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[OBF-410102-001-01]
Briefkorpus

Donnerstag, den 2. Januar 1941.

Herzlieb! Geliebte! Meine liebe, liebe [Hilde]! Holde mein!

Läßt mich heute so lieb an Deinem Sylvester teilnehmen! Hast mich so lieb und fest an Dein Herz geschlossen! Ach Du! Hast mich ja eingesperrt in Dein Herzel – und Dein Hubo – erst hat er sich gefürchtet, und hat gezögert; hat an seine Freiheit gedacht, hat gebangt, es möchte zu eng und klein sein, Dein Herz, – und nun. – und nun? – Du!!! Du!!!!! – jetzt ist er fest eingeschlossen und sagt nur – sperr zu! Fest zu!! Halt ihn ganz fest!!! Es ist ja so groß und weit und lieb – Dein Herzel, ach Du!!! ach Du!!! Geliebte!!! Ich möchte ja so gern wieder mal dran pochen und lauschen und fragen, ob er auch drin ist, Dein Hubo – möchte ganz leis darüberstreicheln – und möchte es dann ganz fest an mich pressen und – Du!! – und – – – Liebste – – möchte es – – sehen – – Herzlieb!!! Deines, Geliebte!!! Keines auf Bildern, kein Fremdes! Deines Herzlieb, Deines!! Es ist so besonders – Du!! weil es meines ist!! Du!! Mein liebes, goldiges Herz! So tapfer und mutig und übermütig ist es manchmal – und manchmal so kleinmütig und verzagt – manchmal mein lieber Bub, mit dem ich mich balgen möchte und dessen ich mich mit allen Kräften erwehren muß – und manchmal so anlehnungsbedürftig und verlangend nach Zuspruch und Zärtlichkeit, mein herzliebes Mädel – so bist Du, mein Lieb! – und so mag ich Dich doch so gern und habe Dich so lieb darum – und Dein [Roland] ist so ganz ähnlich, ein wenig ausgeglichener nur, von Natur, oder von Alters wegen, oder weil er ein Bub ist. Und so ergänzen wir uns glücklich – und ist eines verzagt, dann ist das andere stark, aus Liebe, und weil die Liebe wach ist füreinander – und braucht eines Trost, dann kann das andere guten Trost spenden. Herzliebes! Ist es nicht so? Haben wir es nicht so schon erlebt? Herzliebes! Geliebte! Lehn Dich an mich! Laß Dir leis über Dein liebes Köpfchen streicheln! Tut es Dir wohl?

Nicht zag sein, nicht kleinmütig! Laß Dir nicht bange werden, vor unserem großen Glück, Herzlieb!

Aus Gottes Händen nehmen wir es. Und so zart, empfindlich, zerbrechlich mag es uns jetzt manchmal erscheinen weil wir uns so sehnen müssen, weil wir soviel davon schreiben müssen und damit uns[e]re Nerven spannen. Du! Du!! Geliebte!! Wenn wir erst umeinander sein dürfen, dann wird dieses Glück ein ganz wirkliches sein, ohne so viel schmerzende Gedanken heißen Sehnens, wird ein frohes, festes, tätiges Schaffen und Schreiten sein; ruhendes Besinnen und tätige Liebe werden sich dann die Waage halten – ja, Liebes? – die Liebe wird dann nicht mehr nur über die Brücke uns[e]rer Sehnsucht gehen, sie wird dann auch in der sicheren, geordneten Bahn zwischen Aufgaben und Pflichten führen, nicht weniger reich und tief, aber reicher an glückhafter, erlösender und beruhigender Erfüllung. Herzliebes! Hörst Du meine Worte? Mögen sie Dich ein wenig beruhigen? überzeugen? Du Liebes!! Fürchte Dich nicht vor unserem Glück. Aus Gottes Händen nehmen wir es.

Gottes Gnade ist sein wichtigster Teil – und das andere: was wir selbst daran schmiedeten. Warum willst Du Dich fürchten? Warum soll es zerrinnen? Weil Gottes Gnade Dich und mich verläßt? Herzliebes! Laß nicht den bösen Zweifel Macht über Dich gewinnen. Weil wir müde wurden, daran zu schmieden? Du! Du!! Nie und nimmer!! Herzlieb! Mit Deiner Sorge noch schmiedest Du daran und weckst und rufst in Deinem [Roland] frohe, gläubige Zuversicht, die Dich trösten will, meine liebe [Hilde], Du!! Demütig wollen wir bleiben im Glücke und nicht aufhören, Gottes Gnade zu erstehen.

Sollst die Schatten nicht dunkler sehen als sie sind, Geliebte!

Viele müssen so wie wir warten und sich sehnen. Glaubst, Hellmuth und Elfriede sind auch recht sehr glücklich miteinander, vielleicht soviel wie wir, wenn auch anders? Und so viel Paare noch mehr. Unter den Millionen Paaren manch tausend, ja, Herzlieb? Und unter ihnen sind wir. Du! Du!! Glaub und vertrau mit mir! Mein liebes, liebes Weib! Ich möcht Dich so lieb trösten, nicht Dich überreden, ich fühle in mir heute feste Zuversicht, ganz fest möchte ich Dich umfangen, Dich ganz fest an mich ziehen, damit Du sie fühlst. Glaub und vertrau mit mir!! Geliebte!

