Bitte warten...

[OBF-410201-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 1. Februar 1941.

Herzallerliebster!! Mein [Roland]!! Du mein lieber, liebster [Roland]!! Du!!

Meine Hände wollen noch garnicht so recht wie ich will! Sie sind noch ganz steif und ungelenk – ach überhaupt, heute ist wieder mal alles kalt und abgestorben an Deiner [Hilde]! Du!! Weil sie seit frühmorgens auf den Beinen ist bei dieser Mordskälte. Bloß das Herzel ist warm! Du!!! Aber ganz warm! Und zwei liebe Boten habens immer mehr erwärmt! Du!!! Heute früh einer vom Mittwoch – nachmittags einer vom Donnerstag – die Post schleppt wieder mal bissel hintenach [sic]. Auch schreibst Du von einem Wäschepaket, ich habs bis heute noch nicht. Ich hatte bei mir schon ausgemacht, daß ich es nicht abschicke – Du nimmst es selber mit. Du!!!

Also, heute Sonnabend war mein erster Weg wieder nach Niederfrohna! Mit dem Bus natürlich!! Herr G. läßt Dich grüßen, ihn traf ich an meiner Haltestelle bei Café Brumm, er ging zum Dienst nach Limbach. Übrigens, Frl. W. ist auch nach Chemnitz versetzt. An ihre Stelle tritt die Frau des Krankenkassenmenschen S., sie war Lehrerin; weiß nicht, ob Du die Leute kennst. Seit ich da hinunter fahre, ist mir ein Mann aufgefallen, der mich immer so seltsam beobachtete; er steigt mit mir immer ein und fährt weiter. Er richtet es immer so ein, daß er einen Platz in meiner Nähe bekommt. Und heute hörte ich, daß es Herr T. ist, der Lehrer; er muß mit Dir in Rußdorf gewesen sein. Er wohnt am Bahnhof. In Niederfrohna hält der nun Schule – so eine Verschieberei.

Weißt Du, daß seine Frau nur einen Arm hat? Und die ist in gesegneten Umständen, das tut mir richtig leid. Wie soll sie bloß das Kleine versorgen und die damit verbundene zusätzliche Arbeit verrichten? Es ist bestimmt sehr schwer für sie. Und noch dazu die Sorge um das Werdende, daß es nicht mit dem gleichen Geburtsfehler behaftet ist wie sie selbst. Ich habe mit diesen Leuten nichts zu tun, habe noch kein Wort mit ihnen gewechselt – trotzdem beschäftigt mich das so – ich traf die Frau vor kurzem und deshalb machte ich mir Gedanken. Sie soll ja auch nicht fest auf der Lunge sein.

Ach Herzlieb! Unter solchen äußeren Umständen muß bestimmt die Freude auf das kommende Kind geschmälert werden. Wir können garnicht genug dankbar sein für die Gnade, daß wir gesund und wohlgestaltet sind. Und trotzdem kann ein mißgestaltetes Kindlein kommen; nicht müde werden darf man, Gott um ein gesundes Kindlein zu bitten.

Aber ich wollte Dir doch von meinem Tageslauf erzählen. Um 10 Uhr war ich aus Niederfrohna zurück. Bin dann gleich noch zur Girokasse gesprungen. Du!! 30 [R]M haben wir schon zurückgezahlt für das Darlehen – wir – die Mutter! Sinds bloß noch 470 [R]M!!! Ja – ich freue mich trotzdem! Du! Zehn Mark hob ich ab, für unsere Schuhe, die vom Besohlen kommen und für die Hose, die ausgebessert wird. Sonst brauche ich weiter nichts Besonderes. Ich reiche für meine Kleinigkeiten mit den allmonatlichen 5 RM aus, die mir Mutsch für die Boten gibt. Ich fülle doch immer solchen Vordruck aus, der durch Giro weitergeleitet wird und da gehen die 5 [R]M vom Konto ab.

Hast Du denn Nachricht von Schandau? Ich muß immer mal daran denken! Und es wäre schade, wenn man uns täuschen müßte, weils ein Versehen war und keine Gehaltserhöhung. Na – mer wern's erlebn [sic]!

