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[OBF-401118-001-01]
Briefkorpus

Montag, den 18. November 1940.

Mein liebes, teures Herz! Herzallerliebste! Holde mein!

Ein glücklicher Zufall will es, daß ich die Anschrift Deiner Haller Verwandten bei mir habe. Du hast sie mir nicht mitgeschrieben. Wenn die Post pünktlich arbeitet und Du glücklich hast abreisen können, dann kommt dieser Bote rechtzeitig in Deine Hände. Montagabend ist. Dein Bote vom Freitag erreichte mich erst heute. Und ich sitze nun im Ungewissen, aber mit fester Zuversicht und Hoffnung. Geliebte! Ich schwankte einen Augenblick, ob ich nicht einen Boten nach O. abschicken sollte mit der Annahme, daß Du nicht habest abreisen können. Ich will auf Deinen Boten von morgen warten.

Nun soll ich diesen Brief schreiben in der Annahme, daß Du nun glücklich auf dem Wege bist zu mir, soll Dir meine Freude, meinen Jubel, meinen Willkommen bringen! Und es wird mir doch nicht gelingen heute Abend, weil ich Deine Sorgen teilen muß und mich gefaßt machen darauf, Dir Trost und Geduld zuzusprechen. Herzliebes! Daß Dich diese Reise auch noch das Opfer so anstrengender Vorbereitungen kostet, daß tut mir sehr leid. Daß sie umfangreich sein würden, war mir klar. Daß sie nun durch die Pflege der lieben Mutsch viel größer und erschwert wurden, das leuchtet mir ganz ein. Und was ich jetzt sage, darfst Du nicht auffallen als ein Zanken: diese Vorbereitungen werden ins Unerträgliche erschwert durch Eure unvernünftige Wäsche (ist Mutters Krankheit doch vielleicht ein Folge davon!) und durch Euer überspanntes Hauswesen, an dem Ihr freilich keine Schuld tragt. Geliebte! Ich bin großer Sorge um Dich und bitte Dich von Herzen: Denke an uns! Denke großzügig und umsichtig!! Was über Deine normalen Kräfte geht, bleibt liegen!!! Daß Mutter ihre Pflege, Vater seine gewohnte Ordnung hat, ist Nummer 1. Das Du ein Stündchen zum Atemholen und Ausruhen hast, ist Nummer 2. Hausordnung, Putzen, Flimmern, Bohnern ist Nummer 30, d. h. fällt unter den Tisch. Daß Dein [Roland] seine Zeit abtritt, ist so selbstverständlich. Nur will er täglich ganz kurz unterrichtet sein und ein Zeichen haben — 10 Minuten Herzliebes. Daß er in Deinem Herzen viel Stunden, alle Stunden [^]ist, dessen ist er glücklich gewiß! Herzallerliebste! Daß Du Deine Liebe jetzt teilen mußt, und sie der lieben Mutter in reichem Maße zuwendest — das ist ja so natürlich. Das hat mit dem Mißverständnis von damals nichts zu tun, meine ich. Aber das nur nebenbei. Mutter muß wieder gesund werden! Sie muß auf dem Wege sichtbarer Besserung sein, wenn Du sollst abreisen dürfen! Wir hätten ja hier keine ruhige Stunde, wenn wir es anders hielten. Und Mutter müßte sich zurecht gekränkt und verlassen füllen.

Herzliebes, wunderst Dich, daß ich das so nüchtern niederschreibe?, daß es mir gar nicht leid wäre, wenn Du nicht kommen könntest? Ach, Geliebte, so nicht!!

Aber dem Geschick, das hier waltet und entscheidet, müssen wir uns beugen, müssen wir, ja Du!! Und wenn es für den Augenblick auch schmerzt — wir sollen ihm uns im Innern unsres Herzens froh beugen — weil, ja weil es eben ein Geschick ist, ein von Gott Geschicktes! So glauben wir doch?!! Du und ich! Ja, Geliebte! So erdfern die Dinge unsres Glaubens oft scheinen, daß wir uns oft scheuen, mit Worten daran zu rühren: Hier wird er aufgerufen, unser Glaube, mitten ein bewegten und greifbaren Leben, und nun gilt es, ihn zu bewähren! "Wir glauben, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen!" Unser Wort, Geliebte! Du wirst mich nicht einen Schulmeister und Prediger schelten, wenn ich jetzt so schreibe. Herzliebes! Du selbst hast es schon gesagt: daß ich Dir in dieser Geduld ein klein wenig über bin. Und Dein Dickerle bittet sich gar nichts ein darauf — vielleicht sind er doch nur die Jahre, die ich Dir voraus habe. Nur eins: daß er geduldig und fügsam

