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[OBF-401205-002-01]
Briefkorpus

[401205-2-1]

Donnerstag, am 5. Dezember 1940.

Herzallerliebster!! Mein [Roland]!! Mein lieber, lieber [Roland]!!

Grau ist der Himmel, es stürmt und schneit. Bei uns wird es nun Winter mit aller Macht. Ich war noch keinen Schritt an der Luft heute, mir graut die Mutsch hat die Wege besorgt. Aber ich muß noch mal hinaus heute, ich friere so, ich kann mich kaum erwärmen und dabei ist es so warm drin, meint Mutsch. Es fehlt mal bissel Sauerstoff; es wird dann schon anders mit mir.

Jetzt ist Mutsch zum Arzt, sie will sich gesund schreiben lassen. Es ist um 2 Uhr. Papa steht eben auf, er hat Hunger. Du mußt jetzt auch wieder zum Dienst, Liebster! Hast denn die Mittagspause auch für Dich genützt, Du? Ein wenig geruht? Tu das nur, Herzlieb! Hörst? Du hast es nötig! Ich kann morgens bis um 8 [Uhr] oder gar ½ 9 [Uhr] schlafen, Du! Das reicht aus, da brauche ich kein Mittagschläfchen. Aber ich bin schon immer eher wach, gleich nach 6 [Uhr] und dann kann ich nicht mehr fest einschlafen und ich fange an zu frieren, so beim Wachliegen. Ich brauche eine Wärmflasche, Du!

Einen Apfelkuchen habe ich im Ofen stehen, wir müssen die Äpfel verbrauchen, sie werden uns nämlich welk doch im Geschmack verlieren sie nicht. Ich will Dir trotzdem welche in's Weihnachtspäckchen stecken. Ja wir sollen uns heut['] abend etwas zu Essen selbst mitbringen es wird dies Jahr nichts mit Stollen aus der Kasse! Wenn sie gleich Geld hätten, doch die Zutaten?

Richtige Lust habe ich nicht heute abend, ich sehne mich nicht nach ihrer Geselligkeit aber ich sehne mich, etwas zu hören Musik Weihnachtsklänge etwas von dem zu hören, sehne ich mich, wo Du, mein Herz mir entgegenkommst; das ist immer so zauberhaft schön, wenn durch die Türe plötzlich ein Bild, eine Stunde aus der Vergangenheit in die Gegenwart gerufen wird. Darum zieht es mich auch immer wieder hin wie an tausend Banden; ich lebe, ich zehre von dieser heimlichen, süßen Gedankenwelt, wenn Du nicht bei mir bist. Das ist mir jede Woche wie ein kleines Fest im Grunde weiß das niemand, was mir die Singstunden jetzt, wo Du ja nimmer bei uns bist, trotzdem noch bedeuten. Man würde mich ja auch verlachen darum, wie kann einer so vom Träumen, von Vergangenem leben?

Aber das versteht keiner das soll auch keiner ich lasse mir aber diese heimlichen, kostbaren Stunden der Erinnerung durch nichts verleiden. Und wenn nach dem Singen der gesellige Teil folgt, dann fühle ich sowieso immer, daß ich nicht mehr zu ihnen gehöre weil ich nicht mit dem Herzen dabei sein kann. Traurig bin ich darüber nicht, nein. Es ist kein Mensch unter allen denen, den ich kränken könnte, der schmerzlich empfinden müßte, daß ich mich zur Mitfreude zwinge. Der einzige, mit dem sich [me]in ganzes Innere [sic] befaßte, ist mein aber er ist nicht in unserer Mitte zu ihm allein strömen all meine Empfindungen und Gedanken. Um ihn allein hat sich früher mein Herz gequält, wie es wieder sich quälen wird, Du! Und ich kann auch nie und nimmer auslöschen, was in mir brennt.

Sieh, mein [Roland]! Es kommt wohl jede mit ihren eigenen Empfindungen in uns[e]re Singstunde. Wer kann in allen Seelen lesen? Und ich komme so, wie ich bin, und ich ändere mich auch nicht und wenn ich doch einen Menschen dennoch kränken könnte, weil ich für mich bleiben will, dann tut mir das leid wohl aber mich ändern? Nein das kann ich nicht, das will ich nicht. Ich will nur Dein sein und bleiben! Mein [Roland]!!

Ich kann ebenso eigensinnig sein wie Du! Du!!


Von der Mutsch soll ich Dir was vermelden!!

