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[OBF-410201-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 1. Febr. 1941

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste! Meine liebe [Hilde], Du!!

Herzlieb, Du!! Heute muß ich mir von der lieben Mutsch sagen lassen und muß in ihrem Briefe nachlesen: daß Du mich erwartest, daß Du alles schon bereitest und daß Du Dich sehnst nach mir! Du!!!!! Du! Wie groß muß sie sein, Deine Sehnsucht, wenn die liebe Mutsch es schon merkt!!! Du! Ich glaube, sie ahnt, wie lieb wir uns haben – und in ihrem Herzen ist darum große Freude – sie darf es schon ahnen – sie ist doch unsre liebe Mutsch!

Und verraten hat sie etwas – Du! – Du!! – Angeber! – „Sie liegt auf dem Sofa unter der warmen Decke, und auch die Wärmflasche fehlt nicht, sie schläft." Du! Du!! Decke – und Wärmflasche – armes, liebes Herzlieb! Wie magst Dich denn erwärmen im kalten Bettlein, im kalten Stübchen!! Du! Da muß ich ja bald kommen!!!!! Und was schreibst mir? Du! Angeber! Du! Bub!! liebes!! Ja, nun habe ich in allem Eifer, meinen Trumpf auszuspielen, ganz den Faden verloren: Muß heute bei der lieben Mutsch nachsehen, schrieb ich – der Brief ist vom 30.1.41 abends 19 Uhr. Der Deine vom Donnerstag steht noch aus – und auf ihn warte ich gerade – solltest mir doch raten helfen, Du!! Das will diese Woche gar nicht klappen mit dem regelmäßigen hin und wieder, mit dem lieben Atem und Herzschlag zwischen Dir und mir! Ist schon die Freude und Aufregung um unser Wiedersehen vielleicht, Du! Du!! Es läßt mich auch keinen langen, zusammmenhängenden Gedanken mehr fassen. Ich zähle die Tage – ach Herzlieb! seit ich Dich kenne, zähle ich die Tage, die ich fern sein muß von Dir. Ich zählte sie auch schon, ehe wir uns so lieb hatten – von einem Wiedersehen zum andern, da häuften sich die Hoffnungen, die Erwartungen, und die lieben Boten dazwischen nährten die Flammen immer aufs neue – ach Herzlieb. Wie oft habe ich gewünscht, es möchte eine Woche weiter sein! Soviel Geduld, soviel Geduld, Du!!!, hat unsre Liebe schon abgefordert. Du!! Wir haben sie gelernt – und geübt – ach, und haben noch keine Meisterschaft darin erlangt! Du!! Hast Du Dir früher auch schon gewünscht, wir möchten uns des öfteren sehen? Was frage ich denn!!! Herzlieb! Wie wird es sein, wenn unsre Liebe nicht mehr diese Ferne überwinden muß? Wird sie größer oder kleiner sein? Ach! Du! Sie wird immer ganz groß und heiß sein!!!

Wann wird es sein? So fragt es immer wieder einmal ungeduldig und wißbegierig in uns. Du! Der Krieg soll nach des Führers Rede ein Ende nehmen in diesem Jahre. Ach! Gott gebe, daß es so geschehe! Kriegsende bedeutet dann noch nicht Heimkehr. Alle Besatzungssoldaten werden noch länger ausharren müssen. Und die Marine wird zu den Teilen gehören, die zuletzt demobilisierten [sic]. Aber Du! Darüber zu simpeln hat keinen Sinn. Ach, wenn nur erst Frieden ist! Dann kann jeder Tag die Freudenbotschaft bringen – ach Herzlieb, und dann sind mancherlei Möglichkeiten – und Gott hat so viele Wege – daß unser sehnlicher Wunsch sich bald erfüllt! Du erlebst es selbst in Deiner Umgebung: es kommt kaum einer darum herum – und es war schon eine große Gnade, daß ich über ein ganzes Kriegsjahr noch in Deiner Nähe leben durfte, daß wir die Ringlein tauschen und vor unserem Herrgott die Hände für diese Zeit und Welt ineinanderlegen durften! Wir dürfen so dankbar sein! Du!! Du!!! Gott im Himmel wird uns auch fernerhin beistehen – er wird Rat finden, unser Sehnen zu stillen, er wird auch Kraft schenken, in Geduld und rechtem Vertrauen zu tragen, was er uns schickt. Herzlieb! Er hat unser beider Weg so sichtbar gesegnet! Nur Geduld ist es, die uns mangelt. Geliebte! Wir werden einander mit unsrer Liebe darüber hinweghelfen.

