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[OBF-410128-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 28. Januar 1941

Mein liebes teures Herz! Herzlieb mein!!! Du!!!!

Heute fang ich mal gleich zu mittag an. Es ist so schön ruhig. Und heut abend will ich mich mal bissel eher niederlegen zum Ausschlafen. Letzte Nacht habe ich wenig geschlafen, habe gefroren im Bett – es ist mordskalt bei uns seit gestern. Neben mir liegt Dein lieber Bote vom Sonntag. Und ich will gleich mal auf ihn eingehen. Will Deine Gedanken weiterspinnen. Daß mein Herzlieb die Kinder liebt, das weiß ich nun. Hätte nicht darauf geraten früher. Aber nun paßt es doch ganz zu dem Bilde meiner Hilde: kinderlieb ist wohl auch altmodisch, modern ist es wenigstens nicht. Eine Gewissensfrage: Wenn Du so selig vom Kindlein träumst und Deinem Muttersein, an welche Größe denkst Du da? Welche magst Du so ganz lieb an Dein Herz nehmen? Ich weiß es, oder meine es zu wissen: die kleinen zwischen 0 und 3. Du?!! Dein Hubo ist ein neugieriger!Hab ich recht geraten? Müßtest gleich eins haben, das gar nicht älter wird – oder jedes Jahr ein neues!!!!! Du!! Natürlich, jedes Jahr spaziert eines aus dem 3. ins 4. Lebensjahr. Halt! Oder aller [sic] – das Rechenexempel ist gar nicht so leicht – 3 bezw. 4 Jahre eines – dann reißt die Kette der Lieblinge gar nicht ab – und was wird dann mit den älteren? Die kriegt der Hubo – ja? Nein Herzlieb! Ich bin ungezogen und (nehme) warte doch Deine Antwort gar nicht ab. Aber ich habe Dich schon beobachtet. Und das ist eine Tatsache, daß mit dem 4. Jahre etwa die Kinder sich lösen von der Mutter, ganz deutlich, daß sie dann deutlich beginnen, eigene Weg zu gehen. Und dann beginnt erst recht eigentlich die schwere Aufgabe der Erziehung – dann genügt nicht mehr die Liebe allein – dann erfordert die Erziehung Verständnis, liebevolles Eingehen, aber auch konsequentes Leiten und Führen, und Wachsamkeit. Das Kindlein ist ein Drittes, ein neues, ist nicht [Hilde], ist nicht [Roland] – das ist so seltsam – und die Eltern verstehen ihr Kind nicht mit der Liebe allein – ein Rest bleibt, dem wir nur Verständnis entgegenbringen können. Das ist Dir doch wohl bekannt, daß der Bub sich mehr an die Mutter lehnt und das Mädl mehr an den Vater – wieder seltsam und wohl ein Grund, daß Eltern über ihren Kindern eifersüchtig aufeinander werden können. Diese Tatsachen, daß die Kinder mit den Jahren mehr und mehr sich lösen von den Eltern, daß sie ein neues, Drittes darstellen, daß sie zwischen Vater und Mutter ein mannigfaltiges Spiel und Widerspiel der Neigungen und Anschauungen bringen – sie erfordern von den Eltern Reife – und einen gewissen Abstand – das feste Bewußtsein, Führer und Erzieher zu sein. Die Erziehung liegt in den ersten Jahren überwiegend in den Händen der Mutter – und (bildet) stellt sich dar in dem Einssein, daß [sic] wir mit dem Inbegriff „Mutter und Kind“ meinen. Daß dieses Einssein mehr eine äußere Erscheinung ist, wird eben dann kund[sic], wenn das Kind sich löst aus diesem glücklichen Verbande. Zugespitzt ist dieser Gedanke schon formuliert worden: „Es weiß die Mutter oft nicht, was für ein Kind sie nährt“ (und manche nährte ihren Hasser und Mörder). Die Mutter, die in einer blinden Liebe sich zu ihrem Kinde neigt, sie muß eine Enttäuschung erleben, wird die Tragik des Mutterseins am schmerzlichsten erleben – die Tragik, daß das Kind eben ein neues, eigenes darstellt, daß es sich löst und sondert. Eine gewisse Tragik schwebt um jedes Verhältnis von Eltern und Kindern. Eben bist Du die tragische Person bei Euch zu Hause, bist den Eltern entwachsen, bist flügge geworden und fliegst ihnen nun davon. Aber noch sichtbarer tut sie sich kund darin, daß die Kinder auch innerlich sich entfernen von den Eltern bis zu Mißverstehen und Haß. Ja, zuletzt sind die Eltern wieder allein. Und wenn sie sich ganz an die Kinder verloren, ihr ganzes Tun und Denken nur ihnen weihten, und wenn Mann und Frau neben dem Wachen über dem [sic] Weg der Kinder ganz ihr eigenes Streben vergaßen, ganz vergaßen, als Erwachsene auch ihr eigenes Leben zu vollenden – dann ist eine große Leere um Mann und Frau. Geliebte! Das habe ich schon oft beobachtet.

