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[OBF-410109-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 9. Januar 1941.

Meine liebe, liebe [Hilde]! Mein liebes, teures Herz! Holde mein!!

Was Du in Deinem lieben Boten von gestern angerührt hast, das beschäftigt mich ja noch so. Ich möchte ihm ganz ungestört nachhängen, weit hinauslaufen dazu – ich muß die Zeit auf für unnützere Dinge verwenden – um 4 Uhr war ich munter heute morgen und habe gedacht und mich versenkt, Herzlieb, nicht um Vergangenes aufzuwühlen, sondern nur, um zu sehen, wo wir stehen – und wie wir dahin gelangten – und letzten Endes, um nur noch glücklicher zu sein. „Es war ein ganz vermessener Wunsch und Gedanke von mir.“ Er q kam aus dem Ungestüm, der Grenzen- und Uferlosigkeit der ersten Liebe, die so stark und opferbereit und trotzig sein kann, die sich über Sitte und Ordnung und Elternhaus hinwegsetzen kann und so revolutionär sein kann. Das ist die Zeit, da die Menschen 'in den Halm schießen', da sie in die Länge wachsen, da sie so große Kräfte in sich spüren, - es ist aber noch nicht die Zeit der Reife, die Zeit der Frucht, der guten Frucht. Herzlieb, diese erste Liebe ist in ihrem Ungestüm ein Wildling, ein Wasserschoß – und ihre Früchte sind vorreife, taube Früchte – und das Kindlein ist ein Kindlein der Schmerzen und Sorgen für Mutter und Kind: für 1 selige Stunden ein Leben der Entsagung – ein Lebenlang den Stachel des Schmerzes im Herzen, den die Umwelt uns immer wieder empfinden läßt – Herzlieb, Du ohne Deine Welt, Dein Heim, das Du dem Geliebten bereiten möchtest – und das Kind Zeit seines Lebens im Schatten des 'Makels', selbst wieder in der Gefahr der Vor- und Frühreife; in der Gefahr auch, Abgott der Mutter zu sein – ach Herzlieb, so arm und mühsam und unfruchtbar, dieses Leben!! Es sind nicht wenige, die dieses Schicksal erfahren; die meisten davon gewiß erfüllt von Reue; ganz wenige nur, die von der Freude, ein Kindlein ihres Liebsten zu haben, ihr Lebenlang erfüllt bleiben.

Herzlieb, was Deine Liebe zu mir von damals von Deiner Liebe zu mir heute unterscheidet, das magst Du an Deiner Entscheidung in dieser Frage ermessen: Magst Du auch heute nur noch das Kindlein von mir? Du antwortest mir: „Ich brauche Dich“. Herzlieb, diese Worte, von einem lieben Weib gesprochen, sie umschließen soviel echtes Glück für einen Mann! Herzliebes! Wir sind gereift in unsrer Liebe, auch ich, und darin ruht letztlich unser großes Glück. Der ungestüme, heiße, wilde Drang, der einzig auf die Stunde der Erfüllung gerichtet war, er hat ein Bett, hat Ufer gefunden, er hat sich ergossen in die Zärtlichkeit, in liebe Rücksicht, in die Freude am Nestbauen, in die Wertschätzung des Geliebten, in die Verantwortung für diese Liebe. Der Strom der Liebe umschließt nun vielmehr, vergoldet den ganzen Lebenstag, er ist auch in die feinen Adern und Kanäle gedrungen — Reife! Geliebte!! Zu dem reichen Strom ist ein Ufer gewachsen. Inhalt und Form dieser Liebe stehen nun im rechten Verhältnis zueinander. Und wenn Du mich heute in Deine Arme schließt, dann viel inniger, dann in Wirklichkeit viel hingebender als Du es früher gekonnt hättest. Ist es so? Herzlieb?

