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[OBF-400930-002-01]
Briefkorpus

Montag, am 30. September 1940.

Herzallerliebster, Du! Mein geliebter [Roland]!

Tief aufatmen kann ich nun - die Bande ist fort!
Eigentlich ist das ein häßlicher Zug, so von Besuch zu reden. Aber glaubst [Du], hier habe ich dabei nicht gelogen; die Kinder betrachtet. Heute früh um 9 sind sie fort, erst nochmal zur Oma nach Mittelfrohna. Onkel Herbert fuhr schon gestern abend heim, er muß zeitig ins Geschäft heute. Ich weiß nicht, ob ich ihm trauen könnte. Wenn er mit dem 6 Uhr Bus schon fährt, geht der ja noch nicht nach Hause. Das kann ich nicht glauben.

Sonst war es ganz gemütlich die beiden Tage, nur diesen Kinderlärm sind wir nicht gewöhnt. Wie das so ist: Kinder sollen den Erwachsenen eine Freude sein, aber diese Sorte ist uns eine Anstrengung. Ich hielt ihre Art nicht eine Kinderzeit lang aus, um meine Nerven hätte ich Bange. Ich kann verstehen, die Erziehung ist ein schweres Kapitel. Aber Liebster, solche Kinder möchte ich nicht mein Eigen nennen. Wir wollen da einmal alles daran setzen, wenn es bei uns so weit ist.

Gestern früh war ich nun erst im Gottesdienst. Er war gut besucht. Es regnete in Strömen, kalt war es. Ich konnte nicht aufmerksam sein, Dein Bote stand aus, und ich war darüber so unruhig, weil er sonst Sonntags ja immer kam. Herr H. sagte, am Donnerstag müsse ich ganz bestimmt singen kommen, Du habst [sic] geschrieben und etwas ganz besonders Schönes an mich ausrichten lassen, was er mir im Moment nicht sagen könnte. Ich bin neugierig, hast doch nicht mehr als einen Gruß drauf geschrieben, Du!? Am vergangenen Donnerstag habe ich so gewartet, daß er ein Zeichen von Dir vorzeigen sollte, nichts. Es ist einen Tag später gekommen.

Mittags gab es Hammelbraten mit grünen Klöpsen, Sellerie, Apfelmus und Tutti-Frutti; es schmeckte gut; aber ich mußte arg viel an Dich denken die ganze Zeit und vor allem beim Essen; da war mein Zuspruch dann weniger lebhaft. Ich hätte Dich zu gern dabei gehabt, Du! Mittagsruhe hielten nur Kinder und Väter, wir Frauen hatten zu tun, und die Schwestern haben sich auch viel zu erzählen, wenn sie mal beisammen sind. Nachmittags bin ich mal mit den Kindern losgezogen, es war ja so miserabel draußen, daß die anderen nicht Lust hatten, mitzukommen. Die beiden unterm Schirm, zum Lachen!, es sah aus als habe der alte große Regenschirm 4 Beine gekriegt, weiter guckte nämlich nichts heraus.

Es ging nur im Ort umher, dann mal zur Großmutter, die Karnickel ansehen. Etliche Leute sprachen mich an und fragten, bei welchem Storch wir die Kinder bestellt hätten, weil sie gleich so schön groß ankämen. Beim Englischen, sagte ich. Während die Jungen Mittagschläfchen hielten, habe ich Dir ein wenig Obst eingepackt, wir hatten noch paar schöne Äpfel und Birnen da, die noch eine Weile liegen mußten, ehe sie reif sind; da werden sie die Fahrt schon gut überstehen, bis zu Dir. Heut früh brachte ich sie zur Post, lasse Dir's [sic: Dir es] gut schmecken, Liebster! Schreiben konnte ich nicht viel dazu, es war mir zu laut.

Heute früh konnte ich Deinen lieben Boten empfangen, Du!

Ich bin so froh, hab Dank Liebster, dafür. Der arme Hermann, das hat mich schon den ganzen Vormittag beschäftigt. Ob er das alles aushalten kann? Liegt er immer noch im Lazarett von damals, als ihn seine Eltern besuchten? Ich werde von Deiner Mutter auch darüber hören, wenn wir hinfahren. Auf den Knien muß der Gott danken, der vor solchem Leid bewahrt bleibt.

Jeder einzelne tut einem leid, der bestimmt ist für England. Wir wollen tapfer sein und das Beste hoffen, von dem was bevorsteht. Nun bist Du auch richtiger Soldat seit 2 Tagen.

Wirst mir einmal davon schreiben, wie es zur Vereidigung war? Dein Prachtstück, die Uniform, hat nun ihren letzten Schick von Deiner Hand erhalten! Achselstücken kannst Du annähen.

Es ist fein, daß Ihr was lernt; [so] sitzt Ihr wenigstens nicht auf, wenn die Frau Euch mal durchbrennt! Liebster! Ich freue mich, daß Du mir alles und so oft schreibst, Du! Ich kann ja auch nicht anders wie Du; ich freue mich darauf, wenn ich nach meiner Arbeit zur Feder greifen kann. Und kommt doch mal etwas anders dazwischen, so ist mein ganzer Tag gestört und es macht mir dann auch nichts mehr Freude. Und wenn ich Dir nur wenige Worte schreiben kann, aber tun muß ichs, das brauche ich wie das tägliche Brot. Ob ich Deine Krakel immer lesen kann? Ei gewiß! Die Frage müßte wohl eher umgekehrt gestellt werden, was? Es ist so alles schön und gut und recht, wie Du es hältst, Du! Schreib mir nur, wenn Du für Dich bist. Ich leide es auch [n]icht, wenn jemand dabei ist, Liebster! O ja, ich glaube, ich kann auch eifersüchtig sein. Und sieh, wenn ich es nicht wäre, dann hätte ich Dich auch nicht lieb. Der Pullover wärmt, das freut mich u. auch Mutsch, Du! Hast noch einen? Da können wir wenigstens mal wechseln und einen waschen. Halt Dich nur gut warm und wenn Du noch etwas haben möchtest dazu, brauchst ja nur ein Wort zu schreiben, Liebster!

