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[OBF-401009-002-01]
Briefkorpus

Mittwoch, am 9. Oktober 1940 in Kamenz.

Herzallerliebster! Du, mein geliebter, guter [Roland]!

Wieder ist ein Tag angebrochen, mit Sonnenschein drinnen und draußen Herzlieb, Du! Dein lieber Sonntagsbote ist bei mir, Dein lieber, langer Brief. Ach Du, wie danke ich Dir. Jeden Tag beglückst Du mich so sehr. Es war heute früh 500, aufstehen; hieß es, Mutter mußte ja [um] 600 fahren, und ich ließ mir's  nicht nehmen, sie hinzubringen zum Zug. Finster wars, kalt und unsre Sterne strahlten ganz hell am Himmel. Oben auf der Brücke dann stand ich und wartete, bis der Zug hindurchfuhr. So seltsam ist das Bild der Bahnhof im Morgengrauen, das Leben erwacht, alles drängt zum sicheren Beförderer, dem Zug, um der Arbeitstätte zuzufahren. Und reibungslos geht alles vonstatten, trotz Dunkelheit. Am liebsten wäre ich mitgefahren, doch nicht heimwärts, Du! Nein nach Norden, mein Lieb.

Mutter und ich krochen noch einmal zurück ins Bett, was sollten wir so früh am Tage schon anfangen miteinander? Liebster, wenn ich in unserem Bettlein liege, allein, wach - o Du; an meinen Augen zieht alle vergangene Zeit vorüber; und ich muß den Kopf ganz tief ins Kissen drücken, muß so meine Sehnsucht nach Dir unterdrücken, Liebster!

Ich mag wohl wieder eingeschlafen sein, Du! So süß träumte ich von Dir, so wirklichkeitsnahe, das kann ich unmöglich nur so vor mich hingedacht haben, Liebster! Ich weiß nicht wie es kommt, das wird von Tag zu Tag schlimmer, meine Gedanken sind garnicht bei mir, in meiner Umgebung, nur bei Dir, Herzlieb, nur bei Dir.

Ich hörte im Traum, im Wachen zugleich[,] Schritte die Treppe heraufkommen. An der Korridortür verhielten sie - es klingelte, etwas fiel gegen einen Gegenstand aus Blech. Du! Du! Da war ich mit einem Male ganz munter: Mein [Roland] kommt, er will herein zu mir! Und die liebe Mutter weiß es schon, sie bringt ihn mir. Er darf bei mir liegen, im warmen Bettlein nach seiner langen Reise; darf am meinen Herzen ausruhen, das so stürmisch zu klopfen anfängt, wenn es den Liebsten fühlt. Ach Du! Das ist ein seliger Augenblick, wenn ich Deinen Boten an mein Herz drücken kann, mein [Roland]. Was er mir nun wieder alles Liebe und Schöne ins Ohr flüstert. Du! Du! Ich bin ganz erregt noch jetzt, vor Freude. Vom Besuchen, Du! Ich bin garnicht [sic] seltsam berührt von den Punkten, die Du da anführst. Ich freue mich sogar, daß mein lieber, großer Hubo alles so verständig bedenkt und gut überlegt. Ich kenne doch diese Art, wie Du es da hältst am besten selbst und nur von der guten Seite. Ich bin da viel unüberlegter: komm nur, komm—das übrige wird sich dann finden! Du aber, als mein geliebter, treuer Beschützer denkst an alles, in liebender Fürsorge. Ich kann es Dir nicht genug danken, Herzlieb. Und ich füge mich doch auch nur zu gerne Deinen Anordnungen, mein [Roland], das weißt du auch. Ach was Du da alles sagst über Deinen Urlaub,über das Besuchen, Du! Liebster! Das ist so herzlich, so wunderbar schön und ich wäre ganz, ganz wunschlos glücklich, würde es sich so erfüllen, wie Du. Dirs ausgedacht hast. Ich selbst habe dabei keinen Wunsch, keinen als den: Dich haben, Dich bei mir wissen, wo das ist, hier oder dort, ist mir ja so gleich. Wo Du bist, da bin ich zu Haus, da bin ich geborgen und sollte ich Dir folgen in ein fremdes Land. Ich fürchte mich vor nichts, Du! Ich scheue keine Schwierigkeiten und wenn ich das letzte Stück zu Fuß zurücklegen müßte, um zu Dir zu gelangen. Ich wollte es mit frohem Herzen tun. Du weißt, für Dich ist mir nichts zu schwer, für Dich ist mir nichts unmöglich, Herzlieb! Ach mein [Roland]! Wir wollen vertrauen auf unseren Vater droben er wird uns leiten. Ich aber will tief in meinen Herzen die kleine Flamme der Hoffnung nähren, will sie nimmer verlöschen lassen, eines Tages wird sie ganz gewiß zum strahlenden Lichte aufflammen, Du! Ich glaube daran.

