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[OBF-401015-002-01]
Briefkorpus

Dienstag, am 15. Oktober 1940, in Kamenz.

Herzallerliebster! Du mein geliebter, guter [Roland]!

Wieder daheim. Wie schön ist es, wenn man das sagen und fühlen kann. Ach, mein [Roland] Du, das Herz war mir so übervoll all die Tage und ich war doch gebunden, konnte nicht sein, wie mir das Herz gebot. Es war nicht leicht für mich. Aber nun kann ich wieder nur Dir leben, nur Dir, mein [Roland]. Bin bei Deiner nun auch bei meiner lieben Mutter, vor der ich mein wahres Gefühl nicht ängstlich zu verbergen brauche, bin wieder bei Vater, der sich freute, daß wir wieder heim kamen miteinander. Gestern abend in der 8. Stunde trafen wir, gemeinsam aus Bisch. [sic] kommend hier ein. Mutter war seit Sonnabend mittag bei G.s in Polenz.

Du, ich habe jeden Abend weinen müssen, wenn ich in meinem Bett lag in Dehsa, einsam im Kämmerchen. Da große Nußbaum stand vor meinem Fenster. Du, der Mund rundet sich immer mehr; er sah durch die Zweige, so still freundlich; der Wind rauschte immerfort, die Blätter fielen — manche lautlos, manche geräuschvoll, wurden vom Wind getrieben, tänzelnd über die Steine im Hofe gejagt, wie Schritte klang es unter meinem Fenster. Nahend, sich entfernend. Ein paarmal saß ich steil aufgerichtet im Bett, lauschend, wer da käme. Nichts. Bleiches Mondlicht geisterte durch den Baum, die Schatten des Laubes vom Nußbaum bewegten sich überall.

Unten wußte ich einsam die alte, kranke, ich glaube todkranke Frau. Ich dachte an Geschichten aus meinen Jugendbüchern. Wollte der bleiche Tod kommen, sie holen? Die Schritte unten ums Haus, immer wieder. Wenn er sich in der Tür irrte? Laut, so laut schlug mein Herz[.] Ach Du! Ich fürchtete mich. Liebster! Mein [Roland]! Wärest Du mir nicht gefolgt, ich hätte kein Auge zugetan. Ich nahm Deinen Brief an mein Herz, die Mutter hatte ihn mir nachgesandt und ich fühlte Dich bei mir. Gebetet habe ich, inniger noch als jeden Abend sonst. Aber so sehr weinen mußte ich dabei, jeden Abend in der Fremde. Dann schlief ich aber doch ein, übermannt von der Müdigkeit. Lange, lange lag ich immer wach. So übergroße Sehnsucht hatte ich nach Dir, mein [Roland]. Das brannte wie ein Feuer in meinem Innern. Wenn mir es nicht um den Skandal gewesen wäre, Du! Ich hätte nachts meine Sachen genommen und wäre gegangen. Den Weg auf der Landstraße nach Löbau kannte ich ja. Und wie ein Wunder, wie ein herrliches Erfüllen nahm ich am Sonntagmorgen Deinen Boten aus Elfriedes Hand. Ach, mein [Roland] Du! Du weißt es ja, wie ich mich einsam fühle ohne Dich. Du hast mein sehnsüchtiges Rufen gehört. Ach Du! Wie sehr ich mich gefreut habe über Deine Zeilen, wie sehr! Du weißt es, Liebster. Und ich hatte nun auch die Kraft, diese eine, letzte Nacht noch unter ihrem Dache zu bleiben. Ich wollte aushalten. Sie waren ja alle so lieb, so nett zu mir. Ich wäre undankbar gewesen, hätte ich mir auch nur das Geringste merken lassen. Du gabst mir die Kraft, Du! Schwer war es mir. Aber ich habe gelernt in diesen fast 4 Tagen mein Herz fest in beiden Händen zu halten. Wenn es auch fast nicht mehr gehen wollte, wenn die schmerzliche Sehnsucht nach Dir mich auch überwältigen wollte.

[Roland]! Mein [Roland]! Ich glaube, ich liebe Dich zu sehr, Du! Wenn Dir etwas geschähe, Du — ich müßte Dir nachfolgen. Aber nein, Herzlieb, nicht so. Es ist ja lauter Sonnenschein um mich, jetzt. Der Sonntag. Er war hell, sonnig, nicht klar; man hatte keine gute Sicht. Vormittags sind wir 3 Mädels rauf nach der kleinen Landeskrone. Schön, so schön ist ihre Heimat.

