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[OBF-401005-001-01]
Briefkorpus

Sonnabend, den 5. Oktober 1940

Mein liebes, teueres Herz, meine liebe, liebe [Hilde], Du!​

Schon tauschten wir die ersten herzlichen Worte, schon waren wir uns innerlich ein paar gute Schritte nähergekommen, als wir dann unsre Bilder tauschten, Herzliebes! Mein ganzes Innere geriet wieder in Aufruhr damals, ähnlich wie an den Tagen, da wir die ersten Briefe wechselten. Da lagen nun zwei Bilder — wieviel Frauen – und Mädchenbilder hatte ich schon gesehen und betrachtet! — und sie sollten nun etwas ganz besonderes vorstellen, mit ihnen sollte ich mich anfreunden für das ganze Leben, aus ihnen sollte mich die eine anschauen, die ich mir auf dieser Erde zur Gefährtin erwählte! Es war ein Kampf, ein Ringen in mir, Du! Und was da kämpfte, was da rang, das waren die Wunschbilder meiner Träume von der Auserwählten, mit den Bildnissen des Menschenkindes, das mir bekannte, wie unendlich es mich liebe.

Was habe ich doch mit Deinen Bildern angestellt, Herzliebes! Überallhin verfolgten, begleiteten sie mich, und wenn das ersehnte Ende des Dienstes kam, dann holte ich sie hervor und las in diesen Bildern, bald dicht darüber, geneigt, bald aus der Ferne, am Morgen, Mittag und Abend, noch unter der Bettdecke mit der Taschenlampe. Mit Blättern deckte ich bald diesen, bald jenen Ausschnitt ab, mein Rassenkundebuch holte ich herzu und reihte Dich hinein, meine eigenen Bilder stellte ich zu den Deinen. Wie ein törichtes Kind hat sich Dein Hubo damals angestellt. Und je mehr er las in seinem Wahn, desto mehr verwirrten sich die Zeichen, zur Klarheit gelangte er nicht.

Nur eines wurde ihm damals deutlich, daß aus diesen Bildern dieselben Worte sprachen wie aus unserem Schicksalsbrief: „Ich liebe Sie aus ganzem Herzen.” Du, Geliebte! Ich fand nur eine Antwort damals: Ich dankte Dir mit meinen gereimten Zeilen. Besinnst Dich noch, Herzliebes? Nun stehen sie wieder vor, [^]mir die beiden Bilder wie so oft in diesen Jahren. Du, meine [Hilde]! Heute nun verstehe ich die Zeichen. Mit ungebrochener Kraft leuchten die Augen, sie suchen den Liebsten, sie rufen ihn: Komm her zu mir, Geselle, hier findest Du Deine Ruh!

Er steht noch zögernd beiseite. Und in Deinen Zügen lese ich noch ein Warten, ein Hoffen und Bangen: Werden wir uns zusammenfinden zum Glück? Heute erkenne ich darin auch die Treue und Tiefe Deiner Liebe, Du!, erkenne ich, daß Du nicht schon damals so liebtest wie heute, Du mein Glück! Und nun die neuen Bilder daneben, Herzliebes, Dein köstliches Geschenk, Dein Geheimnis, nicht wie Du ankündigtest von 3-4 Wochen, sondern von 2 Wochen. Die beiden im Paßbildformat entsprechen — ein guter Zufall nur? — den Beiden von früher, und es lag auf der Hand, sie einander gegenüber[^]zustellen. Du hast selbst nicht ein Wort dazu geschrieben. Schreibst mir aber bitte noch ein paar gelegentlich?

Das liebste Bild? Du stehst mir gegenüber, Herzliebes. Dein [Roland],— 

vielleicht ist er da auf Urlaub oder wieder auf immer — steht Dir gegenüber, wir reichen uns die Hände, und dann Liebste? — — Nur noch mir schauen die lieben Augen, Deine lieben Augen, sie ziehen mich zu Dir, Herzliebes, unwiderstehlich, und sie verheißen mir etwas. Süßes, Köstliches, und die Lippen können es kaum verschweigen. Die Perlen möchten ich beneiden. Und alles ruht wieder: Komm zu mir, mein [Roland], Dein bin ich ganz! Aber nun viel gewisser und froher als damals! Liebste, Du weißt es, daß ich von Dir nicht mehr lassen kann. Verbunden sind wir einander für alle Zeit! Daß Du stolz und gewiß und meiner glücklich bist, das lese ich aus allen Bildern zu meiner größten Freude. Auf den beiden anderen sehe ich Deine lieben Hände, Du!, die langen, feinen, schlanken, das erste, das Du mir schenktest, das erste, das ich liebend umfassen und an mich drücken dürfte, die Hände, die sich mit den meinen manch liebes mMal schon so fest und tief verschränkten, Du! die das Ringlein tragen, die mich zu Zum erstenmal [sic] zu Deinem Herzlein führten und — — —,  Liebste, zu Deinem Gärtlein, die Hände, die auch mütterlich tröstend schon über meinen Scheitel glitten. Wann werde ich sie wieder drücken dürfen?

