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[OBF-410301-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 1. März 1941.

Herzallerliebster! Mein geliebtes Herz! Mein [Roland], Du!

Nun müssen Du und auch ich wieder zu Papier und Feder greifen. Und das ist uns ein lieber Trost, zu wissen, daß unsre lieben Boten alle Tage zwischen Dir und mir gehen – alle Tage, zu jeder Zeit gehen sie hin und her zwischen uns. Du! Wir lassen uns ja einander garnicht von der Hand. Nie mehr, Herzlieb! Heute vormittag kam Dein erster Gruß, Du! Ich habe mich so gefreut, sei recht lieb bedankt, mein [Roland]! Gleich nach 8 Uhr hast Du das Telegramm bestellt, und ½ 10 Uhr brachte mirs’ der Bote. Nun weiß ich Dich wieder geborgen in Deiner alten Umgebung, Liebster. Es ist 3 Uhr am nachmittag, Du wirst noch arbeiten. Ob Du wohl schon alle Deine Gedanken bei Deiner Arbeit hast? Du! Ich glaubs´ ja kaum. Na, man wird Dir, dem ,frisch vom Land kommenden´, am ersten Tage wohl ein wenig mit Schonung und Nachsicht begegnen! Du! Ich hab mich recht gesorgt noch um Dich gestern nachmittag, als Du in dem vollgestopften Zug abfuhrst. Hast denn noch einen Sitzplatz erwischt bis Kiel? Bei mir im Zug war es ja ebenso toll mit dem Betrieb, wenn ich nicht so zeitig eingestiegen wäre, gleich nachdem der Eilzug einfuhr, da hätte ich mich auch mühen müssen um einen Platz. Die Leute standen sogar drin im Abteil zwischen den Bänken und durch den Lautsprecher ertönte es immer wieder: „Zurücktreten in die Abteile, Plattformen frei machen, andre wollen auch mitfahren". Vorher bin ich aber noch ein bissel umhergebummelt, vorm Bahnhofsgebäude, im Lichthof. Ach Herzlieb! Mich hilt [sic] es nirgends. So bin ich dann durch die Sperre nach meinem Bahnsteig und lief auf und ab und wartete. Da sah ich nun ein Stück weiter drüben den Bahnsteig 11 liegen – ach – alle Züge laufen in dieser Richtung hier aus, alle Züge fahren dorthinaus – und doch, jeder in einer ganz anderen Zielrichtung. So trübe und grau blickte man gestern voraus, es war kein Wetter, um die Abschiedsstimmung zu erleichtern – und der Regen floß unaufhaltsam. Ich war traurig, Herzlieb. Es wird mir so schwer, Dich ziehen zu lassen. Ach, Du sahst es. Du weißt es auch. So wie ich weiß, daß auch Dir das Scheiden Schmerz bereitete. Aber das ist garnichts Außergewöhnliches, dieser Schmerz um uns[e]re Trennung. In unserm Unterbewusstsein haben wir das vorausgewußt, gespürt, daß es uns Schmerz bereitet, das Scheiden. Wie auch anders, bei unsrer wundersamen Liebe? Du!! Mit allen guten Vorsätzen gingen wir daran, einander den Abschied zu erleichtern, aber – wir können dem Herz und dem Gefühl nicht mit nüchternen Worten befehlen. Nein. Du! Unsre letzte gemeinsame Stunde.

War es gut, daß wir sie zwischen fremden Leuten verbrachten? Wäre es schöner gewesen, konnten wir sie ganz allein, nur zu zweien verbringen?