Mutsch hatte inzwischen das Essen fertig. Und nach Tische sind wir miteinander einkaufen gegangen. Auf Mutters Kleid eine neue Kragengarnitur, Kleinigkeiten in den Nähtisch, Mottenkugeln! Etwas für Deine Frau – wovon Männer nichts zu wissen brauchen!!! Schuhbürsten, und nach einer Wäscheleine für Mutter – vergeblich jedoch – fragten wir. Mutter wollte für uns Speiselöffel, große Löffel, für alltäglichen Gebrauch kaufen – aber wir hatten kein g Glück. Das hat ja auch noch Zeit, nichtwahr [sic] Du?! Jetzt haben wir doch derweile jedes unsern Löffel! Und dann? Ach – für unser verwöhntes Mäulchen – das garnicht jeden küssen will! – ist Silber gerade gut genug! Wir sträuben uns ja garnicht von ihnen zu essen. Womit wir essen ist gleich, Hauptsache ist -, daß das was wir essen richtig ist und gut. Du!! Stimmts?!

Um 4 [Uhr] war es fast, ehe wir zurückkamen. Erst waren wir in Rußdorf beim Bürstenmacher, nachher in Limbach. Nun haben wir Kaffee getrunken, der Vater hilft heute mal in M., weil morgen früh Markenausgabe ist. Die Mutter ist nun heute bei mir zu Haus und sie sagt, daß es doch daheim am schönsten sei. Ich wünschte nur, daß sie fest bliebe. Sie feuert eben tüchtig ein und macht Badewasser heiß, nachher wollen wir noch baden.

Morgen habe ich Dienst in der Pfarre (wo jetzt der Kälte wegen Gottesdienst gehalten wird)[.] Nachfeier für den 30. Januar. Wir singen ein komisches Lied, aus einem Buche, das eigens Lieder für Deutsche Christen enthält. Ich finde es so blöd, daß ich mir nicht mal die Mühe machte, es zu merken. Es kommt mit drin vor: „erhalt uns unsre Wachsamkeit – die Zeit zum Schlafen ist vorbei – Herr, mach Deine Deutschen frei". Dazu eine ausgesprochen unsympathische Melodie – tja – der Pfarrer wünscht es! Allen gefällt es nicht und grade aus diesem Heft, wünscht der Pfarrer, daß wir etliche Sachen lernen, sie gefallen ihm zu seinen Predigten vielleicht.

Du!! Am Mittwoch warst Du so voll Freude? Herzlieb!! Auch ich war froh, ich habe um diese Stunde, da Du mir geschrieben haben wirst, eben auf dem Sofa gelegen und Dein gedacht! Du!! So voll Glück und Freude hab ich an Deine Heimkehr gedacht! Du!! Und alles war gut und friedlich – und dann kam die unruhige Nacht. Nein – bei uns war kein Alarm, wie Du annahmst! Es ist auch gut so. Bei der Kälte! Ihr Armen müßt immer mal raus. Also bis Sonntag, den 9. Februar fährt geht? Euer Spieß in Urlaub! Und dann ist baldmöglichst Hubo dran! Da kann er am Ende schon am 13. bei mir sein! Es wird sich schon noch beizeiten herausstellen, wann Du abkommen kannst! Du!!!!!

Ich darf Dir wohl nun garnicht mehr von meiner übergroßen Freude schreiben, Du!!!? Sonst überfreut sich mein Hubo!!?

Am Dienstag hast Dein Urlaubsgesuch eingereicht! Nun läuft das Verfahren über Dich!! Und ich halte sämtliche Daumen steif damit alles gut ausgeht!! Wie war es doch? 4 Wochen bekommst mindestens?!! Und das reichte noch nicht aus! Wenn es nach uns ginge. Ja – Du?!!!

Also bremsen willst Du auf keinen Fall, auch wenn Du zu unrechter Zeit zu mir kommst? Ich kann Dirs nachfühlen! Du!!! Wenn einmal die Tür zum Käfig aufgeschlossen wird – dann schwirrt der Vogel froh hinaus!! Und artig sein oder nicht – das ist zweiten Ranges! Wenn er nur erst mal aus diesem engen Käfig heraus ist! Und im Heimatkäfig wird ein gar gestrenger Wärter vor der Tür stehen!! Garnicht übermütig und wild vor Freude darf mein Vögelchen sein!! Du!! Wenigstens an den ersten Tagen nicht! Ach – Du!! Du!!! Ganz fest drücken und ganz, ganz lieb küssen und streicheln dürfen wir uns trotzdem!