Und daß unsre Liebe so reifte und noch reift, das ist ein ganz großes, seltenes Glück. Unmöglich, dieses Reifen zu verfolgen, dieses Widerspiel, es umfaßt die ganze Seligkeit und das ganze Erleben der Zeit unsres ersten Liebens. Nur an einiges will ich erinnern. / [*] Daß wir einander so oft und so lange fern waren - daß wir uns so in Geduld üben mußten und die Gedanken der heftigen, sinnlichen Liebe verdrängen mußten - daß unser Sehnen uns zwang, uns immer wieder in das Wesen des Geliebten zu versenken und unsrer Liebe so mannigfachen Ausdruck zu geben – das alles hat zu diesem Reifen viel viel beigetragen — und wenn ich an mich denke, Geliebte, so möchte ich das besonders auch von unsrer Trennung jetzt sagen.

/ [*] Einmal war dieses Reifen in Gefahr: Du! Als wir zusammen reisen wollten, uns in Goslar treffen wollten. Herzlieb! Was ließ mich innerlich so erzittern vor dieser Begegnung, daß ich krank davon wurde und Dich betrüben mußte? – Gut, gut war es! Herzlieb!

Ich glaube, wir wären uns ganz nahe gekommen damals – wir wären der großen Versuchung erlegen – nicht bis zur Erlösung – untreu wären wir unserem Vorsatz geworden: einander frei und ehrlich zu prüfen – die Stunde der Erfüllung, sie wäre nicht eine Krönung gewesen – wir hätten nach unverdienter Süßigkeit gelangt – und unser Weg dann – ob er nicht schmerzvoller und schwieriger geworden wäre? - Die Zeit der Krise, da wir über der sinnlichen Liebe irre werden wollten, ob sie nicht länger unseren Blick getrübt hätte? Wie auch immer – es war eine Gefahr, von mir aus sehe ich das ganz deutlich.

 

/ [*] Herzliebes, nun waren wir so oft beisammen, ganz allein, Du mit Deiner ungestümen Liebe und Dein [Roland], dem seine Träume die Versuchung mehr als einmal vorstellten — wer bewahrte uns vor dieser Versuchung? – wer gab uns beiden die Kraft, Beherrschung zu üben? War es nicht wundersam? Leitete uns nicht ein guter Geist? Gibt es dafür überhaupt eine Erklärung? Ernst, starker ehrlicher Wille, Verantwortung ,-. Herzlieb, Verantwortung, sie regte sich ganz mächtig in unsrer Freundschaft: Helfen wollte ich Dir! Halb ein Kind erschienst Du mir, noch im Schutze des Elternhauses, ich fühlte die Verantwortung der Eltern – ich fühlte die Verantwortung für das Menschenkind, das mir für Stunden anvertraut war – das wichtigste aber: ich wollte doch ein liebes Weib erlangen, ich hoffte und sehnte mich nach der Erfüllung alles guten Liebessehnens – und diese Erfüllung konnte nur sein, wenn wir uns von Herzen lieben lernten. Herzlieb, das ist die Wandlung, die ich erlebte: Begehren und Lieben, Sinnen- und Herzensliebe, sie waren gespalten in mir. Die Herzensliebe verehrte aus der Ferne und unsinnlich schöne, ebenmäßige Frauen – sie war allein nicht stark genug, eine Leidenschaft zu wecken. Die Sinnenliebe aber – sie schmerzte allein, sie bindet nicht fest, ist nur ein Ausweg aus der Not, sie kann auch kein dauerhaftes Glück begründen — und ich kannte niemanden, auf den sich meine ganze, ungespaltene Liebe richten konnte. Nun bin ich geheilt von meinem Schmerz; auf Dich, Geliebte, ist sie gerichtet, die ganze Liebe!!! (So wie Dein [Roland]) Und das ist meine große Freude und Dankbarkeit: Daß sich auch meine Herzensliebe ganz Dir zugewendet hat — Du Herzlieb!! Ganz will Dich Dein [Roland] haben: Dein Vertrauen zu allererst — Dein Herz – und Deinen lieben Schoß!! Ganz liebt er Dich, so wie er Dir ganz gehört!! Die Gefahr der gespaltenen Liebe – sie ist glücklich abgewendet. Und nun übersonnt unsre Liebe alles – auch den Alltag, auch die stillen Stunden – nun berauscht sie uns nicht nur – nun beglückt sie uns. Nun ist sie reif, Herzlieb!! Nun ist sie auch stark und fruchtbar – und das Kindlein, es ruht in einem glücklichen, werten Schoße, umhegt von zwei lieben Wächtern. Geliebte! Ich bekenne es Dir: Sie reifte mir im verflossenen halben Jahre – sie reifte in dem Willen und Wunsche, Dich zu erlösen, und sie reifte weiter in dem Willen, sie zu krönen, Herzlieb!!! Geliebte!!!

