Bitte warten...

[OBF-410206-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 6. Februar 1941

Herzlieb! Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!!

Du! So schnell, wie jetzt die Tage verfliegen – so möchten sie dann nicht entschwinden, wenn wir beieinander sind! Herzlieb! Immer mehr spitzt sich alles nun zu auf unser Wiedersehen – gleich werde ich an die Vorbereitungen denken müssen. Denn die Arbeit geht weiter bis zur Abfahrt – wie überhaupt dieser Urlaub als Einrichtung so automatisch abläuft – nur in dem Urlauber selber braust das Erleben: Heimat! Wiedersehen! Reise! Und jeder hütet es bei sich, damit die andern es nicht empfinden müssen, daß sie dableiben müssen. Herzlieb! Das Schicksal war uns ja so gnädig bisher! Wir erleben diesen Urlaub ja gar nicht in seiner ganzen Schwere: mit seiner Ungewißheit vorher und seiner Ungewißheit nachher. Und wir wollen nur ja nicht vergessen, Gott zu danken und zu bitten. Du! Heut abend bist nun vom Backen nach Hause gekommen. Alles für den Urlauber. Er soll es ganz gut haben, er soll verwöhnt werden. Herzlieb! Nicht zu viel! Sonst kann er doch gar nicht vergessen, daß er nur im Urlaub weilt – und das will er doch – bei Dir!! Bei Dir!!! will er ganz vergessen, daß er auf Urlaub ist – will so hast- und zeitlos mit Dir wandeln wie im Märchenlande – ach, an Deiner Seite kann ich es vergessen! – und auch Du! Herzlieb!! Sollst ganz nur an Deinen [Roland] denken, der bei Dir ist. Geliebte! Wie sehne und freue ich mich nach diesen Stunden mit Dir, auch den stillen! Heute denke ich mehr an die stillen, Geliebte! In denen es uns leis berührt: die Zartheit, und das Geheimnis und das Einssein zweier Herzen! Du! Herzlieb!! Und alle Stunden sollen uns[e]re Kraft und Zuversicht und unser Gottvertrauen stärken – sie werden es – und wir wollen Gott darum bitten! Und auch Du sollst gestärkt werden in diesen Tagen. Herzlieb! Denk nur! Uns[e]re ganze Kraft, unser ganzes Sinnen, das richtet sich nun auf unser Liebhaben. Kein Zweifel mehr, auch nicht der leiseste – kein banges Lauschen mehr auf das Verständnis des anderen – kein Bangen mehr um unsre Liebe – kein Bangen mehr um unser Liebhaben – keine Ängstlichkeit um die Zeit – um verborgene Lauscher. Du!! Du!!! Ganz selig und versunken dürfen wir uns umfangen, so selig wie noch nie vorher!!!!!!!!!!!! Nur nach den Augen schauen muß ich von meinem Herzlieb! um sein Glück leuchten zu sehen – sein Glück – mein Glück!! Du!!! Du!!!!!

Ach Herzlieb! Still will ich sein und ganz brav – will das alles aufsparen – so geizig wie Du! Muß ich Dir ganz Langweiliges erzählen.

Milder ist es geworden und trübe. Und heute mittag schien die Sonne so milchig wie an m[an]chen Vorfrühlingstagen. Der Februar bringt in seiner zweiten Hälfte schon manchmal die ersten.

