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[OBF-410205-001-01]
Briefkorpus

Mittwoch, den 5. Februar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebste [Hilde], Du! Herzlieb!!

Du! Bist nun wieder wohlbehalten zu Haus? Es ist eben 7 Uhr. Huh kalt ist's wieder bei uns, dazu hell und klar. Wirst wieder arg frieren, Liebes! Nun ist das Kindlein da – kann doch noch gar nicht gucken – aber schon ist meine [Hilde] dabei, es in Augenschein zu nehmen. Du!!! Weißt, was eben jetzt einer von den Rekruten (R.) sagt, eben jetzt?!!! „Ich wünschte mir weiter nichts als [Nordhoffs] Sohn zu sein!" Du! Ich weiß gar nicht, was ich denken soll. Ich hielt nämlich eben inne im Schreiben – schaute in die Ferne und sah Dich – und sah mich – bei dem Kindlein, das uns gehörte – hab ich denn so väterlich dreingeschaut, daß ihm eben jetzt ganz unvermittelt dieser absurde, seltsame Wunsch kommt?!!! Herzlieb! Herzlieb!! Unser Kindlein! Eigentlich Deines – eigentlich meines – wie man es ansieht. Ach Du! Uns beiden ist es doch!!! Du!!!!! 4 treue, liebe Augen werden darauf ruhen und darüber wachen, 2 treue, heiße Herzen werden ihm schlagen, und 4 liebe Hände werden es als köstlichstes Geschenk umhegen und tragen. Herzlieb! Ich weiß es, ich fühle es: erst das Kindlein wird Dir die rechte Erfüllung bedeuten! [Ich] weiß es, Du!!! Und ich will Dich doch in Liebe ganz erfüllen – wenn Frieden ist – ja? Du!!! Du!!!!! Wenn ich dann für immer bei Dir bleiben darf.

2 liebe Boten kamen heute zu mir! Hast nun doch noch eine ganze Menge Besorgungen um Deinen Hubo – und der Kindlbesuch kam Dir so richtig dazwischen. Herzlieb! Wenn Du müde und abgespannt bist, schreibst mir nur einen Bogen! Hörst? Ich weiß doch, wie so lieb Du es meinst mit mir. Ich warte nun ganz geduldig auf die Boten vom Mittwoch und Donnerstag.

Nun hätte ich doch bald vergessen, Dir Näheres von meiner Ankunft zu schreiben. Bestimmtes kann ich Dir noch nicht sagen. Der Hauptfeldwebel sagte vor seinem Weggehen: „Dann fahren Sie Dienstag oder Mittwoch!" Der Tag, an dem ich hier abreise, zählt noch nicht zum Urlaub. Mein Urlaub dauert 16 Tage (14 Tage + 2 Reisetage). Kann ich also Dienstag fahren, bin ich Mittwoch bei Dir!!! Kann ich Mittwoch fahren, bin ich am Donnerstag bei Dir!! Um welche Zeit? Ich fahre also mit dem nächstbesten Zug hier weg und hoffe, von Leipzig kommend, (nach dem alten Kursbuch Leipzig ab 605 [Uhr] oder E 740 [Uhr], Wittgensdorf an 825 [Uhr] oder E 859 [Uhr],) Oberfrohna an 925 [Uhr]) [sic] gegen halb 1/2 10 Uhr Oberfrohna ein – wenn der Zug keine Verspätung hat!! Fein brav Geduld haben! Hörst?!! Und wenn Du mir das lange, lange Wartestündchen in Wittgensdorf verkürzen wolltest, dann müßtest wohl schon 656 Uhr abfahren. Guck doch mal an den Busplan nach Burgstädt, vielleicht klappt das besser! In Burgstädt wäre meine Zug schon 814  bzw. E 850 Uhr. Müßte mein Herzlieb auf dem Bahnsteig sein und schauen, ob da nicht einer winkt, schnell mit einsteigen. Du!!! Du!!!!! Aber die richtige Begrüßung ist erst zu Haus. Mag mein Herzlieb auch nicht eher im Kleidel sehen als zu Hause! Du!!!!! In welchem? In einem ganz warmen, damit Du nicht frierst. Was für eins ich mir dann für den Nachmittag wünsche, das sage ich Dir doch dann selber, Du!!!!! Aber diese Fahrplanzeiten mußt mal auf dem Bahnhof nachprüfen, hörst? (Plannummern 147 u. 141)

Du!! Du!!! Jetzt krieg ich doch richtig schon das Reisefieber! Jetzt merk ich ja erst, daß ich räumlich ja so weit von Dir entfernt bin! Ist ja nun auch beinah allerhöchste Zeit, daß ich Dir das alles schreibe! Ist doch schon Donnerstag morgen, Du!!! Sonntag darfst mir doch das letzte Mal schreiben, Du!!! Wie erfährst Du denn nun rechtzeitig, wann ich hier abfahren darf? Muß ich Dir telegrafieren, Du!! Du!!!!! Fein? Du!! Du!!! Kommt doch Dein Hubo auch gar nicht zu zeitig, Du!!!!!!!!!!! Geliebte! Gebe Gott, daß uns alles nach Wunsch geht! Daß unser inniger Wunsch erfüllt wird! Ist doch ein guter Wunsch, ein Herzenswunsch! Du!!

