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[OBF-401224-002-01]
Briefkorpus

Am Heiligabend 1940.

Herzallerliebster!! Mein Geliebter!! Mein lieber, liebster [Roland]!!

Nun ist er da, der Heilige Abend, voll Tannenduft und voll Lichterglanz. Herzallerliebster! In meinem Herzen ist Frieden, wundersamer Frieden. Ich habe sie mit weit offenen Herzen empfangen, die Gottesbotschaft, die so unendlich viel Liebe, Milde, so reines tröstliches Licht ausstrahlt. Sie ist heute, wie nie an anderen Gottesfeiern allen bis ins Innerste gedrungen, das hat jeder gefühlt, jeder. Unser Geistlicher war sich seiner Aufgabe heute voll bewußt, und er hat uns mit seinen Worten hineinversetzt in das ewige Wunder der Weihnacht. Schön war es im Gotteshaus, so schön. Der Altarplatz stand im Schmucke der Weihnacht da, eine mächtige Tanne mit unendlichen Lichtern schmückte ihn, Lichterglanz auch auf dem Altartische — über allem der leuchtende Adventsstern. Die festlich geschmückte Umgebung des Gotteshauses allein stimmt uns schon weihevoll. Es ist doch wie ein großes Geschenk, wenn ein Mensch gesund ist und hingehen kann, Gottes Wort zu hören. Und wenn auch die Tränen meinen Blick verschleierten, heute abend in der Kirche, bei den Worten des Pfarrers, die tiefe, reine Freude und Seligkeit in meinem Innern vermögen sie nicht zu verwischen, mein Herzlieb! Die innige Freude und Gewißheit, daß wir zusammengehören, daß reine, große Liebe uns verbindet, ewig, immerdar Du! Daß die Sehnsucht uns einander so ganz nahe bringt, daß wir uns ganz nahe beieinander fühlen, gerade heute, am Fest der Liebe, das Fühlen und das Wissen darum läßt mich unsere Trennung ertragen, mein Liebster. Und es schenkt Kraft

I.

zu neuem Warten, zu neuem Hoffen, daß Du bald, bald wieder bei mir bist. Und will es Gott, bald auch für immer bei mir sein kannst, in einer Zeit voll Frieden. Alle, alle in unserm Vaterland und alle, die draußen stehen an seinen Grenzen und in fremdem Land, alle sind erfüllt und beseelt von einem Wunsche, von einer Sehnsucht: Frieden, möge Frieden werden, daß die Heimat sich uns auftut und wieder aufnimmt.

Es steht in Gottes Hand.

Herzallerliebster! Hast Du wohl auch heute abend die Rede des Stellvertreter des Führers gehört? Gewiß warst auch [Du] im Kreise Deiner Kameraden um den Lautsprecher versammelt. Du! Auch ich habe sie angehört, ich habe alles angehört, was heute am Heiligabend, schon am Nachmittag für Euch Soldaten veranstaltet wurde, als treuer, lieber Gruß aus der Heimat. Der Weihnachtsmann hat uns ein Radio beschert! Noch gestern abend, als ich eben Deinen Brief zur Post bringen wollte kam der Radiomann! Es ist vorderhand nur ein Volksempfänger, es gibt so schlecht gute Apparate zur Zeit und weil wir gerne schon zu Weihnachten Musik haben wollten, so hat er uns diesen hergestellt und sobald er einen anderen, der uns zusagt am Lager hat, geben wir diesen Volksempfänger wieder zurück, also mit in Zahlung. Er genügt uns aber jetzt vollauf, es gibt ja auch zur Zeit nur 2 Sender, die richtig in Betrieb sind. Du kannst Dir wohl vorstellen, daß jetzt ein ganz neuer, ungewohnter Hauch in unsre Stille dringt. Wir sind recht froh alle drei über diese nette Abwechslung, die dieses Geschenk in unser Dasein bringt. Mein [Roland]! Ich muß Dir sagen, die Rede des Rudolf [^]Heß hat mich so bewegt, ich weiß nicht, was es am meisten war, das mir die Tränen kommen ließ. Der Gedanke, daß Du, mein Herz jetzt auch lauschend sitzt, in Eurer Stube, nein, heute wohl im Gemeinschaftsraum, daß auch Du alle lieben und sehnsüchtigen Gedanken heimschickst in dieser Stunde, zu Deinen Lieben — zu mir?

