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[OBF-401105-001-01]
Briefkorpus

Dienstag am 5. November 1940

Herzlieb, Du! Heute vergesse ich gleich die Anrede. Du! Weißt [Du], wer mir eben begegnet ist? Du? Frau Holle! Ja! Frau Holle! Hör zu! Es ist ½ 7 Uhr am Abend. Eben wollte ich mich an den verschwiegenen Ort begeben, der am Lagereingang liegt — der Mond steht feierlich und gelassen am Himmel, unsre Sterne steigen glänzend im Osten auf — da ist sie mir begegnet. 2 Frauen mit Wäschepaketen, von einem Soldaten geleitet, strebten den Baracken zu, eine junge und eine ältere. Wie ein Blitz durchschoß mich der Gedanke: Frau Holle, die ältere wäscht für die Soldaten — die jüngere erkannte ich gerade noch von meinem Besuch in Barklesby [sic]. Na, weißt nun, wer die Frau Holle ist? Ich gehe auf die beiden Frauen zu und sage: "Das ist doch die Frau P. — — —" Und richtig, sie war es, die junge machte der Frau Holle nur ein paar Andeutungen, und sie war im Bilde. Und nun in der etwas spröden, trockenen nordischen Art, hinter der sich soviel Tiefe und Treue verbergen kann, ein paar Fragen und Auskünfte und dann: "Na, denn geht das in Ordnung!" Ja Du! Liebes, weißt denn auch, was das bedeutet? Ich habe ein Stübchen für uns, Du!!! Und Du, mein Herzlieb, kannst nun kommen!!! Nun kennst Du auch die Frau Holle, soo gut ist sie wie Frau Holle, und soo gut sieht sie aus wie Frau Holle, Du! Etwas kurz und dick, mit einem strahlenden Gesicht, weißt, der Mittelfrohnaer Großmutter nicht ganz unähnlich. Wenig haben wir verhandelt. Weißt, was Dein Hubo gefragt hat? Ob das Bettlein auch groß genug ist. Ja, Du, gleich so dreist hat er gefragt. (Ob das Bettlein auch lang genug ist, meine Frau ist sooo lang). Groß ist das Bett, hat sie gesagt. Ja, Herzliebes, das war wichtig, Du! Es steht nämlich nur ein Bettlein drin — und ein Sofa. Wer nicht gut folgt, muß auf dem Sofa schlafen! Ich weiß schon, wer das ist. Du, wenn Du nicht gut gefolgt hast, mach ich auch gleich noch eine Dummheit, dann ist das Bettlein frei.

Frau Holle hat auch gefragt: Wie sich mein Frauchen mit dem Essen einrichten wird. Und ob es denn auch Marken mitbringe. Na, Du kannst Dir denken, wie ich geantwortet habe. Mein Frauchen wird ja gar keinen Hunger haben hier! Du, Liebste! Ist das nicht eine Überraschung, Du! für Dich und für mich nun auch? Herzleibes? Und gleich habe ich mich hingesetzt, diese Freude mit Dir zu teilen. Wie oft und lange ich dann bei Dir sein kann, weiß ich ja noch nicht. Aber wären es nur Stunden, Geliebte!! Und es ist bestimmt mehr. Nur jetzt mag ich noch nicht fragen. 8 Tage vorher werde ich mein Anliegen vortragen und fragen, was sich tun läßt. Und es wird sich etwas tun lassen.

Am Sonntag, Du! werde ich wieder zu Frau Holle gehen und unser Stübchen besichtigen. Siehst, Holde, was ich nun schon schreib davon, das darfst wieder hervorsuchen und Dir ausmalen. Sauber ist's in dem äußerlich ärmlichen Häuschen. Gute Menschen wohnen daran. Soviel ich bis jetzt sah, lauter Frauen, davon 2 junge. Eine davon ist bestimmt verheiratet, ihr Mann steht in Belgien, sie hat zwei niedliche Kinder, Bub und Mädel von 2 und 3 Jahren. Du wirst also nie ganz allein sein, wenn Du nur willst. Du! Kein Licht im Haus. So viel Dunkel im Stübchen. Da müssen wir schon für ein bissel Licht sorgen — ich find mich ja gut im Dunkel, das weißt doch — aber Du, Du, siehst doch schon bei Tage kurz, was Du nicht sehen willst! Vielleicht willst gar nichts sehen! Dein Dickerle ist jedenfalls für das Licht und hat dafür auch schon vorgesorgt! Du! Advent wird es doch wieder! Vielleicht bringst [D]u in Deinem Gepäck einen Lichtengel unter. Du! Die sind treu und verschwiegen, die kennen uns schon!! Und einen kleinen Vorrat an Lichtern brauchen wir — mußt vielleicht den Kamenzer Vater darum angehen. Falls Du das tust, möchtest bitte für mich ein halb Dutzend Taschentücher mitbestellen, ich halte zu knapp damit. Ja, Herzlieb, 8 Minuten liegt Frau Holles Haus etwa entfernt von unserem Lager, wenn ich renne, sind es nur 5 Minuten, Du! Und [m]anchmal, Du, vielleicht, geht es dann nachts bumm-bumm, daß die Scheiben klirren. 300 m davon in Luftlinie stehen die Flakgeschütze — dann mußt Dich schön festhalten am Bettlein — oder an Deinem Hubo. Aber Mut hast Du ja — der Mond ist dann im Schwinden, kälter wird es, die Angriffe werden bestimmt seltener. Nur Vater und Mutter darfst das nicht erzählen, hörst? Essen? Essen sollst Du gleich mit dort, ist das nicht fein? Und wenn es geht, kommt Dein Hubo zum Abendbrot! Und Du hast schon alles fein gedeckt und ein bißchen eingeheizt in unserem Stübchen — ja, Du, damit unser Englein nicht friert. Und dann haben wir uns ja so viel zu erzählen, und zu schreiben — und ich meine, Du bist mit Weihnachtsarbeiten vollauf beschäftigt, und Dein Hubo wird Dir auf seiner Schreibmaschine alle überständige Arbeit vorklappern. Also, an Langeweile werden wir Mangel haben, und uns mit Anstand schnellstens in uns[e]re Gemächer zurückziehen können.

