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[OBF-410126-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 26. Januar 1941.

Mein liebes, teures Herz! Geliebte! Meine liebe, liebste Hilde!!

Du! Dein Hubo hat sich heut abend zeitig niedergesetzt zum Schreiben. Wenn der Tommy weiß, daß es ganz klar ist heute abend, dann ist mit Alarm zu rechnen. Meine Backen glühen noch – ich bin nämlich eben heimgekommen von meinem Sonntagsausgang. In der Stube riecht es nach Käse – ein guter Weichkäse ist es, der nur eben den einen Mangel hat, daß er riecht. Soviel zur Einstimmung.

Was Dein Dickerle angegeben hat heute? Nach dem Essen, da schwankte er zwischen Müdigkeit und Unternehmungslust – hier lockte das Lager, dort ein  herrlicher Wintertag. Eine Weile legte ich mich nieder mit den Bildern von Dir; doch es litt mich nicht lange – und ich machte mich fertig zum Ausgang. Ein Paket lag für mich auf der Post in Barkelsby, mit etwas Süßem drin – das lockte – lockte desto mehr, als Dein Bote ausblieb. Herzlieb! Ein so herrlicher Wintertag! Reine, klare Luft! Dein Hubo konnt beinah bis O. gucken! Mit Dir ging ich! Deine Bilder bei mir. Und ich freute mich an der Schönheit dieses Tages mit Deinen Augen, und Deinem Herzen. Ach Herzlieb! Und gar süße Bilder schaute Dein Hubo! Du!! Du!!!!! Überall das reine schimmernde Bettlein ausgebreitet! Und die Sonne schien so hell und sommerlich, daß man Lust bekommen konnte, sich hinzustrecken auf dieses Bettlein. Und die überglasten Bäume glänzten und blitzten und läuteten im Wind so festlich! Und der [Roland] – er fand sein Herzlieb heute – oh Du!! Du!!!!! Er fand alles, Du!! Er fand die Augen – und das Mündlein – und das liebe Herzlein – alles, alles! Du!!! Du!!!!!

Auf der Post bekam ich Dein liebes Packl – froh trug ich es heim, den Gruß und Kuß der Liebsten. Und ganz schnell habe ich ausgepackt, habe nach dem Kussel gesucht – und dann nach dem süßen Kästchen. Du!! Es hat gar fein süß geschmeckt. Du! Das nächste Mal beißt mir eins an, ja? Du!!! Aber nicht alle – sonst beiß ich Dich, Du!!! Wohin? Du!!! Je nach dem! Nach dem Strafmaß. Die Höchststrafe? Ich beiß Dich ins Bein!! Du!!!!! Ist das schlimmer? Du!!!!! Ja, jetzt denke ich eben an das Malheur, von dem Du schriebst, das will ich mir gleich mal begucken. Erst färbst mir die Hösel – und nun ziehst Du die Striche in meine Hemdeln. Du! Du!! Na, wenn wieder mal ein Muster drin ist, brauch ich doch wenigstens nicht lange nach dem Schuldigen zu suchen! Du!! Du!!! Ich glaube, gegen diesen Tatbestand gibt es keine stichhaltigen Argumente! „Da steht der Herzeldieb! Da steht der Herzeldieb!!“ Ja. Und mit Deiner Süßigkeit bepackt, mit Deinen Bildern, mit dem Boten für Dich bepackt, bin ich nach Eckernförde gepilgert, unseren Weg, am Ställchen vorbei – Du!! Du!!! Wie Deinem Dickerle da wird – immer wenn er dort vorbeigeht – und er geht ja nur noch dort vorbei – ach, dort liegt das Bettlein jetzt ganz dick – das Tor steht noch immer halb offen – wenn mein Herzlieb in dem Bettlein steckte, Du!! Da wär ich nicht bis Eckernförde gekommen!!!!! Vor mir her ging irgendein Feldgrauer – ich habe meinen Schritt verlangsamt, damit ich nur mit Dir gehen konnte. Weißt, wenn jetzt ein Kamerad hier wäre, der meine Freundschaft suchte, ich wäre gar nicht froh und würde ihn abhängen. Ich kann doch nur einer Freundschaft dienen und leben. Ich brauche doch alle freien Stunden für Dich, für mein Herzlieb!! Sie langen doch gar nicht aus, ach, lange, lange nicht! So. Nun hab ich Deinen Boten in den Kasten rutschen lassen, Du kennst ihn. Als ich bei unserem Kaffee vorbeiging, da stand der ganze Laden noch voll Kuchen, Menschen überhaupt keine drin. Das zog Deinen Hubo. Und so habe ich gegen meinen anfänglichen Plan Kaffee getrunken, hatte einen ganzen Tisch allein, waren ganz wenig Menschen drin, sie ziehen jetzt in die Tanzlokale. Und so saß ich da, freute mich über den schönen Raum, über das schöne weiche Sofa, der Kuchen schmeckte auch. Die Kameraden waren nicht da. Das war mir eben recht. Ich war so ganz glücklich, allein mit meiner Freude – von wem sie wohl kam, wohl ausging? Ach Du!! Du!!!!! Du!!!!!!!! Du! Bist meine Freude! Von Dir kommt sie alle, alle! – und zu Dir geht sie, alle, alle!! Herzlieb! Wenn ich früher schon Käuzchen war als Alleingänger, so ein heimlicher, der niemanden in die Karten gucken ließ – jetzt bin ich ein ganz großer Kauzzz [sic], Du!! so zugeknöpft, so selbstsüchtig und geizig, kein Ohr und Auge für andre und andres – Du! beinahe strafbar!! Ja, ja! Noch geiziger als früher – ist doch nun ein Pärchen, das Selbst, ist doch nur ein Käuzchenpaar. Bist nun auch ein Käuzchen – ja, ja, Du!! – bist es für mich, um meinetwillen, – bleibt zu Haus – hat keinen Ausgang, als ob sie schon 50 Lenze zählte, Frau Kauz, kannst Dir getrost einen Zopf wachsen lassen, fällt längst nicht mehr auf!

