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[OBF-401112-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 12. November 1940.

Herzallerliebster!! Mein lieber, lieber [Roland]!! Geliebter Du!!

Dein lieber Bote vom Sonnabend kam heute. Du!!
Ich danke Dir recht sehr dafür.

Er ließ mich fühlen, wie Du recht besinnlich gestimmt warst an dem Tag. Irgend etwas [sic], ein Erleben in Deiner Umwelt gab Dir den Anlaß dazu, und ich bin froh, daß Du Dich mir auch hierin anvertrauen kannst, mein lieber [Roland]. Ich bin darum froh, weil Du aus dem Bewußtsein heraus Dich mir in allem mitteilst, daß das was Du mir sagen mußt, nicht auf leeren Boden fällt. Und ich verstehe Dich auch, mein [Roland].

Was aber soll ich Dir sagen, als Entgegnung darauf?

Was Dir auch frohen Mut gibt und neue Zuversicht, Dich mit Deinem Los jetzt abzufinden? Du, es fällt mir nicht leicht. Es fällt mir auch nicht leicht, mich so ganz und völlig in Dein jetziges Leben und in Deine Umwelt hineinzudenken. Es ist alles so soldatisch-männlich; es liegt weniger auf meinem Gebiet. Ich weiß nur eines und sehe es deutlich. Du, Dein Wesen, paßt nicht in Deine Umgebung, in der Du zur Zeit leben und schaffen mußt. Ebenso wenig wie Hellmuths’ [sic]. Dein Ideal, Dein Streben überhaupt liegt ja in ganz anderem, als in dem. Du hast eine ganz andere Lebensauffassung, als die um Dich sind. Dein Wissen allein macht es Dir möglich, Dinge zu sehen, die den anderen garnicht auffallen; macht es Dir vielleicht möglich, mit Scharfsinn hinter Sachen zu kommen, die der Masse verborgen bleiben. Das aber nicht allein.

Du lernst nun jetzt einmal das Leben in der Gemeinschaft[,] in der ‚Kameradschaft’ nennen sie es, kennen. Du warst es so nicht gewöhnt. Gemeinschaft, Kameradschaft hegen u[nd] halten, das kennst Du zwar schon von Deinen Kindern her.

Aber hier, unter Gleichaltrigen, besser gesagt, wo Du selbst mit zur Menge gehörst, nicht als Lehrer, sondern als Lernender, ist das so anders. Ich habe davon auch eine Probe bekommen, wenn auch nicht in dem Maße wie Du jetzt, als ich im Betrieb unter vielen sein mußte. Schon der ganze Ton der herrscht, befremdet einen. Und auch die Dinge[,] über die sie reden, wie sie darüber reden, nötigen uns nur zu oft ein Kopfschütteln ab. Aber was kann der Einzelne, der anders eingestellt ist, daran ändern? Nichts. Wenn man doch ein Wort wagt, einmal, dann wird man mißverstanden – wenn nicht gar verhöhnt hinterm Rücken – macht man sich’s denn so auch dadurch leichter? Es ist am besten so, man geht seinen Weg unbeirrbar, so wie ihn unser Gefühl uns vorschreibt, tut seine Pflicht und hält sich in allem andren reserviert.

Freilich ein beglückender Zustand ist das nicht, es erleichtert einem auch das Zusammenarbeiten und -leben mit den anderen nicht. Aber man braucht so nicht sich selbst zu verleugnen, man braucht so seine Seele und sein Gewissen nicht zu belasten. Und die Hoffnung, daß die Zeit ja vergänglich ist, sie läßt bestimmt viel überwinden.

Und noch eines, mein Herz: vergiß nicht, daß ich auf Dich warte, am Ende dieses Weges, daß ich Dir doch ein besseres Dasein bereiten helfen will, wenn es in meiner Kraft steht. Du, kann dich das ein wenig nur trösten, Herzlieb?

Auch, wenn ich Dir nun jetzt mit meinen Worten nicht das schenken konnte, was Du erhofftest? Wenn ich Dir auch nicht das Licht in die Finsternis u. Leere bringen konnte, daß Du ersehntest?

Du! Ich wäre so froh, wenn Du trotzdem fühlen könntest: Sie ist doch mein lieber Kamerad. Mein [Roland]! Sieh, ich bin nun die Zeit daher so von aller Welt abgeschlossen. Nichts von Gemeinschaft dringt bis zu mir herauf in mein Dornröschenschloß. Ich komme mir manchmal vor wie die verwunschene Prinzessin.

Ich lebe nur in meiner Gedankenwelt, und die gehört nur, nur dem Einen. Ich lebe außer den täglichen Notwendigkeiten für den Leib nichts sonst, als nur Dir.

