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[OBF-401207-002-01]
Briefkorpus

Sonnabend, am 7. Dezember 1940.

Herzallerliebster!! Mein [Roland]!! Mein lieber, lieber [Roland]!!

Seemannsfeiertag ist schon heute, und Du mußt ihn wieder allein feiern — Du! Wie ich mich sehne, bei Dir zu sein, mein Herz!! Vorigen Sonnabend begann er für uns zwei Ungeduldige zwar recht spät — weißt Du noch? — Doch dafür wurde er auch dreimal fast länger ausgedehnt, als üblich — bis zum Montag galt er! Du! Die Glocken vom Kirchturme läuten eben jetzt auch den Sonntag ein, 6 Uhr ist es. Und damit beginnt mein Feiern. Ich habe alle Arbeit aus den Händen gelegt — jetzt sind sie nur noch für den Herzallerliebsten da — Du!! Sie möchten sich aber soo gerne mit viel Lieberem, Schönerem betätigen — Du — als mit Feder und Tinte und Papier!! Heute noch nicht aber wenn 10 Wochen vergangen sind — Du — dann dürfen sie sich schon freuen — auf Erlösung — Du?? Du!!! Heute früh vor 6 war ich schon einmal wach — ganz hell war es schon draußen — wir haben wieder Mond und auch der Schnee leuchtete. Du! Da mußte ich so süß Deiner denken — es kam ganz plötzlich über mich — ich weiß nicht, warum — und ich wollte die Gedanken fliehen — wollte mich nicht quälen — und es gelang mir nicht — Du — das war so schmerzlich süß — ich kann mich doch nicht erlösen — und ich hab mich ganz tief in's Kissen gewühlt — hab ganz fest die Zähne zusammengebissen — um nicht zu stöhnen vor Sehnsucht nach Dir — Du!! Ich muß dann aber wieder fest eingeschlafen sein; denn mir träumte von Dir — ich saß mit Dir zusammen in einem offenen Wagen und fuhr durch enge Gassen mit Dir. An beiden Seiten wuchsen Tulpenbäume so hoch über die Zäune der Gärten, daß wir sie mit den Händen fassen konnten — und ein Duft war rings umher — wie im Sommer, wenn die Rosen blühen. Und dann hielt das Gefährt — erst stieg ich aus und wie ich mich nach Dir umwende, bist Du fort — weiß nicht, wohin auf einmal.

Erinnerst Dich noch des Rastplätzchens vom vorigen Sommer, das wir aufsuchten, auf einer Radpartie über Niederfrohna (bei der Kirche hinauf) nach Kaufungen zu? So sah der Ort aus, wo ich ausstieg. Sanft gewellte Wiesen, ein Bächlein war auch da — und im Hintergrunde standen einige Birken und — Du tratst dabei und sahst zu mir herüber, und Du bewegtest Dich nicht — und ich erschrak und in mir war Staunen, warum Du so fremd warst — Du — und ich war so voll Sehnsucht zu Dir, alles drängte hin, nur zu Dir. Und da wachte ich auf — Du — ich mußte mich erst besinnen, wo ich war. Froh merkte ich nun, daß es ein Traum mir war.

Und er ist auch ganz leicht zu deuten. Bevor ich wieder zu schlafen begann, war ich mit allen Sinnen bei Dir — hatte aber doch bei aller Sehnsucht die Gewißheit, daß es nicht sein kann! Du bist mir ja so fern! Träume erlösen nicht oft, sie bedrücken eher noch mehr. Und uns Frauen bringen sie Erlösung niemals — das ist unsre Not.

Eine andere Art der Erlösung muß ich mir aber suchen — viel Arbeit — damit ich abgelenkt bin — vergessen kann ich so leicht nicht. Und das tat ich denn auch — da hat es auch keine Not hier bei uns! Heut früh um 8 ist Mutsch nach Glauchau gefahren, zu Tante M.. Es war bis Freitag abend noch nicht entschieden, ob sie fahren würde. Erstens: weil sie sich besser die beiden letzten Tage vor der Arbeit noch ausruhen sollte. Zweitens: weil das Schneetreiben und der Sturm noch immer anhalten. Nun meinte sie aber, es sei die beste Gelegenheit noch einmal vor ihrer Niederkunft sie zu besuchen, weil sie dann später nicht frei bekommt, so kurz vor Weihnachten. Und an den Feiertagen will sie bei uns zu Hause sein. Hin und her — her und hin.

Papa sagte: ‚mach's wie du denkst — komm mir bloß nicht krank wieder!' Und ich hab dann sämtliche Wollsachen ihr aufgeredet! War mir das eine Wonne, mal das Amt zu versehen, daß sie sonst versieht! Morgen gegen abend ist sie wieder da. Sie will ihr auch gleich mal unseren Standpunkt klar machen von wegen der Wochenpflege! Nach Mittag war ich fertig mit der üblichen Sonnabendarbeit. Und Papa ging Eintopf sammeln. Das war für mich der gegebene Moment, meine Weihnachtsarbeit vorzuholen. Ich habe die Streifen zusammengehäkelt, nun fehlt oben und unten noch ein Gebind Garn heran, das werde ich in 2 Tagen ungefähr haben, dann noch umhäkeln und dann? Ist sie fertig! Ich werde froh sein. Wenn man sich die Zeit immer so wegmausern muß! Besuch kam heute gegen 200 auch. Der Gerhard unten von [Laube]s, er wollte sich mal meine Ahnentafel abschreiben, sie müssen das in der Schule haben. Er hat es gleich bei mir abgeschrieben, ich habe ihm geholfen. Aber viel kann er ja nicht gebrauchen — nur die [Laube]-Linie. Diese Woche wäre ganz unverhofft Schulrat E. zur Tür hereingeschneit! Ihr Lehrer (Sch.) sei ganz blaß geworden! V., bei dem sie dann Geschichte hatten, wäre an dem Tage die Liebenswürdigkeit selber gewesen. Wie er das so vorbringt! Drollig! Ich wünschte, Du könntest das mal hören.