Das Bild heb noch recht für uns auf, Du! Herr L. muß morgen mich eintreffen; er kann vielleicht so bald keine mehr anfertigen. Ich habe noch recht großes Glück gehabt. Den Festteilnehmern schicke ich allen eins, die übrigen müssen eben warten.

Eben ist Dein liebes Päckchen angekommen, Herzlieb! Ich hab es nun schon ungeduldig erwartet. Du schreibst, ich hätte wohl über der Arbeit vergessen, seine Ankunft zu melden. So lange brauchte es. Herr S. brachte es mir ins Haus jetzt; er hat es heute früh auf der Post liegen lassen. Ich freu' mich Du! Ich dank' Dir schön! Wenn ich die Bonbons schmecke, will ich dabei an etwas Süßes denken, was nicht so säuerlich schmeckt, Du! Ich glaube, das habe ich schon bald verlernt, Liebster! Vater wird schöne Augen machen[,] wenn er aufsteht. Er hat diese Woche Nachtdienst; er schläft. Die Mutter bekommt auch ihr[en] Teil. Dem Vater will ich mal lieber dosieren, hm?

Beinahe hätte ich es nämlich garnicht bekommen, Du! Der Klebezettel mit Fa. H.s Anschrift und die Nummer von der Post waren nicht entwertet, und Du hattest es auch gut gemacht und hinten (also unten dran, verschnürt) und wenn es Herr S. nicht mal rumgedreht hätte, so wäre es zu H. gekommen. Ich muß aufpassen in Zukunft, wenn ich Dir wieder mal einen gebrauchten Karton schicke! Du, mit Deinen Socken wird's nun ein Weilchen dauern, bei dem Wetter müssen sie auf dem Boden trocknen, Du langst vorläufig noch. Das mit dem Trocknen möc[hte]st Du auch in Zukunft mit der Wäsche berücksichtigen, Liebster! Damit Du mir nicht mal bis zur nächsten Sendung nackt laufen mußt. Also bis zum 31. Oktober bleibst Du noch dort. Das ist nun gut oder schlecht. Du hast ganz recht, daß es wohl gleich ist, wo man Soldat ist, wer weiß[,] triffst Du es dann mit der Unterkunft besser. Mit dem Dienst ja, auf alle Fälle. Ihr braucht dann nicht mehr den ewigen Drill mitzumachen, könnt bei der Kälte drinnen sein. Natürlich, einmal Apell gibts wohl? Und unterhaken dürft Ihr? Ist ja fabelhaft!

Bekommst Du da nicht Lust, Dich einmal dieses Vorzuges zu erfreuen?? Mit Kosenahmen versieht man Euch auch zärtlich und gern? O ja, ich möchte mal den unsichtbaren Zuschauer spielen dürfen, wenn Ihr so richtig im Fahrwasser seit [sic]. Du wirst schön erzählen, wenn wir wieder einmal zusammen sein können. Und dabei hast [Du] noch nicht einmal die schlechteste Umgebung! Wenn da manche, andere erzählen. Wenn Ihr Euch nur nicht so oft mit der alten Knarre abquälen müßtet, das tut mir richtig leid. So ein Gewicht! Und alle ihre Tücken, ich glaub das dauert auch eine gute Weile ehe das sitzt und ehe man mit dem Ungeheuer umgehen kann. Wenn es [k]lappen sollte, ich möchte das Gewehr 98 einmal mit Dir zusammen auf dem Bilde sehen! Ja es wird richtiger sein, wenn Du Deinen Apparat schicken läßt. Da hat man mehr Freude an den Aufnahmen. Der von Deinem Kameraden ist nicht so gut denke ich weil die Bilder bissel unscharf sind und er fotografiert wohl auch selten, weil er die Bildausschnitte nicht gut wählen kann. Naja, mir war ja die Hauptsache, Du bist drauf und ich erkenne Dich und Du gefällst mir. Und Du gefällst mir [au]ch sehr, Du! Das übrige, was noch zu sehen ist[,] kann ich mir schon gut dazudenken, weil ich es schon einmal in Wirklichkeit sah; das Meer, der Sand, Strandkörbe, Fischerhäuser.

Auch in dieser Gegend sollen diese Brandblättchen abgeworfen worden sein vom Engländer? Das ist ja eine ganz niederträchtige Sache, die sie da wieder haben. —

Und nun? Herzlieb, nun will ich für heute mal schließen. Ich weiß garnichts  mehr, nichts als daß ich Dich furchtbar lieb habe, Du! So sehr lieb! Heute will ich Dir die Überraschung senden. Zur Erinnerung an den Tag, als ich das letzte Mal Deine Braut war. Ich hab mich gefreut auf den Tag, da ich Dir das Geheimnis sagen kann und nun ist es so weit. Du! Wirst Du Dich freuen?

Liebster! Herzallerliebster! Nun hast Du mich bei Dir.

Halt mich fest, ich sehne mich so sehr nach Dir, Du!

Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen, Du! Mein Glück!

Behüte Dich Gott! Bleibe froh und gesund!

In Liebe und treuer Verbundenheit küßt Dich innig

Deine [Hilde].

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Hilde Nordhoff sitzt mit Hochzeitsgästen vor einem Gartenzaun.

Ba-OBF K01.Ff3_.A6, Hilde Nordhoff (links) am Tag ihrer Hochzeit, 13. Juli 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Büttenrand weggeschnitten.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946