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[OBF-410112-002-01]
Briefkorpus

Sonntag, am 12. Januar 1941.

Herzallerliebster! Geliebter mein!! Du mein lieber, lieber [Roland]!!

Die Zeiger meiner Uhr sind sich eben jetzt am fernsten – viertel vor 3 Uhr.

Und wie ists‘ bei uns? Du?!

Ich bin Dir jetzt am nächsten, Du!! Am nahesten! Ganz nahe! Mein lieber, guter [Roland]!! Ich feiere nun Sonntag, mit Dir. Die Arbeit ist getan. Vater liegt neben mir auf dem Sofa; Mutter erwarten wir jede Minute, sie wollte mit dem Bus kommen um diese Zeit.

Am Ofen brennt wieder ein lustiges Feuer, ein helles – kein sparsam trübes, Du!! Und nun möchte ich eigentlich am allerliebsten mit meinem Dickerle auch ein Mittagsschläfchen halten. Ach ja – wie gerne wieder einmal, Du!!

Doch ein ganz artiges, mein Bub hörst‘?

Deine [Hilde] ist doch heute krank, Du!! Heute früh genau um 7 Uhr wurde sie es gewahr. Und heute bin ich nun ein wenig matt und müde. Ach Du!! Sei froh, daß Du ein richtiger Bub bist – es ist manchmal gar nicht schön, wenn man ein Mädel ist. Wenns‘ überall weh tut und man kann nicht frei sich bewegen, aber es gehört zur Weiblichkeit – und ich hab mich nun freilich auch darin gefügt.

Die Mutter ist da, es nun ein bissel unruhig geworden. Es gibt zu erzählen[,] zu fragen – ich sitze ein bissel verzweifelt vor meinem Bogen und sammle mich. Das Wunschkonzert ist im Gange[,] eben verklang eine russische Melodie: Aber ich möchte so gern Dir noch schreiben, ehe es Abend wird, ich möchte heute einmal ganz zeitig schlafen gehen – ich hatte keine gute Nacht. Die Schmerzen plagten mich ein wenig.

Mein [Roland]! Unsere Liebe – einst und jetzt.

Auch Du möchtest diesen Gedanken ganz ungestört nachhängen, ganz richtig sagst Du dabei: nicht, um Vergangenes aufzuwühlen, sondern nur, um zu sehen wo wir stehen – wie wir dahin gelangten und – Du!! Um nur noch glücklicher zu sein.

Die große Liebe zu Dir, sie ist mir ins Herz gefallen – ich weiß es ja selbst nicht[,] wie es kam, Du! Es ist mir im Grunde genau so wundersam wie Dir, mein Herzlieb! Das Wunder meiner Liebe, die erst gar keine Heimat hatte.

Wo begann das Wunder? Wann? Wann spürte ich diese Macht zuerst, ganz zuerst? So frage ich mich auch jetzt wieder. So war es am ersten Male, da ich richtig mit Dir zusammen traf, in einer geschlossenen Gesellschaft. In Bräunsdorf war es. Vom Sehen warst Du mir schon eher bekannt, ich sah Dich im Orte. Aber damals, als ich Dir zum ersten Male Aug in Auge gegenüber trat – als ich einen Blick tun konnte in Dein Augenpaar, als Du mich, für den Tanz dankend an meinen Platz führtest, und meine Hand ein wenig länger noch in der Deinen hieltest – da – ja, da geschah es, das Wunder, das mich wie ein süßer heißer Schreck durchrieselte – unsere Augen ruhten für Sekunden ineinander und ich habe Dich gesehen, Dich mein [Roland]!!

Was zog mich so hin zu Dir? Dein fragender, Dein staunender, Dein guter Blick? Durch Deine Augen hindurch sah ich wohl Dein Herz, Dein treues, edles Herz, das sich so sehnen konnte. Wir Mädchen, wir Frauen haben dafür ein ganz besonderes, feines Empfinden, für das es keinen Ausdruck gibt, keine Erklärung. Ich fühlte sofort, wem mein Herz zufliegt, der ist nicht wie alle anderen – nein – das ist nicht richtig gesagt – ich konnte das ja noch garnicht unterscheiden, so wie es Dir zuflog, geschah es ja nur das eine Mal, Du! Daß es einem Besonderen sich zuneigte, das fühlte ich erst in der darauffolgenden Zeit, Du! Aber so spürbar kann das Verlangen nach einem Menschen nur einmal sich regen im Weib – nur einmal.

Und was Du mir nun in Deinem lieben Brief von Donnerstag sagst, von der Zeit der ersten Liebe, das hat mich so beeindruckt. Du nennst all das mit Namen, für das mir es an Ausdruck gebricht. Weil ich eben doch noch im Reifen begriffen bin; weil eben noch nicht soviel Raum und Zeit zwischen meiner ersten Liebe und meinem Leben jetzt liegen, daß ich das alles so klar umreißen könnte, wie Du es kannst. Ich bin noch ganz von allem Geschehen gefangen – mein inniger Wunsch, er erfüllte sich ja immer herrlicher und schöner, ich erwachte noch nie einen Tag, oder in einer Stunde, enttäuscht, oder mit leerem Herzen. Nein – nein!! Es ist alles so wunderschön, so gut, so reich, so hell um mich her! Ich denke nur an das Gute, an das Liebe, Schöne! An Dich!! Und an das Glück Deiner Liebe!!

