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[OBF-410204-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 4. Februar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Meine [Hilde]! Du!!!

Du! Du!! Die Tage vergehen schnell! Und seit ich in der Schreibstube sindbin, weiß ich auch genau, wie wir in der Zeit leben.  Reiß doch jeden Morgen 2 Kalender ab und kriege das Datum täglich ein paar mal in die Finger. Bald werden wir auch an Deinem Kalender wieder ein Blatt abreißen müssen! Du!!! Liebes!!! Es welkt nun schon, das ungepflückte Röslein, und leis schon bereitet sich das neue. Du!! Du!!! Ich freu mich auch ganz sehr auf die stille Zeit und die Zeit des Bereitens neben Dir, wo ich hilfreich und liebreich um Dich sein kann!! Du liebes, vertrautes, und doch wundersames Wesen, Du!!! 5 Tage ist mein Lieb dann fern, gehorcht einem fremden Gesetz. Und die Tage zuvor, das sind die Tage des Abschiednehmens und die Tage nachher, das sind die des Wiedersehens, an denen mein Herzlieb so voll Sehnen und Verlangen ist. Und der Hubo, der wird wohl bald den Rhythmus mitbekommen, Du!!! Er wird mit Dir Abschied und Wiedersehen feiern, Du! Du!!!!! Ist ja der böse Krieg schuld, daß Dein Dickerle die Röslein nicht alle pflücken kann! Du!! Dann – dann!! läßt er keines welken, Du?!!!!! Ist doch nun Dein wilder Knab‘, Dein Bub, Dein Gärtner! Muß doch das Gärtlein ganz verwildern jetzt. Du! Herzlieb! Es geht so vielen so! Und Du bleibst mir treu! so treu!!! Du! Sind nicht alle so. Wortbruch – Treubruch – Ehebruch. Du! Und wenn es tatsächlich gelingt, den Mann zu hintergehen, ohne daß er es merkt, – es bleibt dabei. Und wenn der Mann gar nachsieht dem Weib, was geschehen ist – weil er vielleicht auch selbst die Treue brach – dann ist es eben nicht Liebe, die beide verband. Manche nennen diese „Entgleisung“ wohl auch „eine schwache Stunde“ – wir nennen es Treubruch, Verrat. Das sind zwei Auffassungen, so verschieden, wie die Menschen, die sie vertreten. Und die vom Treubruch, das ist die alte, echte, tiefe, von der schon das Volkslied singt: „das Ringlein sprang entzwei“.

Daran wollen wir beide denken, daß wir unsre beiden Festtage in die Ringlein gravieren lassen. Unsre beiden Festtage, Du!! Dar Du Liebes, Herzliebes mir anvertraut, angetraut wurdest. Du! Du!!! Kinder sind mir schon viele anvertraut worden – in der Schule, daß ich sie erzog und etwas beibrachte. Ich schrieb Dir schon einmal, daß ich mir gern etwas anvertrauen lasse, daß ich gern Verantwortung trage. Aber nun ist mir etwas so Liebes und Kostbares anvertraut worden – für immer – für ganz – ach Geliebte!! Wieviel Glück ist das! Wieviel Freude und Liebe und heiligen, guten Willen weckt das!! Herzlieb!!! Das weckt erst recht die Gefühle des Mannes – das ist, als ginge man durch eine Pforte, – ach, der Tag der Hochzeit ist ja so voll Zeichen – und der Gang durch die Tür des Gotteshauses, der Schritt über die Schwelle zum ersten, feierlichen Gelübde, es ist keine aufgebauschte Feierlichkeit, es ist der Ausdruck all der Gefühle, der hohen, die uns an diesem Tage beseelen. Und die Eltern gehören dazu – Deine liebe Mutter – wenn ich an sie denke, dann fühle ich die Verantwortung erst recht ernst – und meine liebe Mutter – dann spüre ich die Segenswünsche alle, Du!!!, die sie für mich und uns wie früher mich selbst unter dem Herzen trägt. Weißt, unter den Augen all der Eltern und Großeltern und Verwandten, so erwartungsvoll am Anfang eines Lebensabschnittes, kam ich m[ir] doch noch einmal vor wie ein Kind, ein wenig unsicher – und Du auch, so zart und fern in Weiß gehüllt – wie ein Kind, ein ganz liebes. Du!! Herzlieb!! Seitdem sind wir noch so viel fester zusammengewachsen! Wie wird es erst sein, wenn wir dann immer umeinander sind, wenn eines das andere erst recht kennen lernt über dem gemeinsamen Schaffen – wir haben doch erst nur tage– und wochenweise miteinander gelebt, immer nur zu Besuch. Und wir möchten nun doch so gern ganz umeinander sein im eigenen Heim, möchten doch so gern alle Liebe bewähren und betätigen! Gebe Gott! daß uns dieses Glück recht bald beschieden sein möchte!

