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[OBF-401217-001-01]
Briefkorpus

Dienstag, den 17. Dezember 40.

Du! Meine [Hilde]! Geliebte! Herzallerliebste, Du! Du!!

Wie soll ich heute anfangen, Du? Du!!

6 Uhr am Abend. Wir waren fertig mit unsrer Arbeit. Der Chef kam, um gegen seine Gewohnheit die Unterschriften in der Schreibtstube zu Vollziehen [sic]. Das ist eine so eigenartig, wohlige Stimmung für mich. Dann hat er die Abendpost durch, sie lag ihm vor. Ich laß [sic] über einen Zettel gebeugt. "[Nordhoff], die Mutti hat geschrieben, sie schreibt jeden Tag treu und brav!" Damit gabe er mir den vom Montag herüber, den dünnen! Nun hielt ich in Händen, worauf ich mich freue den ganzen Tag, jeden neuen Tag! "Noch einmal [Nordhoff], doppelt hält besser!" Nun reichte er mir den dicken zu meinem Erstaunen. Du! Nun war ich gespannt! So fleißig hat sie geschrieben trotz der vielen Arbeit?! 4 lange Seiten! Ich wartete, bis die Schreibstube leer war — und dann entfaltete ich die Blätter.

Liebste! Geliebte!! Noch kann ich es nicht ganz fassen! Es ist so sonderbar und wunderbar! Die Tränen sind mir gekommen. Und die Gedanken, die ich für diese Wendung bereithielt, ich muß sie erst herbeirufen, ich hatte sie schon fortgeschickt, weit. Die Tränen? Dank, Dank - und — Jetzt will ich Dich erst ansehen, will in Deinen Augen lesen, was da steht: Freude? Richtige, reine Freude? Geliebte?! — Du?!! Nicht weit davon war ich, auch für die andere Wendung eine Freude, ein inneres Froh- und Getrostsein zu finden — eine ernste, stille, gereifte Freude. Und nun soll die lautere, lustvolle, hellere Freude wieder die Oberhand haben? Die Freude junger Liebender? Du! Du!! Ich kann es noch nicht fassen. 3 Boten bekommst Du noch von mir, die sich ernst auseinandersetzen mit allem, Du! Und heut abend, da war ich nun auf ganz anderes gefaßt. Noch und noch einmal habe ich gerechnet an Deinem Kalender — bis vom August her: 24. Aug., 21. Sept., 19. Okt., 16. Nov., 14. Dez. — Und nun dachte ich: wenn nach der Anstrengung des Waschfestes sich nichts rührt, dann haben mir Gewißheit.

Geliebte! Gott hat unser Gebet erhört? So gläubig ich ihn gebeten habe — so kann ich es noch nicht fassen, daß er uns so gnädig war! Aber fassen, daß wir es fassen, ist so unwesentlich, daß wir uns freudig in seinen Willen schicken und ihm danken [—] Und mein Dank strömt aller zu ihm!!

Und nun möchte ich mich mit Dir freuen! Freuen! Du!! Darf ich? Du schreibst auch von Freude.

Geliebte! Mit welchem Gedanken beginne ich?

Freude junger Liebender. Die helle, unbeschwerte Freude junger Liebender! Geht uns der Gedanke noch an? Dich? Ja, Du! So lieb und jung!! Mich? Mich alten, großen? Ja? ja?? Du?! Ja!! Sag ich! Geliebte! Alles, was mich tiefer bewegte, schrieb ich Dir! Und schon hatte ich überwunden, was ich Dir verschwieg, um Dich nicht zu betrüben: Daß sie schon zu Ende sein sollte, die Zeit der hellen, unbeschwerten Freude — die doch eben erst angebrochen ist hat! Daß das Glück seligen Umfangens und glückhaften Beschenkens (sein sollte) so jäh beendet sein sollte! Daß Du, mein liebes, schönes Weib schon an dieser bedeutsamen Wende stehen solltest! Daß ich Dich nicht noch viel öfter glückhaft erlösen dürfte! Geliebte!! Daß wir uns in dieser unbeschwerten Freude nicht noch viel inniger sollten zusammenleben dürfen! Nun soll ich so jung und froh und glücklich neben Dir schreiten dürfen, wieder und wieder, Du?! Neben meinem, meinem lieben jungen, schönen Weib?! Nun sollen wir doch noch so glücklich heimkehren dürfen, seligen Umfangens harrend? Du! Du!! Sollen noch schöne Flitterzeit erleben dürfen? Geliebte! Freust Du Dich mit mir? Mit Deinem [Roland], der solche Freude, solches Glück nie kannte zuvor, dem Du es schenktest? Soll Dein [Roland] noch lieber und inniger Dich umfangen dürfen! Du! Geliebte!

