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[OBF-410321-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 15. März 1941

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde]!

[ Wir fahren, fahren, fahren – nun schon den dritten Tag. Die ersten beiden Teile meines Berichtes schickte ich gestern von einer unterwegs-Station ab. Hoffentlich hast Du sie erhalten. Immer weiter entführt uns die Bahn der Heimat. Man empfindet es gar nicht so sehr, weil man sozusagen in einer fahrenden Stube sitzt[,] nur die fremde Welt an sich vorbeiziehen läßt. Gleise und Bahndämme und Masten sind mit kleinen Abweichungen fast überall die gleichen. Und so fremd ist die Fremde hier noch gar nicht. Die Landschaft, die Fluren, die Vegetation, sie ist nicht fremd noch, nur daß man schon Maisfelder und Weingärten antrifft. Und die Dörfer tragen ein klein wenig anderes Gesicht. Man sieht Ziehbrunnen. B. [sic] haben wir heute Mittag hinter uns gelassen und jetzt geht es auf das andere B. [sic] zu.

Kurz vor B. [sic] kamen wir zum ersten Male an den vielumwalzten Strom. Es gab ein paar sehr schöne eindrucksvolle Bilder. Ähnlich wie in N[unklar] säumen bewaldete Höhen den imposanten Strom. Viel[e] malerisch gelegene Orte haben an den Ufern Platz gefunden. Sonnenschein ließ alles im schönsten Lichte erscheinen.                                                                               

Mein liebes teures Herz!! Geliebte, Holde mein!! Meine [Hilde]!!

Es schreibt sich schlecht im Fahren. Der Zug rüttelt. Es sind die Kameraden so dicht um einen. Und so war ich zu dem Schluß gekommen, Dir am glücklichen Ende der Fahrt zusammenhängend Bericht zu erstatten. [ Heute schreiben wir Donnerstag, den 20. März 1941. Und unsre Fahrt ist noch nicht zu Ende. Wann sie zu Ende sein wird, weiß keiner, wenn auch jeder dieses Ende herbeiwünscht.

Hör zu! Bis Budapest ging es also sozusagen flott. Aber nun sind wir von den direkten Hauptbahnen abgebogen. Ich sagte Dir doch schon, daß die Reise bis Sofia im Expreßzug kaum länger als 2 Tage dauert. Warum man nun die Transporte über Umwege auf Nebenstrecken leitet? Um die Hauptstrecken zu entlasten vielleicht. Um unser Ziel fahren wir einen großen Bogen. Die verwunderlichen Rüstungen und Umleitungen haben uns das schönste Rätselraten bereitet. Mal waren wir diesem, mal jenem Orte ganz nah, und dann ließen wir ihn doch liegen. Heute z. B. liegen wir dicht am Schw. M. [sic], sodaß wir einen der dort befindlichen Häfen als unser Ziel vermuteten. Umso erstaunter schauten wir nun drein, als es hieß, daß S. [sic] unser Reiseziel ist und bleibt – obwohl wir nun beinahe noch 600 km davon entfernt sind und in einem großen Bogen ihm ausgewichen sind. Diese Ungewißheit mit der Hoffnung wechselnd, macht mürbe und ungeduldig. Viele, viele Transporte anderer Truppenteile begegnen uns, ihnen geht es ebenso.

Zermürbender aber sind die mancherlei Begleiterscheinungen dieser Fahrt.

1. Auf großen Umwegen schickte man uns über das Gebirge, die ‚K.‘ [sic]. Mitten hinein in den Winter fuhren wir mit 30 cm hohem Schnee und bis zu 15° Kälte. Unsere Wagen lassen sich nicht alle gleichgut heizen. Dann denke [ich] an die Leute an den Gulaschkanonen. Auf den Nebenbahnen nun wurde es eingleisig – das Tempo der Fahrt verlangsamte sich. Die kalte Luft hat uns von Lübeck bis in die südlichen Breiten noch nie verlassen. Die Natur ist hier gegen [zu] Hause eher nach [sic].

Vorgestern trübte ein Unfall die Stimmung der Fahrt. Durch kräftiges Bremsen wurde das Gestänge eines Wagens unbrauchbar, sodaß man ihn ausrangieren mußte. Es war gerade mein Wagen. Wir waren gerade über dem Packen – als der Zug ein Stück zurückfuhr, ich hörte ein leises Wimmern – ein Leutnant war zwischen die Wagen getreten, um den Schaden zu besehen – und wurde erquetscht [sic] – furchtbar. Mußt Dir nun die Aufregung vorstellen. Ich kann das nur schildern. Auf der nächstgrößeren Station wurde er aus dem Zuge gebracht. Dieser Zwischenfall verursachte einen Aufenthalt von wenigstens 3 Stunden. Das war ein böser Tag.