Ach Herzlieb! Nun wollen die Gedanken schon hüpfen und gar nicht mehr fein artig in der Reihe laufen. Will mir gleich mal Deine lieben Boten vornehmen und an ihren Gedanken entlangsehen, ob ich vielleicht wo anhaken (unterhaken) kann oder meinen Faden wiederfinde. – Die Päckchen sind angekommen. Das muß ich eben noch mal an die Liebesäpfel denken. Weißt, die beiden großen, deren Maß Du gar nicht verraten willst, das waren Apfelsinenmamas: jede hatte ein kleines Apfelsinenkind, ein ungeborenes. – Ach, Du!! Du und Deine Wärmflasche – das ist eine Geschichte für sich – eine zum eifersüchtig werden! ja!! Du!!! Bald, bald hat sie ausgespielt – für immer! Angeber hab ich Dich genannt? Weißt auch warum? Weil Du mir schreibst, daß Du überhaupt keine Wärmflasche mehr brauchst – daß ich mir schon überflüssig vorkam – und dann, dann? Na, eben Angeber! Aber doch nicht für immer! Und für Sonntags doch überhaupt nicht! Du!!! –

„Ich werde Herrn T. wohl wieder sehen." Das steht dort so verloren, als ob Du Dich ein klein bissel fürchtetest und Dich zu mir flüchten wolltest. [H]erzlieb! Vor dem brauchst Dich nicht zu fürchten! Ach Herzlieb! Der ist so ganz anders als Dein Hubo – ich glaube, den könntest Du nicht liebgewinnen! – Zensuren will mein Herzlieb haben? Wären also die Fortschritte und Erfolge des vergangenen Jahres zu prüfen:

1) Geheiratet: 1, 2) Lieb und treu Briefe geschrieben: 1 3) Das Mannerli im Kriege besucht: 1^x, 4) Ganz fleißig in den Blaubeeren: 1 5) Ganz fleißig im Hafer: 1, 6) Küssen: Noch mit 1000 Küssen im Rückstand!! Oh, oh, [Laube], nun halt Dich dazu, daß Du das bis Ostern noch aufholst! – Siehst Du, Herzlieb! 5 x 1 sind es schon. Und ein paar Zensuren müssen erst noch ermittelt werden in einer strengen Prüfung, [so]ll, glaube ich, 14 Tage dauern. Aber eine Zensur habe ich doch noch vergessen: 7) Gedächtnis: 1.

Du!! Du!!! Herzlieb! Ich weiß, wie Du Deinem [Roland] an den Lippen hängst, und ihm so vieles von den Augen abliest – und wie Du gläubig und vertrauend und lieb verstehend ihm folgst auf allen Wegen seiner Gedanken, wie Du ihm auch auf schwere Wege folgst, ihn begleitest, – wie Du diese Gedanken liebevoll und dankbar aufnimmst und in Deinem Herzen bewegst und bewahrst – Geliebte! Ich weiß es! Ich bin soo glücklich darüber, daß ich Dich so beschenken und erfüllen kann. Könnte ich es nicht, ich würde Dich nicht so lieb haben können! Du!!! Und Du weißt es: daß ich Dir die liebsten und besten und heimlichsten Gedanken bringe, nur Dir sie anvertrauen mag, Geliebte! Bist doch mein liebster Schüler, mein Meisterschüler, einen, den ich gar nicht mehr fortlasse aus der Schule, der den Hubo doch erst auf alle Gedanken bringt; der Sonnenschein, der sie alle hervorlockt aus ihrer Scheu und Verborgenheit, aus ihrer Einsamkeit! Du!! Du!!! Geliebte! Wovon ich gestern schrieb, das hat noch eine Weile in mir nachgeschwungen. Bist doch ein ganz tapferer, tüchtiger, wackerer Bub gewesen – ein ganz seltener, strebsamer, lieber, treuer – als Du auszogst, Deinen [Roland] zu gewinnen. Du!! Du!!!!! Mein lieber, lieber Bub!!!! Soviel gutes, tüchtiges Streben in Dir, soviel gutes, gläubiges Hoffen und Verlangen!!!!! Herzlieb!! Ich ermesse es jetzt erst recht und ich muß Dich so dankbar liebhaben, darum!!!!! Und ganz allein standest [Du] mit Deinem Wunsch, ganz außer der Reihe – und ganz allein kämpftest Du um die hohe Aufgabe! Beinahe ohne Vorbild! Aber ringsum die Versuchung und das Locken billiger Früchte. Standest doch ganz allein mit dem Verlangen, dieses Leben zu steigern – stelltest doch beinahe ganz allein Dir noch Aufgaben und schautest höhere Ziele!! Du Herzlieb! Weil die liebe Mutsch Dich so gut behütete – weil sie Dir so lange das Kindsein, das ungebrochene Wachstum erhielt und Dich vor der ermattenden Frühreife bewahrte!! Du!! Du!!! Ich beobachte das nun schon so viele Jahre, wie mit dem Augenblick, da die Kinder, die Mädchen zumal, ihre kritische Zeit viel zu früh erleben (aus den verschiedensten Gründen), ein Bruch, ein Knick geht durch ihr Leben. Wie sie von da an ermatten, nachlassen im Streben zu lernen und sich führen zu lassen zu den Reichtümern der Bildung. Ich sage immer: Diese Kinder wachsen geistig aus. Sie werden nicht so lang und gerade und rank wie mein Herzlieb, innen und außen. Du!! Du!!! Ich habe Dich so lieb darum!!! Meine liebe, liebste [Hilde], Du!!!!! Herzlieb!!!!!