Wenn Du an diesem Tag mit mir gewesen wärst, ich hätte es noch stärker als ein großes Geschenk empfunden, daß ich das alles schauen und erleben durfte, Du! Großpostwitz, Deine einstige Heimat war ja ziemlich nahe; die Mädels erzählten mir davon. Auch, wie ihr alle früher noch beisammen wart, einander entgegen kamt auf dem Wege von Großdehsa und Großpostwitz, Hellmuth dabei. Es war ein kleiner Festtag für mich, dieser Sonntagsspaziergang nach dem Czorneboh. Ich dachte im Innern immer Dein, Du! Gegen 6 Uhr abends kehrten wir müde heim. Wir fanden Marianne mit ihren Mann und Christian vor, sie mußten aber schon mit dem 1800[-]Zug zurück nach Löbau. Sie waren eigentlich nur wegen mir gekommen und ein wenig enttäuscht, daß sie mich nur so kurz sehen konnten. Aber da war nun nichts dran zu zu ändern. Mutter H. schickte uns ja extra fort, daß Elfriede und Lotti bei dieser Gelegenheit auch mal an die Luft kämen.

Es muß ja sonst immer eine um die Mutter sein. Sie war so auch nicht allein am Sonntag. Und zur Arbeit haben sie doch die Hanna aus Cunewalde. Ich habe mich recht gut vertragen mit den Schwestern und wie sie mit mir umgingen, daraus habe ich erkannt, daß sie mich wert schätzen, ihr Vertrauen zu genießen. So vieles haben sie erzählt, jeden Abend wurde es spät, 11 Uhr immer, ehe wir ins Bett kamen. Von früher, von ihrer früheren Heimat, von der Mühle vom Vater H.; Jugendstreiche wurden ausgegraben, darin überbot eine die andre, Tanzstundenerlebnisse, -Liebeleien. Lottis Interesse am Arztberuf rückte einmal besonders in den Vordergrund. Sie war einmal Sprechstundenhilfe bei Doktor Mittag. Ach, von einem ins andre kamen wir. Ich war fast immer nur Zuhörerin. Ich vertrage soviel Gerede garnicht gut. Meist hatte ich dann Kopfweh. Sie sind beide sehr lebhaft mit dem Mundwerk! Man kann ihnen aber nicht böse sein. Ich hab die beiden gerne. Lotti neigt manchmal dazu, ein bissel anzugeben; aber das ist nur in manchen Dingen. Sie ist ein wenig vielleicht, zu viel von sich eingenommen. Aber das macht ihre Liebenswürdigkeit so im großen und ganzen wieder wett. Elfriede ist bei all ihrem Wissen, trotz Vielem darin sie uns voraus ist, zurückhaltender, bescheidener. Man merkt, sie ist innerlich glücklich, und darum geht eine gewisse Ruhe und Besonnenheit von ihr aus, sie wirkt reifer in ihrem Wesen neben Lotti. Oft habe ich durch Lottis Rede die leise Unzufriedenheit ihres Lebens durchklingen hören, auch in ihren Zügen spiegelt sich etwas von diesem inneren Zwiespalt. Sie hat sich verändert, seit ich sie zuletzt um Weihnachten in Kamenz sah. Schmaler im Gesicht ist sie geworden, spitzer; das macht sie auch älter; ich glaube, sie ist auch nicht richtig auf der Höhe gesundheitlich. Wir kamen auch einmal auf Hellmuth W. zu reden. Und da fühlte ich etwas bei Lotti. Er hat sie einmal gerne gehabt früher. Jetzt liegen nun die Verhältnisse bei ihm so. Du weißt ja, der Tod seiner Frau. Ich glaube, Lotti befaßt sich mehr mit seinem Geschick, als gut ist. Wir Frauen haben oft dafür ein feines Empfinden. Man weiß nicht — das Schicksal geht oft seltsame Wege. Aber, ob Lotti dieser Aufgabe gewachsen wäre, ob sie überhaupt dazu geschaffen ist, Mutter zu sein zwei fremden Kindern, und Gattin zugleich? Sie kommt mir so garnicht weiblich vor; ich denke durch ihren Beruf.

Im Winter soll ich wiederkommen, mit den Brettern.

So lieb sie alle waren, so gut es mir gefiel bei Tage.

Aber, Liebster! Die Nächte, diese unheimlichen Nächte!

Ich weiß es. In diesem Hause geht der Tod um.

Ich sehe es dieser armen Frau an. Den Mädels kann das nicht so auffallen. Sie sind täglich um sie herum.

