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[OBF-401220-001-01]
Briefkorpus

Freitag, den 20. Dezember 1940.

Geliebte! Herzallerliebste! Meine liebe, liebe, [Hilde] Du!

Jetzt sind wir uns wieder mal ganz nahe mit unseren Boten. Zwei kamen heute von Dir, und einer davon, den Du gestern noch in Deinen lieben Händen hieltest, den Du erst gestern mit vielen [^]lieben Zeichen und Gedanken und anderem mehr auf den Weg schicktest zu mir. Zu mir, Du!! Du, Geliebte!! Daß Du meiner so lieb und treu denkst! Daß ich Dich in der Heimat weiß! Ein sicherer Kompaß bist Du mir; mein lieber, schöner Stern, der mich bannt mit seinem Strahl, daß ich nur zu ihm immer aufschauen muß, daß ich ihm folgen muß, daß ich nie mich verlieren kann. Herzliebes! Daß ich Dich als meinen besten Kameraden gewann, als Weggefährten durch diese schwere Zeit, es ist eine Gnade, ein Geschenk Gottes!

Ist wohl wieder wärmer zu Hause? Frierst nicht mehr ganz so sehr, Liebes? Ich sehe Dich noch immer sitzen im Wollpan[z]er mit der Gänsehaut halberstarrt auf dem Ziegelstein. Weil sich nur der Übermut wieder regt — wird schon die Wasserleitung bald auch wieder auftauen. Du fragst, ob ich auch ganz zufrieden bin mit Deinem Schreiben. Du!!

So spät abends darfst gar nicht mehr schreiben, und wenn viel Arbeit ist, sollst Du nur einen Bogen nehmen, hörst es? Widerum [sic] sollst Du nicht so sehr arbeiten, daß keine Zeit bleibt; und sollst Du Dir soviel Freizeit gönnen, daß Du ohne Hast mir schreiben kannst. Aber ich weiß, immer klappt das nicht. Vater und Mutter scheinen nun aber Deinen Anspruch zu kennen.

Daß unser so lieber, treuer Bote diesmal so hinter dem Geschehen hinkt, wir sind ihm nicht bös darum. Er hat Dir auch so Kunde gebracht von meiner Liebe zu Dir, und das soll er ja immer aufs neue. Nun bin ich gewiß, daß auch Du Dich freust, und bald wirst Du den Zeugen meiner Freude in Händen halten.

Meinen Geburtstagsbrief hast schon geschrieben! Liebes! Herzallerliebste! Er ist mir doch das allerliebste am ganzen Geburtstag, Du! Du!! Vielleicht kommt er gar pünktlich an? Ach Herzlieb! Ich denke noch der roten Nelken, die Du mir schenktest. Dunkelfeuerrote Nelken mitten im Winter! Erst das schöne Adventskränzlein, mit dem Du mich so überrascht und beglückt hast — und kurz darauf die feuerroten Nelken — Liebste Du!! Heiße, liebe Küsse waren es, brennende Liebe — heute weiß ich es — und damals schon fühlte ich es — Gaben der Liebe — so lieb gereicht, von keiner anderen Hand hätte ich sie empfangen mögen! Heiße Liebe war es, heute weiß ich es, heute, wo Du mich noch viel öfter und, Herzlieb, viel, viel reicher beschenkst!! Du!! Du!!

Der Geburtstag nimmt unter den Festen des Jahres eine besondere Stellung ein, als eine Person im Mittelpunkt steht. Schon als Kind spürt man das, ja als Kind eigentlich am deutlichsten. Wenn Hellmuth vor mir im November Geburtstag hatte und er allein beschenkt wurde, so meldete sich doch ganz leise das „Gerechtigkeitsgefühl.“ Wo mehrere Kinder da sind, müssen sich die Eltern damit mal gründlich auseinandersetzen. Rührt die Geburtstagsfeier zu Hause schon an die Persönlichkeit und das Selbstbewußtsein, so noch mehr, wenn man außerhalb, in der Schule, im Kameradenkreise, in der Singstunde gefeiert wird. Dann fühlt man die Augen der anderen auf sich ruhen, mißfällig oder wohlgefällig, spürt man, wie andere sich mit uns befassen und beschäftigen. Dieser Tag gibt Gelegenheit, sich [siehe Ausschnitt aus dem Brie: doppelt durchgestrichen], von andern unbemerkt, und unauffällig, dem Gefeierten Wohlwollen zu zeigen oder gar sich ihm zu nähern.