Ich weiß nicht, wie Du empfindest – ob auch Du eine Wandlung gespürt hast. Ich habe Dich ein Stück des Weges zur Reife geleiten dürfen — Herzlieb — viel Hoffen und Sehnen war in mir, ganz leise auch Zweifel und Bangen an mir und Dir – viel viel gutes Wollen und meine ganze Herzenskraft habe ich eingesetzt — und weil ich Dir wirklich helfen wollte, habe ich Dir mein Vertrauen geschenkt von Anbeginn wie niemandem zuvor. Mißtrauisch drängte ich alle Sinnlichkeit zurück – das Programm unsrer Sonntage war so gewählt, daß kaum eine leere Stunde blieb — so lernten wir einander kennen. Ich lernte an Dir zuerst die Herzensgüte und das zarte, weibliche Wesen lieben – die Herzensgüte, die Deinem [Roland] Heimat und Geborgenheit und Sonnenschein schenkte; das zarte, weibliche, schutzbedürftige Wesen, das alle guten Mannestugenden aufruft, das mir soviel Kraft gibt, für Dich mit zu denken, zu schaffen und zu sorgen.

Herzlieb! Hier muß ich heute aufhören. Wir sind beide ganz erfüllt von unserem Glück wie nie zuvor. Ich halte Dich so ganz fest!! Du bist ganz mein Eigen geworden!! Freust Du Dich mit mir? Bist Du glücklich mit mir? Daß ich sie nun erwidern kann, Deine große Liebe! Du hast sie geweckt – Du warst mein Lehrmeister darin!!

Herzallerliebste! Gott behüte Dich mir! Er segne unseren Bund! Halte Dich schön warm. Habt so wenig Kohlen! Daß Ihr mir nicht friert! Könnt Ihr denn nicht einen elektrischen Ofen oder einen Gasofen kaufen?!

Herzlieb! H.s sandten mir einen recht lieben Brief. Lies selbst. Von D.s erhielt ich heute ein Päckchen selbstgeback[e]ne Keks und einen Schreibebrief. Aus Bad Schandau kamen die Kontenauszüge mit ganz rätselhaft schwankenden Gehaltszahlen. Du hast mir mal im Anfang die richtigen Zahlen zugeschickt, sie müssen in den ersten Briefen stecken, die Du verwaltest. Ja, das ist das neueste. Heute abend war seit Sonnabend der erste Alarm.

Nun gute Nacht, mein Lieb, mein Herzlieb!!!

Was ich auch schrieb heute, ob es zutrifft oder nicht, es soll Dir nur eins deutlich machen: daß ich Dich ganz sehr liebhabe – daß dieser Liebe alle Gedanken und Sorgen und alle Kräfte gelten – daß ein ganz starkes, unzerreißbares Band uns umschlingt!!!

Dein [Roland] bin ich! Ganz Dein Eigen!! Dir verbunden mit Leib und Seele auf immer!!

Ganz froh und glücklich ist er, weil Du mein bist! Du meine liebe liebste [Hilde]!! Geliebte, Holde mein!!!!!

 

[* = Kennzeichnung am Zeilenrand]

 

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946