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Briefkorpus

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Oberfrohna, am 26. Mai 1940.

Herzallerliebster! Mein [Roland], Du!

Einen Brief hatte ich schon für Dich geschrieben, am Freitag — abends nach dem Bad als ich im Bett lag. Ich habe ihn aber gestern wieder zerrissen und verbrannt. Es braucht Dir nicht leid sein darum; denn Du wärst bestimmt traurig geworden darüber. Ich war so schwermütig an dem Tage; es lag daran, daß ich wieder einmal viel gesehen und gehört hatte, was mich aufregt.

Zu [sol]cher Stimmung sollte man niemals schreiben, man sieht die Dinge mit anderen Augen, ist die erste Erregung geschwunden, ist ein wenig Zeit darüber gegangen. Der Brief war voller Sorgen, die wirklich noch unberechtigt sind. Und ich will doch Dein lieber, verständnisvoller Kamerad sein — nicht ein schwächliches Ding, das gleich die Nerven verliert und sich immer anlehnen muß. Ich war einkaufen und begegnete den Lastkraftwagen, die ganz langsam gefahren kamen, um Verwundete nach der Schule zu bringen. Als ich zu Hause angekommen das Treppenhaus sauber machte, hielt mich Herr B. an, der vom Rathaus kam, wo er Dienst hatte. Er fragte, welcher Jahrgang Du seist, im Oberfrohnaer Rathaus lägen schon die Einschreiber bereit für Jhrg. 7. Ich war erschrocken und Du weißt ja selbst, was sich meine lebhafte Phantasie alles ausmacht. So schrieb ich mir alles von der Seele und ich betete heiß, wie jeden Abend, der Herrgott möge Dich mir erhalten und schützend seine Hand über unser Glück breiten. Ich war danach ruhiger und schlief tief bis zum anderen Morgen, der mir ja soviel vorenthielt.

Herzallerliebster! Damit ich nichts vergesse, will ich Dir gleich der Reihe nach berichten. Mein['] gute Heimkehr hatte ich Dir berichtet. Es war 3/4 11, als ich zu Hause die Tür hinter mir schloß. Mutter war noch nicht heim, Vater schlief und ich machte mich gleich daran, meinen Koffer zu entleeren. Die Sonne war unterdessen in ihrer ganzen Pracht am Himmel aufgestiegen und ich war noch so in froher Ferienstimmung, daß ich mir vornahm, Mutter noch dem Abendbrot in Beschlag zu nehmen und noch einen schönen Spaziergang mit ihr zu machen. Da klingelte es. Nanu, denke ich, hat sie gar keine Schlüssel mit?, und eile hinunter, [ih]n zu öffnen. Was sich nun meinen Augen bot, kann ich mein Lebtag nicht mehr vergessen. Mein Herzschlag setzte aus, die Worte erstickten mir in der Kehle, eine furchtbare Gewißheit stieg in mir auf. Hilde K. steht vor mir. Ist das noch die Hilde, die täglich neben mir so froh und lustig war im Geschäft? Das erste war das Schwarz, daß die ganze Gestalt einhüllte und mich zu Tode erschrecken ließ. Und diese Augen [Roland], lieber [Roland], sie verfolgen mich heute noch. Sie standen so verzweifelt, trostlos und qualvoll in dem fast grauen, entstellten Gesicht. Ihre Lippen waren rauh und rissig, wie verbrannt.

Mir stürzten die Tränen aus den Augen, ich konnte nicht anders — ich faßte nach ihr und sie taumelte mehr als sie ging in meine Arme. Ihr Werner, ihr Verlobter ist gefallen. Am 10. Mai, als die ersten Flieger nach Holland flogen. Ich war so voll tiefen Mitleids — aber Trost in dieser Stunde, da man die fürchterlich Wahrheit kaum fassen kann? Ich konnte nur immerzu ihre Hände streicheln, sie saß eine Weile bei mir u. beruhigte sich dann ein wenig; ich führte sie bis vors Tor, sie versprach mir, wieder zu kommen. Sie hat sich mir schon oft anvertraut und sie suchte mich auf in ihrem Schmerze, sie hat gewartet auf mich. Ich will ihr helfen wo ich nur kann. Glaubst Du, mein [Roland], daß mich das so furchtbar erschüttert hat, als sei es mir geschehen.