Und nun komme ich noch einmal auf die Bezirke, die Mann und Frau eigenen zu sprechen: So fern sind sie sich nicht, so wenig Berührungspunkte und so scharfe Grenzen haben sie nicht. Es gibt Frauen, die nähern sich dem Wesen des Mannes, und umgekehrt. Es gibt Frauen, die in ihrem Wesen männlicher sind als mancher Mann. Du bist mein liebes Weib, und es steckt doch auch ein Bub in Dir! Ja? Du!!! Mein lieber Bub!!!!! Und Dein Hubo ist in manchem ausgesprochen männlich, und hat doch auch ein etwas unmännlich feines Empfinden! Siehst! Deshalb haben wir uns auch so sehr lieb! Du!!!!! Und daß Du in manchem ganz Weib bist, das ist mir glückhafte Erfüllung einer alten Sehnsucht, die mir erst recht aufging, wie ich sah, daß die Klassenkameradinnen zu halben Männern wurden, weil sie zu weit in den Bezirk des Mannes eindrangen. Herzlieb! Ganz gewiß hat jeder von uns seinen Bezirk. Und wir sind uns darin einig, daß wir ihn aneinander achten, ja sogar lieben und wünschen, und daß wir uns mit dem Eigenen beschenken und tauschen, ja daß wir auch austauschen und damit einander noch und noch nähern. Und das ist dann wichtig und notwendig, wenn wir als Eltern vor unseren Kindern stehen – so wie wir es jetzt sind, so müssen wir vor den Kindern jederzeit erscheinen: eins. So müssen wir ihnen vor allem erscheinen, wenn sie größer werden. Es gibt eine Mutterschaft, die bei aller Kraft und Aufopferung etwas Enges, Engstirniges hat, bei der sich die Mutter an die Kinder verliert, daß sie auch in ihrem Manne nur das größere Kind sehen kann. Ganz recht nennt man diese enge dumpfe Liebe „Affenliebe“, sie hat etwas dumpfes, stures, tierisches. Der Mann steht hier weniger in Versuchung als das Weib, weil er ja leiblich nicht so mit dem Kind verbunden ist und weniger zu Hause weilt. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß das Weib ein wenig vom Manne lernen, muß es ein paar Schritte in seinen Bezirk tun – und mein Herzlieb! Ach Geliebte! Wenn ich daran denke, da kann ich ja nur ganz froh dreinschauen – mit Dir verstehe ich mich doch beinahe bis in den allerletzten Winkel meines und Deines Herzens! Du!!! Du!!!!! Und das Mannerli muß bei seiner Erziehung, die in einem größeren Abstande erfolgt, auch auf das natürliche und geheime Band der Liebe und des Verstehens achten zwischen Mutter und Kind – wird dann manches milder beurteilen – manchmal, wird sich manchmal etwas länger gedulden. Du, weißt, das lernt Dein Mannerli schon, wenn es merkt, daß der Bub nur immer zur Mutti will. Du!! Du!!!! Umgekehrt wäre es wohl auch so. Herzliebes! Und darum fürchte ich nicht: daß wir uns über den Kindern verlieren, daß wir unser Leben und unsre Liebe vergessen – ach Du!! Du!!! Das glaube ich nie und nimmer! Dein Mannerli schon gar nicht – und Du mein Herzltümlein Herzblümlein auch nicht. Hast mirs doch jetzt selber erzählt in der Geschichte vom Jäger und Rehlein! Du! Du!!!? Wie früher ist dann die Sehnsucht wieder? Du!! Du!!! Dein [Roland] würde ja auch nicht müd werden, um Deine Liebe, Dein Verstehen, Vertrauen und Mitgehen immer neu zu werten – er verliert das Ziel nicht mehr aus den Augen. Und Du, mein lieber Geselle, mein treuer Lebensgefährte, hast mich ja viel zu lieb – Du folgst mir ja ganz von selber! Du!! Du!!!!!!!!!!! Wie glücklich sind wir! Du!! Du!!!! So sehr glücklich!