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[OBF-401115-002-01]
Briefkorpus

Freitag, am 15. November 1940.

Herzallerliebster!! Mein lieber, guter [Roland], Du!! Geliebter!!

Abend ist es, eher habe ich nun heut nicht Zeit gefunden Deiner zu gedenken. Es war wieder ein arbeitsreicher Tag. Und ich atme auf, daß es nun Feierabend werden will. Du! Heut in einer Woche bin ich nicht Hausmütterchen, da bin ich Reisedame! Und dann?

Doch wieder ein Mütterchen? Du? Deines! Ach, ich werd so sehr froh sein, daß ich all dem hier um mich her mal den Rücken wenden kann. Nicht, daß mir’s zu Haus etwa nicht gefällt! Nein — aber weißt, wenn die Sehnsucht so groß ist, dann halte ich’s aber bald nicht mehr aus und wenn mir’s noch so gut geht.

Ein wenig Sorge habe ich um die Mutter. Ich weiß noch nicht recht, wo es hinaus will, mit ihrer Krankheit. Ich denke, es ist ein regelrechter Frost, der schon länger in ihr steckt. Das meinte ja auch der Arzt; ich habe sie nur mit Mühe so weit gebracht, daß sie ihn aufsuchte. Ich lasse sie auf keinen Fall in’s Geschäft in den nächsten Tagen. War schon heute drüben beim Chef und habe sie krank gemeldet. Ehe ich fahre, will ich Besserung sehen. Der Arzt verschrieb ihr paar Dampfbäder, davon nahm sie heute eines am Vormittag, dann hab ich sie gleich auf’s Sofa gepackt und schlafen lassen. Appetit hat sie, nur heftige Kopfschmerzen und einen tollen Schnupfen. Und vom Halswirbel bis hinunter den ganzen Rücken und die Schulterblätter klagt sie über Schmerzen. Vorhin hat sie Papa mal elektrisiert, wir nehmen an, daß es Nervenreißen ist. Sicherlich mal wieder überanstrengt, und ich denke, zum großen Teil liegt die ganze [Fleck, siehe Ausschnitt aus dem Brief] Nervosität und Beschwerde an ihrer Rückgangperiode.


Durch die Operation nimmt das alles ja keinen normalen Verlauf. In den Blutkreislauf ist gewissermaßen gewaltsam eingegriffen worden, während andre Frauen in Mutters Alter immer noch mit Blutverlust rechnen können, ist das bei Mutter nicht der Fall. Und ehe sich alles Blut wieder einen Weg sucht im ganzen Körper, das dauert schon eine Weile. Die nächsten Tage muß sie sich ganz gut halten und schonen und ich will sie / [*] ganz gut versorgen, daß sie bald wieder richtig gesund wird. Aber arbeiten darf sie von Papa und auch von mir aus jetzt eine Weile nicht.

Gebe Gott, daß es nicht schlimmer wird, Herzliebster.

/ [*] Wenn sie so hilflos daliegen würde, ich könnte es nicht über’s Herz bringen sie zu verlassen, zu reisen. Wir müßten es dann verschieben auf später. Aber so will ich nicht denken, ich will guten Mutes sein und froher Zuversicht. Und ich merke es auch, wie sich Mutter stemmt dagegen, weil sie weiß, daß meine ganze Freude nun unserm Wiedersehen gilt, daß ich mein ganzes Denken[,] mein Tun auf unser Wiedersehen richte. Es würde sie doch selbst schmerzen, wenn sie der Grund wäre, daß ich am Donnerstag nicht reisen könnte. Aber das steht nicht in unserer Hand. Ich will beten für Mutters Gesundheit. —

Daß es mich anstecken könnte? Ich hoffe es nicht.

Ich beuge schon tüchtig vor mit Vatern! Wir trinken fleißig Grog, Du! Eine Säufer-Kanne hast jetzt!

Aber übertreiben kann ich’s nicht, sei ohne Sorge! Es ist eigentlich schädlich für mich das Alkoholtrinken, weil ich krank bin. Aber etwas tun will ich doch, ohne Gefahr zu gehen, daß ich krank werde. Angst hab ich davor, Du!! Ich will, will ja nicht!! Du!!

Mein lieber, guter [Roland]! Du! Ich bitte Dich: Sei jetzt ganz noch [Fleck, siehe Abbildung] ohne Sorge um unser Wiedersehen! Du weißt, ich tue alles, was ich kann unser Glück zu warten und ich lasse nichts’ [sic], o nichts außer acht bei allem, was ich tue, was beiträgt für unser Wiedersehen. Glaubst mir das?

Einmal habe ich eine Pflicht auf mich genommen freiwillig, als ich auch unser Glück wartete. Weißt Du noch?

