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[OBF-401231-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 31. Dezember 1940.

Herzallerliebster!! Geliebter!! Mein lieber, lieber [Roland]!! Du!!

Die Uhr zeigt 2140 —  mußt es schnell umrechnen, Du!! Die Mutter sitzt vorm Ofen und strickt an ihrem Pullover, die [Hilde] sitzt am Tisch und — na nun rate, was sie wohl tut!! Und das wären sie schon alle, die lebenden Wesen, die un[s]er Stübchen füllen. Der gute Papa zog um 6 [Uhr] auf Wache, sehr gut und reichlich ausgerüstet mit Speis' und Trank! (zum Sylvesterpunsch!) er hat jetzt einen richtigen Ofen draußen in seinem Raum, da kann er sich sogar selbst kochen. Also frieren muß er nicht. Und der andre, der jetzt noch zu unsrer Familie zählt, Du hast ja schon von ihm gehört! Der schmettert sein Sylvesterprogramm wie noch nie heraus — er geht mir ein bissel, bissel auf die Nerven jetzt, weißt!? Aber, ich will nicht so egoistisch sein, die Mutsch soll auch nicht um ihre Unterhaltung kommen; denn wenn ich schreibe, Du! Da bin ich für keinen zu sprechen und so hört sie schön stille zu!! Musik ist immer noch erträglicher, als eine Unterhaltung durch Sprechen und Fragen.

Ob Du wohl auch das Programm im Rundfunk Dir anhörst, heute? Du!! Du!! Ich sehne mich ja so sehr nach Dir!! Geliebter!! Eben beginnt die Tanzmusik, hoffentlich werde ich nicht unruhig, wenn er gar so verlockend mich umschmeichelt, der dunkle Kasten, mit seinen Melodien. Du!! Ich muß noch manchmal an die Zeit denken, da wir uns noch fremd, auch schon so fest umfaßten und uns im Tanze drehten — ich denke so gerne daran zurück, Du!! Wenn ich sie höre, Du!! Die vertrauten, ach so bekannten Melodien, die ich mit Dir schon tanzte, da möchte ich doch gerne wieder einmal Tanzen, mit Dir, Du!! Im Januar fand immer das Jahresvergnügen der Kantorei statt — ich habe mich schon lange vorher immer darauf gefreut, Du!! Warum? Weil ich nur immer an den schönsten, köstlichsten Moment des Abends denken mußte, wenn Du mich um einen Tanz bittest, Du! Daß Du mich darum bitten würdest, daran zweifelte ich keinen Augenblick — Du hattest mich noch nie übersehen, seit ich Vergnügen mitfeierte bei Euch in der Kantorei. Wenn ich Deine lieben Hände einmal länger spürte, als nur beim Gruß, Du!! Daß war mir so viel Seligkeit! Eine hielt ich fest in der meinen und mit der anderen faßtest Du mich so warm um, das war solch herrliches, geborgenes Gefühl, ach Du!! Weißt ja nicht, wie süß!! Du wirst denken, das junge, dumme, verliebte Mädelchen! Aber Du!! So hätte ich mögen mit Dir bis an's Ende der Welt tanzen — Du!! Weiter — immer weiter. Wenn ein and[e]rer kam und mich umfaßte, mich an sich preßte — und war er noch solch hervorragender Tänzer — ich mußte immer weiter fortstreben aus seinen Armen; es war mir wie zum Ersticken oft, Du!! Ich hab Dich doch herbeigesehnt und meist kamen die anderen zuvor. Es war eine Zeit voll Bangen und Hoffen damals, Du!! Und ich merkte garnicht anfangs, wie ich mich immer fester um Dich verstrickte mit meinem ganzen Tun und Denken — was Du mir geworden bist in all der Zeit daher, das fühlte ich mit seiner ganzen Wucht erst, als Du fort warst von uns, als ich Dich nicht mehr sehen konnte, Du!! Und heute? Und nun? Du!!! Du!!!!! Herrlicher, als ich es in meinen Träumen sah hat sich's erfüllt!!! Geliebter!! Du!! Herzallerliebster!! Wie reich, wie so glücklich bin ich mit Dir!! Es kann nichts Schöneres geben auf Erden, als daß der Mensch unser Eigen wird, den man von ganzem Herzen liebt! Das ist ein ganz unermeßliches Glück, mein Lieb!!