Nun bin ich ruhiger geworden; Tag um Tag gehen Todesanzeigen ein von Bekannten und von Unbekannten, man wird unwillkürlich härter in seinem Empfinden dafür — es ist mehr ein stummer Schmerz, der uns bewegt. Müssen wir nicht selbstlos sein in dieser Zeit, da es um unser Vaterland geht? Der Krieg fordert Opfer. Dürfen wir unser Einzelschicksal in den Vordergrund stellen angesichts dieses großen Ringens, das nicht fragen kann, wieviel Söhne es einer Mutter nehmen darf, wieviel des Liebsten, was wir unser Eigen nennen?

Diese Zeit ist für uns Menschen alle eine Zeit der Prüfung — Gott kennt uns, er schickt uns nicht mehr, als wir ertragen können. Liebster, Du! Ich will stark sein, wie die Frauen mit den großen Herzen, die leiden ohne zu klagen.

Herzallerliebster! Der Freitag kam heran, er brachte mir eine Botschaft: die Vorladung zur Untersuchung nach dem Chemnitzer Gesundheitsamt. Mein Chef beurlaubte mich ohne weiteres, um 6 Uhr früh am Sonnabend fuhr ich los. Um 1/2 8 war ich bestellt, ich war die Erste. Ein junges ,Dämchen' nahm mich auf (nochmal alle Personalien, auch von Dir), danach kam ich ins Untersuchungszimmer. Ein Arzt!!, er kannte mich wieder, wir waren zusammen in der Straßenbahn hinausgefahren nach der Hartmannstraße, er lief immer hinter mir her; kurz vor dem Amt ließ ich ihn an mir vorbei und nun sah ich, daß er auch da hinein ging. Vor der Tür blieb er stehen, ließ mich erst eintreten und ich, verwirrt über die vielen, vielen Türen und Gänge, bat ihn um Auskunft nach Nr. 47. Er nahm mich mit, er müsse auch dahin. Ich wähnte ihn für einen Beamten und erschrak, als ich ihn als Arzt vor mir sah.

Ich sage Dir, solche Untersuchung habe ich noch nicht erlebt. Ich muß das Dir erzählen, ich kann das nicht niederschreiben. Es hat einen Kampf gegeben, er hat sich dann entschuldigt. Weißt, was er noch sagte? Daß er große Achtung vor mir habe, daß er mir viel, viel Glück wünsche für die Zukunft. Er hätte dies Amt nun 3 Jahre, in dieser Zeit sei ich unter Garantie der 5. Fall von Mädchen, die so die Ehe eingehen. Ich konnte nicht viel sagen, ich schämte mich sehr. Ich war heilfroh als ich draußen war. Auf diesen Weg besorgte ich mir meine Brautschuhe bei Salamander. Sie zeigten mir auf meinen Bezugschein II nur Leinenschuhe, als ich nun nicht anbeißen wollte, brachte mir der Herr von da noch ein Paar Wildlederschuhe, das war das richtige. Sie sind einfach, nicht hochmodern, doch es sind Schuhe, die ich lange Zeit tragen kann und das war ja der Zweck der Sache, aus diesen Sonderbezugschein ein Paar Schuhe herauszuholen, die mich länger erfreuen, als einen Tag.

Nun das Hauptthema! Möbel.

Sonnabend, nachmittags war ich mit Mutter in Limbach. Wir sollten doch nochmal bei Bachmann (wo Du den Sessel zeichnetest) nachfragen wegen Küchen. Wir hatten Glück, es war wieder eine hereingekommen, sie hatte sie noch niemanden angeboten, weil verschiedene Leute wieder nachfragen kommen wollten.

