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[OBF-401226-002-01]
Briefkorpus

Am 2. Weihnachtstag 1940.

Herzallerliebster!! Mein Roland!! Mein lieber, lieber Roland!!

Sonnenschein liegt überm weißen Land, der Himmel, der blaue, ist über uns. Feiertag - rechter Feiertag draußen.

Und bei uns hier im Stübchen auch, wir sind fertig mit der Hausarbeit, Mittag ist lang vorbei, der Vater ist versorgt. Wir saßen eben vorm Lautsprecher und hörten uns das Weihnachtsmärchen an: Maria im Walde. Es war recht hübsch. Nun erklingen die schönen, lieben Lieder vom Brahms:, Es scheinen die Sternlein so hell, so hell - guten Abend, gut Nacht war wohl das andre - das erste sangen wir so oft in der Singstunde. Ich wollte erst ein Stück mit Mutsch hinaus gehen, aber es ist schon 3 Uhr, ich möchte so gern ein wenig mit Dir plaudern heute nachmittag; denn für heut gegen Abend hat sich Besuch angemeldet. Familie N., eine bekannte Familie der Eltern von früher, Du kennst sie auch schon, er ist lang - sie klein und lahmt ein wenig. Wir trafen sie einmal abends, als ich Dich zum Autobus brachte. Ob sie ihre Tochter mitbringen[,] weiß ich nicht, sie wird sicher mit ihren Freundinnen zum Tanz gehen, sie ist wieder ledig! Aber trotzdem muß ich mich schon auch dem Elternbesuche widmen - und darum möcht ich lieber jetzt Dir schreiben, heut abend wird es ja doch nicht[s] mehr. Morgen wollen wir einmal nach Chemnitz fahren zu M.ens, Onkel Herbert war selbst hier, um uns einzuladen. Der Stephan, der große Junge ist krank, er hat sich im Luftschutzkeller erkältet u. nun fiebert er. Sie wären sonst mal zu uns heraus gekommen.

Wir fahren schon früh, damit wir wieder daheim sind, wenn Vater vom Dienst kommt. Nun kann ich nicht einmal auf die Post warten, morgen bis um 9 [Uhr] früh! Na, sie bleibt mir ja - im Kasten! Heute wurde nicht ausgetragen, am 2. Feiertag.

Ach, Du!! Das hab ich Dir noch garnicht erzählt!

Am Vormittag des Heiligabend brachte der Postbote ein Paket! Dein Absender! Ich dachte sofort an die Waage, Du! Und ich sagte auf Mutters Zureden, ich solle es doch aufmachen:,  nein, erst heut abend. Sie überredete mich aber noch, indem sie meinte: „Wenn's die Waage wäre, da stünde der Absender vom Geschäft drauf wo sie gekauft worden ist!" Und so begann ich eben aufzuknüpfen. Und ich war nun voll Erwartung, kannst Du Dir wohl vorstellen!! Und was kam zum Vorscheine? Schmutzige Wäsche!! Du hättest da bloß mal mein Gesicht seh[e]n sollen! Ich habs ja selber nicht [sehen] können, doch Mutter meinte, es sei zum Lachen gewesen!! So [n]e  Frechheit von ihr, was? Aber ich hab dann auch mit eingestimmt in ihr Lachen! Und die beiliegenden schönen Dinge, die uns so recht kamen, haben mich wieder versöhnt! Nur schade - die Zitronen waren erfroren. Eine war hin - die andere legte ich sofort in kaltes Salzwasser, da hoffe ich sie zu retten! Sonst würde sie bitter schmecken, erfroren. Aber trotz alledem: Schön' Dank! Mein Dickerle!