Du!! Ich fürchte mich nur schon ein ganz klein bissel vor dem ersten Liebhaben. Du!!!!! Du wirst mir doch dann zu stark sein! Du!! Wenn Du die Sehnsucht so lang zurück gedrängt hast! Ach Du!! Du!!!!!!!!! Du!! Nun soll es so bald Erfüllung werden, was wir so heiß ersehnen!! Nun sollen wir sie bald einlösen dürfen, all unsre Liebe und Sehnsucht! Du!! Du!!! Ich freue mich ja so herzinnig auf Dich! Herzlieb! Die große, lichte Freudensonne überstrahlt alles – alles um mich her – Du!!!

Du!! Sollst Dir gar keine Gedanken mehr machen darum, daß Du mir eine Enttäuschung bereitet hättest. So tief wie die Freude auf Dich kann doch eine andere Freude überhaupt nicht in mein Herz sich senken! Verstehst Du das? Du!!! Und ich will Dir doch gerne helfen wo Dich die Stimme des Gewissens plagt. Aber Du! Das muß ich richtig stellen: so tief, wie Du ein Schuldgefühl gegen ,sie´ in Dir trägst, ist es in Wahrheit nicht – wirklich nicht, Du! Du trägst nur durch dein Wesen schwerer daran. Kalt und nüchtern durchdacht – im rechtmäßigen Sinne, bist Du frei von Schuld ihr gegenüber. Es ist nichts, nichts zwischen Euch gewesen, worauf sie ein Recht auf Dich hätte. Worauf sie sich von Dir betrogen fühlen könnte. Es ist nichts in ihr, als das schmerzliche Gefühl einer unerwiderten Liebe.

Blicke kannst Du hier nicht als maßgebend aufstellen. Blicke sind keine Beweise – für das wirkliche Empfinden, das ein Mensch in sich hegt und trägt. Du kannst Dich ja so täuschen im Antlitz eines Menschen. Wie kann sie, wenn Du ihr schon mal einen Blick vergönnt hast, innerlich einen Anspruch auf Dich erheben? Wie kann sie sich so in eine Zuneigung verbeißen? Weil die Liebe stärker ist als die Vernunft. Niemand weiß das doch besser, als ich selbst. Ich weiß, Du schließt von Dir selbst auf and[e]re. Du urteilst, wie Du hierin empfinden würdest. Das ist im Grunde recht und gut. Gewiß. Doch Du bist zu streng mit Dir.

Ich kenne sie vielleicht doch besser, als Du. Glaube mir, wenn ich Dir sage: Du sollst an keinem Unrecht tragen, was in Wirklichkeit garnicht besteht. Aber weil ich mich in Dein Wesen, in Deine Empfindung hierin hineinversetzen kann, darum füge ich mich Deinem Wunsche.

Ich weiß, sie hat schon vor Dir vergebens geliebt – je älter man wird, je einsamer man sich fühlt, umso heißer und fester klammert man sich dann an einen Menschen, der der Einzige, Liebste zu sein scheint, an den man glaubt – an den man alle Gedanken und Hoffnungen und Sehnsüchte hängt. Und in seinem Verlangen und Hoffen und Sehnen sieht man mehr, als was in Wirklichkeit geschieht – man verliert sich im Wunschträumen, weil man nur seine eigenen Gedanken nährt – man weiß ja nichts vom anderen, von dem, den man ersehnt. Du wirst das an Dir selbst erfahren haben. So wie Du ist sie nicht, das fühle ich. Du!! So tief und dunkel und schwer trägt sie daran nicht. Ich will garnicht sagen, daß sie einen flachen Charakter habe, kein tiefes Wesen. Ich achte, ich schätze sie sehr. Sie ist ein wertvoller Mensch. Aber so wie Du ist sie hier nicht – nein, das fühle ich.

Und wenn sie es wäre, so hätte sie das mit Herrn L. nicht so schnell verwinden können.

* Meines Erachtens ist die erste Liebe nicht leicht zu verwinden, wenn überhaupt zu vergessen.

Sofern man nicht reiche Erfüllung in einer anderen Liebe findet. Und das ist es, daß Du und auch ich ihr wünscht [sic]: sie möchte einen andern liebgewinnen. Dann wirst Du erst frei Dich fühlen von Schuld – ich weiß es ja – Du! Ich kann Dich verstehen – und Du wirst trotz meiner Worte, die ich Dir nun darüber schrieb nicht ganz froh und frei Dich fühlen, wenn Du an sie denkst, habe ich recht? Du!!