Ach Du! Ich sehe Dich schon so lieb, lieb walten und schalten – und Deinen Hubo wird es anspornen, in seinem Beruf ebenso fleißig und tüchtig und glücklich zu schaffen, daß er mit frohen, blanken Augen in die Deinen schauen kann bei der Heimkehr, und daß ganz viel Zeit bleibt, mit Dir zu lieben, und Dir zu leben. –

Lehrer Th., den Du erwähnst, der ist mir in Erinnerung vor allem deshalb, weil er mich enttäuschte. Wenn man ihn sieht, groß, blond, einen beinahe klassischen Kopf – da sieht man in ihn hinein eine ganz andere Seele, einen ganz anderen Charakter. Er ist ein Eigenbrödler, unselbständig aber sonst, ohne eigne Meinung, ein Leisetreter und Anpäßling. Man sucht in ihm Weite und Freiheit – er ist aber eng und unfrei. Dieser Enttäuschung wegen hat er sich mir eingeprägt. Ich kenne die Frau. Sie holte ihn mal ab in Rußdorf. Das Schuljahr war gerade zu Ende – und Lehrer Th. konnte sich vor Blumen und Geschenken nicht retten, er hatte eine kleine Klasse abgegeben.

Weißt, ich habe die Schule so ganz vergessen. Die Schmilkaer Schulkinder haben mir noch nicht geschrieben. Ich schreibe ihnen auch nicht. Und nun [d]enkst Du meine Gedanken rückwärts. Die Berufskameraden in Oberfrohna, wie sie mir so mit ihrem Wesen nach dem flüchtigen Berühren während meiner Wirksamkeit dort in Erinnerung blieben. Der den Lehrer verkörperte, der auch lebte, was er lehrte: da gab es nur einen: Herrn B.. Und so muß es ja doch sein. Denn nur eine ganze, unbeg ungebrochene, in sich geschlossene Persönlichkeit kann mit der ganzen Wucht eben dieser Persönlichkeit auf die Kinder nachhaltig und erziehend wirken. Lehrer und Vorbild nicht nur während der Schulstunden, sondern auch im Privatleben – und zu diesem Privatleben tritt auf dem Dorfe und in der Kleinstadt auch die Frau Lehrer, die ohne allejedes Worte das Vorbild des Mannes stützt und unterstreicht, oder es entwertet. Herzlieb! Wir beide brauchen uns darum gar nicht besonders zu mühen und zu verkrampfen, wir können dieses Vorbild geben. Fast alle anderen älteren Lehrer zeigten daraufhin angesehen einen Bruch, so daß sie niemals restlos überzeugen konnten. Auch unter den Lehrerkameraden zeigt sich oft erschreckende Enge und Unfreiheit und Verbogenheit [sic] des Herzens. Ich glaube, ich habe gerade dafür ein empfindliches Gefühl. Die liebe, freie Weite des Herzens und Sinnes, sie ist doch ein rechtes Gottesgeschenk. Erst, wer zum Himmel aufschaut, dem hohen, weiten, erhabenen, der ermißt dann die Winzigkeit und Enge unsrer Erde. Wem die Wunder und Rätsel dieses Himmels und dieses Lebens aufgingen, ich glaube, der kann sich ni[cht] mehr ganz in der Enge menschlicher Verhältnisse verlieren und verstricken. Wessen Herz sich verlangend allem Hohen und Schönen und Edlen zuwandte, dem werden Hass und Neid und Hader so nichtig und eng. Wen sie einmal berührte, diese Werke und Freiheit und Fülle der Gotteswelt, den erfüllt sie allzeit mit Sehnen und Verlangen danach. Aber die rechte innere Freiheit gibt uns doch erst die Gottesbotschaft – sie ist ja die Weite und Größe und Erhabenheit des Himmels – sie führt uns dazu, uns zu erkennen, zu bekennen – und ehrlich zu uns selbst zu sein. Diese Ehrlichkeit und Selbsterkenntnis schafft die innere Weite und Freiheit. Du! Herzlieb!! Ich bin so froh und glücklich, daß ich zu Dir als einzigem Menschen ganz ehrlich sein kann – ich wollte es ja schon immer auch vor mir selbst sein, aber nun ist es viel leichter – diese Ehrlichkeit und das restlose Vertrauen zueinander sind doch das Element unsrer Liebe, die wir nie preisgeben mögen – und so werden wir immer wieder um diese Ehrlichkeit ringen und damit uns selbst befreien und läutern. Aber das Erkennen und Bekennen allein genügt nicht und ist fruchtlos, wenn es nicht immer wieder ausgerichtet wird an der Gottesbotschaft und wenn es in uns nicht den Willen weckt, zu streben und strecken. Herzlieb! Vielleicht liegt hier der tiefe Sinn unsrer Lebensgemeinschaft. Geliebte! Wie ich Dich liebe deshalb, daß ich zu Dir kommen kann mit allem, was mich bewegt! Wie ich Dich liebe deshalb, weil Du das getreue Bild meines Wesens hältst und bewahrst, verstehend und liebend, mein Spiegel bist Du!! – und ich möchte der Deine sein – und bin es ja wohl schon – Deines Herzens einziger und nächster Vertrauter. Geliebte! Ich glaube fast, daß wir einander Spiegel sind, das ist das festeste dauerhafteste Band, das uns für alle Zeit umschlingt bis ins Alter – „daß wir einander [br]auchen“ Daß wir einander Spiegel werden konnten, dazu brauchte es Zeit – Dein Hubo ist älter und hat schon mehr erlebt und sein Bild ist schon verworrener, weist mehr Züge auf, und die mußte er Dir doch alle erst deuten und erklären – und mehr, Du mußtest sie an ihm verstehen lernen – Zug um Zug – er konnte sich nicht damit begnügen, daß Du ihn überhaupt liebtest – er wollte, daß Du sein ganzes Bild liebend umschlossest – Stück um Stück ist er in Dein Herz eingezogen – und nun wohnt er darin wie das Kindlein in der Mutter Schoß, so warm und liebend umhüllt und mit dem Herzblut genährt. – Sieh, Herzlieb – jetzt habe ich von dem wunderbaren Spiel und Widerspiel der Liebe ein ganz einseitiges Licht gegeben: Dein [Roland] gewann Dich immer lieber, je mehr Du ihn verstandest und aufnahmst. Er sehnte sich doch so sehr nach diesem Herzen, in dem er wohnen könnte! Und er bangte doch leis darum, daß er gar keines finden würde, das ihn aufnimmt, es mußte doch ein ganz liebes und seltenes und weites sein! Und wir haben schon recht gebetet damals um Kraft und Geduld.

