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[OBF-401213-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 13. Dezember 1940.

Herzallerliebster!! Mein [Roland]!! Mein lieber, guter [Roland], Du!!

Ein Tag folgt dem andern; gleich grau, gleich trübe sind sie jetzt immer. Flocken fallen, lautlos  Tag und Nacht. Sie decken alles zu, bedecken die nackte, frierende Erde mit ihrer warmen Hülle. So feierlich sieht es draußen aus jetzt und besonders abends, wenn man einsam geht draußen, da spürt man das Feierliche ganz deutlich, das in dieser Stille liegt  und in dieser weißen Pracht.

Ich wäre gestern abend nach der Singstunde am liebsten weit noch hineingelaufen in die Nacht, nach dem Walde zu, dahin, wo man keinen Menschen begegnet. Das tut so wohl, dieses Gehen in der Einsamkeit  man findet sich selbst wieder; es wird so ruhig und so still im Inneren. 

Aber noch mehr drängte es mich, mich Dir mitzuteilen, mein Herz! Es hat mich erleichtert, Du! Aber die Ruhe fand ich nicht, in dieser vergangenen Nacht. Sie war so lang  endlos lang. Und kein Tagesschimmer zeigte die Morgenstunden an. Es wird erst gegen 9 hell. Ich habe gewartet, ich habe so gewartet, daß ich zu meinen Pflichten käme, das Stilleliegen quälte mich so. Die Gedanken  sie sind wie die Vögel, sie flattern immer umher, rastlos. Träume plagten mich  einer wollte mir ein Leides [sic] tun  ich wußte Dich ganz nahe  und ich konnte doch nicht schreien, die Kehle war mir wie zugeschnürt. Er war so wild nach mir  ich habe ihn noch nie gesehn; er hatte auch eine blitzende Zange in der Hand und einen weißen Mantel hatte er an. Und er hielt mir den Mund ganz fest zu  ganz fest. Und dann  dann sah ich am Fußboden ein nacktes Kindlein liegen, so klein, und als ich nach ihm fassen wollte, da war ich aufgewacht. Und es war um 3 morgens. Ich habe gewartet auf den Tag, daß ich arbeiten könnte und nicht soviel grübeln. Ich habe meine Nerven zu sehr aufgepeitscht vor dem Schlafengehen, gestern. Ich hätte es nicht tun sollen  ich weiß, es war doch schon immer so: wenn ich spät abends noch schreibe, immer quälten mich böse Träume, oder Schlaflosigkeit. Aber Du  Du!! Ich mußte noch mit Dir reden  mußte Dir noch mein Herz ausschütten! Ich hätte sonst keine Ruhe gefunden.

Ich habe heute wieder gewartet  vergebens.

Ich bin so bang, daß die Mutter mich fragen könnte, wegen dem Baden heute, oder wegen der Anstrengung bei der Wäsche morgen  sie weiß doch ganz genau, wann ich krank bin. Und mir wird immer ganz heiß, wenn das Gespräch verfänglich zu werden droht, und ich bemühe mich so sehr, ganz unbefangen, wie sonst zu sein. Wenn ich Mutter bei den Mahlzeiten gegenüber sitze und sie sieht mich beim Sprechen, oder so ganz nebenbei einmal fest an, dann beginnt das Herz ganz wild zu klopfen  ach, und ich wäre da am liebsten sonst irgendwo  nur nicht bei ihr. Es ist so etwas eigenes um den Blick der Mutter.

Und ich brauche gewiß keine Angst zu haben, brauche keine Vorwürfe zu fürchten. Du bist ja bei mir, mein Herz!, was uns jetzt ge[sch]ieht, das müssen wir doch zusammen tragen und Du schützt mich ja nun mit Deiner ganzen Liebe, mit Deinem Namen. Bin ich denn ehrlos? Bin ich denn eine ungehorsame Tochter, wenn ich gesegnet bin? Nein, Du! Ich bin Dein Weib! Mein [Roland]! Dein Weib!

Es ist mir nur so schwer, weil ich immer zu Hause noch bin und mich jetzt immer noch als der Eltern Kind nur fühle, so wie es immer war  und ich fürchte, daß ich jetzt mein Handeln nicht verantworten kann, vor den Eltern. Das ist, was mich bedrückt, weil ich sie noch nie im Leben betrübte, ernstlich betrübte.