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Du Herzlieb! Davon werden wir ja noch manchmal plauschen können – auch im Urlaub. Das brauchen wir uns gar nicht vorzunehmen, muß auch ganz von selber kommen – Du, das ist so schön! Wenn Dein Hubo den Faden findet, wenn er scheu und leis vor Dir sein Wesen ausbreiten darf und seine Gedanken – und Deine lieben Augen ziehen immer neue hervor und ruhen dann liebend darauf – Du!!! Das ist so schön!!!

Weißt, ich bin heute abend so ganz sehr froh – so ganz, ganz – ich möchte Dich so ganz – ganz dankbar liebhaben heute – ich hatte ein ganz klein bissel Angst, ich könnte Dich erschreckt haben, könnte Dir einen leisen Schmerz oder eine Enttäuschung bereitet haben – Du!! Du!!! Aber nun liegt vor mir, der liebe Bote von gestern – Und darunter steht es immer noch jubelnd: Ganz Deine [Hilde]! Geliebte!!! Geliebte!!!!! Herzlieb!!!!!!!! Du. Wie ich mich einst vor mir selbst schämte mit meinem Wunsche, so dachte ich, könntest Du Dich seiner schämen, könntest Dich verletzt fühlen, könntest Deinen [Roland] nun nicht mehr so achten, müßtest Dich scheu zurückziehen – ach Herzlieb – ich dachte so nur Augenblicke lang – Du – Herzlieb! Weil es das Allerheiligste ist – und habe mich doch dann selber getröstet – daß Du mich doch so gut kennst und verstehst – daß Du selbst alles rein und gut schaust und empfindest – Du! daß Du mir selber soviel, daß Du mir ja alles schon schenktest – mehr als ich glaubte, Du! – Und daß Du doch weißt, daß Dein [Roland] alles auch rein und gut und verzückt alles [sic] schaut und es nimmt nur, Geliebte, nur aus Deinen Händen, alle Geschenke nur von Dir! Herzlieb! Du!!!! Du weißt es: daß wir uns in diesen Geschenken so glücklich verstehen, es ist das Zeichen höchster Traute und letzten Vertrauens – dieses Vertrauen, dieses herzinnige Verständnis gewannen wir uns Schritt um Schritt – so begann unsre Liebe nicht – es sind ihre Früchte. Geliebte! Zu wem hätte ich solches Vertrauen finden können als zu Dir?!!!!! Geliebte! Diese Geschenke alle – dieses heimliche, selige Tauschen – sie sind die Pfänder unsrer Liebe! Das Schlüsslein – Du weißt, ich gab es zögernd aus meiner Hand – es gehört nur Dir! Kein andres Weib wird es je berühren. Heute? Du!!! Glücklich bin ich, daß es Dir gehört, daß es Dir Zeichen ist letzten Vertrautseins – daß Du es nimmst und aufnimmst. Aber jetzt habe ich zuerst von meinem Pfand gesprochen – es ist ja so viel weniger und geringer als die Deinen, Du!!! Du!!!!! Du, sie sind ja so viel schöner und köstlicher und heimlicher – und größer an der Zahl – ach Du!!! Ich hätte doch gar nicht gewagt, noch eines mehr zu