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[OBF-410116-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 16. Januar 1941.

Herzlieb! Meine liebe, liebste [Hilde] Du!! Geliebte mein!!

Du!! Weißt wozu ich Lust verspüre? Mir geht es nämlich wie Dir heute, ich weiß gar nichts Besonderes heute zu schreiben und weiß noch nicht, ob dieser Bogen wird voll werden. Also, wozu ich Lust verspüre? Du wäschst Dir doch eben die Haare – ein bissel darin herumzufitzen und mal zu sehen, wie Dir der Knoten steht, und ob Deinem Mannerli gefällt, was Dir gar nicht gefallen will. Nein, weißt [Du], ich muß ein wenig [s]chmunzeln über Deine leidenschaftliche Verteidigungsschrift. Die ganze Frage, ob kurz oder lang ein Haar ist ja ganz untergeordneter Natur. Also weil ich doch nicht in Deinem Haar herumfitzen kann, so will ich doch wenigstens ein bissel in der Haargeschichte herumfitzen - Du kannst mir derweil was vorsingen. Du! Wirst mir's übel nehmen? Dann kannst Dir 5 Kussel gutschreiben!

Also paß auf! Der erste Fitz: „Es ist gar kein Weg zum langen Haar, der Übergang, abstoßend, häßlich, unmöglich!! Die Wirtschaft, die Suppe und so!!“ – „Wenn ich später einmal ..... werde ich meinen Friseur um Rat fragen, wie man ...., er weiß bestimmt einen Rat“. Also doch ein Rat! Du! Hast Dich verfitzt? Das böse Mannerli zeigt auf den Widerspruch. Und in diesem Widerspruch liegt Deine Antwort: Mannerli, ich mag nicht, ich mag noch nicht –  ja? Du!!

„Ich wehre mich ganz und gar nicht gegen Langhaar --- (?), aber erst den Zopf dazu haben“ – und zum Zopf ist jetzt noch kein Weg – also kann ich gar kein Langhaar tragen! Du! Das ist ein verflitzter Kreiselschluß. O, das böse Mannerli!!“

Und nun redest vom Friseur. Du darfst nicht denken, daß ich an das Geld dachte, das Du ihm zuwendest. Ich bin auch nicht mehr eifersüchtig auf ihn. – Aber besinnst Dich noch darauf, daß ich eines Tages auf Deinem lieben Köpfchen versengte und abgebrochene Haare fand, daß es mir richtig leid tat? Die Kunst Deines Friseurs in Ehren – ganz entstellt und unmöglich gemacht hat er Dich nie, Du!! – aber mein Haupteinwand bleibt doch bestehen, – Du weichst ihm ein wenig mißtrauisch aus – unnatürlich ist es doch, das 'gepflegte Haar.' Und nun wirst ganz eifrig gegen Dich selbst und gegen Dein natürliches Aussehen – strampelst so wild wie ein Kleines in der Wiege – daß der Hubo zunächst einmal gar nichts dazu sagen kann und Dich so aus der Ferne auch gar nicht eines anderen belehren kann – hier könnte nur ein Überzeugen durch Anschauung am lebenden Subjekt selber helfen! Dein Hubo wird selber einmal mit Hand anlegen müssen.

Herzliebes! Verstehst Du mich richtig? Ich hatte noch nie Anlaß, Deinen Geschmack, Dein liebes Köpfchen eingeschlossen (bis auf einen Hut!), zu tadeln oder zu bemängeln – ganz, ganz im Gegenteil, das weißt Du! Einmal, eben als es so ganz frisch frisiert war, ist es mir überhaupt erst einmal aufgefallen. Und daß ich jüngst davon schrieb – ganz ist es mir nicht mehr gegenwärtig – ich sprang mit meinen Gedanken – eine Verbindung bestand aber – weiß nicht, ob es die war: Eltern – Mutter – mütterlich – ich weiß es nicht mehr. Ist auch gleichgültig – und wisse, daß ich auch heute noch an Deinem lieben Köpfchen gar nichts zu bemängeln habe und daß ich will, Du mögest es ganz nach Deinem Geschmack und Gutdünken pflegen – Deinem Hubo zur Freude, Du!! – und daß er vor jedem übertriebenem Aufputz sicher ist, das weiß er längst. Er vertraut Deinem Geschmack – wie er andersherum es weiß, daß Du für ihn Dich schmückst, für ihn Dich schön machst, um ihm soviel Freude zu bereiten. Und Du freust Dich doch dann erst recht, wenn es Dein [Roland] sieht und schätzt und würdigt, wenn es ihm gefällt, er Interesse zeigt – und auch einmal einen Wunsch oder Vorschlag äußert. Du darfst mirs glauben: Der Wunsch nach dem langen, natürlichen Haar, den äußert Dein Hubo nicht, weil ihm etwas mißfallen hat oder er sich schon recht ein Bild von dem erfüllten Wunsche machen könnte; nein, aus einem Prinzip, einem Grundsatz, daß man eben dem natürlichen den Vorzug geben soll – und weil mir die Art das Haar zu tragen bei anderen gefallen hat.