Ach Du! Ich verstehe Deinen Herzenswunsch — er ist auch mein Wunsch — anders vielleicht als Dir. Er schwebt mir vor als ein ernster, strenger, gereister Wunsch! [G]eliebte! Du fragst mich, ob ich besorgt darum sei, daß Du schon Mutter sein könntest! Geliebte! Darum war mir nicht bange, mein Du!! Ich kenne Deine große, große Liebe, Du!! Sie trägt alles. Sie trägt leicht auch unser Kindlein. Diese Liebe, sie ist der beste Nährboden für das Kindlein. Sie bringt mit sich Fürsorge, Umsicht, und dieses innerste Verstehen zwischen Mutter und Kind. Nein Geliebte! An Deiner Kraft so gesehen lege ich keinen Zweifel. Aber das and[e]re, das mir den Kummer bereitete, den tiefen Kummer, der [m]ich noch gestern abend bedrückte: Daß Du sollest allein sein mit dem Kindlein, daß Du immer Dich sehnen solltest nach mir, daß Du (solltest) mich entbehren solltest in den Stunden des Bangens und Zagens; Du allein mit dem Kindlein, als ob es gar keinen Vater hätte! Liebste! Geliebte! Wir brauchen einander. Ich brauche Dich, ich Du brauchst mich! Und das viel mehr in diesen schicksalhaften Stunden. Schützen möchte ich Dich vor allen dunklen Gedanken, vor allen häßlichen, niedrigen Blicken, vor albernen, abergläubischen Reden wohlmeinender Nachbarn, vor Ängstlichkeit der allzu besorgten Mutter! Geliebte! Vater möchte ich sein unserm Kindlein. Und das andre, Geliebte, daß das mich ganz vergessen und verwinden lassen wird, daß Du Dich mir versagen mußt: So wie Du Dein Herzblut dem Kindlein schenkst, die Mutter, so möchte ich nun Euch beide sein mit meinen Gedanken, mit meinen Liedern, mit meinem Spiel, mit meinem Schutz, des Kindleins Vater! Geliebte, Herzallerliebste! Daß dieser Wunsch in Erfüllung gehen soll! Freust Du Dich mit mir?

Eben habe ich die Stelle wieder und wieder gelesen: Du freust Dich mit mir aus dankbaren Herzen! Du!!!

Du! Geliebte! Ich schrieb schon vom Hineinwachsen in die Rolle von Vater und Mutter. Sie war schon einmal der Gegenstand unsrer Sorge. Du! Du!! Wenn ich um Dich sein kann, glaubst, es macht mir dann soviel Freude wie Dir! Ja!! Freude! Freude zuallermeist! Du! Wenn ich Euch beide dann in meine Arme schließen darf! Wenn ich dann leise und zärtlich über Deinen gesegneten Leib streicheln darf. Du! Geliebtes Weib!! Und Du denkst so wie ich: Es wird von Einfluß sein auf das Kindlein.

Ach Du! Und so wie wir es uns wünschen, so kann es doch nur sein, wenn wir allein sind in unserem Heim, Du! in Deinem Heim, das Du Deinem Mannerli so lieb bereiten willst!! Soll der Traum, der glückliche, noch nicht zerronnen sein — von dem rüstigen, frohen Beginnen? von dem häuslichen Glück? von den vielen trauten Stunden des Zurüstens und Lauschens in das Wunder des werdenden Lebens, mit Dir, ich und Du? Geliebte, Geliebte!! Meine [Hilde]!! So viel unsagbares, tiefes Glück soll nicht verloren sein?!! Du!! Du!!! Freu Dich mit mir und sei dankbar mit mir! Herzallerliebste!

Soviel echtes Glück, vor dem alle Sorgen um dies und das so klein und leicht werden! Geliebte! Und ich vermag es selbst nicht recht zu ermessen, wieviel Sorge und Unruhe mir nun erspart sein soll! Du!! So wie Dir ist es mir ergangen! Ich habe wie Du auch schon Einzelheiten bedacht. Geliebte! Wir hätten hindurch müssen — und im Vertrauen auf Gott und seine Hilfe wäre es uns gelungen — — aber so, so ist es besser. Du!! Ich weiß, daß auch über die Ferne ich hätte dem Kindlein Vater sein können, daß mein Bild Dir und ihm allzeit vorgeschwebt hätte — — — aber so ist es besser.

Geliebte! Herzallerliebste mein! Die Zeit geht wieder um. Und ich mag den Boten keine Minute aufhalten, [d]aß er Dir meine große Freude künde! Und keinen innigeren Wunsch habe ich, als daß Du meine Freude teilen möchtest! Geliebte! So froh und gelöst bin ich wie Du! Ich danke Dir aus vollem Herzen für Deine vielen, lieben Zeilen!! Mein liebes, teures Herz! Daß Du nun Weihnachten so froh begehen darfst! Gott schütze Dich! Er behüte Dich und schenke Dir bald frohe Genesung! Meine Freude möchte sich austun. Wie soll sie es? [N]icht einmal ein Weihnachtsgeschenk habe ich für Dich! Ein ganz kleines erstand ich am Sonntag. Auf ein größeres warte ich noch. Weiß nicht, ob ich es bekomme, und wenn, ob es dann noch zu recht kommt zum Feste.

Geliebte! Daß Du mein bist!! Daß ich Dich lieben darf!! Soll nun die helle Freude junger Liebhaber auch wieder zwischen uns sein? Ja! Aber die schmerzliche Sehnsucht, sie bleibe uns noch lange fern, bis zum Urlaub, ja? Du!! Und heute müssen wir beide ganz brav sein! Ach, Herzallerliebste! Der Tag ist schon so überreich an großer Freude, großem Glück! Ich halte Dich glücklich in meinen Armen! Meine liebe, liebe, liebste [Hilde]!! Mein Glück!! Mein Leben!!! Ich bin Dein [Roland]! Dein in aller Liebe und Treue!! Allezeit Dein!!! Du, mein liebes, schönes Weib! Mein Herzlieb! Geliebte, Holde mein!!!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946