Allerdings ist es keine [sic] Elfenbein, sondern Esche. Ein sehr schönes Modell, groß, standhaft; gute äußere Formen und vor allem solide, saubere Verarbeitung. 180 breit, eingebaute Brotkapsel, also sobald wird man uns solch Stück nicht wieder anbieten. Die Emaille-Äsche fehlen noch, die würden sie aber noch beschaffen. Sie kostet komplett 635 M, es ist viel Geld, doch für diese Küche nicht zuviel. Ich bin bereit, den Kauf abzuschließen; denn ich lernte Unterschiede kennen seit ich in Böhmen war. Mutter ist auch einverstanden, so habe ich nun gebeten, sie möchten die Küche nicht weiter anbieten, nächsten Sonnabend, wenn Du kommst, sollst Du Dein Gutachten auch ablegen — ich will nicht kaufen, ohne Deine Meinung — dann wollen wir den Kauf perfekt machen. Mutter kann sich ja noch nicht ganz an die besondere Art der Küche gewöhnen, weil sie immer auf Elfenbein [aus] war, selbst ich dachte nicht anders. Aber vom praktischen Standpunkt gesehen, ist sie mir schon willkommen. Zu einer Küche, wo man die meiste Zeit des Tages verbringt, bruselt und kocht oder sonst 'was macht, ist ein helles, empfindliches Möbelstück nicht so schön, als ein Stück von gedeckter Farbe, ohne viel Politur. Ich sehe es an unser Küche, wie die Politur leidet unter den unvermeidlichen Dämpfen die entstehen beim kochen. Freundlicher sieht es eben aus in einer hellen Küche. Aber wenn ich recht duftige, weiße Gardinen aufmache, ein sauberes Tischtuch, Überhandtuch und die schönen gestickten Handarbeiten anbringe, dann ist es bestimmt auch freundlich und schön in solcher Küche. Wir können nicht noch unnötig zögern und abwarten, das wird nicht besser, im Gegenteil; das sagen die Händler selber, das Material wird geringer und die Preise steigen. Ach glaubst Du, das ist ein Hin und Her, einmal wird die Betrachtung erwogen, einmal jene. Mutter ist zu gründlich in allem, eigentlich mußte ich ihr dankbar sein, aber ich werde dann auch mal ungeduldig wenn es zu gar keinem rechten Entschluß kommt. Ich will nun endlich mal klar sehen. Sie macht sich um alles so viel Sorgen.

Heute nun erhielt ich Deinen lieben Brief, Liebster! Ich danke Dir, Du!

Und wieder gehen die Geschäfte allen voran. Nachdem ich Mutters Brief gelesen und mit meiner Mutter darüber verhandelte, sind wir gleich nochmal zu B. ob sie Schlafzimmer haben, damit sie Mutter mal ansehen könne. Es war niemand da als die Tochter und die konnte uns keinen rechten Aufschluß geben, daß in allernächster Zeit Schlafzimmer herankommen echte, [sic] wußte sie bestimmt. Nun will mich Frau Bachmann (die Chefin) morgen früh anrufen, um mir eigens genaueren Bescheid zu geben. Ich schrieb nun sofort an Deine Mutter, nachdem wir unsere Beschlüsse gefaßt hatten.

Von den beiden Zimmern, die da sind werdet Ihr nun heute eins zur Bestellung festgelegt haben. Gib mir doch bitte umgehend Nachricht, was Ihr ausgerichtet habt!

Wir sagten nun, wenn wir die Küche in Esche haben, dann möchten wir natürlich das Schlafzimmer nicht ebenso nehmen. Wenn das in afrik. Birnbaum etwas gutes, solides ist und die Matratzenrahmen dabei sind, wäre es mir schon lieber.

Wie gefällt es Dir denn? Hast du beide gesehen?

Es ist schon viel Geld und es bleibt dann rein nichts mehr übrig. Wir müssen dann eben etwas borgen, wir brauchen auch noch Lampen. Ich hab nun der Mutter geschrieben, daß ich sie bitte, dem Mann in Kamenz zu sagen, er möchte bis zur Sonnabend nicht die Zimmer weiter anpreisen; denn bis dahin hat sie von mir Bescheid wie es wird.