Nun räume ich ein: daß man die Beschaffenheit des Haares berücksichtigen muß. So wie es der einen schlecht steht, sich kurz zu kleiden, so der anderen, das Haar lang zu tragen. Und ich möchte selbst nicht, daß Du meinethalben nur meinem Wunsch und Prinzip zuliebe Dein Köpfchen verunzieren sollst, wie Du es fürchtest. Ich räume auch ein, daß mein Prinzip der Natürlichkeit kein starres Prinzip ist. Es wird oft durchbrochen: Unnatürlich wäre ja dann auch schon, daß man sich überhaupt kleidet, und schön kleidet, Schmuck anlegt usw. Nein, so starr ist er nicht. Und das Haar ist schon früher zum Kopfputz und Kopfschmuck geformt worden. Und auch das war schon immer so: daß mancher Mensch seiner Schönheit gar nicht nachlassen konnte, weil er von Natur schon schön war. Das gilt im einzelnen vom Haar ganz besonders.

Und doch gibt es eine Grenze, wo dieses Nachhelfen einen Grad erreicht, daß man es sieht - - das schlimmste, was passieren kann. Herzlieb! Ich wüßte nicht, was ich sagen sollte, wenn Du Lippen und Fingernägel bemaltest – es wäre mir unerträglich – und unbehaglich wäre mir schon, wenn Du an Modetorheiten Freude hättest. Siehst, wenn Deine Frisur so ganz frisch ist, dann kommst Du der Grenze nahe, daß man sieht, die ist gemacht, die gehört gar nicht zu diesem Gesicht. So. Punkt. Jetzt hat Dein Mannerli gesprochen.

Hast Dich brav gestellt, Herzlieb, hast nicht gekniffen. Ein Schmunzeln konnt Dein Hubo aber nicht unterdrücken, als er den Eifer sah, sein ungebärdiges, strampelndes, kopfschüttelndes [Hilde]lieb: Nein, nein, nein, ich mag noch nicht! Du!! Du!!! Wenn Du so Dich stellst, wenn es ums Küssen geht beim Wiedersehen oder ums Drücken, Du!!, dann wird es Deinem Dickerle nur eine Ermunterung sein, Dich noch viel mehr zu küssen und fiel viel fester zu drücken, Du! Du!!

Siehst, mein altes, beobachtetes Gesetz hat wieder Geltung: So wie gestern wieder Alarm. Dazu streikt das Licht wieder. Oberlehrer K. schickte mir heute – rührend – ein Päckchen mit Pfefferkuchen und dazu einen Schreibebrief. Du! Alle Kameraden fast aus G., sein eig[e]ner Sohn auch, sie müssen dran, in Frankreich, Rumänien — Du! Ganz still und zufrieden und dankbar muß es uns wieder machen mit unserem Geschick, Dein [Roland] ist nicht irgendwie besonders hergenommen worden oder benachteiligt – es geht allen so – und wir müssen es beide tapfer tragen, Du!! Ganz tapfer. Ja? Mein liebes, junges Weib!! Mein Herzlieb!! Wenn es uns auch manchmal schwerfällt.

Geliebte! Meine liebe [Hilde]! Gott behüte Dich! Ich habe Dich so sehr lieb! Du!! Du!!! Du! Nach dem Urlaub zu fragen war noch nicht die rechte Gelegenheit – aber daß es mir immer auf der Zunge liegt und daß Dein [Roland] schon fixiert und hypnotisiert – glaubst ihm das? Daß er – für sein Herzlieb in der Ferne mit – tut, was er kann? Du!! So wahr er gerne kommt zu Dir! Gerne? Kommt? Du!! Du!!! Fliegen möchte er – blitzen und flitzen – nicht links und rechts sehen dabei und erst einhalten an dem Haus, das sein Liebstes, Köstlichstes birgt und herbergt. Du!! Du!!! Geliebte! Mein Ein und Alles bist Du! Mein Glück, mein Leben! Mein Rehlein und Herzblümelein auch, Du!! Ich liebe, liebe Dich!!

Ich bin Dein!! Nur Dein [Roland]!!! Und Du bist meine
liebe, allerliebste [Hilde]! Mein!!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946