Die Wäsche hab ich mit Mutsch gestern nach der Kirche gewaschen, sie hängt eben jetzt noch unten in der Sonne - damit sie recht gut r[iec]ht! Deine Hoseln bleiben unverbesserlich rosa! Das liegt bestimmt nicht an meiner Färbekunst vom letzten Male, wie Du behauptest! Wer weiß, was das für'ne Zellwolle ist, die sich verfärbt beim Waschen. Aber niedlich siehts' aus, wie Damenwäsche! Das eine Hemd, Du! Das hebe ich mir auf, als Putzlappen, wenn ich in unserem Heim putze, das kannst Du nicht mehr anziehen. Aber das dünne andere Hemd kriegst wieder mit hin, wenn Du mal ganz abgebrannt bist, an Wäsche, als Reserve! Hoffentlich wird alles recht bald trocken, damit ich's schnell wieder fortschicken kann. Nachher hänge ich gleich alles hinauf auf den Boden.

O weh - eben merke ich, das ist mein letzter Bogen Briefpapier! Wie gut, daß Du die kleine Packung in Deinem Wäschekarton liegen hast, die werd ich da gleich weiter benutzen. Du! Wenn es Dir möglich ist, dann schicke mir doch bitte wieder einmal etwas Briefpapier, im Blockformat, ja? Ich bekomme hier nur die 5 Stück Packungen - was nützen die mir? Einer Schreiberseele, wie ich sie bin? Aber nicht das ganz teure! Hörst! Für 4-5 M, das muß wirklich nicht sein.

Bei der Großmama waren wir gestern. Wir sind hinunter gelaufen. Nachmittags gegen 3 Uhr. Ein Freßpackerl hatten wir für sie - weiter konnten wir heuer nichts kaufen, wir haben keine Punkte mehr. Sie hat sich aber auch gefreut. Und uns beschenkte sie auch. Mutter ein Hemd aus einer Art Wolle und 5 Mark - mir einen Schlüpfer aus der ähnlichen Qualität und auch 5 M. Ich war sprachlos - wir wollten es garnicht nehmen - es sei für die Kirmes, wo wir halfen sagte sie. Es waren wenig Gäste unten, sie haben keine Kapelle bekommen für das Fest und hatten nun auch weniger Betrieb. Mir war das so recht, denn sonst hätte ich sie nicht besucht - man kann dann so schlecht wieder fort, wenn der Betrieb los geht, es gibt dann so viel zu tun und man mag nicht aufstehen und gehen. Da gehe ich lieber garnicht erst hin, wenn ichs vorher weiß. Ja, nun gab es auch so die Rede, wir saßen gerade mal mit Oma allein beisammen, Onkel u. Tante waren im Gastzimmer bei den Gästen. Am kommenden Sonnabend ist unten Sondertanzabend und sie meinte: Da müßt ihr uns helfen: Mutsch und ich sahen einander an. Und dann redete ich, ich redete, wie ich mirs immer schon bei mir zurechtgelegt hatte. Und ich war selber bissel erschocken dann über meine Forsche, als es heraus war. Großmama war sprachlos, sie konnte mir nicht gleich antworten. Ja, dann läßt sichs eben nicht ändern, sagte sie mir. Alles hab ich ihr vorgestellt, daß sie sich nicht auf mich verlassen soll, daß ich zur Kirmes nur aus Gefälligkeit, nur ihr, nicht aber Onkel Fritz zuliebe eingesprungen bin, daß sie sich nun ruhig um bestimmte Leute kümmern soll die ihr helfen, wenn sie sie braucht. Ich habe es auch nicht nötig, mich von jedermann anpöbeln zu lassen da draußen als Garderobiere, da meinte sie: na, es wird Dich zur Kirmes und wenn Du unten warst noch niemand aufgespießt haben! Das hat mich geärgert, diese Rede, und ich habe mich aber nicht weiter hinreißen lassen, sagte nur: aber genug Belästigung habe ich schon erfahren und so etwas leidet mein Mann nicht. - „Er weiß es doch nicht, wenn Du mal unten hilfst" entgegnete sie. Meine Antwort darauf kannst [Du] Dir wohl denken. Für mich hat sich die Sache da unten vollkommen erledigt - vollkommen. Mit welchen Gedanken Großmutter mich hier bei sich anstellen möchte, das ist mir dann doch zu stark. Nie, noch nie habe ich ein Mißtrauen zwischen uns heraufbeschworen und ich werde es auch meiner Großmutter zuliebe nie, nie tun. Dazu ist mir unser Bund viel zu wert und heilig.

