Bitte warten...

[OBF-401225-001-01]
Briefkorpus

Am 1. Weihnachtsfeiertag 1940.

Mein liebes, teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde], Du!!

Ach Du, der Heiligabend gestern war ein so merkwürdiger Tag. Solange, wies ich nun schon von Hause wegbin [sic], solch Heimweh hatte ich noch nie wie gestern! War es, weil Ihr zu Hause alle an mich gedacht habt, und Du, Herzlieb. allen zuvor? Ach Du! Am Nachmittage schon packte es mich: Hellmuth schickte mir ein Weihnachtsgeschenk, am 22. schickte er es ab, sich seines traditionellen Zuspätkommens entschuldigend, und nun [ka]m es ganz pünktlich. Dann wurde ich mitten aus der Arbeit weggerufen, da stand Dein Weihnachtsmann draußen, Frau P. mit dem Heini! Und wie ich dann geschäftig auf- und abgehe, da dringt aus den Stuben das Lied von der Stillen Nacht, Du!, da preßte es mir die Tränen mit aller Gewalt in die Augen. Und dann saß ich noch über etlichen Weihnachtsgrüßen, 15 Briefe und Karten, alle noch ungeschrieben. Ich hatte keine Lust zum Schreiben. Nur die Oberfrohnaer Grüße, die mochte ich schreiben, um nun stieg es wieder mit aller Gewalt auf. Und dann in unsrer Feier, Du! Kaum konnte ich mich bezwingen. Das Lied von der Stillen Nacht, O, Du fröhliche, und, denk nur, die Weihnachtsgeschichte, unser Pastor hat sie aus der Heiligen Schrift gelesen. Du! Da packte mich die Weihnacht mit ihrer ganzen Macht und Wucht, mit ihrer Traute und Freude, da stiegen sie alle herauf, die Feste der vergangenen Jahre, die Gefühle, und zu ihnen gesellte sich Dein Bild, das Heimweh zu Dir, das Sehnen zu Dir, und das Bild Deiner Sehnsucht und Einsamkeit. Ach; Herzliebes, wenn Du geweint hast gestern, ich verstehe Dich! Ich hätte ganz laut weinen mögen, Du! Du!! Mein Lieb, Herzallerliebste!

Aber es war kein Traurigsein, es war darin viel, viel Freude und Glück, und Liebe, Du!! Ach, Herzallerliebste Du! Es ist so ein merkwürdiges Weihnachten. Ich konnte Dir nicht mal was bescheren, das hat mich gestern richtig ein wenig geschmerzt — aber Du, mein Herz schlug zu Dir so voll Sehnen und Zuversicht und Freude darauf, das nächste Weihnachtsfest mit Dir feiern zu können! Du!! Du!!! Freust Du Dich mit mir darauf? Ach Du, ich möchte Dich gleich mal ganz fest umfassen, Du! Du!! Du Liebes, Goldiges, Herziges! Gleich zum frühen Morgen, wenn Du noch in den Höseln steckst, Du!! und wenn Du noch so kleine Augen machst heut morgen! Hast denn ausgeschlafen? Ich noch nicht. Bin erst um 2 Uhr zu Bett. Solange hat die Feier gedauert. Und sie war in ihrem ersten Teil schöner, als ich erwartet hatte, dank dem Geschick unseres Kapitänleutnant. An Um 5 Uhr begann die Feier. Alle versammelten wir uns im Gemeinschaftsraum, der war schön weihnachtlich ausgeschmückt. Der Kapitänleutnant gab zunächst einen kurzen Überblick über das vergangene Jahr und forderte auf zu guter Kameradschaft, die zu betätigen in unsrer Stellung schwer ist, weil die Leute dauernd wechseln. Er forderte dann auf, die Gelegenheit des Weihnachtsfestes wahrzunehmen, sich auszusöhnen und alle Steine des Anstoßes aus dem Wege zu räumen, er selber machte damit den Anfan[g.] Und dann begann die eigentliche Weihnachtsfeier.