Ich habe draußen bei ihr gesessen, habe drinnen bei ihr gewacht, wenn Elfriede kochte. Ich beobachtete bei meiner Landarbeit genau ihr Gesicht. Sie wird nicht wieder gesund werden. Es geschähe denn ein Wunder. Lange kann sie noch zubringen, wenn das Herz stark ist. Aber diese ewige Eiterung läßt auch keinen guten Saft ihrer Gesundheit zukommen; sie ißt wohl, trinkt, doch nur für diese unselige, unheimliche, schleichende Übermacht in ihrem Leibe. Voller Mitleid war ich gegen sie, aber ich ließ mir nichts anmerken. Nur frohe Gedanken tauschten wir und auf ihre W wiederholten Einladungen hin sagte ich ihr dann, daß ich im Frühling einmal wiederkäme, wenn sie wieder besser umgehen könne. Von gemeinsamen kleinen Spaziergängen redete ich und sie freute sich und war voll Mut. Aber dann kommt wieder ein Tag, wo sie so sterbensmatt ist. Rätselvoll diese Krankheit. Elfriede tut mir aufrichtig leid; es ist eine schwere Aufgabe solch kranke zu pflegen und nicht schuldig zu werden dabei, vor dem eigenen Gewissen. Alle, alle Gedanken beanspruchen ja so eine Pflege, wenn Segen darauf ruhen soll. Wenn ich das tun müßte, mit meiner großen Liebe im Herzen, die nichts sonst neben sich duldet; o, ich müßte mich mit übermenschlicher Kraft überwinden lernen. Und dieser seelische Schmerz, den ich mir so zufügte, zehrt mehr als irgend eine Krankheit. Gott behühte uns vor solchem Leid.

Alle Gedanken, die tagsüber verdrängt werden, kommen mit der Stille der Nacht. So war es in diesen Tagen jetzt. Darum konnte ich die Ruhe nicht finden, darum wurde ich verzagt und bange und in meiner Verlassenheit steigerte sich die Sehnsucht ins Unendliche, nach Dir, Geliebter Du! Weil ich Dich habe, Dich, mein [Roland]! Alles ist dann gut, Ich danke Gott, daß Du mein bist. Du! Mein geliebter, treuer Lebensgefährte. Wie liebe ich Dich!

Und gestern abend, als ich heim kam, Deinen lieber Boten schon wartend fand, Du! Ach, da war ich so froh und war ich so geborgen. Du gehörst an meine Seite, niemand sonst. Ich las Deine Zeilen im Bettlein, Du! Dachte mir dabei, Du lägst neben mir, sprächst zu mir, mein [Roland]!

Und ich mußte auch gestern weinen, daheim, Du! Nicht, weil ich verlassen und voll Angst war. Nein, Du! Weil ich mich überfreut hatte. [Roland]! Mein [Roland]! Ich. Deine Holde. Du! Du! Soviel Freude, soviel Glück! Das hatte ich nicht erwartet.

Du gabst mir am Anfang unser Liebe ein Buch zu lesen, von Löns. Holde Rotermund. Heute noch sehe ich vor meinen Augen dieser Namen. Den Titel des Buches, die Geschichte habe ich nicht mehr im Sinn. Aber das Mädchens Name, das so rein, so gut, so herrlich war. [Roland] Du! So, ebenso soll ich sein? So willst Du mich nennen, Deine Holde? Liebster! Weißt Du, wie Du mich beglückt hast damit? Ich wurde diesen Moment nie vergessen, wie ich neben Deinem leeren Bettlein liegend diesen Namen fand. Du! Du! Laß Dir danken, mein [Roland]! Hören möchte ich ihn, Du! Hören aus Deinem Munde! Deine Stimme soll ihn mir sagen, die liebe dunkle, warme Stimme, die mich nie mehr zur Ruhe kommen ließ, seit ich sie zum ersten Mal gehört. Liebster! Du rufst meine Sehnsucht täglich mehr, Du!! Einmal Dich wiedersehen, Deine Stimme hören, Deine Lippen auf den meinen fühlen! O, höchste Seligkeit. [Roland]! Du mein [Roland]! Behüt Dich mir Gott! Bald o wie wünschte ich es, bald kann es sich ja erfüllen. Glaube auch Du, [Roland]! Vertraue mit mir, Du! Mein [Roland]!

Zu inniger Liebe, in ewiger Treue

Deine Holde

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Hilde Nordhoff in einem weißen Hochzeitskleid und eine weitere Frau sitzen vor einem Gebäude.

Ba-OBF K01.Ff3_.A12, Hilde Nordhoff mit ihrer Mutter, 13. Juli 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, weiße Ränder weggeschnitten.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946