Du siehst aber an diesem Beispiel ganz deutlich, wie dieses öffentliche Gewerbe den Menschen in seinem Charakter verdirbt, wie alles nur auf Geschäftmachen abzielt, wie er garnicht mehr darnach fragt, ob bei allem Tun auch das Innere sauber bleibt dabei. Meine Einstellung kennt man nun in Mittelfrohna, man wird mich auch nie mehr darum angehen nun, das weiß ich. Und ich bin auch froh, daß ich nicht nachgegeben habe - noch einmal bloß und noch dies mal nur - und dann hängt man fest u. kann nicht mehr mit einem [wa]hren Grunde loskommen, weil man ihn anfangs verleugnet hat - aus Gutmütigkeit. Und ich durchschaue ja Onkel Fritz ganz genau - er weiß von unser aller Gutmütigkeit, er hat die Großmutter bestochen - sie soll uns fangen und sie tuts - warum auch nicht? Das Geschäft!! Wir, die Verwandten sind ja die billigsten Kräfte, und wir sind auch vertraut mit aller Arbeit und scheuen sie nicht. Aber jetzt ohne alle Ironie: ich habe nichts für solche Menschen übrig, die auch nicht einmal vor einer Unlauterkeit zurückschrecken, die sie dem Freunde aufdrängen, nur um ihres Geschäftes, um ihres Vorteiles willen. Ich habe keine Achtung mehr vor denen da unten - ich habe das noch garnicht so gefühlt früher, weil ich noch Kind war und unverständlich - doch jetzt sehe ich die Menschen mit anderen Augen mir an.

Die Mutter tut mir auf der einen Seite leid, sie hat einen richtigen Konflikt zu überwinden: hier ihre Angehörigen, Mann, Kind - da die eigene Mutter. Jedes bittet auf seine Art, jedes versucht das Seine zu verteidigen und klar zu stellen.

Wir wollen sie schonen - sie selbst will es ihrer Mutter erleichtern. Nun redete die Großmama noch hin und her, daß sie doch nun gleich aufsäßen, sie hätten doch keine Leute die einspringen könnten. Ob denn Mama nicht noch einmal es möglich machen könnte u. so fort. Du weißt ja, wie das so ist. Na, Du kennst meine Mutter, wem kann die etwas abschlagen? ich habe kein Wort mehr dazu gesagt, hab sie nur stumm angeschaut. - Sie hat wieder ja gesagt. Vater war es nicht recht, er geht nicht mehr hin, er hat ja seine 12 stündige Arbeitszeit, das ist für ihn eben so genug. Mutter sagt sie hätte wirklich nicht gewußt wie sie's machen sollte. Und weil noch ein Sonntag dazwischen läge, bevor sie wieder arbeiten müßte, hätte sie eben zugesagt. Ich bin still - ich warte nur auf das nächste Mal, wie es dann wird.

Im Bösen bin ich nicht weg gestern von Großmutter - nein - aber sie fühlt, daß sie mit mir nicht mehr umspringen kann, wie mit einem Schulmädel - sie kennt auch mein Wesen nun - sie weiß, daß ich Grundsätze habe, daß ich diese Grundsätze mir von keinem, keinem Menschen umwerfen lasse und wenn es ums Letzte geht. Ich bin gut, manchmal zu gut, gewiß - aber ich kann auch sehr hart sein, wenn ich muß. Und wenn es um meine Ehre, um unsere Ehre nun! geht - da bin ich ganz hart.

