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[OBF-400618-001-01]
Briefkorpus

Schmilka am 18. Juni 1940.

Herzallerliebste, meine liebe [Hilde] Du!

Nun weiß ich Dich wieder in heimatlichen Gewässern, will lieber schreiben Gefilden. Wirst nun erzählt haben aus der verwirrenden Fülle von Eindrücken und Erlebnissen, die noch in der letzten Stunde alle aufgehellt wurden durch die große Freudenbotschaft, und hast nun auch mit Deinem überraschenden persönlichen Erscheinen die Freude ins Elternhaus getragen. Wir durften diese Freude noch gemeinsam erleben, und ich habe sie Dir von ganzem Herzen gegönnt, Deinem jungen, heißen, dankbaren Herzen, das sich doch manchmal noch umdüstern läßt. Ist es Dir nicht wie ein Wink, wie eine Bestätigung meiner Worte davon, daß wir Vertrauen fassen sollen in Gottes Führung, Vertrauen in unser Geschick, in das, was er uns schickt? Und war es bisher nicht ein unverdient gnädiges Geschick? Herzallerliebste, wir wollen es nicht vergessen. Der Glaube ist nicht nur ein Wissen und eine Überzeugung, sondern er gewinnt Gestalt in unsrer Haltung dem Leben gegenüber, er ist die einzige feste Grundlage für den Mut zum Leben. Der Aberglaube ist ein Irrweg, ein schlechter Ersatz und eine unsichere Zuflucht; die ihm anhängen, bleiben voll Angst und Mißtrauen zu ihrem Geshick. Keine schönere Aufgabe kann uns gestellt sein, als daß wir miteinander in der Schule unseres gemeinsamen Lebens den rechten Lebensmut und Gottvertrauen lernen, daß wir die rechte Lebensfreiheit gewinnen und die Weite des Blickes.

Wenn ich mir die vergangenen Tage vergegenwärtige, dann bleibt der Eindruck: Ich bin so ganz eins mit Dir. Wir dürfen getrost die Hände ineinanderlegen und ich warte voll Ungeduld auf diesen Tag. Und nun ist es, als sollte ich die Junggesellenseligkeit in ihrer ganzen Enge und Liederlichkeit diese 4 Wochen noch einmal kosten. Ich bin jetzt auf das Zimmer im Erdgeschloß beschränkt. Die Stube ist nur noch ein Gang zwischen Bett, Schrank, Sofa und Regalen. Aber es ist immer noch freundlicher als bei D.s. Ich nehme es durchaus von der lustigen Seite. In diesen sommerlichen Tagen ist es leicht zu ertragen, und in 3 Wochen kann ich hier wieder entwischen. Schmilka ist jetzt voll besetzt wie in Friedenszeiten, auf den Wiesen wimmelt es von Nackfröschen [sic], Adams und Evas, aber die, nach der ich mir schon den Hals einmal verdrehen möchte, ist nicht darunter. Ach, alle Süßigkeit, ich mag sie nur von der Einen, deren Herz mir gehört!

Heute erhielt ich Deine lieben Zeilen. Fliegeralarm! Verschlaft ihn nur nicht!

Deine Aktenstück vom Standesamt habe ich schon weiterbesorgt. Ich muß Dich bitten, Dich noch einmal zum Standesamt zu bemühen und zu fragen, ob sie mir meinen Geburtsschein und den Trauschein meiner Eltern nun ausliefern können. Heute hielt ich zum erstenmal wieder Schule, wie Du schon weißt. Die Franzosen zeigen sich noch ein wenig unnachgiebig, nicht lange mehr. Der Angriff gegen England wird schon eingeleitet.

Hier sitzt nun Hubo, gefangen, verbannt, er darf nicht reisen und soll geduldig warten bis - - ja bis - - Du! bis zu unserem Tag. Jetzt kommt es ihm noch lang vor, aber bald wird die Zeit verstrichen sein, es ist nur einer von den Abständen, die wir im Frieden hielten.

Herzallerliebste! Behüt Dich Gott! Bleibe froh und gesund. In diesen Tagen der Trennung, den letzten hoffentlich, will ich noch viel öfter Deiner denken, Deiner und unseres Tages. Zu wem gingen sie lieber, meine Gedanken, als der Vertrauten meines Herzens, die so reich ist an allem?

Herzallerliebste Du! Ich habe Dich ganz lieb und bin und bleibe

Dein [Roland].

Bitte grüße die lieben Eltern.

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946