Nun wohne ich in Deinem Herzen! Und auch das letzte Beinchen, das noch draußen hing, ich habe es nachgezogen. Und langwierig und schmerzhaft und doch zumeist glückhaft war dieser Einzug, beinahe wie die Geburt eines Kindleins. Du! Herzlieb! Nun bist Du mein Weib! Ich habe Dich nun erfüllt und Du bist mir Erfüllung! Und bist eigentlich auch schon eine Mutter: trägst ein fremdes Bild in Dir, in Deinem Herzen – kein fremdes Bild eigentlich – sondern das von Deinem Hubo. Du! Spürst Du mit mir das Wundersame dieses Geschehens? Und es mag wohl der Liebe höchstes Gefühl sein beim Weibe: erfüllt zu sein, Erfüllung zu sein, Gefäß der Liebe, Heimat des geliebten Mannes zu sein – so wie es mir das Höchste zu sein scheint, eine solche Heimat zu wissen und zu besitzen, ein Lieb zu wissen, das mir Erfüllung sein kann.

Herzlieb! Du!! Du bist mir Erfüllung. Und täglich darf und kann ich Dir schreiben und bekennen, darf ich Dich erfüllen. Du! Mein liebes, schönes, junges Weib! Das solch schwere Aufgabe sich stellte, mir Erfüllung zu sein, das mit seiner ganzen Kraft und Inbrunst und Treue seiner Liebe diese Aufgabe meisterte – mein Herz schlägt Dir in dankbarer Liebe und Verehrung! Und es wendet sich demütig und dankbar zu Gott, der Dich mir zuführte. Er behüte Dich auf allen Wegen! Er bleibe mit seinem Segen bei uns!

Ach Herzlieb! Heut abend scheint mir das Auge offen für Deine große Liebe und Treue, die allein Dich aushalten ließ, mich zu gewinnen. Herzlieb! Du!! Du!!! Laß Dir danken! Laß Dir danken von Deinem [Roland]: Er gehört Dir!! Er gehört Dir ganz für alle Zeit!!! Er ruht in Deinem Herzen! Er bleibt bei Dir immer! Bist mein Herzlieb und [Hilde]lieb! Bist mein Weib und Mutter! Du, Geliebte! Bald wollen wir die Pfande unsrer Liebe tauschen: Erfüllen will ich Dich! Geliebte!!! Und Du wirst mir Erfüllung sein!!!

Du!! Du!!! Ich liebe Dich! Ich bleib Dir treu Dein [Roland], immer und allzeit ganz Dein!! Du!! Dein!!!`

Und Du bist mein Herzlieb!!!!!!!!!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946