Alarm hatten wir seit voriger Woche nicht. Nun regieren uns die beiden Leutnante, d.h. der eine ist der richtige Kompaniechef. Ab heute ist schon um 5 Uhr Dienstschluß – die ersten Maßnahmen des Neuen – nicht übel – nur ist mir wenig damit gedient, –  denn vor 8 Uhr gewönne ich doch nicht Ruhe, Deiner zu denken. Und Freizeit ohne Dich mag ich nicht. Vielleicht kann ich mir einen regelmäßigen Spaziergang einrichten, nach dem Urlaub. Vorher komme ich nicht dazu. Der Spieß ist nicht da. Der ganze Betrieb wickelt sich glatter und geräuschloser und damit angenehmer ab. Er ist zu unruhig – er fängt eins über dem anderen an, lässt es wieder liegen. Er kümmert sich zu viel – bestellt dauernd die Leute in die Schreibstube. Wenn er da ist, haben wir immer die Bude voller Leute. Weißt, er ist umsichtig, aber zu zapplig und nervös und hastig – unbeherrscht in gewissem Sinn – und das steigert sich noch, wenn er mal über den Durst getrunken hat – er kann mir dann direkt unsympathisch werden. Wir andern drei haben uns so schön eingespielt. Jeder bearbeitet selbstständig seinen Arbeitsabschnitt – auch Dein Hubo kennt jetzt besser alle Kanten und Zipfel der Arbeit – es ist ja alles leichter Kram – es können Stunden vergehen – jeder hat zu tun und weiß darum Bescheid und braucht gar nicht zu fragen. Von Bedeutung ist, daß man einige Gewandtheit auf der Schreibmaschine erlangt, dann wird manche Arbeit abgekürzt. Neben den laufenden täglichen Arbeiten habe ich jetzt ein Telefonbuch hergekriegt, um Nachträge und Berichtigungen anzubringen. Das ist die reinste Spielerei – da kann man leis vor sich hinträumen dabei – die Zeit vergeht darüber. Weißt, bei Lichte besehen ist es so verkehrt: die Schule verlumpert allenthalben – und wir schlagen uns hier mit solchem Kram herum. Gewiß, es ist [n]ötig. Ob ihn nicht andre erledigen könnten? Vielleicht nicht! Vielleicht fehlen die Leute. Weißt! Es zeichnet sich hier schon deutlich etwas ab, was eines Tages mal noch viel den krasser in Erscheinung treten wird: der Mangel an Menschen, der Mangel auch an Intelligenz, auch an dieser ganz durchschnittlichen. Und die Schule verludert unterdessen. Ich komme immer wieder zu dem Schluß: K. ist eine glatte Null. Er sieht nicht und hört nicht und versteht nicht, was doch schon dem einfachen Manne einleuchtet. So wie die Industrie auf den einigermaßen geordneten Fortgang ihres Betriebes bedacht ist, müßte es auch die Schule sein. Man fasst sich ja an den Kopf, was da geschustert und gedoktert wird: Du erzählst von dem hin- und herschieben. Maat H. erzählte heute, wie sein Junge jetzt von einem völlig unfähigen verrohten und überreizten Lehrer unterrichtet wird, den sie aus dem Ruhestand zurückgeholt haben, und der mit seinem vielleicht kurzen Gastspiel die Lehrer samt der Schule mehr in Verruf bringt als in ein paar Jahren wiedergutgemacht werden kann. Und wenn man nun noch an die Notmaßnahmen denkt zur Behebung des Lehrermangels: Er ist ein glatter Versager. Weißt: die Zukunft in unserem Beruf ist nicht rosig. Angesichts dieser Lage versteht man ja auch nicht, daß man nur ganz zögernd daran geht, diesen Beruf wenigstens finanziell begehrenswert zu machen. Aber ganz drumherum [sic] kommt man nicht. Die Karte, die ich dir gestern beilegte, bestätigt, was ich dir schon andeutete. Uns kann das nur recht sein. Und Du sollst Dir ja auch sonst um meinen Beruf keine Sorgen machen. 1) Wer gebraucht wird, hat immer eine gewisse Chance. 2) Meine Gesundheit, die ja gleichbedeutend ist mit Schaffenskraft, werde ich stets vorgehen lassen. Ich werde meine Pflicht erfüllen – und nicht schlecht – ich werde mich aber nie ausbeuten lassen. Ich werde in Zukunft von diesem Einsatz nicht nur für die eigene Gesundheit einige Abstriche machen, sondern auch für mein Herzlieb und für meine Familie! Du!!!!! Der Schulrat rührt sich nicht. Ein kleines Zeichen nur hätte er mir schon geben können. Na, es ist noch nicht zu spät – und sonst – ich werde eben noch deutlicher werden müssen.