Ach Herzlieb! Jetzt betrachte ich es von der lustigen Seite: Es geht Dir ja so wie mir. Mußtest ja die Freundin vernachlässigen, könntest sie ja gar nicht teilnehmen lassen an Deiner Freude!

Du! Als Dein Hubo noch Alleingänger war. Ein eingefleischter Junggeselle war er nicht, das war wohl nicht so schwer zu erkennen. Erstens sah er noch nicht so alt aus, daß man denken konnte, der hat den Anschluß verpaßt. Zweitens tat er doch auch nach den Mädchen gucken. Ist er verschämt? Oder ist er käbsch (ist das nicht der Oberfrohnaer Ausdruck für verwöhnt oder wählerisch)? Das mag Euch schon eher ein Problem gewesen sein. Oder geht er auswärts? Dazu war er zu oft am Orte. Nein solide war er. Punkt 7 Uhr schwenkte er um die Ecke in die 13, als ob dort etwas ganz Liebes auf ihn warte oder eine ganz gestrenge Person. Ja Herzlieb! Die Regelmäßigkeit meines Lebens, fast pedantisch, sie hat mit ihrem Rythmus [sic] helfen Ordnung halten in meinem Leben.

Von Junggesellen erzählt man sich manchmal böse Geschichten – daß sie lieben im geheimen, selbstgenießerisch, daß sie das Alleinsein suchen, um desto ungestörter „lieben“ zu können: niemand kann sie beobachten, wenn sie in den Bildern und Büchern ihrer „Liebe“ lesen. Herzlieb! Auch so einer war Dein Hubo nicht. Ach nein! Da liebte er die Gottesnatur und -kreatur zu sehr, als daß er sie mit dem sündigen Ersatz beflecken sollte. Herzlieb! Ich habe sie so lieb, die reiche Gotteswelt! – sie ist mir das liebste, allerliebste Buch! – Ich konnte meinen Sonntag nicht schöner feiern, als durch diese Welt zu schreiten, am liebsten den freien Himmel über mir, und die Wunder der Schöpfung zu meinen Seiten – Geliebte! Nun will ich mit Dir in diesen Bildern blättern und in diesem Buche lesen – will mein Herzblümlein unter all den anderen Blümlein bewundern – will mein Rehlein in den lieben Wald führen – unsre Stimmen der Freude und des Lobpreises wollen wir in die der tausend Stimmen da draußen mischen – wollen hüpfen und springen, uns tummeln mit den Grashupfern und Schmetterlingen – wollen uns froh bewegen lassen vom taufrischen Morgen – wollen Arm in Arm uns legen lassen und Herz an Herz vom süßen, schwülen Sommerabend. Geliebte! Geliebte!!!!! Magst Du mit mir blättern und lesen? Du!! Du!!!!! Und wenn wir müde sind vom Lesen und Blättern – dann ruhen wir uns aus – dann stärken wir uns – was war es doch, was mein Leckermäulchen am liebsten mag? – aber Schlagsahne gibt es am Waldrand nicht! – muß derweil was and[e]res herhalten – aber Dein Hubo will was ins Mundel haben – mußt schon Deine Handtasche mitnehmen – macht dann auch ganz fein bitte, bitte, Dein Mannerli! Herzlieb! Herzlieb!!! Bist Du froh mit mir? Läßt Dich so von mir beglücken? Mußt sie Dir alle schenken lassen, diese Freude!! Ist doch mein Gegengeschenk! Bist doch ein falscher Bub, gar kein echter, mein ich – bist doch ein Weibel – mußt aufnehmen, mußt empfangen, mußt ihn aufnehmen und einlassen den Sonnenstrahl – ja siehst, heute rede ich von meinen Geschenken – ach Geliebte! – sie sind mir alle nicht genug, sie Dir zu bringen, Dich zu beglücken – sollst Dich ja nicht arm dünken – sind Geschenke vom Mannerli, lassen sich doch gar nicht messen mit denen meines lieben Weibes! Daß ich Dich beschenken darf, Du!! Daß Du sie alle magst, alle verstehst, und liebend aufnimmst und bewahrst, daß Du den Sonnenstrahl einläßt, Geliebte! Herzlieb!!! Das ist mein ganzes Glück! Das ist mir Erfüllung!! Und Dein Hubo weiß auch, wem sein Herzlieb alles bewahrt, so treu bewahrt – Mein liebes, liebstes, einziges Weib!!!!! Wo fände ich ein lieberes? Wo einen Schoß, der lieber und treuer bewahrte und hegte – wo eine bessere Wiege für „mein“ Kindlein? Du!! Du!!!! Du!!!!!!!!!!! Geliebte!!!!! Gott segne unseren Bund! Er beschütze Dich auf allen Wegen!