Ach Du! Ich weiß es – und es ist so wundersam in der Stunde, wo ich all das jetzt empfinde und niederschreibe – ist er schon bei Dir, der Trost, kommt er über Dich – ja, Du! Es ist gar wundersam, wenn 2 Herzen zusammen schlagen!! Du, mein liebes, teures Herz!!

In Deinem lieben Boten sind wieder ein paar Gedanken, die uns beide zu derselben Stunde bewegten. Vom Tanzen sprichst auch Du. Ach Du, das Tanzen ist eine so seltsame Sache, für einen Menschen vom Schlage Deines Dickerle. Es könnte ein richtiges, geselliges, schönes Vergnügen sein in der alten [Fo]rm des Gesellschaftstanzes (Contre, Quadrille usw.). In seiner modernen Form ist er eine so große Vertraulichkeit, man umfaßt sich, kommt sich nahe, daß ich mir an solchem Abend ganz unbehaglich wie ein Casanova vorkam – daß ich ein Mädchen, mit dem mich innerlich wirklich etwas verband, nur ungern wählte – daß ich mich mit einer anderen am wohlsten fühlte. Wer war denn die sittige, spröde, he, die dem Hubo den Arm zurechtdrückte, daß es ihm jedes Wort der Entschuldigung (er hatte eine, eine ganz ehrliche, Dein Dummerle) verschlug? Du! Du!! Ich habe mich so geschämt damals, daß dieses Fräulein [Laube] falsch von mir denken könnte. Na, wir wollen nicht unnütz in der Vergangenheit kramen. Das Bild meiner Liebsten damals und meine Empfindung damals? Noch jung – und unfertig – noch ein bißchen eckig und kantig – die Hand aber an Deiner Schulter, die Schuldige, dieses Bild sitzt in meine Netzhaut eingezeichnet wie ein Brandmal: ich se sehe das schöne Kleid, fühle es weich in meinen Fingern, fühle darunter es kantig, aber weich und zart – sie möchte wohl bleiben, – aber da kommt die strafende Deine – – – – Heute wissen wir es, Du! Herzlieb, wir wissen es: Mißverständnisse waren zwischen uns, sie waren nicht bedeutsam und entscheidend. Und heute möchte ich gern wieder einmal mit Dir tanzen – mit der, die zu mir gehört – der ich fest und lieb ins Auge schauen darf, glückstrahlend, wie es mir träumte, ohne ein Mißverständnis zu fürchten – tanzen mit Dir, der ich frei und ohne schlechtes Gewissen mich nahen darf. Aber am liebsten tanzen zu Haus, oder wo wir ganz fremd sind – oder in einem ganz bekannten Kreise – denn in den Armen eines jeden könnte ich Dich nicht sehen – Du!! Verstehst Deinen [Roland]? Na, Herzlieb! Es wird sich schon schicken. – Na, und nun fährst mich schon wieder an! Weil ich Dich schlafen sah: Mein Bübchen, – das Näschen, das lustige – den Kopf so unschuldig kindlich in das Kissen gebettet – selbstvergessen, vergessen den Hubo – schlafend. Nicht nur einmal sah ich Dich so. Wo? In Kamenz. In Kamenz habe ich den Langschläfer ein paarmal wecken müssen. Eine gan[z] unschuldige Freude, die Dein [Roland] da erlebte – hat gar nichts rausgeguckt sonst – kein Beinchen, nichts. Eine ganz unschuldige Freude – die Deinen Hubo nur dazu hätte reizen können, dieses schlafende Bübchen ganz fest an sich zu drücken – und das macht er auch noch mal, Du! und dieses  Freude wird er noch manchmal erleben, ja? Du!! Du, mein Bübchen, mein Engelchen!!

Herzlieb! Diese Tage haben mein Herz wieder so hoch schlagen lassen bei dem Gedanken, daß ich an Dir so ein liebes Menschenkind gefunden habe!! – Ekel und Abscheu und Zorn möchte eine[n] manchmal packen, wenn man sieht, was um einen geschieht, Abscheu auch vor den Männern, die den Saufteufel so Macht über sich gewinnen lassen, jeder Beherrschung bar.

Behüte Dich Gott! Mein liebes, liebes teures Herz!! Ich halte Dich so ganz umfangen, ich schaue Dir so tief ins Herz – und glücklich senke ich mein Wesen in das Deine – und es fühlt, wie tief es dringt, wie tief es dringen kann bis in die feinsten Enden – und sie verschlingen sich, durchdringen sich – unzertrennlich ruhen sie ineinander – Heimat – Glück – Geborgenheit, – Erdenseligkeit – Du!!! Du!!!!! Mein!! Mein!!!!! – Dein!! Dein!!!!! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!! Meine [Hilde]!! Geliebte!!!! Mein Herzlieb!!!!.

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946