Die Konfirmandenstunde ist ja auch ein Kapitel für sich, wie ich höre. Die Jungen würden dauernd aufstehen und sagen: „Herr Pfarrer, ich glaube das nicht, daß Jesus geboren ist – und daß dies oder jenes wahr ist." Und er wüßte manchmal garnicht mehr, wie er ihnen beikommen sollte. „Warum haben wir denn in der Schule keinen Religionsunterricht mehr?" "Ja — ja, das ist Privatsache!" — Denk Dir — so antwortet der Mensch!! Und wenn der Pfarrer dann fragt, welcher Lehrer ihnen denn solche Sachen erzählt, wie ich oben aufführte, dann schwirre es durcheinander: nicht verraten! Nicht verraten! Das ist heute Konfirmandenunterricht! Die reinste Verschwörung.

Und ½ 400 kam mein liebster Besuch — Dein Bote von Donnerstag! Herzallerliebster!! Sie recht herzlich bedankt!! Du!

Hast warten müssen? Du? Auf meinen Boten, Armer! Ja, wenn Mutsch daheim ist, wird es immer erst abends etwas aus meiner Stunde für Dich! Und dann fürchte oder graue ich mich, noch zur Post zu laufen; kommt darauf an, wie das Wetter ist. Du verstehst das — ich weiß, Dickerle! Du verlangst das auch gar nicht, daß ich noch bei Dunkel hinauslaufe. Schreiben tu ich! Jeden Tag! Und wenn's nur mal ein Gruß wäre, sollte einmal etwas Besonderes vorkommen, was mich aufhält. Außer denn, ich fahre nach Eckernförde und es geht Kopf über Hals zu — da kanns’  vorkommen, daß auch der Gruß noch ausbleibt! Du!! Den verführerischen Fahrplan will ich mir fein säuberlich abschreiben und zu den Akten legen, wenn ..... wenn....!! Sonst muß ich erst ‘ne Menge Briefe durchsuchen, Du!! Wo ich unterkomme? In das Loch, was Du mir da vorschl[äg]st gehe ich ja nicht, Du!! Ich habe genug von Mäusen! Du hast doch selbst gesehen, wie gut mir deine Uniform paßte – also, Du! Halt immer eine parad!! Und ein Bett ist nun nicht mehr frei? Ach, Matrose [Nordhoff], der Selbstlose, er tut ja auch keinen Dienst, so aktiv wie wir! Er wird schon den ‚Neuen' mit in's Bettlein kriechen lassen!! Hm?? Ach bitte, bitte!! Ich verhalt mich auch ganz still, ich tu keinen Mucks!! Aber alles darfst Du natürlich auch nicht mit mir anstellen! Kitzeln — u.s.w. da muß ich lachen und quieken! Es wird schon gehn!! — Ach, ja! Du! Am Donnerstag im Lichtlabend, da stand sie wieder vor mir, die schöne Zeit, bei Dir sitzen sah ich mich — Du, das war zu schön! Und wir waren uns so nahe — und dann auch so nahe anders, süßer, köstlicher noch als auf dem Sofa, beim Schreiben. Ach, Du!! Du!! Das Herz klopfte mir zum Zerspringen in diesen Minuten, da all die kostbaren Stunden voller Glück vor mir standen. Du weißt, wie das ist, Liebster! Auch Du kannst noch zittern vor Glück, vor vergangener Seligkeit. Und diese unsagbar stolze, heimliche Freude, daß der Mann, den alle hier im Kreise verehren, schätzen — immer noch — mich, mich liebt! Mein ist!! Du!!! Das Wissen überstrahlte den ganzen Abend in ihrer Runde. Es war schön — wir haben erst richtig Singstunde gehalten. Dann kamen Pfarrers mit runter. Recht gemütlich saßen wir beisammen — viel schöner, als im Gasthause war's — die Männer kamen auch darum nicht!! Worte zur Adventszeit sagte uns der Pfarrer, ganz schön — aber ich war nicht befriedigt, er brachte soviel Weltliches herein, das paßte nicht hin. H. S. erzählte über Sitten u. Gebräuche in der Weihnachts- u. Vorweihnachtszeit, das fesselte mich ungemein. Durch seine Ahnenforschung ist er sehr weit vorgedrungen auf diesen Gebieten. schade [sic], daß wir nicht mehr hören konnten. ½ 12 erst war ich daheim! Nun für heut genug, mein Geliebter! Schlaf auch Du süß! Hoffentlich kommen die Engländer nicht so oft, weil wieder Mond ist.

Behüte Dich Gott, erhalte er Dich froh und gesund! Mein lieber, geliebter [Roland]!! Du!! Ich liebe Dich!! Du!! Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen!! Mein Glück, mein Leben!! Ich bin Dein!! Ich bleibe Dein!! Ganz deine Holde!! In Treue immerdar!! Du!!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946