Das Ungestüme der ersten Liebe, in dem die Gefahr ruht, die ein ganzes Leben beschatten kann, Du! Es ist mir von einem gütigen Geschick vorenthalten worden.

Du! Der Du mein Beschützer bist, mein Weggesell, Du weist mich erst auf die ganze Tragweite dieser Gefahr hin. Und von Herzen dankbar dachte ich an unseren Herrgott droben der ja über alle unsere Schritte wacht.

Du weißt, wie schrankenlos meine Liebe zu Dir war und ist. Wenn Du von meiner Art mir nun begegnet wärst, Herzlieb! Es ist schon so: es könnte dann heute nicht so zwischen uns sein – die letzte Weihe, die Krönung unserer Liebe, sie wäre uns verloren.

Die Sinnlichkeit hätte alle wertvollen, guten Regungen in uns überwuchert, wenn wir sie von Anfang an hätten siegen lassen. Der Mensch ist schwach in dieser Hinsicht – und Herzlieb! Wenn wir uns schon bezwungen hätten darnach, Du weißt es ebenso wie ich: es ist so sehr schwer, wenn man von diesem Becher nippte. Wir wären im Herzen unzufriedener geworden; ja, es hätte so weit führen können, daß wir uns wieder auseinander lebten innerlich. Und nur, weil wir ja nun nicht mehr voneinander konnten in Ehren, hätten wir das Zusammenleben weiter geführt. Du!! Ich mag diese Gedanken nicht zu Ende denken. Ich fürchte mich vor solchem Leben.

Die Versuchung war nahe, sehr nahe. Und eine höhere Macht hat sie abgewendet.

Wir müssen so dankbar sein für unseren Weg, so wie wir ihn schritten all die Zeit daher. – Die wahre, echte Liebe ist zu jedem Opfer bereit.

Magst Du auch heute nur noch ein Kindlein von mir? Du!!! So fragst Du mich, mein [Roland]! Du kennst meine Antwort, ich sagte sie Dir schon: ich brauche Dich!

Herzlieb!! Mein [Roland]!! Meine Liebe damals und heute, ich sehe jetzt den Unterschied, ich fühle ihn, fühle ihn bis ins Herz hinein! So tiefinnerlich, so kostbar, so unendlich mehr wert ist meine Liebe heute zu Dir!

Und der sie hegte und pflegte, bis sie den goldenen Grund finden konnte, der warst Du!! Mein Geliebter!!

Du hast mich zum Reifen gebracht, Du hast all die guten Säfte in mir zum Strömen gemacht, Du warst mein rechter Gärtner! Und Du hast so viel Anteil an dem Wunder meiner Liebe, wie sie nun heute sich Dir kund tut! Wäre sie so erblüht, wenn Du mich nicht an Deine liebe Hand genommen hättest? Niemals!! Alles, was in mir schlief, Du, nur Du hattest die Macht, es zu wecken zum Leben. Weil ich mich nur Dir erschließen wollte, weil ich nur Dir allein vertraute, bedingungslos. Ich war so ganz eigensinnig, keinem außer Dir war es vergönnt, in mein Herz zu sehen, in mein wahres Herz.

Und wie ein schutzsuchendes Vögelchen schmiegte ich mich an Dein liebes Wesen, wo ich mich so ganz geborgen fühlen kann – ich war so ganz demütig auch: mache mit mir, was Du willst, schmähe mich, quäle mich, – nur – laße mich bei Dir bleiben, daß ich Dich liebe, daß ich Dein einsames Leben hell mache – einmal muß doch Dein Herz sich regen.

Die Liebe von Herzen mußte erst so groß und stark sein in uns, daß sie die Sinnenliebe ertragen konnte, ohne zu welken danach. Mein [Roland]!! Es sind so viele Beispiele auf unserem Weg, die ich aufzählen könnte, welches ist das treffendste dafür, es geht nicht, daß ich mit Willen danach forsche; aber eines ist uns nun ganz klar geworden: Wie es sich fügte zwischen uns, es mußte sein, es ging nach Gottes Plan, der uns auch einander finden ließ auf dieser weiten Erde,: unsere Liebe hat zueinander gefunden, sie schwingt in uns nach in hellem, reinem Ton – meine Liebe, die hat sich geklärt, sie ist reifer geworden seit ihrem Anbeginn und mein Geliebter! Damit umso schöner, glückvoller, umso inniger, fester, unlösbarer!!