Geliebte! Ich war manchmal still in Sorge um mein Eheweib! Wo sollte ich denn suchen? Auf den Dörfern? In den Städten? In welchem Jahrgang sollte ich wählen? Ich wollte so gern ein junges Weib – ein unberührtes, – ein gutes, gläubiges, – keines, das schon enttäuscht wurde! Wie sollte ich es denn anstellen? Es sollte mich nicht lieben um meiner Stellung, es sollte gar nicht den Lehrer sehen in mir – es sollte mich erlösen von meiner Sehnsucht – sollte mich lieben in meinem Wesen – – das mußte ja ein ganz seltenes Menschenkind sein mit einem so natürlichen, aber tiefen Empfinden, mit dem Blick in das Herz, mit einem ganz großen, edlen, schlichten Herzen – ach, so wie ich selbst ein so verwickeltes, seltenes Vöglein bin (ich weiß es), so müßte es ein ebenso verwickeltes, seltenes Vöglein sein. Ach Du, ich sehe es eben ganz, ganz deutlich: es mußte eines sein, ein Menschenkind, dem diese Liebe wie mir mit ihrer Sehnsucht Schmerzen bereitete, dem diese Liebe ans Herz griff, ein Menschenkind mit einer dunklen, tiefen, schweren Liebe.

Und wen habe ich denn jetzt abgemalt? Mein Herzlieb!! Meine [Hilde]!! Du!! Du!!! Geliebte!!!!! Siehst Du es? Spürst Du es, daß Du mir Erfüllung bist? Ganz seltene, reiche, letzte Erfüllung?!! Du!! Du!!!!!!!! Dein [Roland] ist so glücklich, er ist so reich beschenkt worden! Er fand und suchte ja viel mehr als nur ein flüchtiges Glück: Die Ergänzung und Erlösung seines Wesens – Schlüsslein und Gärtlein sind Symbol und Gleichnis dafür – er fand den Schoß, die Wiege für „sein“ Kindlein, die Frucht unserer Liebe – fand das Menschenkind, das eben nur von ihm erlöst sein wollte – mit dem er strebend und suchend dieses Leben vollenden will.

Herzlieb! Ich mag sie gar nicht loslassen, Deine liebe Hand, heute. Freude ist in mir – obwohl Sonnabend und Sonntag kein lieber Bote zu mir kam – Freude muß auch in Dir sein.

Geliebte! Herzlieb! Nun will ich mich niederlegen. Es ist kein Alarm gekommen bis jetzt. Will morgen wieder froh und munter und dankbar in den Tag schauen – innerlich kann ich es immer, weil Du mein bist, und weil ich Dir gehöre, Dich lieben lernte, weil ich eine Heimat fand, weil ich ein Herz fand, daß sie alle aufnimmt, diese eigensinnige Liebe.

Mein Herzlieb! Ich fühle es, wie unsre Herzen zusammenschlagen, wie sie ineinander ruhen und glühen, fühle es ganz deutlich!

Gott behüte Dich! Bleibe froh und gesund, meine [Hilde]! Ich habe Dich heute so sehr lieb – ich glaube, so lieb hatte ich Dich noch gar nicht – und gar nicht schmerzlich lieb heute – ganz froh lieb – Herzlieb!!! [Hilde]lieb!!! Ob ich Dich noch einmal so lieb haben werde? Du!! Du!!!!! Noch lieber, noch lieber, Du!!! Immer lieber!!!!! Ich will es doch – und muß es doch mit der ganzen Kraft meines Herzens – ich kann nicht anders.

Lass Dich küssen! Laß Dich umfangen! Laß mich ganz bei Dir sein! Ich habe Dich so lieb!! Du!!! Du!!!!!!!!!!

Dein [Roland] bin ich – Dein – nur Dein – für alle Zeit – Und Du bist meine [Hilde]! Mein Herzlieb – mein!!!!!!!!!

Bitte grüße die lieben Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946