verlangen. Geliebte!!!!! Warum das Weib ihrer so viele hat? Damit es das Mannerli ganz an sich fessle? Vielleicht. Ach Du! ich mag sie nicht so zweckhaft und nützlich sehn. Ich schaue sie ja alle wie die Gotteswunder draußen, aber noch viel seliger, noch viel glücklicher, weil sie ein Geschenk sind, ach Geliebte!! das köstlichste und teuerste und liebste wohl auf dieser Erden [sic]!!!!!!! ein Geschenk nur für mich – ein ganz wundersam inniges Geschenk, Herzlieb!! Herzlieb!! Was sind alle Bilder, alle Statuen, alle Zeichnungen gegen dieses, Dein Geschenk? Ich mag sie nicht. Sie sind nur verführerische Irrlichter. Sie lenken den Menschen ganz falsch. Sie erniedrigen das Geschenk. Sie sind ja so ärmlich, so billig, so flach, käuflich sind sie! Sie lassen ja alle Süße und Seligkeit kaum ahnen, die in der letzten, höchsten, heimlichsten Traute zweier Liebender liegt. Du!!! Du!!!!! Ach Du! Dein [Roland] erkennt sie schnell, die Irrlichter, er durchschaut ihre Züge, er erliegt ihrem Trug und ihrer Flachheit nicht. Ach Liebste! Du!! Du!!! Du kannst meinen Wunsch verstehen? Den Wunsch, von dem ich nie mehr schreiben werde – weil er so heimlich ist, weil er nur verständlich ist im Liebesspiel der letzten Traute, ein Hochgefühl letzter Liebesseligkeit? Und die Wonne, seiner Erfüllung ganz nahe zu sein – Du! ich glaube, sie war es, die so schnell überfloß – Geliebte! Und weil ich Dich doch erlösen wollte – da überwand ich die letzte Scheu – bändigte und zügelte damit meine Wonne – und konnte Dich schon glücklicher machen. Du!! Du!!!!! Ach Herzlieb! Du hast es mir ja auch nicht versagt mit Deinem Blick. Warum ich nun überhaupt davon schrieb? Ach Geliebte! Damit wir uns ganz verstehen – damit wir ganz froh und glückselig uns Auge in Auge schauen können – damit Du nicht vor mir erschrickst und Dich zurückziehst und mich fürchtest – – ach, das möchte ich doch nicht!! Geliebte! Herzlieb!! Ganz aufgeschlossen wollen wir zueinander sein!! Und Du bist es! Und bleibst es!!! Herzlieb!! Ich sehe nichts mehr, was unser Vertrauen stören oder trüben könnte. Dein [Roland] ist nun ganz glücklich – und so dankbar glücklich – und diese Dankbarkeit, die kann nichts anders wollen, als Dich zu beglücken, als Dich erlösen!! Du!!!!! So mündet mein Glück in Deinem Glück, so sind wir eins!! Geliebte! Herzlieb!!! Und bald sollen wir es sein in Wirklichkeit! Gott sei uns gnädig! Er behüte Dich mir auf allen Wegen! Geliebte! Bleibe froh und gesund. Und jetzt legt sich Dein Hubo nieder mit dem Gedanken an seine Herzallerliebste, an mein liebes, liebes Rehlein, an mein Herzblümlein, an mein Herzlieb will ich hinüberschlummern ganz froh und selig! Du!! Du!!! Ich liebe Dich so sehr!! Ich sehne mich nach Dir! Geliebte!!! Ich segn[sic] Dich! Ich küsse Dich! Ich habe Dich ganz, ganz sehr lieb!!! Du, Herzlieb! Herzallerliebste mein!!! Du!! Dein [Roland] bin ich! Und Dein Hubo auch und Dein Dickerle!! Und Du bist mein, Du!! Du!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946