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[OBF-401225-002-01]
Briefkorpus

Am 1. Weihnachtstag 1940.

Geliebter!! Herzallerliebster!! Du mein lieber, lieber [Roland]!!

Es ist jetzt abends ½ 9, ich sitze wieder an meinem alten, lieben Platzel unterm Lichtkranz und denke Dein. Der Kranz allein spendet mir zu wenig Licht, unser Geselle hilft leuchten! Er tut’s s ja so gerne, er ist’s ja schon gewöhnt, Du!! Im Radio erklingen Puccinis Melodien, aus Bohèmen [sic]. Ich kann mir kein rechtes Bild machen von allem, ich kenne die Handlung nicht genau, hab ihren Sinn einmal vor langer Zeit gelesen, als es verfilmt wurde. Und jetzt stört mich der Gesang in meinem Gedenken, ich schalte ab. Du!! Heut’ bin ich richtig müde — ich war gestern abend bis kurz vor ½ 1 auf und hab an Dich gedacht. Heut’ früh um 6 hat mich die Mutsch geweckt, die Kirchenglocken läuteten eben den Weihnachtstag ein — es war schon warm in der Küche, Vater hatte angefeuert und wir legten uns miteinander auf’s Sofa, deckten uns mit der Decke zu und — hörten uns das Hafenkonzert an! Du wirst vielleicht mit dem Kopf schütteln und uns auslachen, weil wir um die Musik sogar die Ruhe opfern; aber ich hab noch ein bisserl weitergeträumt beim Zuhören, hab an meinen Matrosen gedacht, und ob er gar auch die Klänge hört, in seinem Bettlein? Um ½ 8 hab ich mich auf die Beine gemacht nach der Post. Ich brachte Deinen Brief von gestern Nacht hin, damit er heute früh mit auf Fahrt gehe. Habe auch gleich mit gefragt, ob Post für mich da sei. O weh, da herrschte Hochbetrieb, man war noch überm Sortieren. Mein Herr E. sagte, es dauert annähernd noch 1 Stunde!, ich konnte da nicht warten, ich wollte doch zur Kirche. Aber da vernahm ich plötzlich eine bekannte Stimme aus dem Hintergrunde: „O doch, für Frau [Nordhoff] ist ’was dabei!“ Und wer kam vor am Schalter? Herr P.!! Und überreichte mir Deinen Boten, ganz rot im Gesicht, mit niedergeschlagenem Blick u.[nd] seine Hand zitterte: „Auf ihn haben sie doch gewartet“ sagte er dabei. Ich bejahte froh und danke ihm.

Er kam mir vor, wie ein ertappter Schulknabe bei einer Dummheit. Er sieht bestimmt jeden Tag nach Deinem Brief aus — er war so komisch verlegen. Na — ich war so froh, daß ich ihn hatte!! Ich drückte ihn an mein klopfendes Herz und eilte durch die noch finstere Schröderstraße im Flockenwirbel heim in’s warme Stübchen. Es war so ein richtiger Weihnachtsmorgen heute:, still alles umher, kein Licht in den Häusern, Flocken fielen herab und deckt[en] alle Fußstapfen wieder zu, man meinte, daß man der erste Mensch sei an diesem Morgen, der über den weichen, weißen Teppich läuft. Ich bin auch keinem begegnet.

Nun hatte ich noch genug Zeit, Deine lieben, lieben Zeilen zu lesen vor dem Kirchgang. Du!! Du!!! Mein geliebtes Herz! Weil Du Dich nur gefreut hast!! Das macht mich so glücklich, wenn ich es weiß, Du!! Und daß alles so programmgemäß verlief, das freut mich so sehr! Die gute alte Soldatenmutter! [Ma]n kann sich noch freuen an ihr! Du!!