Du warst so traurig darüber. Mich hat es geschmerzt im Herzen, daß Du mein Handeln nicht verstehen konntest. Und es war wohl auch ein wenig Trotz, mit dem ich mich dann vor Dir verteidigte. Es ist nun vorüber. Und unser Glück hat nichts an Helligkeit[,] an Wärme verloren. Du! Weil ich es ja tief drinnen im Herzen immer bei mir trug, festhielt, daß es mir keiner entriße. / [*] Du! Und heute ist es wieder wie einst und diesmal bestimmt das Geschick, mit wem ich meine Vorbereitungen teile für unser Glück. Ich vertraue auf unseren guten Stern. Es wird sich alles zum Besten wenden, Du!! Mit meiner ganzen Liebe will ich die Mutter betreuen, sie wird gesund werden. Du wirst nicht vergebens warten müssen auf Deine Holde, Herzlieb!!

/ [*] Glaubst Du, daß es ihr das Herz zerreißen möchte, wenn sie am Wiedersehenstag daheim am Krankenbett säße? O Herzlieb, heute wüßte ich noch nicht, woher ich die Kraft nehmen würde, das zu überwinden!

Kannst Du glauben, o sag, kannst Du glauben, daß es der Herrgott will, daß wir uns noch nicht / [*] wiedersehen sollen? Du!! O Du!!! Geliebter!!!

Du hast mir einen so lieben Brief geschrieben am Dienstag, Donnerstagnachmittag, genau nach Deiner Rechnung erreichte er mich. Ich habe mich ja so sehr darüber gefreut, Du!! Und ich danke Dir aus ganzem Herzen dafür mein [Roland]!! Weil Du nur das erste Paket an die neue Adresse erhieltest, er wollt es wieder mal nicht annehmen, auf der Post. Ich sagte[,] er soll es da hergeben, ich wolle es eben woanders aufgeben. Na, begütigte er, so sei’s nun auch nicht gemeint, bloß eben weil es eine Feldpostnummer hat.

Son Affe (verzeih!) da braucht er auch nicht immer erst einen Laden aufzumachen, ist doch so.

Hoffentlich kommt Deine schmutzige Wäsche noch an ehe ich abfahre, damit ich sie gleich wieder mitbringen kann — Du!

Du redest von meiner Färbearbeit! Sag, hast denn nicht vorher die Hosen angesehen?, die waren ja schon so rosig! Aber ich freu mich, daß Du die sie aufhebst, um mich zu reizen! Du! Ich glaub, Deine Uniform allein ist doch schon reizend, ja? Alle Mädels finden doch eine Uniform reizend!!

Und jetzt zu Deinen Bedenken. Ich habe allerhand zu verstauen, gewiß. Aber vorher aufgeben tu ich nichts. Ich kriege gewiß alles in Vaters großen Koffer, und sehr weit brauche ich den ja nicht zu tragen. Von Haus bis zum Bahnhof, bringt mich am Ende Papa hin und beim Umsteigen ein wenig und am Ende der Fahrt, da steht ja mein lieb’s Dickerle! Mit dem Wagen, H[aupt]-W[agen] Wagen wenns’ [sic] sein muß und holt mich ab! Und in Halle? Der Onkel hat geschrieben! Sie freuen sich auf mein Kommen und er bringt mich früh zum Zug. Da trägt er auch meinen Koffer. Sieh, es geht ganz fein! Und es ist gewiß nicht unbequem! Und, Du!! Du!! Verschwender!!! Ich bin doch nicht die Prinzessin auf der Erbse!!! 2. Klasse soll ich fahren?? Befehl ist das?? Du! Du verwöhnst mich ja viel, viel zu sehr!! Du bist viel zu gut mit mir, meinst nicht auch? Du?! Hör mal schön zu: So lieb, so gut Du es meinst mein [Roland], ich werde aber Deinen Wunsch nur dann erfüllen, wenn es wirklich not tut. Das nimm mir nicht übel, Du! Aber das wäre Verschwenderei, wenn noch Platz da ist 3. Klasse. Ich hab son dicken Achtern, daß ich auch weich sitze, hörst!!! Also unter einer Bedingung erfülle ich Deinen Wunsch: wenn alles besetzt ist 3. Klasse. Ja Du, der Kusselhubo ist schon lange bei mir, er hat sich sehr gut eingewöhnt! Ihm gefällt’s! Das merke ich! Er ist auch noch garnicht abgefressen im Gesicht, er ist ja unter Glas!! Du!! Aber die dumme [Hilde] hat ein klein wenig zu knapp die Maße angegeben, es fehlt am oberen und seitlichen Rand soviel vom Bild wie ein ½ cm ungefähr. Es sieht nicht dumm aus! Aber er rutscht mir hinterm Glase rum wenn ich ihn drücke und anfasse!! Bloß ansehen darf ich ihn, dann ist er auch brav! Ist das in Wirklichkeit auch so, Du?!! Weißt, Du hattest die Bilder mit beigelegt wie Du mir von der Begegnung mit Frau Holle schriebst und da habe ich gewiß vor lauter Freude und Aufregung vergessen, die Ankunft zu melden.

Mit der Rückfahrt sind wir uns nun im Klaren.

Es wird schon an den letzten Tagen, die ich bei Dir bin soviel Zeit werden, daß wir die Fahrkarte lösen können!

