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[OBF-401110-001-01]
Briefkorpus

Sonntag, den 10. November 1940

Mein liebes teures Herz! Meine liebe, liebe [Hilde]! Du! Holde mein!

Fast ganz allein sitze ich in unsrer warmen Stube. Es ist Sonntagabend. Unsre Batterie ist heute Wachbatterie. Dann befinden sich fast alle Mann oben in den Bunkern neben den Geschützen, und die Stube ist leer. Wieder ist ein Sonntag herumgegangen, ein Sonntag ohne Kirchgang — und ein Sonntag ohne Dich! Du, Herzliebes! Einen Kirchgang nehmen wir uns vor, wenn Du hier bist!

Wenn Du hierbist [sic]!! So hämmern es alle Pulse. So ticken es alle Gedanken: Wenn du hierbist [sic]! Wenn wir zusammen sind. Du! Du!! Das Reich der Frau Holle ist auch Deinem Hubo noch Geheimnis. Du! Sie war wieder aus heute — diesmal zum Schachten. Sie ist eigen. Die vordere Haustür und ihre Stube schließt sie immer ab, auch vor ihren eigenen Kindern. Ich habe mich eine Weile mit ihren beiden Töchtern, einer rotblonden (Goldmarie) und einer schwarzen (Pechmarie) unterhalten. Die rotblonde ist to Hus, ihr gehören die beiden Rinder; die Schwarze arbeitet wochentags in Kiel in einer Wäscherei und kommt nur über Sonntag nach Hause. Weil ich zur Hintertür aus- und einging, konnte ich mich einmal ins Stübchen lunschen [sic]. Geheimnis, Geheimnis — schon jetzt — Du! und dann?! Geheimnis — unser Geheimnis — Deines und meines — Du und ich — Dein [Roland],  ganz Dein — meine [Hilde], ganz mein!!

So bin ich wieder nach Eckernförde geschlumpert [sic] — mit Dir in Gedanken — habe mich auf dem Bahnhof umgesehen — war am Postamt — meine [Hilde] war noch nicht da. — Eines ist mir eingefallen: Der Autobus ab Kiel muß nicht rot aussehen, ich sah eine Anzahl blaue Wagen im Auftrage der Reichspost fahren. Viele Matrosen und etliche Feldgraue von unserem Schlage — und viele Mädels gingen auf der Straße. (Eckernförde hat eine große Hauptstraße)  Auffällig viele von kleinem Wuchse waren es — keine so groß und stattlich wie meine Holde. Ich strebte flotten Schrittes dem Kaffee zu, in dem wir schon vergangenen Sonntag saßen und traf dort richtig meine Kameraden. So brauchte ich die Nachmittagsstunden nicht so ganz allein hinzubringen. Ich habe die Kameraden zu ihrer Unterkunft begleitet und bin dann im Dämmern in mein Quartier getippelt — wieder mit meinem Herzlieb. Es ging im Geiste neben mir. In der linken hat der Hubo das schwarze, schwere Bündel, den Zauberkoffer — und in der rechten hat er das liebe, süße Angebinde, sein Herzlieb, die Zauberin.

Dann habe ich zu Abend gespeist: Nudelsuppe, Butter, Brot u. Käse. Heute kam das lang erwartete, beinahe überfällige Wäschepäckchen mit den Strümpfen und roter Reizunterhöschen! Wenn sollen die wohl reizen!?! Da ich keine anderen mehr besitze, muß ich die schon jetzt anziehen! Das Päckchen hat eine kleine Irrfahrt zu einer falschen Kompanie gemacht. Ich habe nun gleich alle schmutzigen Habseligkeiten wieder postfertig gemacht, damit sie nicht herumliegen, der neue Spind ist ziemlich klein. Alles nähere liegt dem einen der beiden Päckchen bei. Hast Du wohl unter der neuen Feldpostnummer schon ein neues Wäschepäckchen abgeschickt?

Was habt Ihr wohl heute angefangen? Ob Mutter schon wieder heim war? Dann hat sie gewiß meinen Brief studiert, hat vielleicht mit Dir gesprochen von der Reise — die Augen meiner geliebten haben dabei geleuchtet und das Herzchen hat geklopft vor innerer Freude — und hat dann selbst zu Tinte und Feder gegriffen, um dem Sohnemann die Meinung zu sagen. Die liebe, gute Mutsch! Wenn ich auf Urlaub komme, kriegt sie einen richtigen Kuß und einen Drücketot [sic]. Und der liebe Pappsch. Auf dem Marsch nach Eckernförde kam mir ein Radfahrer entgegen, der mich lebhaft an ihn erinnerte: der treusorgende Pappsch auf der Hamsterfahrt. Hoffentlich verschonen ihn die Plagegeister des Reißens.

Gestern abend hörten wir die Übertragung der Hitlerrede. Welch kühner, fanatischer Glaube beseelt diesen Mann: „Das Schicksal hat mich ausersehen zur Neuordnung Europas“! Jeder andere würde zittern vor der Reichweite und Wucht der weltumspannenden Ereignisse, die er in Gang setzt und verantwortet. Man muß ihn bewundern, diesen Mann! Hoffnung und Zuversicht flößten sein Worte ein. Möchte dieser Mann noch lange die Geschicke unseres Volkes leiten!

Wuchtig sind die Schläge, die England treffen. Allein steht es in Europa. Amerikas Haltung ist durchaus noch unentschieden.

4 Tage hintereinander hatten wir unsre volle Nachtruhe. Das war hier noch nicht da seit der Zeit das verschärften Luftkrieges! Heute war es tagsüber milde und trübe. Jetzt heult draußen der Wind. Eben war ich mal draußen, Sternenhimmel ist. Unsre Sterne ziehen auf die Wacht mit dem Mond. Das lustige Pfeifen des Zügleins klingt herüber. Wie tröstlich und vertraut hörte ich nach langer Zeit seine Stimme wieder!

Geliebte! Eine Woche, eine ganze Woche noch — morgen abend ist sie schon nicht mehr ganz — und dann noch eine, keine ganze mehr! Morgen ist reichlich Arbeit, hat der Hauptfeldwebel schon heute angekündigt. Das ist mir recht —dann vergeht die Zeit schnell bis zu Mittag — da kommt dein lieber Bote, der Bote aus dem Dornröschenschloß — und gegen abend [sic] womöglich noch einer, der vom Sonntag. Aus dem Dornröschenschloß — o, böse Dornen sind dran, hängen die Hüte und Smokings des abgeblitzten Freier dran — das dumme Dickerele aber geht ungestört hindurch, hinein ins Schloß zu den Röschen, den vielen tausend Röschen — zu seinem Herzlieb, seiner Holde — darf es küssen und von den Röschen pflücken!

O Du, Du!!

Fein brav und still!

Behüte Dich Gott, Herzliebes! Er gebe uns beiden Kraft und Geduld, auszuharren! Dein [Roland] bleibt ganz Dein, in treue nur Dein! Für alle Zeit!  Und Du bist meine teure, treue Holde, mein Herzlieb, meine liebe, gute [Hilde]! Du! Ich liebe Dich!!

Komm, komm Herzlieb — damit wir einander recht lieb haben!!

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946