Dein lieber Bote, Du!!! Er kündet mir von Deiner Freude! Ich fühle es, fühle es so sehr heraus! Und darum bin ich voll Glück! Du!! Ich wollte Dir Liebe bringen! Viel Liebe und Güte, ich wollte Dir erzeigen, wie unendlich ich Dich liebe! Du!!! Und es ist mir gelungen, Dir meine ganze, große Liebe wieder einmal zu einem Teil nur zu schenken — und weil Du es gefühlt hast, mein Herzlieb, darum hast Du sie nun nur noch größer und heller angezündet in mir, die Flamme meiner Liebe, die Sehnsucht hast Du erweckt, so groß ist sie, so verlangend, eins zu sein mit Dir! Geliebter!! Mein liebster [Roland]!! Du! Dich in meinem Schoße ruhend, ganz nahe bei mir zu wissen Du!! Soviel Seligkeit und übergroßes Glück birgt diese Stunde — dann fühle ich den liebsten, den teuersten Menschen bei mir, sein Herzschlag vereint sich mit dem meinen, sein Blick senkt sich tief und klar in den meinen. Sein liebes Haupt ruht in meinem Schoße, in dem Schoße, der einst unser Bestes, Heiligstes umschließen soll, daß wir in Liebe uns schenken. Du!!! Du!!! Mein [Roland]!! Ich sehne mich so sehr nach Dir!!! So unendlich viel Liebe und Zärtlichkeit will sich kund tun, mein [Roland]!! Immer mehr, mehr kommt dazu!! Wirst Du sie alle fassen können, Du?! Wenn Du heimkommst, zu mir?! Herzlieb!! Du hast ihn froh begehen dürfen, Deinen Geburtstag! Ich freu mich von Herzen mit Dir!! Du!!

Dank für Deinen lieben Kartengruß, im Kreise Deiner beiden Kameraden! Solch wunderhübsche Karte sah ich noch nie! Ich will sie beide aufheben, auch die erste, die Du uns sandtest. Die Eltern waren so sehr erfreut über Deinen so lieben Brief, sie danken Dir aus ganzem Herzen dafür, das soll ich Dir mit den herzlichsten Grüßen bestellen! Sie sind so froh, wenn sie ihren Kindern Liebe und Freude bereiten können. Mache Dir keine Sorge mein Herz, daß ich mich im Schreiben benachteiligt fühle, Du! Ich kann es doch so gut verstehn alles, ich will auch um keinen Preis, daß Du Dich überanstrengst mit Deinen Nerven! Hörst? Ich weiß genau, was es bedeutet, den ganzen Tag Schreibarbeiten zu verrichten! Du mußt Dir auch mal Ausspannung gönnen! Mal raus an die Luft gehen! Ich will Dich nicht schmal und blaß bei mir empfangen, Du!! Ich verlange auch keine bestimmte Seitenzahl, Du! Nur ein Lebenszeichen will ich von Dir, täglich! Und wenn’s nur mal ein Kartengruß ist! Die lieben Nächsten sollen auch das ihre haben. Das ist ihr gutes Recht. Und wir wissen doch beim kleinsten Wort, beim noch so kleinen Zeichen, wie von Herzen uns es kommt, wie alles aus unsrer endlosen, großen Liebe heraus füreinander erdacht und bestimmt ist. Sorg Dich nicht um mein Nichtverstehen, darum, Du! Ich hab für alles ein Verstehen, wenn es um Dich und Deine Gesundheit geht. Ich habe schon paarmal mit geheimer Sorge daran gedacht, wenn Du so um 6 vom Dienst kommst und dann drinnen immer wieder unter so vielen sitzen mußt, essen, schreiben, schlafen — alles in einem Raum, in der gleichen verbrauchten Luft, immer in Unruhe mußt Dich bewegen. Herzlieb! Gönn’ Dir doch ein bissel Freizeit und wenn es ein Stündchen ist — Du bist es ja garnicht gewöhnt dieses Leben zu so vielen! Du wirst mich recht verstehn, Du! Ich mein’ es so gut mit Dir, und ich will nicht, daß Du jeden Abend so lange sitzt über meinem Brief, Du! Du sollst auch an Deine Nerven, an Deine Gesundheit denken! Weißt Du denn, wie ich in Sorge wäre um Dich, wenn Du mir vor Abgespanntheit mal krank würdest? Wie ich da traurig wäre, wenn ich mir sagen müß[te]: Nur weil Du so egoistisch bist und ihm befiehlst, immer zu schreiben!, es muß alles ein rechtes Maß haben.

Du! Wir waren heute nachmittag bei der Großmama in M., davon erzähle ich Dir morgen, mein Lieb! Ich will nun erst einmal schlafen gehn, ich bin so müde! Du!! Geburtstag feiern wir am ersten Tag den Du bei uns bist!!! Und dann Weihnacht! Und dann Wiederkehr des Tages, wo wir zum Standesamt gingen, am 19. Februar! Und dann? Du!!! Und dann? Du!!! Gib fein acht, was Du träumst, es geht alles in Erfüllung in den 12 Nächten! Mein Hubo! Du!! Mein Dickerle!! Du!! Behüt Dich mir Gott! Ich bin in inniger Liebe ganz, ganz

nur Deine Holde, Deine [Hilde], Dein!!!

Gut Nacht! Ich küsse Dich — Du!!!!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946