Aber das ist wohl ganz abwegig, womit ich mich hier zermartern will. Denn, Herzlieb! Du! Ist es denn nicht so?:

Mit dem Jawort, das die Eltern Dir gegeben haben, als Du um meine Hand sie batest, haben sie mich Dir ja ganz zu Eigen gegeben, ganz zu Eigen! Und nun bin ich doch mehr Dein, als ihnen. Aber noch mehr: Gleichzeitig, mit ihrem Jawort gaben sie doch auch zum Ausdruck, daß Du, mein Lieb!, jetzt auch als ihr Kind, als ihr lieber Sohn giltst. Du! Und sie haben Dich ja genau so lieb wie mich! Das weiß ich! Du! Du? Warum habe ich denn nur noch Bange? Ach, es ist mir, weil es ein Geheimnis ist  mein Geheimnis  unsres, Du! Und es ist auch das Schamgefühl, was es [m]ir so schwer macht, wenn ich daran denke, daß ich eines Tages der Mutter sagen müßte  oder eingestehen müßte: ich werde ein Kindlein haben.

Sie wissen es dann, Du! Die Eltern, daß wir uns so sehr lieb hatten, als ich bei Dir war. Ach, mein Lieb! Bitte, versteh' mich nur recht! Du!!! Nicht, daß ich mich Deiner schäme, Du! Nein, nein, nein! Daß ich mich unserer Liebe schäme, auch das nicht! Aber es fällt mir so schwer, einem anderen Menschen  und sei es die eigene Mutter, einen Blick tun zu lassen in unser Heimlichstes, Köstlichstes, daß [sic] uns verbindet, und daß [sic] nur uns beide angeht, Du! Herzlieb! Verstehst Du das? Kannst Du das nachfühlen?

Ach, soviel Sorgen und Kopfzerbrechen mache ich mir. Und dabei habe ich noch keine feste Gewißheit. Aber, mein [Roland]! Ich kann auch nicht sein, die Hände im Schoße, gleichgültig,  ja, es wäre in meinen Augen gewissenlos , und mich meinem Schicksal ergeben. Ich will alles mit ganz wachen Sinnen fühlen, was mit mir vorgeht; es geht ja hier nicht nur um mich und um meine Gesundheit  es geht um viel, viel mehr, ich will mich nicht nur Dir erhalten, auch das Neue, das so Gott will, aus uns hervorgehen wird. Und ich habe es mir zum Vorsatz gemacht, daß ich jetzt ganz genau auf mich achte, auf die geringste Regung im Körperlichen, und ich will auch nicht mehr so rücksichtslos, wie ich es gern tat bisher, im Gebrauch meiner Kräfte vorgehen. Ich will alles bedenken, mein [Roland], es ist besser so und auch, wenn es nicht so wäre mit mir. Ich weiß, daß Du das nicht gerne siehst und ich sehe auch ein, daß ich mir so mit Gewalt schade.

Herzallerliebster!! Heute nachmittag kam Dein so lieber Bote vom Mittwoch. Du! Ich danke Dir ja so sehr, mein Lieb!! Ich schenke Dir einen ganz lieben, langen Kuß dafür! Was Du mir schreibst, Du!! Wie es mich beglückt! Du hast mich ja so, so sehr lieb, Du!! Und ich kann doch das Wort Untreue garnicht in den Mund nehmen vor Dir, geschweige denn, Dich auf Treue prüfen! Dich!! Du!!! Glaubst Du, daß ich ganz im Ernste mich um Dich sorgte, wenn auf diesem Fest Frauen gewesen wären? Ach, es ist doch nur zu natürlich, daß man gleich ein wenig eifersüchti[g] denkt!, wenn man sich so sehr lieb hat, wie wir uns, Du!!

Ich glaube an Dich. Mein [Roland], das mag Dir alles bekunden, was Du mir bist. Und wenn ich nicht in Dein Herz gesehen, wenn ich nicht Dein Wesen erkannt hätte, da müßte ich vielleicht manchmal mich verzweifelt fragen: ob er ganz mir gehört? Ob er denn nur mich liebt? Das brauche ich mich nicht zu fragen, Du!! Du!!!

Ach, wer ist wohl glücklicher als ich, auf dieser Erde?

Die Treue, das ist eine ganz seltene Blume in dieser bösen Zeit. Daß sie mir blüht!!! Mir! Du!! Und Dir! Mein [Roland]!!

Wenn ich um mich blicke, im Kreise der Frauen und Mädchen, so schaudert mich. Es ist gerade, als ob auf einem Beete das Unkraut jeder Blume die Nahrung entzieht, daß viele, viele sterben, welken müssen  aber zwei Blumen kenne ich, Du, die blühen so schön! Die lassen nichts, auch nichts Häßliches und Böses an sich herankommen.

Ich kenne dich, das sagt man oft so leicht hin. Ich kenne dich, das bedeutet alles, alles was zu einem Menschen gehört an schwachen und starken und guten Seiten. Und ich kenne Dich, Du! Mein Herzlieb! Und ich will Dich noch viel tiefer und inniger kennen lernen und damit  lieben lernen, ja Du!, so wie ich Dich kenne, so liebe ich Dich!

 

 

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946