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[OBF-410117-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 17. Januar 1941.

Herzallerliebste! Mein liebes, teures Herz! Meine [Hilde], Du!!

Du erinnerst daran, wie Umstände und Menschen, denen wir gar keine Bedeutung zunächst schenken, doch so bedeutsam werden können in unserem Leben; in einem Theater sind auch die Nebenrollen manchmal von einschneidender Wichtigkeit, daran wird man erinnert. Und auch daran: daß unser Herr und Meister sagt, Gott könne auch aus Steinen Brot machen, also aus etwas Wertlosem etwas Wertvolles, aus etwas Unbedeutendem etwas Bedeutsames. Es mahnt uns, daß auch ein Nebenumstand einem Geschick eine völlige Wandlung und Wendung geben kann, daß man vor einem Wunder zu stehen vermeint. Und wenn ich nun gerade an die Rolle des Herrn P. denke, so empfinde ich mit Dir das Seltsame dieser Geschichte und kann es gar nicht ohne weiteres als einen Zufall beiseiteschieben. Herr P. ist ein eigener Mensch. Es haben mich verschiedene Personen vor ihm gewarnt, vor seinem herrischen Wesen, vor seinem Nörgeln. Es wurde gesagt, daß bisher noch jeder sich mit ihm überworfen habe – ich bin gut mit ihm ausgekommen, ich ließ ihn herrschen, als Archivar, ich ließ mich beraten – einflüstern ließ ich mir nichts, ließ mich auch nicht auf die Seite nehmen – und so ging es. Und so geht es immer, wenn man klare Grenzen zieht und mit offenen Karten spielt.

Ich mußte gerade auch diese Tage noch einmal an den Bräunsdorfer Abend denken. Ich brannte so darauf. Wir waren zur Kantorenversammlung in Rabenstein. Und die Sitzung zog sich in die Länge, ich saß wie auf  Kohlen – und es regnete so herzlich – und der ganze Abend schien zu zerrinnen. ½ 9 Uhr kam ich wohl nach Hause, völlig durchnäßt. Wie im Fieber muß ich gewesen sein. Ein Magnet, ein ganz starker muß mich gezogen haben – und so bin spät abends im Regenwetter nach Bräunsdorf gelaufen. Herzlieb, ich sehe das noch so deutlich vor mir, ich fühle noch dieses Sehnen – es unterscheidet sich von meinem Sehnen nach Dir durch seine Wildheit, durch sein freies Schweifen.

Ja – und als ich nun da ankam, war ich enttäuscht – daß der frühere Kantor            [*] (ich weiß jetzt seinen Namen nicht) zugegen war. Warum? Wohl, weil ich mich nun irgendwie beaufsichtigt fühlte. Ich ging auch sonst nach dieser hohen Spannung etwas enttäuscht nach Hause. Ich weiß noch, daß ich mich allein und einsam fühlte und fremd, als die anderen so vertraulich durcheinander und ungeniert und übermütig Arm in Arm singend davongezogen. Da konnte der [Roland] nicht mit und eine große Hoffnung sah er schwinden, in diesem Kreise vielleicht das Glück einer tiefen, heimlichen, seltenen Liebe zu finden. Herzlieb! Du!! Das Sehnen ist in mir so groß, so unbändig gewesen an diesem Abend, es ist mit mir durchgegangen – es war auch kein bestimmtes Sehnen, ganz frei war ich noch, und es war nur ein ausgestreckter Fühler – weißt, so ein Tag mit Hochspannung, bei mir immerhin eine Seltenheit – und der Fühler, Du!!!!! hast ihn gespürt – und das Sehnen, Du!!!!! hast es geschaut und empfunden, Dich!!!!! hat es angerührt in seiner Tiefe – in Dir!!!!! brachte es eine verwandte Seite zum Klingen.

Herzlieb!! Geliebte!!! Du!!!!! Ich glaube, es war Fügung, damals schon. Und – ich weiß es nicht mehr – aber ich weiß von anderen solchen Gelegenheiten – es ist durchaus möglich, daß Dein Hubo Dich damals herzprüfend und liebfragend angeschaut hat – Du!!!!! So ist dieser Abend in meinem und Deinem Leben der bis heute wichtigste gewesen in unserem Leben – und heute stellt es sich erst heraus. Und so mag manche Stunde von Wichtigkeit sein, die verrinnt, ohne daß wir es merken. Überall, so spüren wir, steht hinter der deutlichen, klaren Wirklichkeit das Unfaßbare, wundersam und geheimnisvoll Waltende.

Du!! Herzlieb!! Daß ich Dich so fand!!! Daß Du mir geschenkt wurdest!!! Du!! Du!!!!! War doch unter der Schar eine, die von einem stillen, tiefen Glück und Einssein träumte! Von einem innigen Sichlieben und Umschlingen und Vereinen! Die sich sehnte nach einer reichen, unerschöpflichen Zweisamkeit – von dem Glück zu zweien, das nie leer und ärmer wird. Du!! Du!!!!! Herzlieb, manchmal kam ich mir so fremd und ganz verlassen vor, wenn ich die Vertraulichkeit sah unter Deinen Altersgenossinnen, wenn der W. sich erlaubte, alle zu betasten, wenn der W. allen frech und zudringlich sich näherte – und das bei Lichte – wie erst im Dunkeln? und die Mädels ließen sich das gefallen – bei Dir habe ich es niemals beobachtet – aber wer hier schon hätte anders sein wollen – bei der Bedenkenlosigkeit fast aller anderen stand er in der größten Gefahr, auch so mitzutun, um nicht als schwarzes Schaf angesehen zu werden. Herzlieb! Ich hielt nicht viel von allen – und ich empfinde es, es war in meiner Zurückhaltung auch ein Teil schmerzlicher Enttäuschung und überlegener Ablehnung. Du fühlst es mit mir noch heute – und hast es damals schon mit mir gefühlt? Du!! Liebe!! Ich habe dann zuletzt von einigen Mädeln gering gedacht – das will bei mir viel bedeuten.