Herzallerliebster! Einen Kosenamen hast Du für mich gefunden. Du? Wenn ich Dir nun sage, daß ich ihn sehr gern einmal hören möchte? Willst Du ihm Deiner [Hilde] nicht einmal verraten, wenn sie Dir sagt, daß sie so gar keine Ansprüche an ihn stellt, weil er doch ein Geschenk von ihrem Herzallerliebsten ist, das darf sie sich ja garnicht selbst aussuchen, damit muß man sie ja überraschen, Du!? Und glaub mir, Liebster! Sie wird sich ganz gewiß sehr gerne überraschen lassen damit. Was von 'ihm' kommt, da will sie genau so liebhaben und gerne hören, wie er. Du!! Hast Du ein hartes Herz??

Über meine Bilder soll ich Dir etwas sagen?

Ich wollte eins, Dir eine rechte Freude machen, und es sollt etwas sein, was immer bei Dir sein kann, was Dich immer meiner erinnern soll. Und das einfachste war da mein Bild. Wie sollte ich mich Dir schenken? So, wie wir unsere bedeutungsvollsten, schwersten, glücklichsten (vielleicht!) Zeiten erlebten, das dünkte mich am sinnigsten, die Zeiten unseres Brautstandes. Die Brautzeit war voller entscheidender Schritte für uns, nun sind sie glücklich überwunden. Wir sind eins. Du bist mein ich bin Dein, ganz Dein. Darüber ist Freude und Jubel in mir und damit Du immer wissen und sehen sollst, wie glücklich ich bin mit Dir, darum wählte ich, den letzten Tag als Deine Braut als Überschrift für das Bild für Dich. All unsre, all meine heimlichsten, sehnlichsten Wünsche, die gipfelten an diesen Tage in ihrer Erfüllung. Ich war so selig, so traumhaft glücklich und reich, weil Du mich als Dein liebes Weib heimführen wolltest, Du! Der Traum meiner Mädchenzeit, Du! Der Herrlichste von allen, Du wardst mein.

Alle Empfindungen vom Glück fanden sich in meinem Herzen zusammen, als ich Dich an meinem Arme, so in alle Öffentlichkeit mich zum ersten Male stellte. Ich denke da auch an die Stunde am Polterabend, wo wir dankend uns zeigten. Stolz war ich auf meinen Herzallerliebsten und ich liebe ihn so sehr! Das alles wollte ich noch einmal zurückrufen, wollte es festhalten für alle Ewigkeit, im Bild. Und wenn wir einmal, so Gott will, froh miteinander auf ein erfülltes Leben zurückblicken, Du! Dann wollen wir uns auch froh wieder der Zeit erinnern, da wir im Anbeginn des gemeinsamen Lebens standen. Du sollst der Hüter dieser Bilder sein mein [Roland] und ich weiß, wie Du dies Pfand meiner innigen Liebe hüten wirst, getreulich. Und es wird ein Tag kommen, wo ich gleiches mit gleichem vergelten kann. Du! Du! Ich freue mich schon heute darauf.

Mein [Roland]! Vormittags begann ich mit diesen Zeilen für Dich, jetzt ist Mittag vorbei. Vater wird bald kommen. Ach Du! Ich will Dir noch schnell von unserem gestrigen Abenteuer berichten. An der 3. Nachmittagstunde machten wir uns auf in den Busch, um Beeren zu suchen. Wie wir am Hutberg ankamen sagte Deine Mutter: heut ists so schön, wir hätten müssen ein Stück fort fahren!, meine Mutter; ja, nach Großröhrsdorf! Umgedreht, heim — umgezogen, Fahrplan studiert, 1500 abfahren zu Tante Gretchen, war eins. Vater natürlich hatte keine Ahnung wo wir hin waren. Es wurde so ein schöner, gemütlicher Tag in Großröhrsdorf; wir gingen erst ein Stück gemeinsam spazieren, zum Abendbrot luden wir Tante Emma ein, die ist noch wohlauf. Und ½ 800 fuhren wir froh wieder heim. Ich soll Dich recht herzlich grüßen von Gretchen und R.s allen! Vater empfing uns mit der altbekannten Po…haue!

Heute schickte Siegfried wieder eine Bulle Schnaps, eine richtig 'Bulle'! Und Unterhosen, schöne wollene, die hamstern ja alles noch weg. Und nun gehts auch dort schon mit den ... [siehe Abbildung] los! Heute Nachmittag wollen wir Mutter und ich in die schwarze Mühle; es ist sehr schön draußen. Ich bin ganz, ganz bei Dir, Du! Wie könnte ich auch anders?

Auf Wiedersehen, Du!

Ich danke Dir nochmals von ganzem Herzen für Deine beiden lieben Briefe, mein [Roland].

Behüt Dich Gott, erhalte er Dich froh und gesund!

Ich liebe Dich! Du! Ich küsse Dich!

Ich sehne mich so sehr, sehr nach Dir! Du!

In Liebe und Treue

immer Deine [Hilde].

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.401009-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946