Du! Dein Hubo kann schon gar sehr und eigensinnig lieben! Und er ging doch an diese Liebe mit dem ganzen Ernst seines Wesens, mit der Zartheit seines Empfindens und mit dem gläubig gehüteten Inbild der guten, hohen, Liebe, und nicht zuletzt mit der Sehnsucht seines einsamen Herzens. Ach Du! Er wollte ganz tief und gut und innig lieben – oder lieber einsam bleiben. Herzliebes! Von dieser Liebe erwartete er so viel, so viel!! Ein neues Leben! Einen neuen Anfang, eine Wende! Und von dieser Liebe wollte er sich doch bis in die Tiefe seines Herzens anrühren und bewegen lassen – und sie sollte ihn [sic] ins Herz brennen. Dein [Roland] sehnte sich doch so sehr danach, sich treu zu bewähren – und sehnte sich nach seiner Heimat, einem Menschenkinde, das sein Bild ins Herz schließen möchte. Geliebte! Herzallerliebste!!!!! Du bist mir Erfüllung geworden all dieser Wünsche und Sehnsucht!! Du siehst es und fühlst es und bist selbst Zeuge und hast Zeugen, wenn es deren bedürfte: daß Deine und unsre Liebe mich gewandelt hat, daß sie mich bewegt und berührt bis auf den Grund meines Herzens – daß sie mir tief ins Herz gebrannt ist, unauslöschlich – und daß ich in Deinem Herzen wohne wie Du, Geliebte!, in dem meinen! Ich bin so sehr glücklich mit Dir! Geliebte!! Ich hänge an Dir! Ich kann Dich nimmermehr lassen. Und unsre Liebe – sie ist mir das Köstlichste auf dieser Erde – sie ist mir ein ,Heiligtum´– eine hohe Aufgabe zugleich – an die ich alle Kraft und Liebe meines Herzens wenden will. Gott helfe uns bei diesem Beginnen! Er segne unseren Bund! Er behüte Dich auf allen Wegen und schenke uns ein frohes Wiedersehen.

Meine liebe, liebe [Hilde]! Ich bin Dein [Roland]! Dein!!! Du!!!!! Ich möchte Dich so ganz erfüllen, wie Du mir Erfüllung bist! Herzlieb! Harre treulich mein! Bald komme ich zu Dir!! Bald hältst Du Deinen Liebsten in den Armen! Er mag nur von Dir sich in die Arme schließen und küssen lassen! Du! Er wohnt ganz in dem lieben Herzlein! Er geht gar nicht wieder raus. Er richtet sich immer häuslicher ein! Und füllt es immer mehr aus, Dein liebes, großes, treues Herz!! Geliebte!!!

Du! Du!!! Ich liebe Dich!! Dein [Roland] liebt Dich so sehr!!! Dein bin ich!! Dein Hubo! Dein Dickerle! Du! Ich habe schon wieder vergessen; warum Du mich Dickerle nennst! Mir ist aber noch dunkel in Erinnerung, daß der Name einen mehrfachen Sinn hatte! Na, [Du] hast ja die 1 in dem Fach, wirst mir schon helfen können. Herzlieb! Gut Nacht! Du!! Ich küsse Dich! Ganz sehr!! Liebste! Du!! Herzlieb! Dein süßer Mund! Das liebe Herzel! Von ihnen will ich träumen! Und Du?!! Herzlieb!!!!!!!!!!!

 

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.410205-001-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946