Vielleicht hast mich dann so satt, daß Du froh bist, wenn ich endlich wieder abfahre! Hm?

Hast auch soviel Arbeit jetzt? Ach, manchmal ist es gut, dann vergeht die Zeit schneller. Aber wenn man dann gar so überanstrengt ist nach einem strammen Tag, ist auch nicht schön. Ich kann mir vorstellen, daß bei Euch ein buntes Durcheinander ist, jeder hat was andres. Kein Wunder, wenn Du nervös wirst. Unempfindliche Menschen, robuste Naturen mag das alles vielleicht nicht so schnell erschüttern, aber Du bist ja kein son gefühlloser K[lotz] ohne Nerven. Mach Dir nur nicht zu viel unnötige Anstrengungen! Wer zu ehrgeizig ist, zu peinlich genau, wird immer ausgenützt.

Du! Ich bring Kaffee mit! Armer! Auch bissel Bohnenkaffee! Ach mein Dickerle! Wenn ich an die nächsten Tage denk, mir könnte schwindeln vor lauter Besorgungen, vor Arbeit!!

Bist mir bös, wenn ich Dir ab Dienstag nicht mehr schreibe? Bist mir bös, wenn ich mal nicht so lieb und ausführlich schreibe? Du?!

Es ist noch so vieles zu tun!! Die Mutsch kann mir ja diesmal garnichts helfen. Und ich merke es schon heute, daß ich mich auch ein bissel übernommen hab in allem, ich will nicht, daß ich auch noch zusammenklappen, Du! Ich weiß, Du nimmst das vernünftig auf. Bist doch mein lieber verständiger Hubo, der seine [Hilde] ja auf Händen tragen möchte! Und der sie doch auch ganz wohl, gesund und munter empfangen will!

Und ich will aber auch alles ist in peinlicher Ordnung und Sauberkeit verlassen, das lasse und lasse ich mi[r] nicht nehmen! Die Mutsch soll sich bloß ausruhen in den Tagen, wo ich fort bin. Und ich will aber auch keinen Schritt von meinen Plänen, meinen Vorbereitungen für unser Wiedersehen abweichen, was ich mir einmal in den Kopf setzte, das muß sein. Und es geht ja auch mit um Deinetwillen! Du!! Ach, es soll ja so schön werden bei uns im Stübchen Du!! Und ich will doch auch bissel schön aussehen, wenn ich bei Dir bin!

Aber ich muß auch die Mutsch ganz lieb versorgen, daß sie ganz gesund wird u. daß sie nicht traurig ist, wenn ich fahre u. nicht denkt, nun habe ich sie garnicht mehr lieb wenn ich zu Dir fahre und sie allein lasse. Sie soll so froh sein wie ich beim Abschied u. soll nicht denken, fühlen, daß ich ihr freudig den Rücken kehre. Nein!! Das soll sie nicht, Du! Und darum bitte ich Dich, Du! Herzlich! Schenk mir von der Zeit, die ich Dir täglich widmete, soviel Du mir magst, daß ich sie der Mutter widme. Ich fühle, wie’s ihr schwer wird, mich fortzulassen. Wir zwei, wir beiden!! Du!! Wir holen ja alle alle Zeit ein, die wir jetzt versäumen, wenn wir beisammen sind, Du!!!

Meinst Du nicht auch? Herzlich?

Und nun will ich heute schließen, es ist fast 11 Uhr.

Morgen gibt’s wieder viel Arbeit.

Noch 6 mal schlafen!! Dann — will's Gott, Du!!!

Mein geliebter, guter [Roland] Du!!

Ich liebe Dich so sehr, so von ganzem Herzen!!

Und in der Sorge um Mutters Gesundheit, Du!

Da wird meine große Sehnsucht immer qualvoller, Du! Herzlieb Du!! Ich möcht Dir Deine Sorgen von der Stirn küssen, Du! Sie kamen ja nicht wie bei mir so oft, aus Liebe, Liebe, aus Sehnsucht: Ich bleibe Dir treu — erst recht, wenn es noch so schmerzt da drinnen!!! Behüte Dich mir Gott, mein [Roland]! Möge er gnädig walten über unserem Glück, möge er die Mutter gesunden lassen.

Du!! Du!! Ich will nicht aufhören zu beten um unser Glück. Mein geliebter [Roland]!! Geliebter!! Du!!

Ich liebe Dich so innig!! Ich küsse Dich! Du!! Meine Sehnsucht kann nicht ruhen, bis ich endlich bei Dir bin, Du! Mein Glück! Mein Heimat!

Herzallerliebster!! Denk an mich, an diesen Tagen so werde ich Kraft finden und nicht müde werden Liebe zu schenken, Hoffnung zu schöpfen.

Ich bin bei Dir mit meinen heimlichsten Gedanken!

Wie könnt es anders sein?

Du!! O Du!!!

In Liebe und Treue

immer Deine Holde.

[Quer auf die Rückseite geschrieben:] Weiß nicht ob’s Dir gefällt! Ich leg Dir eines bei von den Passbildern. Du!!

[*= Markierung am Rand ]

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401115-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946