Ach Du, Geliebte! Viel wollen wir uns davon noch erzählen. Und Du sollst mich fragen dürfen.

Ach Du, Geliebte! So schnell ist der Bote! In einem Tag bis Eckernförde! Ich danke Dir so sehr für Deine lieben Zeilen. Du! Weist?? Platt ist Dein Hubo — platt vor so viel Schlagfertigkeit — ein Feldzugsplan? — Gegenfertigkeit geschrieben mit vollem Vorbedacht? — Platt ist Dein Hubo — Du! Dumm ist Dein Hubo — ein Klotz — und Du bist ein Evchen, ein liebes, böses, zuckersüßes Evchen — woher es nur so klug ist, das Evchen? — Aus Büchern? — O, das Dickerle hat schon gelernt von diesem Evchen! Und ich glaube, ich glaube, es wird noch mehr lernen von ihm! Du! Ist Dein Dickerle nicht gelehrig? — Bücher mag es sich nicht kaufen — es kommt viel lieber in die Schule zur Tante [Hilde].

Herzallerliebste! Unser Plauderstündchen geht zu Ende. Sternklar ist die Nacht. Vergangene Nacht verlief ohne Störung — aber heute wird der Tommy wohl kommen.

Behüte Dich Gott! meine liebe [Hilde]! Bitte grüße die lieben Eltern, sie bekommen bald ein Brieflein, ein Bittbrieflein, es ist nach seinem Inhalt nicht das erste, verstehst mich? Ach Du, ich habe auch Schreibschulden und so wenig Licht sie abzustoßen. Wenn ich jetzt Dein Brieflein schließen sollte und noch an anderen schreiben, das brächte ich nicht über mich. Siegfried schrieb mir heute. Hellmuth muß einen Geburtstagsgruß bekommen: 11. November, dann sind die Eltern wieder dran, die Kantorei. Ach, weißt, sie müssen alle, alle warten, erst kommt mein Lieb! Heute lege ich Dir meine Bilder bei — die dritten — fast, als wollte ich mich Dir aufdrängen. Hubo 8 ½ x 13 ½, genau nach Maß, damit es in den Rahmen paßt. Der läßt sich so geduldig zurechtstutzen. Ja, welcher Hubo ist das nun? [W]enn ich mich recht erinnere: der das Bussel kriegt. Dann hast noch einen zum Mitnehmen beim Ausgehen — aber nicht frieren lassen. Du! — und dann den Originalhubo II. Und der Originalhubo I sitzt hier und wartet auf seine Orginal[hilde] — auf den - - - - Wechselb [sic] - - -, mal dick, mal dumm — Du! Bitte, schreib auch was dummes! Damit ich nicht allein auf dem Sofa sitzen muß. Ich tät ja gern radieren, aber das ist bei der Wehrmacht verboten! Herzallerliebste! Mag Dich mein Bote froh und gesund antreffen, möchte es Dir recht viel Freude bereiten!
Du! Holde! Ich liebe Dich! Ich liebe Dich ganz sehr!! Ich liebe Dich vielleicht ein bißchen schwerfällig — wie eben ein Dickerle! Du! Herzlieb! Ich liebe Dich aber auch mit großer Zärtlichkeit! Du! Komm! Komm bald!! Damit ich es noch besser lerne — so wie Du!! Ich will mir schon Mühe geben — und, davon gibt es Beispiele genug-,[^]vielleicht übertrifft der Schüler einst den Meister. Meine liebe, liebe [Hilde]! Mein! Ganz meine!! Du, Dein Hubo ist so glücklich, so reich mit Dir! Er ist so stolz auf Dich! Auf seine liebe Frau, auf sein Weib! das er nimmermehr läßt und liebt in alle Zeit mit seiner ganzen Treue!

Dein [Roland]!

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Autor Roland Nordhoff
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946