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[OBF-401203-002-01]
Briefkorpus

Oberfrohna, Dienstag am 3. Dezember 1940.

Herzallerliebster mein!! [Roland]!! Mein lieber, lieber [Roland]!!

Mein erster Gruß aus der Heimat wurde gestern in H.Wittgensdorf begonnen, er wird Dich morgen erreichen. In Oberfrohna angelangt, galt meine erste Sorge (Du!! Bitte, bitte nicht eifersüchtig sein!) Vaters Koffer, weißt? Und wirklich, er stand schon da, ich war ja so froh. Und ich habe ihn auch gleich an mich genommen und habe ihn mit heimgeschleppt. Alle Leute sahen mich an, weil ich so beladen war vielleicht? Oder weil mir die Freude aus dem Gesicht leuchtete? Auf dem Wege gab es schon ein Grüßen und Zurufen von Bekannten: Na, wieder daheim? Oho auch wieder mal zu Haus! Und so fort. Ich war im Innern auch recht froh, daß nun alles wieder glücklich hinter mir lag und war froh, daß ich Dir telegrafisch sogleich eine glückliche Ankunft melden konnte. Du! Das wollte doch um jeden Preis: Dir meine Ankunft melden, damit Du, Lieber ohne Sorge einschlafen solltest. Ganz froh und unbesorgt um mich will ich Dich wissen! Um ½ 8 [Uhr] abends schluckte es mich. Sag, hast Du um diese Zeit das Telegramm erhalten, die Nachricht? ½ 600 [Uhr], vor ½ 600 [Uhr] habe ich es aufgegeben. Der Pfarrer stand gerade vor mir noch am Schalter und begrüßte mich. Und auf sein Fragen nach Deinem und meinem Wohlergehen erfuhr er mein Vorhaben und daß ich eben von Dir käme. Er hat mir als 'Kavalier' sofort den Vortritt gelassen und meinte: um eine Frau [Nordhoff] will ich gerne warten! So ein Schmeichler! Ach, nun will ich Dir erst mal von meinem Empfang erzählen, daheim.

Mit dem 5 Uhr Zug, wie du mir ganz richtig notiertest[,] kam ich an. Aber von Ludwigslust an, wo ich umsteigen mußte[,] veränderte sich der Fahrplan ein wenig in der Zeit, zwar nur um Minuten, ich hatte länger Zeit zum Umsteigen, als im Plan verzeichnet war. Und außerdem bekam dieser, ein Urlauberzug war es übrigens, im Laufe der Fahrt reichlich Verspätung, sodaß ich in Leipzig angekommen nur eben ½ Stunde Zeit hatte. Mein Eilzug nach Chemnitz stand schon da und da [b]in ich natürlich gleich eingestiegen, hab mir einen schönen Platz gesichert ohne erst zu speisen, Du! Ach Du! Ich hatte ja überhaupt keinen Hunger, mußte den Kuchen hinunterwürgen, eine Semmel. Ich konnte eben nichts essen, verstehst Du das? Du, von Ludwigslust ab saß ich zusammen mit einer jungen Frau, die nach Werdau fuhr, allein in einem Abteil. Paarmal wollten Soldaten sich häuslich niederlassen, die wurden aber von der Kontrolle wieder hinausgeräuchert, „ob sie nicht lesen könnten? Wehrmachtsangehörige hinten einsteigen!"  Erst in Magdeburg kam eine alte Dame zu uns, die blieb auch s[i]tzen bis Leipzig. Das war recht angenehm für mich, ich hab die meiste Zeit an meinen Mantel gekuschelt mit geschlossenen Augen dagesessen, hab zurückgeträumt zu Dir, zu Dir, Du!! Wie wir durch Eutin fuhren[,] ertönten da gerade die Entwarnungssirenen! Ich bekam zuerst richtig [']nen kleinen Schreck, meinte es sei Alarm und wir müßten halten! Du! Wie dankbar und froh bin ich, daß wir die Nacht in Kiel gut überstanden. Es hätte doch viel schlimmer kommen können. Und überhaupt, mein [Roland], wenn wir alle Tage einmal überdenken, die wir zusammen waren, spüren wir nicht ganz deutlich wie eine höhere Macht uns so günstig und gnädig beschützte? Kein Leid ist uns widerfahren; kein Unglück trübte unser glückliches Beisammensein; alles ging zum Guten aus, nur zu unser beider Freude. Du Herzlieb, das alles ist soviel Glück schon! Und nun denke ich an unser Glück zu zweien, das nur Dir und mir gehört, das nur Dich und mich bewegt! Ach Du!