Den Gefeierten selbst ermutigt das, selbst irgendein Wohlgefallen zu bekennen. Überhaupt aber wird der Geburtstag so zu einer Station, zu einer Gelegenheit, seine Persönlichkeit zu bedenken, Rückschau zu halten und neue Vorsätze zu fassen.

So ist mir noch ganz lebendig ein Geburtstag in Erinnerung, es war tatsächlich der 13. Weihnachtsfeier in der Schule, im Seminar, Du weißt, wo es steht. Die war immer sehr schön. Der festliche Saal, die Orgel [er]klang und dazu die schönen Aufführungen, an denen wir immer irgendwie beteiligt waren, singend zumeist. Wir führten damals die Kindersymphonie von Haydn auf. Knecht Ruprecht brachte die Instrumente, Flöte, Trompete, Schellengeläut, Becken usw., und dann wurde vor ihm musiziert, in Ermanglung [sic] eines großen Orchesters zum Klavier zu 4 Händen. Wir Schulkinder bearbeiten also lampenfiebernd und herzklopfend die Kinderinstrumente, Dein Hubo blies — na was schon — die Trompete. In vielen Proben vorher übten wir das Zählen und richtige Einsetzen — war gar nicht so einfach.

Ja, und zum Geburtstag bekam ich damals einen blauen Anzug mit Brusttasche (!) und darin ein Affentüchel, so sagten wir, ein ganz buntes, es liegt heute in meiner Fototasche. Und nun die Brust geschwellt von den Hochgefühlen der Vorweihnacht, der Aufführung, des Geburtstages — da vergaß, überwand er alle Scheu, aber geglüht hat er dabei, — und, höre nur, da tat er seine erste und einzig offene Liebeserklärung: wichtig erkundigte er sich bei einer Schulkameradin nach einem Mädchen, das an diesem Abend fehlte, zu seiner großen Enttäuschung; denn ihr wollte er gefallen. Und nun hatte er sich doch verraten, der scheue, spröde. Ich fühle heute noch nach, wie es mich bewegt hat damals. Das Mädel? Sie war noch gar nicht lange bei uns, kam vom Dorfe, Tochter eines Molkereibesitzers, blaß, etwas zag, mädchenhaft scheu, ein hübsches Gesicht, große Füße, und lief ein klein wenig über den Onkel, ja! Der Lehrer hat sie auch mehrmals darauf aufmerksam gewacht. Es ist bei dieser Liebeserklärung geblieben. Alles ist ihr natürlich hinterbracht worden, schnellstens; Elfriede L. guckt mich heute noch groß an daraufhin. Ich bin ihr zuletzt mit Dir auf dem B. er Bahnhof begegnet. Ihre Brüder gefallen mir nicht, sie haben so weiblich runde, rote Köpfe. Ich glaube, so etwas könnte mich von einer Heirat abhalten. — Heute nicht mehr, versteht sich, ich erzähle doch aus der Vergangenheit, heute bin ich doch verheiratet mit — mit — mit meinem Herzlieb, Du!!!!

Diese ganze Geschichte rief ich mir jetzt mal morgens in ihrer ganzen Deutlichkeit zurück. Dein Hubo hätte die Mädels damals noch gar nicht angeguckt, wenn nicht die Kameraden so albern gewesen wären, und wenn ein Teil der Mädel damals mit Liebschaften, die dann in der Schule zur Verhandlung kamen, nicht unrühmlich [^]sich hervorgetan hätte. Ich habe sie noch alle deutlich vor Augen und ihre Namen und Vornamen noch sämtlich im Gedächtnis (!), wie das doch haften bleibt, dazu auch ein Bild ihres Charakters. Und meine Neigung damals war nicht bei den flachen, lockeren, vorreifen Dingern, sondern bei den anderen. Da war eine, die sich durch ein äußerst hilfsbereites, mütterliches Wesen auszeichnete,x dabei war sie klug und irgendwie führend, schön war sie nicht und dem Ausdruck stabil schmeichle ich ihr noch — zu ihr schaute ich hin, nicht weil ich sie richtig liebte, — sie war ein Jahr älter —, sondern weil mir aus ihr weibliches Wesen anziehend entgegensah. Und nach denen sah ich, die aus noch besserem Hause, Lebensart und Wohlerzogenheit zeigten, die Kindern so gut steht und Mädchen einen großen Liebreiz verleiht.