Und einmal in der Woche tragen mir die ‚Hofdamen’ den unvermeindlichen Klatsch an Neuigkeiten vor – in der Singstunde ist das – das ist alles, was ich so von ‚draußen’ höre. Was mich am Weltgeschehen interessiert, lese ich in der Zeitung. Kannst Du glauben, das ich jetzt richtig ein bissel zur Einsiedlerin geworden bin, die garnicht so leicht oft in der Welt mit ihren Dingen zurechtkommt?

Das soll aber keine Entschuldigung sein, dafür, daß ich Dich nicht verstünde, Du!

Es soll Dir nur ein Beispiel sein, wie schnell sich der Mensch doch wieder in seine [^]neueren Verhältnisse, in seine and[e]re Umgebung einlebt. Und daran magst Du, Herzlieb, auch immer denken, wenn es Dir einmal wieder schwer wird, Dich mit einzureihen in Deine Umgebung. Du bist nicht für ein Leben verdammt, Soldat zu sein. Das danken wir Gott. Und Du wirst Dich um so [sic] schneller, freudiger und auch williger dann unter meinem Regiment fügen!! Du!!! Stimmt's?

Herzallerliebster Du!! Nun noch Geschäftliches. Ich hab die Eltern in meinem Briefe gebeten, die Rechnung dem Porzellanmann zu begleichen, damit er sein Geld gleich kriegt. Und schrieb ihnen weiter, daß ich ihnen das Geld am nächsten 1., aber wenn ich zurück bin schicke. Aus dem Grunde: Weil ich nicht soviel [sic] Geld auf einmal abheben mag. Mir wird’s schon Angst bei 150 M! Ich weiß nun nicht[,] ob sie mich auslachen, oder was sie überhaupt dazu sagen. Ich mag einfach nicht! Kann mir denn das keiner nachfühlen?

Hintragen meinetwegen jeden Tag — aber nur nicht abholen. Und zu den Paketen. Das mit dem Pfefferkuchen hast erst bekommen? Und das andre, das dazu gehört, nicht? Wenn es nur noch ankommt! Wäre ja das erste Mal, daß eins verloren ginge. Melde mir nur seine Ankunft, ich hab sonst keine Ruhe!

Du!! Der Herr Q. brachte mir einen Anzugstoff für Dich. Mir gefällt er. Den Eltern nicht richtig. Er ist im Farbton bräunlich — beige mit einem ganz schmalen Streifen in Rot-Hellgrau, aber nur ganz wenig sind diese Farben zu sehen. Weißt so im Ton wie der Schlips ^ungefähr![,] den wir miteinander in Limbach kauften! Er fällt sehr gut. Rein Kammgarn ist’s aber nicht mehr, aber sein Bester. Preis 22.50 pro Meter.

Also ich stelle Dich mir schön vor drin! Die Mutsch hatte sich was in so Dunkelgrau eingebildet wie Papas letzter. Soll ich den Stoff gleich mal mitbringen? Oder wie machen wir’s denn, damit Du ihn mal siehst? Abschneiden kann ich nichts, das fällt auf und fehlt auch. Bitte sag doch Du, wie soll ich’s machen? Du es ist kein Braun, was Du nicht leiden magst.

Heute bin ich krank geworden, Du! Und jetzt können wir nun auch genau feststellen, wieso es das letzte Mal so lange dauerte.

In K. hatte ich soviel Ruhe, keine Aufregung. Hier zu Haus, muß ich immer feste ‚auf Draht’ sein! Und nun bin ich auch aufgeregt, weil ich doch zu Dir komme, Du!!! Also wenn ich immer so faulenzen könnte, da würde ich bestimmt nicht blutarm. Aber das ist wohl nicht gesagt. Schmerzen hab ich einige, aber das geht vorbei, Du! Heut abend wärme ich mir schön den Bauch, Du!! M[i]t meiner Gummine. Und wenn ich komm’, wenn ich komm’[,] bin ich ganz gesund!! Mein lieber, liebster [Roland]!!

Nun will ich noch ... ach, jetzt hätt’ ich’s ja bald verraten!!

Schlafen will ich, Du! Glaubst das? Psst!!

Mein liebs’ Dickerle! Möge Dich mein Bote froh und gesund begrüßen! Behüt’ Dich Gott! Herzlieb!! Mein Geliebter!! Du! Ich bin immer bei Dir in meinen Gedanken! Ich liebe Dich so, so sehr!! Du!! Ich lasse Dich nie mehr los!  Mein [Roland]!! Ich bin ganz, ganz Dein!! Und Du bist mein!!!
In inniger Liebe, in unverbrüchlicher Treue

immer deine Holde.

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401112-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946