Herzlieb! Von Dir habe ich nie Schlechtes gedacht. Du warst ja noch ein Kind, ein großes, langes, schaute so fragend und lebensfroh zugleich in die Welt, es konnte sich seines Lebens so übermütig und von Herzen dankbar freuen – und fragte doch dann wieder – sich selbst zu Hause im Kämmerlein – und dann die anderen Menschen – was soll ich? was ist mit mir? – und suchte ehrlich nach einer ehrlichen Antwort – und empfand dann die Liebe zum ersten mMale so mächtig, so ehrlich und froh und jung – und suchte nach Gegenliebe, nach einer von derselben Art – und wollte die Antwort von [Roland], just von ihm, – andere waren da, ach nur zu gern bereit, die Antwort zu geben – just vom Hubo wolltest Du sie haben, der damit kargte und zurückhielt – von Deinem Hubo, Du!!! Ganz, ganz Dein ist er heute!!!!!!!!!!! – war so eigensinnig und so wählerisch und so anspruchsvoll und so gründlich, mein Herzlieb; begnügte sich nicht mit den platten, faden und flachen Antworten der anderen; es war so gründlich und wißbegierig – und wollte tiefer lieben als die anderen und tiefer geliebt werden. Du!! Herzlieb!! Und hast Dich nicht abweisen lassen, hast ihn bei der Hand gefaßt, hast ihn gerufen: „Gib mir Antwort, Du spröder, verschlossener Mann, – Deine Antwort will ich hören, um alles in der Welt, mein Leben hängt daran!" Du, Geliebte!! Nun gibt er Dir Antwort schon lange, und will Dir Antwort geben ein ganzes, langes Leben!! Du lieber, tapferer, Du allerliebster junger Frager, in kein lieberes, dankbareres, würdigeres Herz könnte meine Antwort fallen!!! Herzlieb! Ich ermesse es! Unerschöpflich ist unsre Liebe! Soviel Aufgaben, die unsrer harren, die wir gemeinsam lösen wollen und uns immer fester zusammenschließen! Du!! Du!!! Unerschöpflich!! Und keinen Menschen wüßte ich, mit dem ich mich so kindlich darauf freuen könnte, mit dem ich lieber dieses Leben anfassen wollte – als mit Dir! Du!! Herzlieb! Du!! Du bist ganz, ganz mein!! Mein lieber Weggesell – den ich ganz sehr brauche, der mir dieses Leben so froh und reich gemacht hat und liebens– u. lebenswert! Du!!! Ich freue mich so!! Du Liebe, Herzallerliebste!! Nun halte ich meinen lieben Buben ganz fest umgefaßt – und er guckt mir erst noch einmal erstaunt in die Augen – und dann packt er auch mit zu! Du, ja Du bist's!!! Mein Glück!! Mein ganzer Reichtum!! Du!!! Du!!!!! Willst es aushalten mit mir ein ganzes Leben? Wird es eintönig und langweilig werden? Herzlieb! Längst haben wir die Antwort gegeben – an heiliger Stätte – und in unseren Herzen vieltausendmal.

Gott im Himmel schaue gnädig auf unser großes Glück! Sein Segen und unsre Liebe, sie sind die besten Bürgen seines Bestandes.

Geliebte, wieder ein Tag um. Sonnenschein von Dir liegt auf allen Tagen. Wenn ich ihn nicht hätte! Wenn ich Dir nicht schreiben dürfte! Herzlieb! Magst Du ermessen, wie reich Du Deinen [Roland] gemacht hast? Die lieben treuen Boten hin und her, sie machen ihn sichtbar den Strom der Liebe, des Vertrauens – des beglückenden Tauschens und Schenkens von Herz zu Herz. Du!! Ich habe Dich so lieb gewonnen!!! So sehr lieb!!!!

Heute erhielt ich auch einen langen, lieben Brief von der lieben Mutsch. Bestelle ihr bitte meinen Dank und danke auch dem lieben Pappsch, ich habe ihn auch lieb, den Vater von meinem Herzlieb!

Dich aber behüte Gott! Ich bitte ihn, daß er uns Lebensgefährten sein läßt – er möge uns bald Seite an Seite gehen lassen.

Geliebte! Morgen, morgen schon darf ich wieder Dir nahe sein – jetzt ♥♥ [Siehe Abbildung]  noch mit meinen liebsten, heimlichen Gedanken – bald, bald, Du!!! – mit allen Zeichen der Liebe – Du!!! Du!!!!! Ich denke oft und sehnsüchtig daran!!! Du, mein liebes, teures Herz!!!!! ♥♥ [siehe Abbildung] Dein [Roland] bin ich!!! Du!!!!!!!!!!!!!!!
 

[* = weiße Stelle im Text]

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946