Oder — daß es ein plötzlich wunderbares Gefühl des Vertrauens auf unser Geschick, auf das Geschick unseres Volkes und Vaterlandes mich überkam, ein Gefühl der Zuversicht im Hinblick auf unsre Zukunft; denn, mein [Roland]! Hast Du es gehört? In Gottes Hände, in Gottes Allmacht und Güte legte er unser und unsres Reiches Geschick, demütig erkennt dieser Mann doch die Allmacht, den Himmel über uns, Du! Und wie er es sagte und wie dieser Feierstunde beendet wurde! Mit welchem Liede! Du! Das hat mich richtig erlöst aufatmen lassen, glaubst Du mir? Es hat mich ergriffen, ich habe so weinen müssen, aber es war kein Schmerz, Du! Es war so, als hätte mich etwas ganz im Inneren angerührt und dieses Gefühl müßte sich Luft schaffen, eben durch das Weinen. Du! Herzlieb! Ich glaube, wir dürfen doch hoffen und zuversichtlich sein für den Glauben in unserm Volk, die Zeit, unser Geschick ruft den Glauben wach in ihm und das Gute, das Edle was in ihm lebt, es läßt sich so schnell nicht verschütten, ich kann es nicht glauben. Viele Generationen vor uns haben hindurch müssen, durch solche Krise im Glauben, und was hat sich bewährt, was ist immer und immer wieder emporgekommen, hindurchgedrungen durch Schmutz, durch Not? Das Gute, das Edle — unser Glauben, der uns auch heute noch vereint.

II.

Der Glaube an die göttliche Macht, er wird alle Zeiten, alle Menschen überdauern, er ist unvergänglich, ewig.

Die Weihnacht, das Fest der Liebe, das wir in diesen Tagen feiern, es hat alle Menschenherzen geöffnet für das Gute, es macht alle Menschen empfänglicher denn je.

Auch Du rührst in Deinem lieben, lieben Weihnachtsbriefe den ich heute früh erhielt daran, Herzlieb.

Du kannst das nicht finden in Deiner Umgebung, was man den Sinn des Weihnachtsfestes nennt. Herzlieb, diese Menschen, Soldaten, die um Dich sind, es sind meist rauhe unempfindsame Männer und Burschen, ihnen sind viell[ei]cht auch die Güter, die edlen Güter des Lebens noch nicht erschlossen worden, sie gehen nun mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen an das Fest und die äußern sich auch dementsprechend in ihren Taten. Im Grunde sind diejenigen zu bemitleiden, die sozusagen im Finstern gehen. Aber glaub mir, mein [Roland]! Heute, da sich nun all das Wunder in seiner Herrlichkeit, in seiner ewigen Wahrheit uns offenbart, uns das Herz groß und weit macht und öffnet für das Gute, heute wird ein mancher Einkehr halten und zuerückblickend sein Inneres prüfen, und er wird ergriffen von so viel Güte, demütig von so viel Gnade sein Herz auf’s Neue dem Herrgott weihen, wie es von Kind auf in ihm eingepflanzt wurde, er wird vielleicht betend die Hände falten, daß der ewige Vater auch ihn in seine Vaterhut nehme.

Kriegsweihnachten, mein [Roland], soviel Schmerz und Sehnsucht auch hinter diesem Worte stehen, es sind doch die eindrucksvollsten und tiefsten Weihnachten in einem Volke. Ein jeder empfindet sie auf seine Art, unermeßlich, eindringlich. Herzallerliebster!! Wie der Tag verlief will ich Dir berichten. Um 8 bin ich aufgestanden, faule Trine was? Die Mutsch ging heute nicht in’s Geschäft, sie mußte nur gegen 11 ihr Geld holen, den Lohn und das Geldgeschenk!