Wenn unsre Zeit einen Anzug für die Frau finden sollte, wie würde der wohl ausfallen? O Liebste, dann müßtest Du wohl noch mehr frieren. Kurz, eng anliegendes Trikot und Hosenkleid. So ähnlich schätze ich. Wieviel edle Gesittung spricht aus dieser langen Mode. Sie läßt auch die kleineren und beleibten schlank werden. Das menschliche Antlitz, der Spiegel des Wesens und der Seele rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die verhüllten Glieder vertiefen das Wunder und Geheimnis des Weibes. Du weißt, mein Herz, wie gern ich Dich in diesem Polterabendkleid sehe. Und nun hast auch noch einmal das Kränzchen aufgesteckt, die Krone aufgesetzt, und nun siehst mich an in feierlicher, festlicher Schöne. Was ist es denn, wenn die Menschen sich schmücken? Nicht nur, um einander zugefallen, ich denke auch, um sich nach dem Urbild der Schönheit zu strecken, sich ihn zu nähern, der Majestät der Schönheit, die im Ideal so schön, aber herb und unnahbar ist. Und Du weißt, Herzliebes, daß ich Deinen Schmuck nicht stören mag, daß Du Dich in Deinem schönsten Kleid entfernst, daß ich Dich dann nur anschauen und bewundern mag und nicht anrühren mag. Das entspringt nicht aus einer Überlegung, sondern aus einem Empfinden. Hast also lieb und umsichtig alles bedacht Du Liebe, gute, daß ich Dich bewundern muß und Dir näher sein darf.

Herzallerliebste! Nimm nochmals tausend Dank für Dein liebes Geschenk, Dein liebes Pfand, daß ich nun stolz und froh mit mir trage, und das allein mich allezeit Deiner Gedanken ließe und zu Dir riefe, wenn nicht schon mein Herz und meine Sehnsucht zu Dir drängten, unablässig, nur zu Dir! Und nun spanne ich nur auf die Gelegenheit, wo ich Dir Deinen Wunsch noch einen Bild von mir erfüllen kann.

Herzallerliebste! Heute erhielt ich Deinen süßen Kirmesgruß und Deinen lieben Boten vom Donnerstag. Du, hast denn gar nicht einmal gekostet? Ich sitze hier vor der Büchse, während ich schreibe, und lange zu, und schmatze und kaue gut auf Deinen Befehl und sehe nun mit schrecken, daß sie bald alle sind, die süßen putzigen Dinger. Die sind gut gemacht für ein Schmausen zu zweien, Liebste. Mußt das Rezept mal wieder hervorsuchen, wenn ich bei Dir bin. Und dann im Dämmern, im warmen traulichen Stübchen, dann schmatzen wir um die Wette, Du am einen, ich am andern Ende, und Wunder das Stückchen wird dann gar nicht alle — Liebste, meine [Hilde] Du! Ach ich weiß es nur zu gut, wieviel Süßigkeit Du bereit hältst für Deinen [Roland] und wie Du ihn verwöhnen kannst, Evchen, Du, selber ein Leckermaul — Mäuschen!

Übst Dich so ernst schon in den Mutterpflichten, wie ich lese, Du! Ach, vor dem Ausfahren, Geliebte, steht die viel schönere Zeit voll Wunder und Geheimnis des Wartens und Hegens und Einhüllens in Wärme und Liebe. Glaubst mir, daß ich mich darauf freue? Und daß [^]ich teilhaben will am Einhüllen in Liebe und Wärme? Was sagst Du dazu, daß ich mir früher manchmal gewünscht habe, im Schoße meiner Mutter zu liegen?

Liebste, Herzallerliebste! Du schreibst vom Besuchen und hast vielleicht bei Dir schon gedacht, daß ich diesen Wunsch und Plan nicht selbst schon einmal angerührt habe. Glaubst mir, daß ich schon oft an ihn dachte und nur nicht davon schrieb, um Dir keine falschen Hoffnungen zu machen, ehe diese Möglichkeit nicht irgendw[ie] Gestalt angenommen hat. Du darfst mir glauben, daß ich immerzu danach ausspähe, mein und Dein Sehnen zu stillen. Wie könnte es auch anders sein? Was läge mir mehr am Herzen. Im nächsten Brief will ich mehr darüber schreiben.

Für heute, Herzliebes, laß Dir ganz fest die lieben Hände drücken. Morgen schon sollst Du wieder von mir hören, sollst Du mich nahe fühlen über alle Ferne hinweg. Behüte Dich Gott auf allen Wegen, den mancherlei verschlungenen Wegen Deiner Reise! Bitte grüße die lieben Eltern alle. Für Mutters Nähtischchen lege ich eines von meinen Bildern bei. Und nun? Ich sehe mich Dir gegenüber, sehe Dein Bild, Deine Lippen, Deine Augen und fühle den Puls Deiner Hände, Liebste!! Mein bist Du! Dein will ich sein! Dir gehören, nur Dir, und Dich lieb[h]aben in u[nwandelbarer] Treue!

D[ein] [Roland]

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Porträt von Hilde Nordhoff. Sie trägt eine Perlenkette um den Hals.

Ba-OBF K01.Ff3_.A2, Hilde Nordhoff am Tag ihres Polterabends, 1940, Ort unbekannt, Fotograf unbekannt, Büttenränder weggeschnitten.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946