im Original in der falschen Reihenfolge, die Transkription ist hiermit sinngemäß zusammengesetzt.]

Unregelmäßigkeiten des Gebisses beseitigt. Er, der Zahnarzt, hätte dann beizeiten etliche Milchzähne entfernt, damit Platz wurde für die nachdrängenden zweiten Zähne.

Ich habe den Arzt gefragt, ob ich noch lange meine Zähnen erhalten kann, ohne Zahnersatz hinkomme. Er bejahte. Das möchte ich doch, einmal des Berufes wegen, und zum zweiten doch überhaupt. Ich denke, daß die ärztliche Kunst auf diesem Gebiete noch mächtig fortschreiten wird, so rasch vielleicht nicht, daß wir noch in den Genuß des Fortschrittes kommen.

Beim Zahnarzt bekam ich eine Nummer des „Schwarzen Korps“ in die Hände, das in der man sich mit dem sehr delikaten Thema der ehelichen Treue auseinandersetzte, der Treue des Mannes draußen, der Treue der Frau in der Heimat. Die Männer waren jedenfalls schon in einer vorangegangenen Nummer dran, in dieser nun die Frauen. Der Inhalt der Zeilen war kurz so: Die Fälle der Untreue der Frau seien proportional so unerheblich, seien Ausnahmen, daß es ein Unrecht wäre, in einer öffentlichen Zeitung den Frauen nun Ermahnungen zu erteilen, es wäre beleidigend gegenüber der erdrückenden Mehrzahl der Frauen, denen es eine Selbstverständlichkeit sei, ihrem Manne nun erst recht die Treue zu halten.

Gut. Gefällt mir.

Nicht zustimmen kann ich nach meinen Beobachtungen nur dem nicht, daß man im Bezug auf die Männer schrieb, daß diese Frage eigentlich gegenstandslos, müßig sei, eben weil Untreue Ausnahmefälle seien. Beachtenswert der andere Gedanke: die Ehen, die so nun zu Bruch gingen, um die sei es ja im Grunde nicht schade, sie seien eben nicht viel wert gewesen. Daran ist manches Wahre. Erschreckend dann, wie viele Ehen nichts wert sein sollen. Ach, der Krieg ist und bleibt eine große Verführung, ein Unglück, eine Not.

Herzlieb, an diesem Boten schreibe ich den ganzen Tag heute. Heute zu mittag habe ich begonnen. Jetzt gegen abend, habe ich fortgesetzt. Der Spieß hat freien Nachmittag. Und eben bin ich aufgesprungen, es ist kurz vor 6 Uhr, mal nach meinem Haushalt zu sehen. Ja, Du!! Habe eben das zündende Holz an den Brand gehalten [sic]. Wenn ich dann gegen 7  hinübergehe, ist es schon tüchtig warm. In der Mittagspause mache ich unser Öfchen betriebsfertig.  Hab schon spitz gekriegt, wie ich ihm am besten beikomme. Auf unserem Balkon steht fachmännisch geschichtet ein kleiner Vorrat Holz. Hat das Mannerli gespalten. Die Holzrollen liegen nämlich im Keller, dazu lauter grünes Holz, damit könnte man kein Fünkchen zum Brande locken. Heute brauchten wir eigentlich gar kein Feuer im Ofen. Es war heute richtig abnorm warm draußen. Aber es soll Bratkartoffeln geben. In einer halben Stunde will ich mich drüber machen. Tiegel borgen wir von einer andern Stube. Ein Stück Speck haben wir von der Kost eingespart. Kartoffeln haben wir vom Mittagessen mitgebracht. Wir freuen uns auf den Schmaus. Sie sind uns schon ein paarmal gut geraten, daß auch Du sie nicht hättest stehen lassen. –

Herzelein! Nun sind sie schon einverleibt die Herrlichkeiten, von denen ich sprach. Einen mächtigen Tiegel Kartoffeln gab[’s]. Ich habe nur noch eine einzige Scheibe Brot gebraucht. Prima hat’s geschmeckt. Heute gab es zum ersten Male auch ganz fein geschnitten etwas Zwiebel zu den Kartoffeln.

Feierabend nun. Kamerad K. brachte eine 100 kerzige mit heute, nun ist’s aber hell in der Stube. Da sitzen wir nun wieder bei uns[e]rer Lieblingsbeschäftigung. Kamerad K. tut mit heut abend. Er hat eine umfängliche Korrespondenz und führt Buch über Aus- und Eingänge. Dein Mannerli braucht kein Briefbuch. Möchte sich manchmal nur notieren, was es den und den geschrieben hat, damit es sich nicht so oft wiederholt.

