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[OBF-410127-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 27. Januar 1941.

Herzallerliebster!! Meine lieber, lieber [Roland]!! Geliebter Du!!

Heute ist es wieder grimmig kalt draußen, alles ist hart gefroren, auch die Fenster sind zu bis obenhin. Aber – die liebe Sonne scheint, Du! So hell! Und so blau ist der Himmel! Wunderschön ists draußen. Wenn ich jemanden hätte an dessen warmer lieber Seite, in dessen schützenden Arm ich mich kuscheln könnte, Du! Ich ginge an diesem herrlichen Nachmittag wahrhaftig spazieren! Aber so allein – Du!! da ist mir’s doch zu kalt, trotz… bloß draußen!!! Du!

Ich glaube, die Finken sind schon da. Mittags meist wenn die liebe Sonne am wärmsten scheint, ruft es immer: Sissibier – Sissibier so machen es doch die Finken, hm? Sag, waren die den Winter über eigentlich auf Reisen? Ich könnte das jetzt nicht behaupten! Nicht auslachen!! Du! Du!! Heute ist Dein lieber Bote vom Freitag zu mir gekommen, ich habe mich so sehr darüber gefreut, Herzlieb! Du machst mich ja so glücklich!

Herzlieb!! Du!! Mein Herzel soll ich Dir ganz ausschütten, wenn es wieder einmal voll ist, Du! Lieber! Guter! Ich will`s schon tun, Du! Dir kann ich doch alles, alles sagen, Geliebter! Aber, wie nun innerlich gerade, die Stimmung ist – es kommen Tage, wo man auch dem liebsten Menschen gegenüber verschlossen bleibt, aus einem Zwange, Druck heraus. Du weißt schon, wie ich es meine und – Herzlieb! Du! Ich bin doch so von Herzen froh, daß Du mich nicht mißverstanden hast, in meinem Briefe, als ich Dir von meiner Unzufriedenheit schrieb, die in mir war, an diesem Sonntag. Wie gut, daß wir uns so vertraut sind innerlich, so nahe, daß wir uns nicht gleich durch ein seltsames, befremdendes Wort irre machen lassen und irre werden lassen aneinander.

Ich habe es nicht so wörtlich gemeint als ich schrieb: „Unzufrieden mit mir selber u. mit meinem Leben…“. Du – wenn ich nur immer auf meine innere Stimme hören wollte – ich besinne mich wieder jetzt, als ich m[ei]nen Brief an Dich noch einmal durchlas, kam mir mein Ausdruck selbst unrichtig, übertrieben – eben nicht so wirklich meinem Empfinden entsprechend vor – aber ich habe nichts daran abgeändert – ich sagte mir : „er wird mich schon recht verstehn“! Du!! Du!! Und Du hast mich nun auch recht verstanden, Herzallerliebster!! Ich bin so froh!

Mein Grund war nur das Warten, die Sehnsucht nach Dir Herzlieb, es war wieder einmal voll das Maß und mei[n] Gefühl, es mußte sich entladen, entspannen. Und das geschah eben nun durch diese Unzufriedenheit; und wenn sie sich gelegt hat, wenn ich mein altes Gleichmaß wieder gefunden habe, dann ist alles wieder gut. Ich bin darum nicht launenhaft, Du weißt es ja. Du! Aber Du hast schon recht, wenn Du sagst: empfindsame Menschen unterliegen solchen inneren Stimmungen und Spannungen. Und wenn wir erst immer umeinander sein dürfen, Herzlieb, dann läßt das bestimmt einmal ganz nach; denn dann brauchen wir uns mit solch kleiner inneren und außen [sic]. Es liegt in unser beider Wesen eine versteckte Gründlichkeit, man kann auch sagen eine Geradheit. Wir wollen etwas ganz, wenn wir schon etwas wünschen. Mit Halbheiten begnügen wir uns nicht. Und so forschen wir auch in allem was geschieht nach einem tieferen Sinn. Du hast diese Art noch ausgeprägter an Dir als ich.

Ich glaube fast den Grund dafür bei Dir in Deinem Beruf als Erzieher zu suchen. Auch da ist erste Bedingung Gründlichkeit, forschen nach dem tieferen Sinn, nach dem Grund. Und das hat sich nun auf Deine Person übertragen, geht mit Dir durch Dein ganzes Leben. Und das nicht allein ist hier ausschlaggebend. Alle Wahrheitsliebenden, geraden, offenen Menschen, die werden diesen Wesenszug an sich haben, immer im Leben einen Sinn zu erfassen.

An Menschen, die leichteres Blut in sich tragen wirst Du diesen Zug nicht finden, die ringen nicht so mit sich in allem – sie nehmen alles hin, ohne weiter darnach zu forschen und zu grübeln.