Das Vorwärtskommen verlangsamt sich mehr und mehr. Heute haben wir etwa nur 100 km geschafft. Große Aufenthalt[e]. Man hat das Gefühl, daß dieser ganze Betrieb mehr oder minder improvisiert ist, vielleicht gar nicht nach einem Fahrplan abläuft. Dazu nur Menschen mit fremden Zungen. Dazu auch eine mehr oder minder Ratlosigkeit unsrer Transportführer. Sie wissen nur um das Ziel. Ich werde Gott danken, wenn wir gesund und heil an unserem ersten Ziele sind. Herzlieb! Herzlieb! Ob ich Deiner auch immer denke? Du!! Du!!!!!!!!!!!!!!!

 

Freitag, den 21. März 1941.

Frühlingsanfang!

Herzallerliebste! Meine liebe, liebe [Hilde]!

Eine Weile habe ich gewartet, bis ich dieses Datum mit seinem Wochentag fand. [ Wieder neigt sich ein Tag zum Ende, Geliebte, ein besserer als der gestrige. Weit sind wir heute vorwärtsgekommen. Die bulgarische Bahn ist in Ordnung. Das Trübe des gestrigen Tages wollte sich noch vertiefen. Einen endlos langen Aufenthalt in einem kalten Orte hatten wir, ein kalter Wind blies über die öde Hochfläche. Unser Zug sollte geteilt werden, er war für diese Nebenbahn zu schwer. War das ein umständliches, langwieriges Rangieren. Man fühlte sich so verlassen und verloren. Der Zug konnte hier nicht mehr luftgebremst, sondern handgebremst werden wie bei uns vor 25 Jahren. Ein Streckenstück lag vor uns, auf dem kürzlich ein Militärzug verunglückt war. 2 Lokomotiven lagen rechts, etwa 8 Wagen lagen links der Strecke. Ein Segen, daß man unseren Zug nachts stehen ließ, sodaß ich doch ein paar Stunden Schlaf fand.

Heute befinden wir uns wieder auf einer gut ausgebauten Hauptbahn, auf der D–Züge verkehren. Die Aufenthalte sind kurz und pünktlich und man spürt wieder eine Organisation. Wagen und Lokomotiven sind alle deutscher Herkunft. Das bulgarische Land ist ein weites, freundliches Land, mit weiten Ackerflächen – es sieht sauberer aus als in Rumänien, die Männer schauen gut drein – in vielen Strecken wird man an die Heimat erinnert. Obstbäume, viel[e] Obstbäume auch in fachmännischen Kulturen sieht man. Auffällig auch die vielen neuen Schulen, jetzt zum Teil mit rumänischen Soldaten belegt.]

Heute nach dem Essen habe ich fest und lieb Deiner denken können. Morgen, so war wohl verabredet, wollen ja Vater und Mutter bei Euch zu Besuch sein. Und nun die Geburtstage! Ich bin ja ganz ratlos! Deinen weiß ich ja nun, aber zu Vaters und Mutters langt es noch nicht. Hoffentlich ist bis zu dem Deinen unser Bote wieder ganz regelmäßig. Ach Herzlieb! Ich denke daran, wieviel Geduld und Kraft es doch kostet, so lange in Ungewißheit zu sein. Herzlieb! Geliebte! Wir bitten Gott darum und hoffen, daß all diese schmerzlichen Stationen der Trennung nun bald die letzten sein werden!!! Wir rechnen schon, daß, wenn die Fahrt weiterhin so flott vonstatten geht, wir übermorgen oder Montag in S. [sic] sein können. Dorthin ist all unsre Post geleitet worden – und darunter erhoffe ich auch die lieben Zeichen Deines Gedenkens, die die Brücke zur Heimat sind. Ich weiß, sie werden sich gegen die meinen in jeder Weise stattlich ausnehmen – Herzlieb! – aber meine Sinne und Gedanken sind so von dieser ruhelosen Gegenwart benommen und beansprucht – Du verstehst mich und verzeihst mir. Von der Gegenwart benommen – Herzlieb, Du weißt, all diese Sinne und Gedanken kreisen um Dich und mich, um unser Glück und Hoffen – alles, was ich schaue und wahrnehme, schaue und sehe ich von unser[e]m Einssein her.

Ach, Du weißt es! Du fühlst es! Und ich habe Dich doch so lieb!! Du!! So sehr, sehr lieb! Immer und ewig!! Und hier in der Fremde nur desto inniger und tiefer! Du!! Du!!!

Ich bin ganz Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946