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[OBF-410123-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 23. Jan. 1941.

Herzlieb! Meine liebe, liebste [Hilde] Du!! Geliebte mein!!!

Herzlieb! Herzlieb!! Verred es nicht! Da erbot sich mal früher Dein Hubo, als Bademeister zu fungieren. Du gabst ihm die Schippe. Heute weist Du ihn ebenso von Dir als Wärmflasche – und nun seh ich mein Vöglein schon zittern und zappeln und nach einer Wärmflasche rufen – (siehst, jetzt ist sie grade ausgelaufen) – und Du weißt ja, wie das dann ist, wenn es kalt ist, dann brauchen sie alle eine, dann werden sie knapp und teuer – teuer, das bedeutet dann hier, daß Dein Dickerle Bedingungen stellen wird, und nur unter diesen Bedingungen antritt. Wirst denken: was für Bedingungen kann eine Wärmflasche schon stellen. Nun, manchmal schiebt man sie als überflüssig beiseite, oder benutzt sie bloß zum Vorwärmen, oder steckt sie ganz herzlos hinaus. Das wären so einige Punkte, in denen sich Bedingungen stellen ließen. Verred es nicht! Im Februar ist's manchmal noch hu–hu-kalt!! Aber, aber! Das könnte ja so klingen, als ob ich mich anbieten oder anbiedern wollte. Oh nein, oh nein! Fragt denn das Feuer, ob es brennen darf und wo? Es brennt eben, und wo es noch nicht ist, da kommt es eben hin – und brennt u. brennt – und wer mit Wasser kommt, den zischt es an – und wo es schon vorher warm war, da brennt es umso heißer und heftiger – Du! Du!!!!! Ist nämlich keine Wasserwärmflache, auch kein aufgewärmter Ziegelstein, Dein Hubo!

Ist eine Feuerwärmflasche – und ist ein ganz besonderes Feuer, ein eigensinniges, wählerisches – hat selber in seinem Namen nur u und o [*], und springt auf und glüht und brennt bei allem mit a u. e u. i [**]. Hüte Dich, Herzlieb! [Hilde]lieb! Hüte Dich vor des Feuers Brunst!

So, nun hat sie wieder für einen Tag Respekt vor ihrem Mannerli! Du! Du!! Weißt, ich kann mir gar nicht ganz vorstellen, wie das zugehen mag, wenn Mann und Frau tatsächlich um den größeren Respekt wetteifern. Weißt, dort, wo wir uns liebhaben, wo Mann und Frau sich eben vermählen, da kann von Respekt und dem Streit darum doch gar keine Rede sein. Versagt sich das Weib und der Mann muß sich aufs bitten verlegen – oder mißbraucht der Mann sein Weib, daß es ihn fürchten muß, dann verstehen und lieben sie eben einander nicht, dann wissen sie nichts vom Schenken und Schenkenlassen rechter Liebe. Respekt erwarten und verlangen kann ich nur dort, wo ich gewissermaßen Fachmann bin, also im Bezirk des Mannes der Mann, im Bezirk der Frau die Frau – zwischen Dir und mir ist das so selbstverständlich – einer achtet den Bezirk des andern – keines pocht auf einen Vorrang – jeder freut sich, wenn das eine in den Bezirk des anderen auf Besuch kommt (der Hubo z.B., wenn er sich um den Kopfputz seines Buben kümmert! Du! Ich glaube, da wird er nächstens hinausgeworfen!) – und sich dafür interessiert – und jeder freut sich, daß das and[e]re trotz aller Traute und Gemeinsamkeit einen kleinen Bezirk als seinen eigenen behauptet, mit dessen Schätzen es das Liebste überraschen und beschenken kann.

Zwischen Liebenden heißt das ja überhaupt besser Achtung und Wertschätzung als Respekt. Eine Frau, die ihren Mann nicht achten kann und in seiner Welt von anderen [sich] nicht geachtet sieht, die kann eigentlich nicht froh und glücklich lieben. Und wo der Mann nicht achtet, da liebt er auch nicht, da genießt er nur und nimmt Schaden an seiner Persönlichkeit und Seele. Du erzählst von Fräulein S., nunmehro Frau.

