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Briefkorpus

Schmilka am 4. Juni 1940.

Herzallerliebste, meine liebe [Hilde], Du!

Ich möchte die Gedanken, die Du in Deinem lieben Brieflein anrührst, ein wenig weiterspinnen. Gestern las ich in einer Zeitung die Anzeige des Heldentodes zweier Brüder in höherem militärischen Rang, akademisch gebildet, die Mutter und der dritte im Felde stehende Bruder waren unterzeichnet. Furchtbar erscheint uns das Herzeleid, wir können es nicht mitempfinden. Aber furchtbarer berührt uns die Wucht und Gewalt dieses Schlages, wenn wir glauben, daß auch er — wie alles Geschehen — bei Gott beschlossen war. Mußten diese kostbaren Menschenleben so beschlossen werden? War das ihr Sinn? Ob es die beiden Menschen vorbereitet traf? Und dann möchten wir mit unserem beschränkten Denken schnell ein System dieser Schickungen aufstellen, möchten erklären, begreifen, möchten Gott in die Karten sehen. Und der nächstliegende Gedanke ist dann [d]er an Lohn und Strafe, Belohnung und Vergeltung.

Er ist ein ganz menschlicher, beschränkter Gedanke. Er verkleinert Gott, von dem wir wissen, daß seine Güte und Gnade und Geduld unendlich sein kann. Wir dürfen uns nie verleiten lassen, solche Schickungen dem betroffenen als Lohn oder Strafe zuzurechnen. Das ist Frevel, schlimmer Frevel! Wer kann vor Gott so bestehen, daß er nicht eben solches Schicksal verdient? Nein, wir können nichts als ehrfü[r]chtig erschauern vor Gottes Ratschluß und müssen darüber ernst und stumm werden. Gottes Gerechtigkeit muß uns selbstgerechten und egoistischen Menschen immer verborgen bleiben in ihren letzten Zusammenhängen. Ja, worauf gründet sich dann die Zuversicht v auf seine Gnade, die Hoffnung auf seine Hilfe? „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Verführt dieses Wort nicht wieder auch zu Hochmut, Selbstzufriedenheit, zum Anspruch auf Gnade, ich liebe dich, Gott, also müssen mir alle Dinge zum Besten dienen!? O nein, das wäre eine falsche Auslegung. „Alle Dinge“, darunter fallen auch Krankheit, Verfolgung, Tod. Ein ganz demütiges Wort ist es gleich dem: „Was mein Gott will, gescheh allzeit!“

Und „zum Besten dienen“, das soll nicht heißen zu irdischem Erfolg, Wohlstand und Besitz, das kann nur heißen, dem Menschen zum Heil, zum He[i]l seiner Seele, zum Heil seines Herzens, das Gott allein ansieht. Trotzdem danken und bitten wir Gott auch um die Erfolge und Güter des irdischen Lebens. Von allen entscheidenden Wendungen unseres Lebens glauben wir, daß sie mit seinem Willen geschehen. Als besondere Gnade betrachte ich es, daß wir einen Zugang zu Gott haben, ein Ohr für sein Wort. Wieviel Menschen haben es nicht und nicht mehr. Daß wir einander fanden, darin sehen wir seine Fügung, nicht nur in den seltsamen Umständen und dem glückhaften Sichfinden un[d] Zuneigen unsrer Herzen, sondern auch darin, daß diese Liebe unsre Herzen reinigt, klärt und läutert, daß sie die unruhigen Triebe zähnt und zur Ordnung ruft, daß sie diese Triebe veredelt. Ich habe Dir davon schon manchmal geschrieben, Herzliebes. Du bist mir an die Hand gegeben, Herzliebes! Ich halte Deine Hand fest mit aller Liebe und Treue und will mit Dir gehen. Mutig wollen wir unsre Straße wandern und unsre Hände rühren. Und wollen doch auch still und demütig Gottes Stimme lauschen und unser Leben darnach richten. Denn erst von Gott erhält es seinen hohen Sinn, seine Weise, seinen Adel.

[Brief unvollständig]

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Autor Roland Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Roland Nordhoff

Foto von Roland Nordhoff. Nahaufnahme, Person sitzend in einem Fensterrahmen.
Ba-OBF K01.Ff2_.A39, Roland Nordhoff, 1940, wahrscheinlich Bülk, Fotograf unbekannt, Ausschnitt.

 

Roland Nordhoff wurde 1907 in eine bürgerliche Familie in einem ländlichen Dorf im östlichen Sachsen, Kamenz, hineingeboren. Nachdem er ein Musikstudium aufgegeben hatte, arbeitete er als Dorflehrer in Oberfrohna, nahe Chemnitz. Im Frühjahr 1938 wurde er nach Lichtenhain in Sachsen versetzt

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946

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