Ja, Herzliebes! Ins Elternhaus und in die Kindheit muß man zurückschauen, um zu erfahren, wie alle die Bilder uns[e]rer Sehnsucht ihre Züge erhielten. Ganz unermeßlich ist, was ein gutes Elternhaus dem Menschen an Gutem einpflanzen kann. Und das Wunschbild der Vertrauten meines Herzens, es trägt [a]uch die Züge meiner lieben Mutter. Und überall, wo ich auch Mädchen und Frauen sah, da war ihr Wesen unsichtbar stets der Maßstab.

Wie groß, wie schön die Aufgabe, Kindern ein gutes Elternhaus zu geben, wie groß, wie schön!! Du!! Du!!! Und wir beide wollen sie uns stellen! Ich mit Dir!! Mit Dir!!! Geliebte!!! Ich weiß, wieviel Schaffensfreude, Herzensgüte und Mutterliebe, und wieviel Umsicht Du mitbringt dazu! Du wirst die Mutter sein unsrer Kinder! Du!! Du!!!

Der Freitag geht zu Ende. Heute kehrte unser Hauptfeldwebel [z]urück. Um Vormittag war ich beim Zahnarzt. Es war gar nicht schlimm, und an den schmerzenden Zähnen war gar nichts, also doch irgendwie etwas überreizte Nerven, denke ich. Er macht alle Löcher zu, daß sich Dein Hubo nicht erkälten kann. Eine herrliche Lu[ft] war heute. Am Vormittag in der Stadt weihnachtlich bewegtes Leben. Einen Bekannten, Kraftfahrer, traf ich, begrüßte ihn; er erzählt, daß er Urlaub bekommt über Weihnachten; ich frage, wo in Sachsen er zu Hause ist; er antwortet: in Radeburg! Da habe ich mich gefreut und ihm Grüße aufgetragen an meine Heimat. Und Du — Naseweis — kennst sie ja auch schon, und hast Dir gar nicht alles richtig angeschaut, hast mehr auf Deinen Hubo geguckt — oder — halt, mein! — ich besinne mich, daß Dir die Fahrt dorthin als eine der schönsten in Erinnerung ist — und Du!! — wir fahren wieder mal dahin — und lassen uns dann mal abends lustwandelnd im Mondenschein von der lieben P. alle Geschichten wiedererzählen! — magst Du? Ja? — aber nur ein Stündchen alte Geschichte!, ein Stündchen höchstens!! Dann muß die neue Geschichte zu ihrem Rechte kommen! Wie? Du Neugierige! Die neue Geschichte vom Du und ich! Herzliebes!! Wo wir dann schlafen? Ach, wir werden schon ein verschwiegenes Plätzen finden, wo uns niemand schlafen sieht, Du!! Geliebte! Ich bin so froh mit Dir, so glücklich!

Gebe Gott, daß es so bleibt! Er behüte Dich auf allen Wegen! Verlebe einen recht frohen Adventssonntag und sei jetzt schon recht herzlich bedankt für Dein liebes Gedenken zu meinem Geburtstag. Wenn es Dich froh und glücklich macht, dann denke daran, daß ich Dein bin, ganz Dein!! Dein Geburtstagsjunge! Und ich weiß mir keine schönere Geburtstagsfreude, als ganz lieb und fest Deiner zu denken und zu wissen, daß Du mein bist, ganz mein!! Meine liebe, gute [Hilde]! Mein Herzlieb! Meine Holde! Du! Du!! Du und ich! [Hilde] und [Roland]! Ich bin so glücklich!!

Dein [Roland].

Bitte grüß die lieben Eltern!

 

x Wir nannten sie nur ‚Mama’ — d.h. Dein Hubo nicht.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401220-001-01b.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946