Habe ich denn soviel Güte, soviel Gnade verdient? Ach, Du!! Geliebter!!! Mit all meiner Liebe, mit all meiner Treue, mit all meiner Güte will ich Deine Liebe vergelten! Du!! Wie glücklich Du mich gemacht hast in meinem Leben!! Du!!! Fühlst Du es, Herzlieb? Siehst Du es? An all meinen Beweisen meiner großen Liebe und tiefen Zuneigung zu Dir?, sie können Dir ja nur ein Teil davon künden, was mein Herz noch in seiner Tiefe birgt, Geliebter!!!

Das Größte, Schönste, das Beste was ich habe, ich schenke es Dir, Du!! Nur Dir allein!! Es ist das Letzte, womit eine Frau ihre ganze Liebe offenbaren will, dieses Geschenk kann sie nur einmal im Leben geben, es ist das Kostbarste, was sie verschenken kann. Wie grausam, wenn es ihr ein ungeliebter Mann entreißt. Ich könnte das nie verwinden im Leben.

Du!! Unsere Liebe steht vor mir wie ein herrliches, tiefes Wunder, daß uns umfängt — und es ist doch Wirklichkeit, Du!! Selige, nahe Wirklichkeit!! Herzlieb!!

Du!! Wenn mich die Geschichte unsrer Liebe in ihrer ganzen Wucht, in ihrer ganzen Eindringlichkeit packt, dann überfällt mich eine heiße Angst, daß ich Dich verlieren könnte! Herzlieb!! Bitte, bitte nicht die Stirn runzeln — es ist mir wirklich so dann, weißt Du, so viel Glück wie in uns ist, Du!! Das kann es ja doch garnicht  noch einmal geben — ich kann es nicht glauben — Du — und darum, mein ich — daß es uns auch nicht für ein ganzes Leben beschieden sein kann — es ist so sehr selten der Fall, daß ein Glück rein und vollkommen bleibt — ich bin nicht abergläubig Du!! Weil ich Dich zu sehr lieben muß, Du!!! Darum bange ich so sehr um Dich!! Du!! Du!! Ach — es ist nur so trüb in mir, wenn Du mir ferne bist, Geliebter!! Ich denke viel, viel zu weit voraus. Du!! Aber ich kann ihnen doch nicht wehren, meinen Gesichten [sic]. Das ist so sonderbar — das steht vor mir plötzlich, wie aus dem Erdboden gewachsen und das verfolgt mich immer in meinem Unterbewußtsein und wenn irgend ein Gespräch, oder irgend etwas den Anlaß gibt, dann steht es ganz deutlich vor mir und dann habe ich soviel Angst, Du!!

Ach, Geliebter!! Wenn Du wieder einmal bei mir warst, dann ist es sicher nicht mehr so schlimm. Du mußt mir meine Gedanken wieder einmal ordnen helfen — Du!, ich grüble so, so viel darüber nach, was das neue Jahr bringen wird! Ich habe so heiße Angst um Dich, mein [Roland]!!

Wenn doch Friede werden möchte, ich wünsche es mir so innig. Wie armselig und schwach ist ein Menschenkind.

Nicht über seine eigene Schwermut kann es sich hinweg helfen. Der Pfarrer hat heute so lieb und gut und zuversichtlich zu uns gesprochen, aber wenn er mir auch aus der Seele sprach — das Weh, das Weh nach Dir — es drängte sich immer, immer über alles hinweg an die Oberfläche. Ich war so traurig und verlassen, mutlos in der Kirche heute abend. Du!! Du!! Du hast mir so sehr gefehlt, mein [Roland]! Du weißt es ja nicht, wie sehr!! Du!! Ich wäre so gerne an Deiner lieben Hand aus dem Gotteshause geschritten, noch ein Stück ganz stille in die Winterpracht hineingelaufen, hätte alles ausklingen lassen mögen in meinem Inneren — und hätte warm und beglückend Deine Nähe gefühlt. Geliebter!!! Es ist ohne Seele, alles, was ich erlebe ohne Dich!! Du!! Wenn ich wieder einmal von ganzem Herzen froh und glücklich und geborgen mich fühlen will, dann mußt Du bei mir sein, mein [Roland]!!! Du bist wie ein Stück von mir — ich brauche Dich!! Du!!! Niemand — nichts kann mich darüber hinweg trösten.

Herzallerliebster!! Heute kam Dein lieber Bote vom Sonnabend. Ich danke Dir recht herzlich dafür, mein Lieb! Du!!