Fast alle Kameraden haben von der Ortsgruppe der Partei ein Pöstchen bekommen – ich blieb verschont von diesem Segen. Kannst Dir aus malen [sic] wie mich das berührte! Du!! Herzlieb!! Wenn ich Dich nicht hätte – wenn ich Dich nicht wüßte – Dein liebes, treues Herz – Deine liebe Hand – Deine große treue Liebe: Wie einsam[,] wie arm, wie verlassen, wie hoffnungslos müßte ich mich manchmal fühlen! Ich kann mir gar nicht mehr recht vorstellen, wie ich es früher habe aushalten können. Aber die Zukunft ist von Jahr zu Jahr härter geworden, ungewisser; der Kampf um Ideen und Glauben ist heftiger geworden – alle Menschen sind in eine Unrast und Ruhelosigkeit gestoßen worden, daß so mancher seines Lebens überdrüssig werden kann. Du weißt, wie dieser Kampf auch uns angeht, wie wir wider Willen darin verwickelt werden – wie wir uns auseinanderzusetzen und zu verteidigen gezwungen sind. Was waren die Jahre bis 33 so gesehen für ruhige Jahre gegen jetzt! Ach Herzlieb! Wer da so allein steht – niemand gewährt ihm Schutz – der weiß nicht recht und fühlt nicht, für was er kämpft, und ermattet deshalb leicht. Nun ich Dich habe, Geliebte, weiß ich, warum mein Leben doch noch Wert und Sinn hat. Geliebte!!! Von uns[e]rer Liebe empfängt es seinen höchsten Sinn, seinen größten Wert. Mit Dir soll ich gehen – mit Dir soll ich leben, für Dich!! Herzlieb! Das ganz allein verleiht diesem Leben höchsten Sinn und Wert. Und wenn über lauter Irrtum und Wirrnis und Unglück alles Leben sonst sinnlos erschiene – unsre Liebe bleibt – sie kann ihren Wert nicht verlieren. Kein Ungemach, kein Unrecht, das uns von anderen zugefügt wird, kann unsre Liebe anrühren. Und wenn unser Land dem Untergang geweiht wäre, Gott wolle es verhüten!, unsre Liebe bleibt, so wie die Liebe unirdisch auch aus dem Untergang früherer Kulturen sieghaft leuchtet. Das bringt sehr schön zu Ausdruck der Dichter Felix Dahn in seinem ,Kampf um Rom'. Ja, Geliebte! Die Liebe, echte Liebe ist ein höheres als Menschengebot. Sie folgt dem Gesetz, nach dem auch die lieben Sterne leben und wandeln. Du!! Das ist so schön und tröstlich. Und wir wissen darum – und darum schauen wir auf zum Himmel – und wenn uns alle darum verlachen – wir lassen uns nicht beirren so wenig wie in unsrer Liebe. Und der gestirnte Himmel, er ist nicht nur ein grandioses Zahlenspiel und Schaustück der Astronomen – und so wahr wie zwischen uns Menschen mehr spielt als eine berechenbare Anziehungskraft, so wohnt und steht hinter diesen Sternen Gott – und so wahr wie Menschenliebe höher verankert ist als in dieser dunklen, unvollkommenen Erde – so wahr waltet Gottes Liebe und Gnade in uns über allem. Herzlieb! Wir mögen uns uns[e]re Liebe nicht anders als eben so gelten lassen. Und darum ist sie ja auch so groß und tief und innig. Darum schöpfen wir aus hier ihr soviel Freude und Zuversicht und Kraft. Um dieser Liebe willen mag ich so gern leben! – mit Dir möchte ich so gern durch dieses Leben gehen! Gott sei uns (uns) [sic] gnädig! Er segne unseren Bund!

Meine liebe, liebe [Hilde]! Morgen kommt dein lieber Bote wieder zu mir! Ich freue mich so darauf, Du!!!!! Ich habe dich so sehr lieb! Meine liebe [Hilde]!! So Gott will, bin ich bald, ganz bald bei Dir!! Ich bin so voll innerer Freude darauf! Bleib gesund! Mein Herzlieb! Mein Herzblümelein! Mein Rehlein! Mein Ein und Alles, Du!!! Mein liebes, teures Herz!!!!! Ich bin ganz, ganz Dein [Roland]!! Du hältst sie ganz umfangen meine Liebe. Dir allein schlägt mein Herz in Liebe und Treue!!!! Du!!!!!!!!!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern!

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946