Herzlieb! Wir suchen Pilze im Walde – und laufen freudestrahlend auf einen zu – ein Giftpilz; oder wir langen sehnrich [sic] nach einem malerischen Apfel – er ist innen bitter und faul. Und die Giftpilze haben die leuchtendsten Farben und die wurmstichigen Äpfel am Beaume die rotesten Backen. Das ist so merkwürdig und geht durch die ganze Natur – und es läßt sich das eigentlich auch gar nicht ganz erklären. Weißt, es ist eines von den Beispielen von für die Unvollkommenheit dieser irdischen Welt. Und Dein Hubo – Du! Er ist bei allem Mißtrauen so gutgläubig! – er lief und schaute auch so beglückt nach dem rotwangigen Apfel – und er träumte (Hainstraße 13!), und ließ sich auch noch nicht aus seinen Träumen aufstören durch die Geschichten, die D.s ihm erzählten, richtiger andeuteten – bis er selbst sah. Herzlieb! Und nun war er traurig, so traurig wie ein getäuschtes Kind! [Es] Wollte ihm doch gar nicht in den Sinn, daß hinter einer schönen Schale nicht auch ein schöner Kern sitzen müsse. Und doch ist es fast immer so, daß hervorstechende Schönheit beim Weibe sich paart mit Stolz und Hochmut und Männergeschichten – und bei den Männern ist es nicht viel anders. Mit Versuchung allein ist das nicht zu erklären – das Versuchen und Versuchtwerden liegt so dicht beieinander hier. (Daß man durch besondere Schönheit gezeichnete Frauen als Hexen verbrannte, diese Tatsache rührt an die geheimnisvolle Wahrheit dieses Widerspruches der Natur). Und wir schrieben beide schon davon: Es ist die Schönheit, die ebenmäßige und hervorstechende, doch so öffentlich, alle sehen darnach, die wenigsten aus Freude am Schauen, die meisten mit Lust und Begehren, sich ihrer zu bemächtigen. Dieser Zug gefällt mir an meinem Vater, und ich habe ihn auch: Daß ich eine schöne Blume oder von einem blühenden Strauche nichts abpflücken mag. Sie sind eben da zur Freude und Ehre Gottes – wer sie gepflückt, zerstört sie und beraubt sie ihrer Bestimmung. Weißt, Dein Hubo hat etwas ganz anderes gelernt nun, nicht in Büchern, nicht auf der Schulbank – nein, ein gutes, tapferes Mädel hat ihn bei der Hand genommen – hat ihn scheu und heimlich an einen Brunnen geführt, den Brunnen des Glückes – und da haben sie beide hineingeschaut – Du! Herzlieb!! Meine liebe, liebe [Hilde]!! – und haben erkannt, dass sie zusammengehören – dass sie ein ganz, glückliches Paar sind – dass eines für das andere geschaffen ist – dass die Liebe des einen sich am anderen entzündet. Geliebte! Meine [Hilde]! Du hast den Hubo aus seinen Kinderträumen und Wunschträumen gerissen und hast ihn überführt, dass es doch das wichtigste ist, wenn zwei ganz zueinander passen, wenn zwei sich so glücklich ergänzen und sich innerlich ganz nahe kommen.

Und das ist doch zwischen uns beiden so wundersam und glückvoll erfüllt. Du!! Du!!!!! Herzlieb! Und nun wollen wir bald wieder zusammen in den Brunnen schauen: Meinem Herzlieb will ich in[']s Auge schauen, will tief hineinschauen – und Du sollst in meines schauen – Du! Du!!! Ach Herzlieb! Ich sehne mich darnach und freue mich so darauf! Und was mein Auge dann schaut? O Du! Du!!! Soviel Liebe und Güte und Huld und Traute, so viel heimliches Glück, Einssein und Seligkeit. Du!!! Du!!!!! Mein allerliebstes, allerliebstes Weib!! Geliebte! Viel mächtiger und zwingender und glutvoller ist das Sehnen zwischen Liebenden, die eigensinnig und der Öffentlichkeit verborgen sich finden.

Ich muss noch einmal an Fräulein S. denken. Was ist das nun für ein Leben? Ist nicht dieses ganze Leben nun an der Seite eines ungeliebten Mannes eine einzige Buße für all die vorreife und verfrühte Liebe? Liebe ist ja gar nicht der rechte Ausdruck dafür. Um alles Glück hat sie sich gebracht. Sie werden sich nie zusammenleben. Liebe, die mit einem Verzicht beginnt, sie kann nicht dauern und wachsen, sie kann auch erst eigentlich nicht gekrönt werden. Ach Du! Wenn man einmal durch alle Kinderseelen schauen könnte, was in ihnen pulst: Du! Ich glaube, es wäre im ganzen ein erschütterndes Bild. Wieviel Kindlein, vor denen man [s]ich fürchtete und sie herrisch verwünschte! Wieviel Kindlein mit gespaltenem Herzen: Des Weibes Ja, des Mannes Nein! Wieviel Kindlein ohne einen rechten Lebenswillen und Lebenssinn, Kinder des Zufalles!

Herzlieb! Herzlieb! Und wir selbst? Du und ich? Du! Du!!

Manchmal schon wollte es mir scheinen, als sei wenig Lebensmut und Lebenswille in mir – ach, es ist wohl abwegig, darüber zu grübeln. Ich habe dich gefunden!! Mein Herzlieb!! Mein [Hilde]lieb!! Mein liebes Weib!! Nun ist alles gut. Nun ist so viel Freude und Glück. Und nun steht soviel Kraft auf und guter Wille, dieses Leben mit Dir zu meistern, und – Du!! Du!!!!! – unsre Liebe auch gut und glückhaft zu krönen – gut und glückhaft. Und das liegt ja nicht bei den Menschen, bei uns allein, wir wissen es! Du! Ich muss aufhören zu schreiben. Man meutert. Ein Bildchen kann ich Dir beilegen. Es zeigt Deinen Hubo am Weihnachtsfest. Ich glaub, das Heimweh steht noch ein wenig in seinem Gesicht, Herzlieb!! Herzlieb!!! Das Heimweh nach Dir!! Nach Dir! Geliebte!! Daheim, das ist bei Dir!! Ohne Dich bin ich heimatlos, stehe ich ganz allein! Du! Herzlieb!! Macht es Dich glücklich, dass ich Heimweh fühle nach Dir? Du!!! Du!!!!!

Ach Herzlieb! Ich bin doch ganz Dein!! Hast mich doch ganz eingefangen! Ich kann doch gar nimmer los von Dir, Du!! Du!!!

Behüte Dich Gott! Bleib froh und gesund.

Ich denke Dein immer in Sehnsucht und Liebe!

Ach Herzlieb! Bleib bei mir!! Bleib mein!! Gott schütze Dich!! Ich bin Dein [Roland] in meiner ganzen Liebe und Treue Dein, nur Dein!! Herzlieb!! [Hilde]lieb!!! Du!!! Ich küsse Dich! Ich liebe Dich so sehr!! Du!!! Du!!!!! Herzlieb!!!!!!!!!!!!!

 

[* = Buchstabe in lateinischer Ausgangsschrift geschrieben]

[** = Buchstaben in Kurrrent geschrieben]

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946