Wir sind Schwerblutskinder[,] sind aber trotzdem nicht weniger glücklich im Leben, als die von der andern Sorte! Du! Im Gegenteil! So viel reine, seltene, hohe Freude wie wir, finden die anderen garnicht im Leben. Weil sie alle Feinheiten und alle Wunder in der Welt übersehen, durch ihre flachere Art. Ich bin froh, daß Du und ich nicht zu denen gehören, Du!! Wenn auch vielleicht so unser Leben ein wenig reicher an Sorgen und unnötigem Grübeln ist – aber gehaltvoller ist es bestimmt. Und die Freude am Leben, die wir eigens suchen und auch eigens finden wollen miteinander, die ist so reich – so leuchtend und sie überstrahlt dann die trüben Tage, die waren so ganz, als wären sie nicht gewesen. Und der Gewinn dabei? Unser Wille stärkt sich, Unser [sic] Herz wird weit und rein und füllt sich mit Freude und Glück – wir meistern das Leben, ohne dabei an uns selbst Schaden zu nehmen.

So erkläre ich mir den Sinn dieser Wesensart.

Herzallerliebster! Mein [Roland]! Die Liebe zueinander läßt uns innerlich überwinden. Du hast mir gebeichtet, nein – anvertraut, was Du innerlich zu bekämpfen hattest um eine Gunst von mir! Du, ich danke Dir Dein Vertrauen mit meiner ganzen Liebe. Du begehrtest sie zu schauen die Pforte aller Liebesseligkeit, Du! Ach – ich kann mich so recht gut in Deine Empfindungen hinein versetzen, Herzlieb! Ich V verstehe Dich Herzlieb! Ich schätze es, als höchstes Vertrauen, als Zeichen Deiner Liebe. Du! Nun müssen wir nicht mehr fürchten, daß wir uns mißverstehen, Geliebter!! Unsere Liebe wird durch dieses völlige Einandervertrauen nur inniger und tiefer!

Du! Es ist auch bei Dir wie bei mir das Schamgefühl besonders ausgeprägt, ich habe es schon öfter beobachtet. Ich muß jetzt dabei an eine Begebenheit denken, die schon lange zurückliegt. Es war, als wir zum ersten Male in Schmilka waren – so ganz innig vertraut und doch der letzten Weihe noch nicht beraubt. Du hast damals das Wunder des Weibes geschaut – ich kann Dir so gut nachfühlen, welche heißen Wünsche bei diesem Schauen in Dir wach wurden, Du!! Du begehrtest mich einmal ganz zu schauen an diesem Abend – Du!! Du!! Ich war so voll Scheu – so voll Scham – ach – ich kann es nicht sagen wie sehr! Und bei aller großen Liebe zu Dir konnte ich Dir Deinen Wunsch nicht völlig erfüllen – ich war im Innern noch nicht so weit, daß ich dabei nichts Schamvolles mehr empfinden konnte – es war vielleicht in unserem persönlichem Vertrautsein noch nicht so viel Einssein, daß ich Dir auch diesen Wunsch ohne Widerstreben erfüllen konnte. Weißt Du es noch? Und es entstand auch einst ein Mißverständnis ein kleines nur, zwischen uns! Und Du glaubtest, ich hätte Dich nicht verstehen können. Herzlieb – ja, es muß alles erst in uns zur Reife kommen, wir können nicht undurchdacht schnell hinnehmen oder weggeben – aber wir verstehen uns nun darin – wir sind uns sogar darin ähnlich, darum wurde uns auch nun das völlige Verstehen und Einssein!

Es ist seltsam und wunderbar, wie bei aller tiefen Zuneigung unsre Herzen sich doch Schritt um Schritt erst näher kommen mußten, ehe sie in dem schönen, wundersamen Gleichklang schlugen wie heute, Du!!! Heute sind wir einander so vertraut, so in Liebe verbunden, daß uns kein Wunsch, kein verlangender Wunsch mehr in einen Herzenskonflikt bringt, Du!! Heute sagen wir beseligt und beglückt: ich schenke mich Dir – wie Du Dich mir schenkst – geben und nehmen – alles kommt aus dem Tiefen unerschöpflichen Brunnen unsrer Liebe! Du!! Und Liebende wägen nicht ab, sie zögern nicht – sie weihen alles aus übervollem Herzen! „Erst die Liebe für des andern Glück ist die Vollkommene!“ Herzallerliebster!! Mein Herzlieb! Mit diesen Deinen Worten hast Du uns einen Leitspruch aufgestellt! Wir wollen ihn treu in unsern Herzen bewahren! Du!!

Wir wollen ihn Erfüllung sein lassen, wenn wir uns in 20 Tagen – so Gott will – beseligt in die Arme schließen!

[Roland]! Mein [Roland]!! Herzlieb!! Mein Sonnenstrahl! Du kommst heim zu mir!! Heim zu mir!! Ich freue, freue mich, Geliebter!!

Ich erwarte Dich voll inniger Liebe und Sehnsucht. Gott schütze Dich! Mein Lebensglück! Du!! Er schaue gnädig auf uns!

Mein Herzallerliebster!! Ich bin Dein!!!!!

Ich liebe Dich!! Ich bin in Treue Dein!!!!!

Ganz Deine [Hilde] , Du!!!!!!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946