Morgen werde ich von Fr. Bachmann hören wie es steht, wenn das Heranbekommen noch lange dauert, können wir ja nicht kaufen. Du wirst mir gleich schreiben, welche Wahl Ihr getroffen habt, welche Entschlüsse gefaßt und dann gebe ich Deiner Mutter sofort Bescheid — bis spätestens Freitag rechne ich, was nun wird auf dem Kauf in Kamenz. Ich denke, daß es schon so recht sein wird, durch unsere große Entfernung geht es eben nicht anders. Afrikanischer Birnbaum und dieser Preis, also etwas Echtes. Bei echten Schlafzimmern ist die Länge der Betten meist 2 m, ich habe nun die Auflagen auch 2 m lang, das paßte also gut. Herrn H. brauchen wir ja die Maße erst zuletzt zu geben. Ich habe ihm am Donnerstag geschrieben und auch meinen Bezugschein dazugelegt, ihm erklärt, daß Du das übrige mit ihm regeln wirst. Ich hatte angedeutet, Du würdest aller Voraussicht nach, am Sonnabend oder Sonntag kommen. Nun ist es doch anders geworden, er wird gewartet haben.

Mein lieber Reiseonkel war also heute daheim. Ich habe viel an Euch gedacht. Was sagte der Arzt zu Mutters Fuß? Sind alle wohlauf? Kommendes Wochenende, so Gott will, wirst Du bei mir sein?

Mein armer, lieber [Roland]! Das schöne Geld!

Einmal mußt Du aber schon noch kommen, damit wir alles Fehlende noch erledigen können.

Herzallerliebster! Du, mein [Roland]! Daß Du mein bist, daß ich Dir so ganz gehören darf, ich empfinde es so unsagbar glücklich. Wie freue ich mich darauf, mit Dir gemeinsam an unserem Lebensglück weiter zu schmieden. Jeden Abend mündet mein Gebet in dem innigen Wunsch, daß Du mir bleibst lange, lange — daß uns Gott Kraft schenken möge und Mut unsere Lebensaufgabe zu vollbringen auch in Not und Gefahr und daß er über unseren Bund der Liebe segnend und schützend seine Hände halte. Ich glaube, daß es Gottes Wille und Wunsch war, daß wir uns fanden, darum will ich auch zuversichtlich und ganz getrost mich seiner Führung anvertrauen, er wird alles zum Segen wenden.

Gott schütze und behüte Dich! Ich denke Deiner in tiefer, inniger Liebe, Du meine Liebster, Bester! Ich denke zurück an die schönen Tage bei Dir, Du! An die süßen Stunden, Liebster! Aber die schönste Erinnerung weicht der beglückenden Gewißheit unsrer reinen, großen Liebe unsrer Wesen zueinander und keine noch so wundersam, süße Sinnlichkeit kann dieses warme Gefühl übertönen.

Ich bin so glücklich, mein Lieb!

Ich liebe Dich von ganzem Herzen!

Deine dankbare [Hilde].

Recht herzliche Grüße senden Dir die Eltern!

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Ausschnitt aus dem Brief.

Ba-OBF K02.Pf1.400526-002-01a.jpg. Ausschnitt aus dem Brief.

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Autor Hilde Nordhoff
Korrespondenz Oberfrohna
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Über den Autor

Hilde Nordhoff

Foto von Hilde Nordhoff. Nahaufnahme, Person im Sommerkleid, im Hintergrund Bäume.
Ba-OBF K01.Ff2_.A12. Hilde Nordhoff, 1940, Oberfrohna, Fotograf unbekannt, Ausschnitt aus Fotoalbum.

Hilde Nordhoff wurde 1920 als Hilde Laube in eine Arbeiterfamilie in Oberfrohna, eine Kleinstadt in Sachsen, hineingeboren. Sie arbeitete ein Jahr lang als Hausangestellte, dann in einem Trikotagenwerk.

Sie kannte Roland Nordhoff aus der Kantorei in Oberfrohna und trat sogar der evangelischen

Über die Korrespondenz

Oberfrohna

Fotografie des Brautpaars Nordhoff am Tag ihrer Hochzeit vor dem Portal der Kirche.

Das Konvolut aus Oberfrohna befindet sich gut erhalten in privaten Händen in Deutschland. Es umfasst 24 Aktenordner mit ca. 2600 Briefen, die zwischen 1 und 20 Seiten lang sind. Der Briefwechsel beginnt im Mai 1938 und dauert, mit einigen kurzen (Urlaubs bedingten) Unterbrechungen, bis Februar 1946