Versuche doch einmal, ganz gerecht Dich mit Dir darin auseinanderzusetzen, ohne dabei Dein eignes Gefühl überwiegend heranzulassen; denke sachlich einmal darüber nach. Aber dazu hat mein [Roland] zu viel Herz. Und ich will Dich ja auch nicht anders haben! Du! Ich verstehe Dich! Weil ich Dich liebe! Du!

Ich möchte Dich nur von diesem Druck erlösen.

* Ob das ihre erste Liebe war, weiß ich nicht.[*]

Vom Urlaubsprogramm magst auch Du wenig hören – wir brauchen kein Programm – wir brauchen bloß einander! Du!! Du!!! Du!!!!!

Aber nach Kamenz müssen wir uns ein paar Tage fest vornehmen! Ich freue mich auf Deine lieben Eltern! Ach – ich freue, freue mich! Wenn nur alles nach meinem Wunsche ginge, Du!!

Sonstige Besuche? Ich möchte am liebsten keine! Du!! Und Du hast mir ja so aus der Seele gesprochen: wer es ganz lieb mit uns meint, läßt uns allein! Du!! Du!!! Herzlieb! Mein Dickerle!!

Wann wir aufstehn? Um 8 [Uhr]! Und wenn es grade mal ganz schön im Bettel ist – dann ½ 9 [Uhr]! Später nicht, Du!!! Wenn wir auch Mittagsruhe halten wollen, da kommen wir doch aus den Federn garnicht heraus!! Ich will doch auch spazieren gehen mit meinem Hubo; wenn es schön ist, bissel länger! Aber darüber will ich auch jetzt noch kein Programm aufstellen – ich will erst mal sehn, wie lieb ich Dich habe! Du!!!!! Wenn ich Dich sooooo lieb hab wie jetzt immer und wie überhaupt immer, dann – dann – Du!! Oh – dann brauche ich weiter keine Beschäftigung als Dich!! Du!!! Du!!!!!! Ach – Du!! Du!! Ich bin doch soo froh, daß ich soviel mit Dir allein sein kann – dann ist uns doch richtig, als wärst nur heim zu Deiner Frau gekommen, nur heim zu mir!! Du!! Du!!!!!! Und überhaupt, was sage ich denn über die Zeit des Aufstehens! Meinen Hubo treibt ja der Hunger raus!! Und was Du da sagst! Du!! So verwöhnen darfst mich später mal, immer sonntags wenn wir in unserem Heim wohnen! Oder, wenn ich mal krank bin! Aber meinen Urlauber lasse ich nicht zuerst raus und Feuer machen! Nein, nein!! Entweder gehe ich zuerst – oder gehen wir zusammen. Und was andres gibts' einfach nicht!

Du hast doch gehorchen gelernt beim Militär! Du!! Einen Tag will ich schon Deine Prinzessin sein. Ja. Aber bloß einen Tag. Ich will Dich verwöhnen! Nicht mich sollst verwöhnen!

Ach Du!! Du!! Ich bin ja sooooo voll Glück und Freude auf Dich! Geliebter!! Du!! Du!! Mit der großen Freude möchte ich nun selig einschlafen, Herzlieb! Du!! Ich hab Dich ja so unendlich lieb! Dich!! Meinen Sonnenstrahl! Du bist mein ganzes Glück! Meine ganze Freude! Ich kann ja nur Dein sein, nur Dein! Dein!!!!! Ich hab Dich so sehr lieb mein [Roland]!

Ich sehne mich ganz unsagbar nach Dir! Du!! Ich freue mich auf Dein Kommen! Sooooo sehr!! Gott sei uns gnädig! Er schütze Dich auf allen Deinen Wegen! Mein liebes Herz! Du!

Ich küsse Dich! Ich bin Dein!! Dein!!!!! In Liebe und Treue

ganz Deine [Hilde].

Und Du bist mein! Mein Herzlieb!!! Mutsch ist sprachlos, daß ich soo viele Seiten schreib – sie kann's garnicht fassen!! Ja – die Sonnabende! Die habens mir angetan! Herzliche Grüße von ihr.

 

[* = Dieser Satz steht am unteren Blattende und ist der Einschub zum Sternchen im Text.]

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946