Dir danke ich es, Dir!!! Du hast mein Herz in Deine Hände genommen, hast es gehütet, hast es zur Reife gebracht – und weil es so jung, so hilflos, so schutzsuchend war und eben gerade nur nach Dir verlangte, Du!!! Darum sollst Du auch meine Frucht als Dein Eigen betrachten, als Dein Vermächtnis. Es mag nur seinem Gärtner gehören, Du!!!!! Der Strom unsrer Liebe, er hat ein Bett gefunden, ein Ufer – er kennt nur einen Weg: den Weg von Herz zu Herzen. Nichts kann ihn je aus seinen Ufern treten lassen – das Band der Liebe schlingt uns unlösbar miteinander, Du!! Und wenn ich Dich heute in meine Arme schließe Herzlieb!! Dann so herzinnig, so beglückt, so selig, trunken vor Glück und Freude! Du!!!

Was im letzten halben Jahr zwischen uns trat, es kettet uns noch fester aneinander, Du!!!

Die Stunden letzter Traute, dieses innige Verschmelzen und Ineinanderruhen, es fesselt uns so ganz aneinander.

Die Sehnsucht! Die unendliche Sehnsucht, die alle Ferne überwindet, die durch alle Widerstände dringt, bis in das Herz des Geliebten hinein und es erzittern läßt vor Glück, diese große Sehnsucht, sie hält die Liebe wach und stärkt die Hoffnung, es gibt ein Wiedersehen!! Und wenn uns dieses Wiedersehen wird einst wieder für ganz, für immer beschert werden, Du!!! Dann dürfen wir uns beide miteinander freuen am Werden, am Reifen unserer Liebe; das ist wie ein Gotteswunder:,[sic] die Liebe, sie wächst und reift bis ins‘ Alter hinein, die Pfänder unsrer Liebe, die das Leben unsrer Liebe in sich tragen werden, Du!! Sie machen unser Leben nur noch reicher und schöner, wir werden uns dann noch viel inniger zusammenschließen, in dem Ernst und die [sic] Verantwortung[,] die wir für diese, unsre Lebensaufgabe tragen.

Daß ich Dein Weib sein darf!!!

Du!! Ich muß weinen vor Glück!

Gott schenke uns seinen Segen! Er behüte mir Dich! Du bist mein Lebensatem! Ich brauche Dich!!! Geliebter!! Ach – was ich Dir nun schrieb, ich weiß es nicht, ob es Dir ungereimt erscheint, es ist ja gar nicht alles in Worte zu fassen, was uns verbindet, was wir erleben durften! Eins soll Dir nur ganz froh gewiß sein: Daß Du mein junges Leben, mein Reifen in Deine lieben Hände nahmst, daß alles[,] alles Dein ist, Dir gehört, was an guter Frucht hervorgeht! Daß ich es Dir weihe aus tiefem[,] dankbarem Herzendrange heraus Dir, meinem geliebten Lebenskameraden! Lasse mich nicht von Deiner Seite, halte mich fest, mein Herz! Ich muß sterben, vergehn, wenn ein andrer mein Gärtner sein will! Nur Du kannst mich froh und glücklich machen! Nur Dir will ich meine Liebe weihen! Nur Dir! Ich will alles daran setzen Dir Freude und Glück zu schenken im Leben, ich will Dein guter Kamerad, Deine liebe Mutter, Dein Weib – ich will Dir alles, alles sein! Du!! In Deiner treuen Liebe kann ich so viel vollbringen, wenn mir nur der Herrgott immer Gesundheit und ein frohes Herze schenkt. Du!!! Du!!! Mein Geliebter!!!

Ich freu mich auf Dich!! So sehr freue ich mich!! Laß[ Dich küssen, laß Dir ganz lieb und lind über dein Köpfchen streicheln, mein liebes Mannerli! Ich bin Dir so gut!! Ich hab Dich so lieb! Halt schön aus mit mir! Mein Lieb! Der Herrgott wird unser Glück behüten, er wird uns bald die Freude des Wiedersehens schenken! Du!! Ich warte mit Dir voll heißer Liebe und Sehnsucht!

Sei ganz froh bei Deiner öden Arbeit und in Deiner trostlosen Umgebung! Wir hoffen ganz fest auf ein bessres Leben, wir wollen uns immer stärken in der Hoffnung darauf, wenn Gott den Frieden noch nicht für recht häl[t]. Eine Ewigkeit wird es nicht mehr währen. Ich glaube es nicht. Mein Herzlieb!! M[ö]ge Dich mein Bote gewiß machen, daß Du mir alles, alles bedeutest, daß ich nicht sein kann ohne Dich! Daß ich so glücklich bin in Deiner innigen Liebe! Und mögest Du fühlen, daß mein Herz Dir in tiefer Dankbarkeit zuschlägt, meinem Beschützer, Dir, meinem Glück!

Der Herrgott sei mit Dir – mit unserer Liebe!

Er sehe gnädig auf uns herab, wir wollen seine Kinder s[ei]n.

Herzallerliebster!! Ich liebe Dich! In unwandelbarer Treue liebe ich Dich!! Du!!!

Gut Nacht! Gut Nacht!

Ich bete für mein Herzlieb! Für unser Glück!

Immer Deine [Hilde], Deine Holde.

So selig müde bin ich nun, mein Lieb!

Du! Wenn es heute ungereimt Dir scheint, was ich Dir schrieb! Verzeih mir – ich hab es von Herzen gut gemeint. Ich bin so müde. Du!! Du!! Komm bald zu mir.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946