Sind wir nicht zwei rechte Glückskinder?

Demütig wollen wir bleiben in unserem Glück, Du!

Dem Herrgott wollen wir immer wieder von ganzem Herzen danken und ihn aufs Neue bitten um Gnade, um seinen Schutz und Beistand; Er möge ihn segnen, unseren Bund.

Und was in den Sonnentagen des Glücks Schmerzliches unser Inneres aufwühlte, Du Herzlieb, das kam nicht so von, [sic] außen an uns heran. Nein — es war unser eigenes Suchen und Tasten nach dem Letzten, nach dem Ursprung unserer Liebe. Diesem nachzugehen ist wohl nicht aller Liebenden Wunsch, so denke ich, weil es keine leichte, köstliche Plauderei ist, [^]jene die eher zu ganz Glücklichen paßt. Nicht, daß wirs' nicht wären! Grüblern, ein wenig schwermütig veranlagten Menschen, die allem Geschehen bis auf den Grund der Seele schauen wollen, liegt das eher.

Und zu denen gehören auch wir beide; Du vielleicht mehr noch als ich. Uns ist die Gewißheit, daß wir uns lieben, daß wir eins sind, garnicht genug. Immer tiefer wollen wir gehen, immer mehr versuchen, unser großes Glück, unsre Liebe zu ergründen. Um unsres Besitzes immer inniger, immer fester bewußt zu werden. Um diesen Schatz unsrer Liebe immer köstlicher, immer wertvoller zu empfinden. Um immer wieder aufs' Neue von dem heiligen Willen und Wunsch bewegt zu sein, dieses wunderbare Geschenk unsrer Liebe, dieses Gottesgeschenk ganz fest, ganz rein zu bewahren in unserem Herzen. Sind wir denn nicht die Reichsten unter allen Glücklichen? Auch wenn wir es uns manchmal schwerer machen, als es in Wahrheit ist? Du! Du!! Ganz gewiß! Sich vom gütigen Geschick beschenken lassen macht glücklich. Aber die Größe und den Wert dieses Geschenkes immer wieder einmal ermessen zu suchen macht noch viel, viel glücklicher. Du, mein [Roland]!, so wie wir sind, so wie wir unser Leben sehen, so ist es gut und recht; ich lernte es erst durch Dich, mein Herz, dieses Sehen mit dem Blick in's Weite, und es hat mich unendlich bereichert. – Vor Gottes Angesicht brauchen wir nicht mit niedergeschlagenem Blick zu stehen, wir stehen in seiner Hut, in seiner Gnade. Seine ganze, große Liebe zu uns wurde auch in diesen Tagen wieder offenbar. Das ist das größte und schönste Bewußtsein: in Gottes Gnade und Schutz zu leben. Es steht über allem irdischem Glück. Wir wissen beide darum. Unserem Lebensweg so zu gehen, daß uns diese Gnade nicht versagt bleibt, ist unser beider größte, höchste Pflicht, die wir freudig erfüllen werden.

Und mit dieser inneren Erkenntnis, mit diesem festen Willen zu leben, will es uns da nicht leicht werden, allem mutig in's Auge zu sehn, was kommen will? Ich bin nicht bange vor der Zukunft, Herzlieb, seit ich bei Dir war erst recht nicht. Du!! Du!!! Was Du mir bist!!! Du weißt es.

Ach, wir wissen ja so fest, so genau, was wir einander bedeuten! Du!! Du!! Aber Du hast recht, wenn Du meinst, müßtest mich, Dein Weib[,] einmal mehr versichern, wie so lieb Du mich hast. Es ist so wunderbar, so beglückend, so ganz unbeschreiblich schön, das Geständnis aus dem Munde des Mannes, aus Deinem Munde zu hören. Glaubst mir das? Ganz unsagbar wohl tut mir das, Herzlieb! Und ich kann Dir immer nur zuhören, wenn Du mir von Deiner Liebe sprichst, - immer nur zuhören, Du!!! Du Lieber, Guter!!! Ach, von meiner Heimkehr wollte ich schreiben!

Ich stand nun erwartungsvoll vor der Haustür, beladen wie ich war. Die bekannten Schritte klappten die Stufen herab und – Vatern blieb gleich der Mund offen stehen, wie er mich sah! Sie hatten mich noch nicht erwartet. Sie sind aus unserem Brief garnicht klug geworden. Mutsch hat noch einen losgelassen an Dich! Wirst schön lachen, mußt ihn nun allein lesen!