Nun schreibt mir mein Herzlieb auch wieder von seinem reichen Programm. Ich werde ja richtig mit Dir aufatmen, wenn Du wirst mal wieder ein bisserl Luft haben. Vorerst sieht es noch nicht danach aus. Da ist Mutter nun gekommen, wie ich es vermutete. Ich freue mich mit Dir! Und ganz gut, daß das Mannerli, den Sohnemann meine ich, mal nicht dazwischen ist, habt Ihr Frauen doch mal mehr voneinander; denn sonst – – – ach, da wäre doch wenig Andacht für den Besuch, ja? Du!!!

Weißt, Schätzelein, beinahe möcht[‘] ich ein wenig eifersüchtig werden! „Der Inbegriff einer Familie ist doch die Mutter, sie ist die Seele des Hauses, gleichsam das Licht, das wärmende Feuer, um das sich alle scharen. Als Herrn und Gebieter sehe ich den Vater.“ Du hast recht damit, Herzelein! Und bei uns zu Hause ist es so. Vater hat schon manchmal es beklagt, daß er so beiseitestehen müsse. Aber wir waren lauter Jungen, die auf Mutters Seite treten – und dann hat Mutter uns allzeit mehr Verständnis entgegengebracht. Ach weißt, ich bin deshalb nicht bange – ich will meinen Platz schon behaupten und meinen Einfluß als Vater geltend machen wie Du von Deinem als Mutter. Ach nein, ich bin nicht eifersüchtig – Du! Du!!! Wir werden uns doch ganz geschwisterlich teilen in alles, ja? Du!!! Und was in unseren Kindern vom Mannerli ist, das wird hinüberneigen zu Dir – und was [v]on Dir in ihnen lebt, wird von  zu mir neigen – wir aber wollen uns nur dankbar freuen und es fühlen und erkennen, daß uns[e]re Liebe ihnen das Leben schenkte. Kinder sollen uns nicht entzweien, sie sollen uns nur noch enger verbinden.

Schätzelein! Mit Dir teile ich die tiefe Freude darüber, daß unsre Liebe, unser Bund, unser Nestlein einen festen Platz hat im Verband der größeren Familie, im Baum, im Geflecht der größeren Verwandtschaft. So eigensinnig ich sein kann und etwas vertreten [habe] auch gegen das Verständnis vieler Menschen – als es den wichtigsten Schritt des Lebens galt, da fühlte ich doch alle Verantwortung, die Augen der Väter gleichsam prüfend auf mir ruhen. Da zog ein mächtiges Gefühl mich zum Rat und Beistand der Eltern, der Deinen und meinen. Und wir wissen, wie ihre Liebe und ihre Sorge uns segnend und segensreich zur Seite gestanden hat und noch steht. So nur konnte unser Glück vollkommen werden.

Uns[e]re Liebe zueinander – der Beistand uns[e]rer Eltern – und Gottes Segen – sie sind drei Sicherungen, sind guter Grund, daraus das Glütck zu bauen. Oh Herzelein, welch großer Segen schon die Eintracht im eigenen Hause, und die Eintracht in der größeren Familie. Ein großer Segen ist sie. Die Zwietracht gleicht dem vernichtenden Kriege. Und es gehört eigentlich nicht viel zu dieser Eintracht – ein wenig Einsicht und Rücksicht und Liebe und Achtung. Schenkt Gott uns einmal Kinder – diesen Geist der Eintracht wollen wir ihnen mitgeben und vorleben, es soll ihr Lebenselement sein.

Geliebte! Du!!!

Ich fühle glücklich das Herzenseinverständnis zwischen Dir und meinen Eltern, meiner Mutter zumal und zwischen den Eltern untereinander. Sie ahnen unser Glück – und sind selber beglückt – was kann es für gute Eltern auch größere Freude geben als über das Glück der Kinder und darüber, daß die Gaben ^der Familie in würdige Hände weitergereicht werden? Und – einmal auf der Eltern Seite tretend und die ganze Familie ins Auge fassend – Du!! Du!!! Herzelein! Geliebte! Welch reiche Erwerbung, welch kostbarer Schatz, welch würdiges Glied haben wir mit Dir gewonnen – ! Du!! Du!!!

Aber ich will gar nicht so weiterdenken und Dich betrachten – will schnell wieder an Deine Seite treten – und mit Dir leben und schaffen! – Oh Geliebte! Walte es Gott gnädig, daß er uns dazu recht bald wohlauf zusammenführt. Herzlieb! Ich denke so froh unseres Lebens, unseres Schaffens, uns[e]rer Aufgaben. Schaust Du sie auch im Lichte der größeren Familie heute? – Du! Du!!! Wie groß! Wie schön! Geliebte! Mein liebes, teures Weib!

Behüte Dich Gott!

Ich liebe Dich so über alle Maßen. Herzlieb! Ganz einhüllen will ich Dich in meine Liebe! Ein Ganzes soll uns[e]re Liebe sein! Lauteres Glück! Herzlieb! Ich bin so unsagbar glücklich in uns[e]rer Liebe!

Ich liebe Dich sooooooooooooo sehr!

Ich küsse Dich herzinniglich!

Ewig Dein [Roland]!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946