15 M hat sie bekommen, ist doch ganz schön?

Der erste Gang war natürlich an’s ‚Kästel’, das ist doch nun was Neues, die Morgengymnastik begann! Aber Deine [Hilde] — o — die war viel zu schlaftrunken, um gleich mitzuhopsen! Die brauchte erst eine kalte Abreibung, und dafür sorgte sie auch raschestens. Dann holte Mutsch die Brötchen und ich hatte unterdessen den Kaffeetisch gedeckt, dann ging’s los — mit Musik. Du! Wir haben immer von Dir sprechen müssen dabei, was Du wohl sagen wirst dazu, und was Du wohl heut treiben wirst, ob Du auch schon richtig Feiertag hast, ach immer bist mit dabei, Du!! Eben wie unser lieber Bub dabei sein muß bei allem! Du!! Der Vormittag stand noch ganz im Zeichen der Festtagsvorbereitungen,: Fleisch braten, Kraut kochen, Kartoffel salat [sic] machen und so vieles drum und dran. Bohnern nicht ausgenommen! Auch Essen kochen und Vater hinbringen mußt ich, Mutsch legte noch die trockene Wäsche, damit der Boden wieder frei wird. Nach dem Aufwaschen; ich wollte eben die Schuhe nochmal putzen und war auf dem Weg nach unten, da kam die liebe Oma [Laube]! Sie war beim Grünwarenhändler W. gewesen und wollte uns gleich mit für die Feiertage mal einladen kommen. Wir haben uns natürlich gefreut und ich hab sie erst hinauf gebracht zur Mutsch. Sie hat, was eigentlich selten vorkommt bei ihrem unruhigen Wesen, den ganzen Nachmittag bei uns gesessen. Wir tranken einen Echten zusammen und machten Stollenprobe!

III.

Es ging auf 5, ich hatte mich für den Kirchgang fertig gemacht, und nun baute ich auf dem Küchentisch, (der steht im Winter vorn, wo sonst das Bänkchen steht, weißt?) unsre Gaben auf. Es sollte alles fertig sein, wenn Vater heimkam, er wollte ½ 7 da sein heute. Die Kirche begann ½ 18 [sic] und in 1 Stunde rechneten wir, daß wir auch zurück seien. Großmutter freute sich mit uns der Gaben, die heuer bescheiden, doch mit Liebe geschenkt wurden. Unsre Decke, Du! Die wollen alle gleich haben, die sie nur sehen, die gefällt sehr! Unser "Blaues" Du! Auch das spricht an, bis jetzt sahen es nur [Laube]e! Die lieben Gaben von den Kamenzer Eltern stehen auch mit da. Deine Bücher, die Untersetzer; unsre Waage ist leider noch nicht da! Ach, die Leckereien nicht vergessen! Mutters Strickr[oc]k und –Schlüpfer, Vaters Krawatte u. Taschentüchel und die Zigarren und Zigaretten! Du! Wie er aber da gestrahlt hat! Er läßt Dich recht herzlich grüßen und sagt Dir tausend Dank! Dasselbe von der Mutter, Du! Voll ist der Gabentisch doch auch wieder diesmal ach, ich bin ja so zufrieden mit allem. Und das Liebste von allem ist mir doch Dein liebes, treues Gedenken, mein Herzlieb!!

Wenn ich das nicht in meinem Händen hätte, ich würde suchend und unbefriedigt einher gehen heute, Du!!

Die Großmutter brachte ich dann heim, damit sie nicht etwa stürze, es war ziemlich glatt auf den Bürgersteigen heute. Heimzu besorgte ich noch das Letzte vor den Feiertagen an lebenswichtigen Produkten: Butter, Brot, Wurst! Und Mutter empfing mich schon bereit zum Kirchgange, sie hatte auch den Abendbrottisch gedeckt. Die Küche war schön durchwärmt heute.

Und als wir zurückkamen aus der Vesper, war Papa schon da und erwartete uns, daß wir mitfeierten. Er hat uns ein Geldgeschenk gemacht und mir noch meinen Wunsch (einer von der schwachen Seite!) von jedem Jahr erfüllt: Parfüm! Weißt, er vertut mir’s so gerne mit und da muß er schon mal Bestand auffüllen helfen!