Stille Nacht, heilige Nacht. Dein Hubo saß am Klavier — er konnte nicht mitsingen — er konnte nicht. Dann sprach der Kapitänleutnant zu uns — gar nicht militärisch, sondern verständnisvoll väterlich, selbst sichtbar unter dem Eindruck dieser Stunde stehend. Ein guter Mann soll sein wie Stahl: hart wenn es gilt, weich, wenn die Stunde es mit sich bringt. Und es standen ihm selbst die Tränen in den Augen, als er uns dann heimführte in Gedanken. Ach, Liebste, mir war das Herz zum Brechen so voll! Und dann — dann las unser Pastor die Weihnachtsgeschichte, die Weihnachtsgeschichte, so schlicht und doch sehr, wie sie da steht! Herzallerliebste! Nun war ich ausgesöhnt mit allem, war so voll Dank, so voll Dank! Das Licht, das wahre, der Weihnacht leuchtete auf auch in unsrer Barackenwelt! Und wenn es nur wenige ganz verstanden — wenn viele es nur hinnahmen und etlichen es vielleicht mißfie l— es leuchtete doch auf! Ach, möchte es wieder sich ausbreiten zum Glück und Segen den Menschen! Mit dem Lied von der gnadenbringenden Weihnacht wurde unsre Feierstunde geschlossen. Nun gab es Kaffee (Bohnenkaffee) und Kuchen. Vor uns auf dem Tisch stand ein Gabenteller; eine niedliche Tischkarte daneben: Äpfel, Feigen, Pfeffernüsse, Marzipan, Schokolade, Keks, Zigaretten, Rasierklingen. Nachdem wurden die geschmückten Stuben besichtigt und preisgekrönt. Wir bekamen den 2. Preis. Du kennst unsre Stube. Auf Deinem Tisch steht der Christbaum. Die ganze Fensterfront ist mit rotem Kreppapier kulissenartig verhangen, die Lampe nach hinten verlegt. Rosenkranz hat geschickt ein Schild gemalt, die Schränke wurden zu einer Flucht nach der Weihnachtsecke umgestellt. Es macht sich sehr schön; nur nimmt es unsre Stube das Licht. Dann versammelten wir uns wieder im Gemeinschaftsraum zum Essen: Kasseler Rippchen, Grünkohl, und dazu Beutewein, einen guten Rotwein. Und aus dem Radio sang und klang die Weihnacht in ihrer ganzen Größe und Zartheit und Tiefe. Meine ganze Andacht hatte ich nur darauf. Knecht Ruprecht erschien, verteilte Lob und Taedel, beleuchtete schwache und starke Seiten ohne Schonung, verlieh Orden und Titel und sparte nicht mit Spitzen und unterhielt uns so über eine Stunde geschickt und kurzweilig – alle Typen der Kompanie wurden recht herausgestellt, und das ist ein erprobtes Mittel und kann die Kameradschaft fördern. Der Kapitänleutnant machte mit – Du, ich hab ihn richtig gern. Ach, und so rückten die Stunden ganz schnell vor. Und um 2 Uhr war Schluß ohne Radau und Betrunkene. Und Dein Hubo war müde und dachte nur eben noch nach, wie er Deinen Boten fertig bringen sollte. Er ist jetzt mittag. Ich habe schnell geschrieben. Du siehst es. Ich klebe eine Marke auf den Brief und bringe ihn zur Post und schreibe nur meinen Zivilnamen als Absender, damit er Dich schneller erreicht. Meine liebe, liebe [Hilde]! Für Deinen lieben Weihnachtsmann sei vielmals bedankt und ich bitte Dich, diesen Dank den lieben Eltern zu übermitteln. Ich bin von ihrem Geschenk noch ganz platt. Ich freue mich schon auf Euren Bericht vom Fest. Und ein Radio habt Ihr? Ich bin gespannt.

Ach Herzlieb, Du, ich bin jetzt müde. Hältst mit mir ein Mittagsschlä[fch]en? Du!! Herzliebes, ich wollte eben schreiben, ganz brav — aber ich könnte nicht brav sein, wenn ich jetzt bei Dir wäre, Du!!!

Herzallerliebste! Ich will ganz lieb Deiner Denken — ich will? — ich muß — ach Du — mein Herzlieb!! Ich sehne mich nach Dir! Ich glaube, es sind 4 Wochen um seit unserem letzten Wiedersehen und Du sehnst Dich so sehr wie ich, daß ich es so verspüre! Du! Wo ist denn Dein liebes Händchen? Und das Mündchen? Und mein Herzlein? Ach, Geliebte! Du!! Du!!! Du hast alles, was mich beglückt! Und bist mir so fern! Ich sehne mich nach Dir!

Du!! Weißt Du denn, was für Gewalt Du hast über mich? Wie Du mich hältst und ziehst, mich umklammerst und bannst? Du!! So fest und unwiderstehlich! Wie Du mich gefangen hältst, daß ich so verliebt bin, so, vernarrt in Dich? Ach Herzlieb, und ich sträube mich nicht, ich ergebe mich Dir, will mich festhalten lassen und gefangen halten und fest umschlungen von Dir, meiner liebsten und schönsten und treuesten [Hilde]! Du!! Du!!! Meine ganze Liebe und Sehnsucht strahlt zu Dir, zu Dir, die mich kennt und liebhat, so sehr liebhat, deren Eigen ich bin, deren Weggeselle für ein ganzes Leben! Du! Du!! Meine liebe, liebe, liebste [Hilde]! Ich bin Dein [Roland], so froh und glücklich — und verliebt! Du!! Du!!!

Mein liebe [Hilde], mein süßes, liebes Weibe! Mein liebes, teures Herz!!

Bitte, grüße die lieben Eltern recht herzlich und erzähle ihnen! [Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]

Karte
Kommentare
Einordnung
Gesendet am
Gesendet aus
Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
Gesendet nach
Erwähnte Orte
Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946