Ich hab ihr erzählt, was wir bezahlt haben für die Tage bei Frau P.. Und da hat sie sich so entsetzt! Wir seien verrückt, das wäre doch viel zu viel. Wo ich alles selbst gekauft hätte, Frühstück, Mittag, Abendbrot sogar das Brot, die Semmeln[,] den Kaffee[,] Malz- und Bohnenkaffee u. Tee hätte ich auch noch selbst gegeben. Sogar die Butter zum Braten! Sie hätte auch nicht mal das Bett machen brauchen und bei mir aufräumen? „Na sagt mal? Was habt ihr denn da bloß gedacht?” „Wenn ihr mir das gebt für so paar Tage, da tät ich das ganze Jahr nicht weitermachen!" So sagte sie Du!! 3,50 M pro Tag da hätte ich woanders in voller Pension wohnen können, ohne mich selbst um's  Essen zu kümmern! Ja, viel zu viel hätten wir ihr gegeben. Drum hat sie gar so gestrahlt, Du! Und ist um uns rumgerannt am letzten Tag! Drum fragte sie auch nochmal:  „und das hier auch noch, fürs' Essen und Waschen, extra?" Als Du ihr noch etwas hinlegtest. Na ja es ist nun geschehen.

Und ich hab Mutsch beschwichtigt, so gut ich konnte. Sie kam aber nicht gleich drüber hinweg. Ich hätte doch das auch wissen können, sie sagt wir seien zu gut, wir wären nicht genug hinter unserm Geld her. Ich soll eben jetzt in der Zeit auch was sparen, und ich soll es eben genau so zusammen nehmen, wie Mutsch auch. Bitterböse war sie darum nicht, aber es war halt nicht in ihrem Sinne. Und ich weiß genau, sie hat im Innern gedacht, wenn sie es auch nicht sagte:

Ich hänge alles an Dich und Du, gibst bedenkenlos aus.

Das hat mich ein wenig gekränkt. Ich hab mir aber nichts anmerken lassen; was nützt es, wenn ich mich überwerfe mit ihr. Es ist unser Schaden, ich weiß und wir waren sicher auch zu großzügig. Es soll uns eine Mahnung sein fürs nächste Mal, Du! Wir müssen nun zusammen stehen für das, was geschieht und wir wollen das auch.

Papsch hat sie nun noch auf ihre Seite zu ziehen versucht: er meint er wisse da nicht so Bescheid, was es koste in der Fremde, aber 20 M wären genug gewesen, wenn wir alles selber gekauft hätten. Wenn wir immer so hantieren wollten, kämen wir aber zu nichts * [*= Punkt absichtlich groß gemalt, wie zur Betonung. Siehe Ausschnitt aus dem Brief.]



Du!! Wenn sie das wüßte von den [sic] 20 M Schein, ich möchte bloß ihr Gesicht da mal sehen!! Du? Sag, hast Dus'  wieder, Dickerle? Bei mir war nichts, nichts zu finden. Na, und wenn es weg ist  verzweifeln können wir auch nicht deshalb. Besser, als wenn uns etwas Schlimmes geschehen wäre. Wir wollen uns aber vornehmen, ganz fest vornehmen, in Zukunft ganz peinlich genau auf alles zu achten, ja? Wir wollen uns gleich einander dran erinnern, wenn ein's mal sündigen will!!

Weißt, woran das jetzt liegt? Wir sind verliebt!

Ja  bestimmt  wir sehen und hören nichts, als einander * [*= Punkt absichtlich groß gemalt, wie zur Betonung.]

Aber das ist auch nichts unnützes, ja mein [Roland]?

Du, auf unserem Konto sind mit dem Dezembergehalt 237 M[,] davon ist aber auch schon das Porzellan in Kamenz  bezahlt, ich hab es heut früh weggeschickt u. auch einen lieben Brief geschrieben.

Aber 50 M schulde ich Papsch noch, weißt die Anschaffungen in der letzten Zeit, wo ich nichts abheben wollte. Das will ich nach und nach abstoßen. So ganz ‚ohn' [sic] sind wir nicht, Hubo! Und ... ach so!!! Mund zu.

Heut kam Dein lieber Bote noch nicht, er wird morgen kommen. Du!! Herzlieb! Nun gehe ich nochmal hinaus in die Luft und bringe meine Bilder mit. Du, ich bin sonst ganz wohl, bis auf Kleinigkeiten. Aber Herzlieb, sorg' Dich nicht!!! Heut abend will ich fest, ganz fest Deiner denken Du!! Ich werde uns beide auf dem Sofa sitzen sehen in Barkelsby, im Stübchen! Herzlieb!! Du!! Deinen Brief will er vorlesen!!!! Ich liebe Dich!! Du!! Mein Glück mein Leben!!

Behüte Dich Gott auf allen Wegen! Erhalte er Dich froh und gesund! Du!! Du!! In unwandelbarer Liebe und Treue bin ich allzeit ganz, ganz Deine Holde. Nur Dein!!!

Viele Grüße von den Eltern!

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946