Wir saßen zu dreien unterm Kranze beisammen, und wir gedachten so herzlich Deiner, Liebster!! Die Musik tönte leis dazwischen und wenn Du noch an meiner Seite gesessen hättest heut abend, da wär meine Weihnachtsfreude ganz vollkommen gewesen. Du!! Du!! Tage vergeh[’]n — es wird auch Februar werden! Die Zeit uns[’]rer Erfüllung, mein Lieb!! Der Vater lag auf dem Sofa und erfreute sich an der Wärme der neuen Decke, Mutsch plättete erst noch ein Weniges, dann setzte sie sich an den Ofen mit unserm Buche von Strauß, und ich, mein Lieb? Ich nahm meinen lieben Briefblock und die Feder und redete mit meinem Geliebten! Du kennst ihn doch?! Du!!! Nun ist Vater unterdessen schlafen gegangen, er muß morgen früh um 6 antreten. Mutsch hat seinen Platz eingenommen, sie ist eingeschlafen, das Buch ist ihr entfallen. Ich bin nun ganz allein mit meinem [Roland]! Es ist so traulich heute bei uns. Zwischen den beiden Fenstern steht auf einem Tischlein das Radio, der große Tisch steht direkt unterm Adventskranz. Es erklingen eben die schönen Weisen von Franz Schubert, auf dieses Konzert hab ich mich schon den ganzen Tag gefreut, Du! Es ist mir, als wäre ich jetzt ganz nahe bei Dir, Herzlieb! Du hörst es sicher auch? O Du! Wenn Du auf Urlaub kommst, ein schönes Konzert und ein Theater leisten wir uns, ja? Ich hab richtig Verlangen danach. Wir hatten auch vor in’s Opernhaus zu gehen an diesen Feiertagen einmal, doch Vater könnte nicht mit, es wäre ihm sicher auch zuviel, abends noch. Und die Plätze sind auch ausverkauft für das Fest. Vielleicht paßt es später besser einmal.

Es ist jetzt ½ 12 nachts, die Mutsch ist aufgewacht, sie

IV.

mahnt mich zum Schlafen gehen! Morgen sei auch noch ein Tag, meint sie! Das ist schon wahr, Du!! Ich kann mich nur so schwer von Dir trennen, Herzlieb! Du weißt es ja, Du!? Wie in Wirklichkeit auch, Du!!

So will ich Deine Hand, Deine liebe Hand zum Gute Nacht-Gruß recht lieb, ganz fest und innig drücken, mein [Roland]! Ich will sie morgen wieder fassen Liebster, wie jeden Tag, den ich erlebe, Du!! Ich könnt' es ja gar nimmer anders! Ich habe Weihnachten erlebt, auf’s Neue wieder, in diesem Jahre, Dir fern — doch so nahe im Herzen!

Tränen habe ich wohl geweint, es waren aber Tränen des tiefen Glücks, das einen Menschen bewegen kann, T[rä]nen die reich und selig machen, mein Herz! — die Sehnsucht, die unendliche, das Verlangen, das inbrünstige, bei Dir zu sein, Dir zu gehören in diesen kostbaren Stunden der Gottesnähe, die lösten die Tränen, sie stillten die Sehnsucht, das Verlangen ein wenig. Doch ganz stillen kannst nur Du alles Sehnen — Du! Nur Du!

Und ich will ihm froh entgegen harren, dem Tag unsres Wiedersehens, mein Herz!! Und ich falte mit Dir die Hände zum innigen Gebet: Herrgott, Gott im Himmel, sieh uns hier stehen, sei uns gnädig! Segne unseren Bund! Lasse ihn heimkehren zu mir froh und gesund an Leib und Seele! Einen innigeren Wunsch habe ich nicht auf dieser Welt. Ich bin immer bei Dir! Mein Herz! Mein Glück! Mein Leben! Mit aller Treue! Du!!! Du!!! Gott behüte Dich mir immerdar! Du!! Du!!!

In großer, in sehnsüchtiger Liebe küsse ich Dich ganz lieb und innig! Du!! In alle Ewigkeit nur

Deine Holde, Deine [Hilde].

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Ba-OBF K02.Pf1.401224-002-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946