Die Eltern sagen Dir recht, recht vielen Dank für Dein liebes Gedenken, sie freuen sich so, daß Du so fleißig an sie denkst! Mutsch will Dir so bald wie möglich wieder mal antworten. Sie kocht eben einen dünnen Punsch für uns beide ,Verlassene', wie sie meint! Aber Du!!! Ich weiß, ich bin nicht verlassen — Du bist allzeit bei mir! Du bist allzeit bei mir, mein Herz!! Und der Herrgott vergißt uns auch nicht.

Wir wollen auf das Wohl und auf die Gesundheit unsres lieben, [g]uten Sohnemann — Bub trinken und auf ein baldiges, frohes Wiedersehen, Du!! Und auch auf dem [sic] anderen fernen, den Papa! So seid Ihr doch alle einbezogen in unsre guten Wünsche, in unsre Mitte, unsre Liebe. Auch nach Kamenz wollen wir denken und nach Bischofswerda, wo ein Urlauber die letzte Nacht in der Heimat weilen kann. Alle, alle sind im Geiste bei uns. Du aber Geliebter, bist meinem Herzen am allernächsten! Du bist ganz fest darin eingeschlossen, Du!!! Ich gehe mit Dir in Gedanken, Hand in Hand, ganz fest halte ich Dich, Du!! In das neue Jahr — 1941! Du!! Du!! In Liebe, in Treue wollen wir es wieder durchwandern, gemeinsam, vertrauend auf unsern Herrgott, [Roland]! Mein [Roland]! Ich will mir immer wieder sagen: Sei tapfer — ganz tapfer! Und aus Liebe zu Dir, Du! Da will ich es sein, ich will es sein. Ich bin Dein!!! So ganz Dein!! Mein liebes, gutes, treues Herz!!!

Nun ist der Glockenschlag verklungen — die beiden Lieder der Nation sind vorbei — es ist angebrochen, das Neue! Geliebter!! Du? Bist noch wach? Ja — sicher, Du!! Wir sind nicht zum Vater hinausgegangen, er will es nicht, es liegt seit heute Nacht so ungeheuer viel Schnee, daß man nicht mehr über die Haufen springen kann an den Straßenrändern und man mag im Dunklen garnicht [sic] hinaus, wenn man nicht muß. Aber er ist ziemlich naß, ganz schwer, nichts für die Bretter!!

Du!! Ob heute wieder Alarm war bei Euch? Es tät mir so leid, Du! Sag, ist bei Euch nun auch viel Schnee? Du mußt jetzt den S. vertreten. Du! Sei nur vorsichtig bei Deinem neuen Posten!! Am Sonnabend hast nun auch mit Kerzenlichte meiner gedacht! Ebenso spät wie ich — Du!! Darum konnte ich trotz Müdigkeit keine Ruhe finden!!! Du! Dickerle! Mußt nicht so spät noch an meinem Brief schreiben, Ich warte auch einen Tag länger — wenn Ihr Alarm hattet! Mußt dann auch Deine verdiente Ruhe haben, nach 2-3 St[un]d[en]. Dienst! Wie gut doch so eine Kerze ist, ja?

Du fragst so genau, was ich wohl jetzt tue, in Deinem Brief, um die Zeit, da Du meiner dachtest. Ja, eines trifft zu von Deinen Vermutungen: Sie kneift die Äugel zu! Schlafen konnte sie nicht! 'Er' dachte zu fest an 'Sie'! Du!!!! Nun aber: Hand auf's Herz und nicht gelogen!! Wo und wann hast Du mich im Schlafe beobachtet? Du! Liebster! Die Frage mußt mir beantworten!! Du!!! Bitte! Ich bitte Dich darum! Das muß ich wissen — es läßt mir keine Ruhe mehr nun, da Du einmal davon sprachst!

Du bist aber ein Schlingel! Höre! Mich wundert nur, daß ich nicht erwacht bin — ich fühl es doch gleich, wenn Dein Blick auf mir ruht. Da muß ich aber ganz müde gewesen sein.

Nun, mein Herz!! Für heute ist's genug! Morgen früh habe ich Dienst in der Kirche um 9 [Uhr]. Ob Du auch wieder gehst? Bei uns waren heute viel Leute. Mein lieber, lieber [Roland]!! Herzlieb!! Geliebter!! Du!!! Ich liebe Dich so sehr!! Ich bin Dir so gut!! Ich küsse Dich! Du!! Ich gehöre Dir in Liebe in Treue immerdar! Ich bin Dir ganz fest verbunden, mein liebes, treues Herz!! Gott behüte Dich mir!!

Bleibe froh und gesund im neuen Jahr! Geliebter!! Immer Deine [Hilde]

Deine Holde. Dein!!!

Viele herzliche Grüße von Mutsch!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946