Wie soll ich diese Frage mir beantworten, Du? Ach, Herzlieb! Je mehr ich es bedenke, es war wohl am besten so wie geschah. Vor fremden Blicken bezwangen wir unsern Schmerz, allein zu zweien hätte er uns übermannt. Ich weiß es. Und ich will es Dir auch sagen, ich konnte die Tränen nicht länger mehr zurückhalten, als ich Dich nicht mehr winken sah gestern, Herzlieb! Als ich nun allein stand, da brach es hervor mit aller Macht. Und ich schämte mich der fremden Blicke nicht, ich sah nichts um mich – ich sah nur Dein liebes Gesicht, Deine geliebten, guten Augen, wie es mir ferner und ferner blickte, Dein liebes Bild. Du hattest mir in lieber Fürsorge die Zeitung gekauft. Ich brauchte sie nicht. Ich habe zum Fenster hinausgeschaut unverwandt, meine Gedanken nur bei Dir, Herzlieb; bis es draußen dämmrig und dunkel ward. Dann erst lenkte ich meine Blicke in das Innere des Abteils, um nicht den neugierigen Mitreisenden bei Lichte meine traurigen Augen zu zeigen. Endlich kam Wittgensdorf – knapp war der Übergang und nach ¾ 8 Uhr war ich daheim. Die Mutter erwartete mich schon mit dem Abendbrot: Spiegeleier und Butterbrote. Ach, auch ihr hat Dein Scheiden Schmerz bereitet, als ich ihr berichtete von unseren letzten Stunden in Leipzig, da weinte sie immer noch einmal. Und sieh, Herzlieb! So ist nun das Menschenherz, wenn es gleich selbst meint[,] zerbrechen zu müssen vor Schmerz, wo aber ein andres Trost und Zuspruch braucht, da besiegt es sich selbst so ganz und richtet sich auf in diesem Sichgeben an andre. Ich tröstete die Mutter mit ein paar lieben Worten und da spürte ich in mir, wie die Trauer ein wenig von mir wich, wie ich freier atmete. Ach Geliebter! Und als ich dann einige Zeilchen an Dich gerichtet und danach im Bettlein mein Abendgebet für Dich und unser Glück gesprochen hatte, Du! Da war mein Herz voll Zuversicht und gläubigem Vertrauen. Ach Herzlieb, es war ja auch nur der Schmerz über die Trennung von Dir. Das andre, das große, reiche Glück, das wundersame Glück Deiner Liebe, unsres Verstehens, unsres Einsseins, ach Geliebter! Das bleibt ja in mir, in uns bleibt es, bei allen äußeren Dingen, die an uns herantreten sollten. Das große, unermeßliche Glück unsrer Liebe, Du!! Aufs´ Neue hat es uns in seinen Bann geschlagen, aufs´ Neue stärkten wir uns an ihm! Und es gab uns Freude und Frohsinn und Trost und Zuversicht und alle Geborgenheit mit in unseren Alltag, der uns nun wieder auf einige Zeit umfängt. Und die Liebe Gottes und sein Segen, der auf unserem Bunde ruht, sie lassen uns so ganz getrost und stark hinein schreiten in die kommende Zeit. Ist es Dir nicht auch wie mir ergangen, mein Geliebter? Der Abschiedsschmerz war tief, doch das Wissen um den Sinn unsres Loses, es übertönt allen finstern Schmerz. Ich blicke heute froh und glücklich Dein Bild an, während gestern abend dabei noch Tränen meinen Blick verdunkelten, Du! Es ist unsre Aufgabe, treulich auszuharren und uns stille in das zu fügen, was Gott uns schickt. Und weil wir wissen, daß Gott es uns schickt, was das Schicksal bedeutet, darum sind wir allzeit frohen Herzens und Mutes. Er kennt uns, seine Kinder. Und er bedenkt uns nach unseren Kräften, Geliebter! Wir halten stille seinem Willen, wir haben ihn lieb, unsern Herrgott, wie er uns lieb hat. Du! Dankbar wie ein Kind über irgend ein großes Geschenk bin ich, sooo dankbar über die vielen, herrlichen, einzig schönen Tage, die uns beiden zuteil wurden. Geliebter!! Herzlieb!! Du!! Fühlst Du auch, wie viel inniger und fester und unlösbarer sich das Band unsrer Liebe um uns schlang? Oh Du!! Lange, lange werden wir vom Glück dieser Sonnentage zehren, mein [Roland]! Bis ein neues Glück, ein neues Wiedersehen herauf zieht, an unserem Glückshimmel. Du!! Du hast mich so sehr, so ganz erfüllt mein Herzlieb!! Ich bin Dein im Leben und im Tode. Ich kann nur Dir gehören! Nur Dich lieben! Nur Dir so die Treue halten! Ach Du! Du! Du weißt es. Geliebter! Heute nicht weiter! Du!! Du weißt, es kommt sonst wieder über mich, das wunderbar süße Sehnen! Mein geliebtes, teures Herz! Mein [Roland]! Der Herrgott schütze und behüte Dich! Du mein Sonnenstrahl! Mein ganzes Glück! Du!! Sei dankbar und froh und zuversichtlich im Herzen mit Deiner [Hilde].

Glaube mit mir an das Gute! An unser Glück! An die Gnade und Güte unsres Herrgottes! Geliebter! Ich bin Dir sooo fest verbunden! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich ganz innig! Mein geliebter [Roland]!

Auf Wiederhören! Ich küsse Dich! Du! So lieb und zärtlich!

In treuer Liebe ganz Deine [Hilde].

Viele herzliche Grüße von den Eltern.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946