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der Stimme des Schicksals folgte, und dem Schicksal [^]sich an-vertraute, Herzliebes, dem Zuge meines Wesens danken wir es beide [^]mit, daß wir für alle Zeit uns fanden. Du verstehst mich recht, Herzliebes! Siehst: Jetzt habe ich niedergeschrieben, was ich Dir auf Deinen lieben Brief antworten möchte. Und nun erfährst es, ob es noch nötig ist, oder ob wie es glücklich z.d.A. (zu den Akten) legen können. Und wenn es nun doch nötig ist: Möchte es Dir zum ersten Trost gereichen! Möchte der Gedanke, daß Gott mit diesem Eingreifen unser Glück nicht stören, vielleicht aber ein Unglück abwenden wollte, Dich geduldig und ergeben machen. Herzallerliebste! Keinen [A]ugenblick darfst Du diesem Gedanken Raum geben: Dein [Roland] möchte daran zweifeln, daß Du nicht alles darangesetzt hast, um unser Glück zu warten und unser Wiedersehen zu ermöglichen; Dein Dickerle möchte denken, daß Du es hintansetzt mit Deiner Liebe. Dieser Gedanke wäre so abwegig und unsinnig!

Ich bitte Dich ganz flehentlich, Geliebte!: Um Deinetwillen! Um meinetwillen, daßs ist ja all dasselbe, mein und Dein, Du!: Bezwinge Dich! Fasse Dich und gedulde Dich! Ein ganz böses, schlimmes Wort hast Du geschrieben, das mir Sorge machen muß, vom Herzzerreißen! Du! Das darf nicht sein! Dein Herz ist auch mein Herz!! Hörst Du? Geliebte!!

Ich will beten für Mutter und für Dich, daß Euch die Kraft wachte, in Geduld zu tragen, was Gott Euch und uns schickt.

Ach Herzliebes! Magst aus meinen Zeilen erkennen, daß ich es gut meine, und daß ich Sorge trage für unsere Zukunft, wie es mir zukommt. Für uns[e]re Zukunft, Geliebte, die uns bleibt! Es bleibt das große Glück unsrer Liebe, auch wenn unser Wiedersehen verschoben werden muß!! Liebste! Es bleibt uns[e]re Zukunft, von der wir im festen Vertrauen auf Gott den Herrn so viel Glück und Reichtum erwarten dürfen! Du!! Mein liebe, liebe [Hilde]!!

Laß Dich trösten von Deinem [Roland]! Er hat Dich so lieb!! Er behält Dich genau so lieb, auch wenn Du nicht kommen kannst.

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Ja, nun muß ich ja wohl noch dem glücklichen Fall gerecht werden auf der 4. Seite. Geliebte! Braucht es da noch der Worte? Morgen, gebs Gott, schauen wir uns glücklich Aug in Auge!! Und dann will ich erst mal zanken, und die Stirne Kraus ziehen. Und [^]Du darfst sie weg küssen, die bösen Falten. Und dann wird der Hubo, der Dir jetzt väterlich Trost zusprach, jung werden, so jung wie seine Liebste. Und wenn sie etwas feuriger ist als er, so kann ihm das ja auch nicht schaden. Gleich und gleich gesellt sich gern — aber auch: Gegensätze ziehen sich an. Und alles, was von gesellen und anziehen (nicht mißzuverstehen!) spricht, ich glaube, das wird dann auf uns schon passen. Geliebte! Holde!! [I]ch wünsche Dir eine glückliche und fröhliche Reise. Daß Du an meinem rot unterstrichenen Befehl noch zu deuteln wagst, das nehme ich Dir bitterbös, Du!! Dafür bekommst bestimmt eine Strafe, damit Du für die Zukunft folgsam wirst! Herzallerliebste! Ich erwarte Dich an der Post, oder später am Bahnhof.

Nun behüte Dich Gott! Er sei mit Dir auf allen Wegen und auf der langen Reise! Er schenke Dir ein frohes, geduldiges Herz! Er schenke der lieben Mutter baldige Genesung.

Herzallerliebste! So einen zweispaltigen Brief habe ich wohl noch nicht geschrieben. Ich liebe Dich, Du! Ich bin Dein [Roland]! Und [D]u gehörst mir Herzliebes!! Dein Herz ist auch mein Herz! Du darfst es nicht zerreißen, wenn Du mich liebhaben willst.

Komm, Geliebte, daß ich es umfange, dieses Herz, daß unsre Herzen heiß zusammenschlagen, Herzliebes, daß wir Herz an Herzen ruhen und seinem Schlage lauschen: Du bist mein, ich bin Dein! Du liebst mich, ich liebe Dich! Allezeit — allezeit! Lieb und treu — lieb und trau! Lieb um Lieb, treu um treu! Ewig Dein — ewig mein!

Dein [Roland].

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946