Na, aber froh waren sie, froh, daß ich wieder daheim war und dazu gesund und munter. Denk nur: um 400 [Uhr] waren die [S]protten angekommen – um 500 [Uhr] das Mädel selber! So ulkig! Besuch war da, K.'s, aus der Nachbarschaft, die besuchten Mutsch. Und die halfen die „freßbare Seltenheit" mit ausschälen helfen. Wie ich nun ‚Alarm' klingelte haben sie das Ganze überstürzt hinausgeräumt, in der Annahme, es  sei ein Fremder. Wir haben dann alle so gelacht. Na, die üblichen ‚Drücker' waren schnell erledigt, schneller als bei Dir, Du!!! Eine Tasse Kaffee im Stehen hinuntergekippt, die Grüße bestellt, schnell die nötig[st]en Fragen beantwortet und dann? Zur Post!!

So – nun konnte es meinetwegen weitergehen!

Papa mußte dann in den Dienst, der Besuch ging schon eher fort. Und nachdem wir Abendbrot gegessen und ich die Koffer entleert hatte, haben wir zwei noch eine Weile geplaudert. Aber ich war soo müde mit einem Male. Es kam nun doch über mich, das Anstrengende der langen Fahrt, die schlaflose Nacht, nicht nur die eine, Du! Und Mutsch steckte mich ins warme Bett neben sich; ach, sie ist ja so froh, daß ich da bin. Sie ist wieder ganz wohl, es ist nur die Ruhe, die ihr fehlt. Am Montag will sie vielleicht wieder arbeiten; denn sie wird nun zum Vertrauensarzt kommen müssen, das tut sie aber nicht. Ich werde ja sehen wie es ihr bekommt, sonst setze ich einen Punkt. Ja Du! Punkt 800 [Uhr]  lag Deine [Hilde] in den Federn, und sie dachte noch einmal ganz lieb, ganz fest, ganz innig Dein und sprach ihr Abendgebet – allein – und schlief wohl auch ganz rasch ein – ich weiß nichts mehr dann, vom Uhrenschlag, oder wenn [sic] Mutsch kam. Bis heut morgen um 1000 [Uhr]!!, habe ich tief geschlafen, so tief. Mutsch lachte, wie ich verfitzt zur Tür hereintrat: Warum haste mich nicht geweckt? Ich soll nur nachholen und mit einer Nacht wäre das nicht abgetan! Sie ist doch gut, nicht? Ich war ein wenig schwindelig heute den ganzen Tag[,] ich denke, es kommt vom langen schlafen [sic]. Ein komisches Gefühl hatte ich im Magen schon gestern, auch auf der Fahrt, es schmeckt garnichts recht. Es wird vom übernächtigt sein herrühren. Nach Mittag bin ich mit Mutsch ein Stück in die Sonne spaziert, es war kalt und Schnee liegt hier. Es ist mir aber auch in der Luft nicht besser, freier geworden. Es wird schon werden. Sorg Dich nicht Herzlieb!! Bitte, bitte Du!! Aber sagen will ich Dir alles, wie mir ist, das möchtest Du doch auch? In wenigen Tagen werde ich Gewißheit haben, mein [Roland]. Heute habe ich auch das langersehnte Bad genommen, Du!, wie wohl das tat. Hast auch gebadet? Nun sitze ich noch mit Mutsch, die an ihrem Pullo[ver] strickt in der warmen Küche und will Deinen Brief beenden. Es ist schon 800 [Uhr] vorbei, nein, gleich 9 Uhr. Was wirst Du wohl jetzt treiben? Schreibst mir wohl auch? Herzlieb, Du? Ich freu mich so sehr auf ein Wort von Dir, Geliebter!

Du!, um 500 [Uhr] kam der Frachtbrief von Eckernförde, unser Porzellan! Papa hat die Kiste mit dem Wagen geholt so groß ist sie, wir haben sie derweil im Waschhaus eingeschlossen; packen sie morgen unten aus, weil sie zu groß ist um sie erst heraufzuschleppen. Tausend herzliche Grüße u. gute Wünsche von d. Eltern. Mein [Roland]!! Ich bin Dir in unendlicher Liebe und Treue innig und fest verbunden, ganz fest!! Du!!! Behüt Dich Gott! Mein Herz!!

[In unwandelbarer Liebe] und Treue immer Deine Holde. Du!!!

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Einordnung
Hilde und Roland stehen Arm in Arm unter einem Bau. Er trägt einen Anzug und Schlips, sie trägt ein knöchellanges Blümchenkleid.

Ba-OBF K01.Ff2_.A9, Hilde und Roland Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Büttenrand weggeschnitten.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946