Ich bin bloß neugierig, was Onkel Fritz u. Tante Friedel zu meiner Eröffnung sagen werden, gestern, in unserer Anwesenheit hat Oma nichts erzählt davon. Die Friedel will nämlich so gerne mal mit mir in die Oper fahren, ich soll mich um Plätze kümmern in den nächsten Tagen, in der Woche abends einmal, weil sie am Wochenende schlecht weg kann. Ihr Mann hätte kein Verständnis für ihr Bitten, er ginge nicht mit. Und das haben wir vor der Aussprache mit der Oma ausgemacht miteinander. Nun, wenn sie erfährt, daß ich vor Oma offen meine Abneigung gegen ihren Mann ausgesprochen habe, indem ich ihm nicht Dienstbote sein will, da wird sie sich als rechte Frau ebenso getroffen fühlen, wie es ihr Mann fühlte (wenn er Charakter hätte.) Ich konnte es nicht ändern u. wenn sie mir die Freundschaft aufsagte darum. Ich will mit offenen Karten spielen, warum soll ich heucheln - ich kann es nicht - und noch dazu heucheln vor Menschen mit denen ich durch Verwandtschaft verbunden bin. Ich hätte mich aber sehr darauf gefreut, auf das Theater - aber wenn es nicht sein soll, ich warte gerne, bis mein [Roland] da ist! Du! Da ist es ja noch viel, viel schöner, wenn er an meiner Seite sitzt. Mein lieber [Roland]! Das ist nun eine Szene aus der Famili[e] F.-[Laube], die ich Dir hier vorführe. So etwas gehört nicht in einen Brief, der an unsere lieben Soldaten geschickt wird. Aber trotzdem ich das weiß - ich konnte sie Dir nicht vorenthalten ich mußt mich bei Dir anlehnen, mußt es Dir erzählen - es ging doch um uns beide, Du! Sag, hab ich recht gehandelt? Du? Versteh' mich recht, Herzlieb und denk nicht, daß ich ein altes Waschweib bin, das jeden Klatsch, jeden Zwist an die große Glocke hängt. Ich muß alles mit Dir ausmachen, ich brauche Dich.

Herzallerliebster!! Du!! Es ist nun gleich 6 Uhr, der Vater wird bald kommen. Mutsch hat wieder eingeschaltet und ich höre freudig überrascht: in dulci jubilo! Schön, so schön! Hast Du es uns nicht gelehrt einst? Ja!

Wie wirst Du den Tag verbracht haben heute? Mein Geliebter!! Da sitzen wir nun, jedes in seinen 4 Wänden und schicken all unsere Sehnsucht einander zu! Und bald, bald wird er wieder da sein, der Tag unserer Wiedersehensfreude! Du!! Wenn nur erst der Januar vorbei ist.

Mein Lieb! Wirst denn Deinen Stollen bekommen haben in diesen Tagen? Sonst hast ja das Fest ohne das Weihnachtsgebäck verleben müssen.

Ich denke immer einmal nach Kamenz, was werden sie denn treiben?

Vater ist da - er hat Hunger! Ich will gleich den Tisch decken - will ihn nicht warten lassen. Meinen lieben Mann will ich auch einmal nicht warten lassen! Du!!

Auf Wiedersehen dann, Herzlieb!! Morgen? Will sehen, daß auch morgen ein bissel Zeit für Dich bleibt! Du!!

Ich denke immer Dein! In treuer Liebe! Auch wenn ich Dir ferne bin, mein Herz! Umso fester und inniger bin ich bei Dir! Nachher, wenn Besuch da ist, wollen wir ein Glas auf Dein Wohl trinken! Ich will meine Gedanken ganz lieb und fest zu Dir schicken, mein geliebtes Herz!! Ich bin am allerliebsten nur bei Dir!! Du!! Gott behüte Dich mir! Er erhalte Dich mir gesund und froh! Möge er unseren Bund segnen. Geliebter!! Mein lieber, guter [Roland]! ich bin Dein!! Deine [Hilde]! Deine Holde! Dein treues Weib!! Immerdar!! Und Du bist mein lieber, über alles geliebter [Roland]!! Du!!!!!

Ich bin so froh! Ich bin so glücklich! Du und ich!! Ewig, treu vereint! Recht herzliche Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946