Also: morgen ein Sonntag – und dann noch einer – und dann? Du!! Du!!! morgen fährt der Hauptfeldwebel auf Urlaub. Denk nur! Am Montag scheidet der Chef von uns, Kapitänleutnant H. Er muß als Kompaniechef nach Kiel. Er geht nicht gern. Und ich sehe ihn nicht gern gehen. Viele haben ihn nicht verstanden. Es sind so wenig Menschen, die das verstehen können, was man Abstand nennt. Abstand ist eine ganz bestimmte Haltung, ein bestimmtes Verhalten zum Mitmenschen. Diese Haltung kann eine ganz natürliche Veranlagung sein und ist als solche vorwiegend dem nordischen Menschen [ei]gen, sie gehört bei ihm zu Taktgefühl. Sie drückt sich darin aus, daß er Fremden kühl und vielleicht sogar mißtrauisch gegenübertritt, daß er einen Bezirk hat, den er ja nicht jedem öffnet, daß er sein Eigenleben, in das er ja nicht jedem Einblick nehmen läßt; selbst aber begehrt er auch nicht, in andere zu dringen – es gehört zum Anstand, dem Mitmenschen ebenso sachlich und kühl zu begegnen, gilt als unanständig, unerzogen, anständig anstößig [sic], sich vertraulich anzubiedern.

Es liegt in dieser Haltung verborgen, eine Achtung vor dem Mitmenschen. Diese Achtung gebietet, die Person und ihr Eigenleben und ihren Bezirk zu achten, nicht zu betreten.

Es begegnen einem vielmehr Menschen, die gleich argwöhnisch werden, wenn man ihnen die eigene Lebensgeschichte nicht gleich mit allen Kleinigkeiten anvertraut. Zwischen uns beiden, Herzlieb? Da ist der Abstand nur noch ganz klein – aber er ist da – ist da in der Achtung der Eigenart und des eigenen Bezirks des anderen. Und zu den Mitmenschen, wahren wir ihn da? Ja! ja!! Herzlieb! Wir tuen recht darin. So; wie wir unseren Bezirk behaupten – o Du!! ganz streng und eigensinnig! – So achten wir den des anderen, wir mögen gar nicht in den Bezirk des anderen dringen.

Abstand kann auch eine ganz bewußt eingenommene Haltung sein. Abstand wahren muß jeder, der als Führer einer Anzahl Menschen vorsteht. Nur so kann man sich freie Hand halten und damit Gerechtigkeit üben; nur so kann man unbestechlich über Menschen wachen und sie gerecht nach ihren Leistungen allein beurteilen. Und wenn dann zu diesem Abstandhalten noch ein beispielhaftes Vorleben tritt, dann hat dieser Führer unbedingte Autorität. Es ist so eigenartig, daß eine Anzahl Menschen so schwer eine wahre Autorität über sich anerkennt, daß sie versucht, an ihr zu mäkeln, sie zu entthronen, demn Führenden mit sich gemein zu machen. Ich glaube, das Vorbild, das ihr Gewissen schlagen macht, ist ihnen unangen[ehm] und unbequem. Der Chef wachte scharf darüber, daß Schnaps in Maßen getrunken wurde – es hatte seinen Grund. Das machte ihn am meisten unpopulär. Und ein paar waren schnell mit der Rede zur Hand, daß er selber trinke, wenn es niemand sehe. Unsern Chef Nachfolger kenne ich schon vom Sehen. Er wirkte mit beim Barbarafest. Ich glaube und fürchte, er ist zu gut.

Herzlieb! Ich bin heut abend so müde. Es ist spät geworden. ½ 7 Uhr war Feierabend. Dann hatte ich noch einen Gang herüber ins Kösterheim – sodaß ich nach dem Essen erst um 9 Uhr zum Schreiben kam. Jetzt ge[ht] es auf 12 Uhr. Morgen, Du!!!!! Daß ich sie nun bald wieder fassen soll!!! Ich freue mich so sehr auf Deinen lieben Boten morgen! Geliebte! Ich sehne mich nach Dir! Ich liebe Dich so sehr, so sehr!!!!! Du!!!!! Ich muß nun bald zu Dir kommen! Herzlieb!! Und jetzt will ich mich niederlegen! Mit meinem Herzen bei Dir lege ich mich nieder – mit dem Herzen bei Dir erhebe ich mich – Geliebte! Und in mir ist so große Freude – Freude des Wiedersehens, Freude des Heimkehrens – zu Dir!! Zu Dir!!! Drängt alles – bei Dir ist Heimat und Liebe und Geborgenheit!!!!! Bei Dir will ich einkehren für immer! Behüte Dich Gott!! Herzlieb! Bald komme ich! Erlösen will ich Dich! Dir alle Liebe bringen! Du!! Du!!! Dein [Roland] bin ich! Für alle Zeit ganz Dein!!! Du!! Meine [Hilde]!!!!!!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern!

 

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946